Protocol of the Session on October 26, 2005

Meine sehr verehrten Damen und Herren von der SPD, die Rede ist nicht von einer gigantischen Mehrwertsteuererhöhung, die Sie vor der Wahl doch noch abgelehnt haben. Ich bin sehr gespannt, wie die Koalitionsverhandlungen in Berlin weiterlaufen. Inzwischen hört man ja schon, das Ganze liefe auf einen Mehrwertsteuersatz von 20 % hinaus. Ist es das, was Sie vor der Wahl versprochen haben? Wir werden sehr genau hinschauen. Das ist ein Beispiel für die Reformnotwendigkeiten.

Was ist mit der Reform der sozialen Sicherungssysteme? Wir werden genau hinschauen, was Sie zu leisten in der Lage sind.

(Ralf Jäger [SPD]: Wen interessiert das?)

Was ist mit dem Themenfeld „Deregulierung des Arbeitsmarktes“? Sie klopfen sich auf die Schulter, dass Sie in Berlin praktisch vor Beginn der Koalitionsverhandlungen mit der CDU schon fest verabredet haben, dass es nicht zu Bündnissen für Arbeit auf der betrieblichen Ebene kommen wird. Ich sage Ihnen: Das wird dazu führen, dass viele tausend Arbeitsplätzen in nordrheinwestfälischen Betrieben nicht gesichert werden können.

(Zurufe von SPD und GRÜNEN)

- Sie verhandeln das doch mit! Sie nehmen doch für sich in Anspruch, etwas für den Arbeitsmarkt in Nordrhein-Westfalen erreichen zu wollen.

(Zuruf von der SPD: Sie sind gerade ein Blechtrommler!)

Es wird Ihnen nicht gelingen, der neuen Landesregierung die Verantwortung für Fehlentwicklungen zuzuschieben, die in Berlin in den letzten Jahren unter Ihrer Verantwortung eingestielt worden sind und die es jetzt abzuarbeiten gilt - und zwar auch mit Ihrer Verantwortung; das ist nun einmal so in einer großen Koalition. Dazu gehört auch, meine sehr verehrten Damen und Herren, dass wir nicht einfach durchgehen lassen werden, dass die Bürgerinnen und Bürger weiter belastet werden sollen, wie Sie das offenbar gerade anstreben.

Derzeit ist viel von Subventionskürzungen die Rede. Der Ex-Ministerpräsident ist ja diesbezüglich gerade wieder vollmundig unterwegs, und zwar nach der Devise: Jetzt habe ich die Landesfinanzen ruiniert, jetzt warten größere Aufgaben auf mich. Wir sind sehr gespannt, was dabei herauskommt.

(Beifall von FDP und CDU - Rainer Schmelt- zer [SPD]: Das ist eine Frechheit! - Weitere Zurufe von der SPD)

Hierzu haben Sie und der Herr Kollege Dieckmann sich ja sofort zu Wort gemeldet: Subventionskürzungen ja, aber bitte schön nicht bei der Steinkohle! Die 16 Milliarden € Steinkohlesubvention sollen sakrosankt sein. Daran wollen Sie nicht gehen.

Das ist genau das, was wir an Ihrer Politik kritisieren, Frau Kollegin Kraft. Sie haben seit dem Tag der Landtagswahl noch nicht einen einzigen konstruktiven Beitrag in die Debatte eingebracht, wie die Modernisierung des Landes NordrheinWestfalens erfolgen kann. Sie graben sich in Ihren Schützengräben der Vergangenheit ein und bauen sich als Traditionstruppe auf, die alleine darauf abzielt, die Steinkohlesubventionen zu verteidigen. Sie sind jetzt gerade an der Stelle, wo Sie offenbar auch in den nächsten Jahren bis zur vorgezogenen Neuwahl bleiben wollen. Denn ich bin der festen Überzeugung, dass diese Legislaturperiode des Deutschen Bundestages, die erst gerade begonnen hat, nicht vier Jahre dauern wird.

Herr Dr. Papke, kommen Sie bitte zum Schluss.

Ich komme zum Ende, Frau Präsidentin.

Sie werden dort, wo Sie Verantwortung tragen, nicht umhin kommen zu zeigen, dass Sie, im Unterschied zu dem, was Sie seit 1998 abgeliefert haben, dieser Verantwortung endlich gerecht werden. Wir werden Ihnen einen Strich durch die Rechnung machen, wenn Sie glauben, dass Sie sich dem entziehen können, was Ihre Genossinnen und Genossen in Berlin verabreden. - Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von FDP und CDU)

Danke schön, Herr Dr. Papke. - Als Nächster spricht für die Landesregierung Herr Ministerpräsident Dr. Rüttgers. Bitte schön.

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich bitte um Verständnis, dass ich in dieser Aktuellen Stunde nicht zu in den bisherigen Beiträgen oder außerhalb des Parlaments gemachten Äußerungen, die auf selektiver Wahrnehmung

(Ralf Jäger [SPD]: Bei Ihnen!)

oder auf Fortführung von Wahlkampfritualen beruhen, Stellung nehme. Dafür ist die Lage viel zu ernst.

Die Bürgerinnen und Bürger haben am 22. Mai mit einer großen Mehrheit und einem klaren Auftrag eine neue Landesregierung gewählt, und diese Landesregierung leistet seitdem eine vorzügliche Arbeit.

(Beifall von CDU und FDP)

Wir werden unser Ziel, Nordrhein-Westfalen zu einem Land der neuen Chancen zu machen, Schritt für Schritt, in Ruhe und mit Überlegung umsetzen und dafür sorgen, dass die Menschen spüren, dass sie diese neuen Chancen bekommen. Wir werden uns davon leiten lassen, dass wir dabei wirtschaftliche Vernunft und soziale Gerechtigkeit als zwei Seiten einer Medaille verstehen werden. Wir wollen nicht, dass jemand in diesem Land keine Chancen hat.

(Beifall von CDU und FDP)

Am 18. September, am Tag der Bundestagswahl, haben

(Edgar Moron [SPD]: Zur Sache!)

die Bürgerinnen und Bürger Deutschlands einen Bundestag gewählt

(Ralf Jäger [SPD]: Das ist uns bekannt!)

und den Politikerinnen und Politikern ein Wahlergebnis in Auftrag gegeben, dass dazu führte, dass jetzt über eine Regierung der großen Koalition verhandelt wird, die niemand gewollt hat. Das ist der objektive Sachverhalt.

(Zurufe von der SPD)

In Berlin versuchen in schwierigen Gesprächen CDU/CSU auf der einen und SPD auf der anderen Seite, das notwendige Vertrauen zu entwickeln und ein Programm zu erarbeiten, das in den kommenden vier Jahren die notwendigen Entscheidungen möglich macht.

Dazu gehört nach meiner Auffassung eine Europapolitik, die es nach den Problemen mit dem Verfassungsvertrag ermöglicht, dass Europa wieder Ziele und Werte bekommt.

Dazu gehören die Neuvermessung der Verantwortungsräume zwischen Staat und Gesellschaft mit dem Abbau von all dem, was in den letzten Jahren auf allen Ebenen unseres Staates entstanden ist - Bürokratieabbau, Zurückschlagen des Behördendschungels -, und der Versuch, neue Freiheitsräume zu eröffnen, in denen Menschen ihre Chancen wahrnehmen können.

(Ralf Jäger [SPD]: Das sind spannende Neu- igkeiten!)

Dazu gehört eine neue Wirtschaftspolitik, die Wirtschaftsspielräume durch Haushaltskonsolidierung schafft und gleichzeitig in Zukunft investiert.

Dazu gehört ferner die Auflösung des Reformstaus bei den sozialen Sicherungssystemen, um wieder Investitionen in neue Arbeitsplätze zu ermöglichen, und zwar hierzulande.

(Beifall von CDU und FDP)

Angesichts dieser Situation ist es meine Aufgabe als Ministerpräsident des Landes NordrheinWestfalen, meinen Einfluss in Berlin geltend zu machen, damit die Interessen von NordrheinWestfalen bei diesen Koalitionsverhandlungen berücksichtigt werden.

(Zurufe von der SPD)

Ich bin deshalb froh, dass ich an diesen Verhandlungen teilnehmen kann, und ich halte es, obwohl es dort um Bundespolitik und die Schaffung einer neuen Bundesregierung mit einer neuen Koalition geht, für eine Selbstverständlichkeit, dass trotzdem all diejenigen, die diesen Verhandlungen als Nordrhein-Westfalen beiwohnen, dort auch nordrhein-westfälische Interessen beachten.

(Beifall von CDU und FDP)

Deshalb habe ich es als meine Pflicht angesehen, dafür Sorge zu tragen, denjenigen, die an diesen Verhandlungen teilnehmen, meine Auffassung mitzuteilen.

(Martin Börschel [SPD]: Wie gewohnt dilet- tantisch!)

Ich finde es wichtig, dass sich in den bisherigen Verhandlungen bereits erste Ergebnisse abzeichnen, und ich bin für die gute Zusammenarbeit mit den Mitgliedern der SPD-Verhandlungsdelegation aus Nordrhein-Westfalen dankbar.

Ich halte es für wichtig - dies war auch Ergebnis der Ministerpräsidentenkonferenz in der vorigen Woche in der Kaiserstadt Aachen -,

(Oh-Rufe von der SPD)

dass wir jetzt die Chancen nutzen, die Föderalismusreform endlich über die Hürde zu bringen. Sie ist unter anderem gescheitert, weil NordrheinWestfalen eine neue Landesregierung bekommen hat. Wir haben jetzt die Chance, und zwar CDU/CSU, SPD und FDP, eine Lösung in der Föderalismusfrage zu erreichen. Wir haben ein originäres nordrhein-westfälisches Interesse daran, dass die vielen Systeme organisierter Unverant

wortlichkeiten aufgelöst werden, meine Damen und Herren.

(Beifall von CDU und FDP)

Ich bin dankbar, dass es am letzten Donnerstag gelungen ist - unter anderem auch in Gesprächen mit den beiden Vorsitzenden der damaligen Föderalismuskommission, Franz Müntefering und Edmund Stoiber -, eine Vereinbarung zu treffen, in den kommenden Tagen zu versuchen, die damals noch offen gebliebenen Probleme von der Bildungspolitik bis hin zur Europapolitik aufzugreifen und möglichst in einer Koordination zwischen den Koalitionspartnern und der Länderseite zu einer Lösung zu führen. Ich darf darauf hinweisen: Die neue Koalition hat keine Mehrheit im Bundesrat, um Verfassungsänderungen durchzusetzen. Insofern ist es notwendig, eine breite Plattform zu finden.

Ich halte es für gut, wenn in dieser Koalition darüber geredet wird, dass bei Hartz IV nicht nur im Hinblick auf den Missbrauch Veränderungen erfolgen müssen, sondern dass es auch darum geht, objektiv ungerechte Regelungen, die von den Menschen auch als solche empfunden werden - ich spreche darüber schon seit vielen Monaten und bin für diese Regelungen schon von vielen Seiten, auch aus den eigenen Reihen, angegriffen worden -, zu beseitigen.