Protocol of the Session on November 11, 2020

Diese Anfrage wird von Herrn Kollegen Bajus eingebracht.

Einen Moment noch, Herr Kollege Bajus! Wir nehmen noch schnell einen Wechsel in der Sitzungsleitung vor, und dann können Sie loslegen.

(Vizepräsident Bernd Busemann übernimmt den Vorsitz)

Weiter geht’s, meine Damen und Herren! - Herr Kollege Bajus, Sie haben das Wort.

Ich danke Ihnen, Herr Präsident. - Meine Damen und Herren! Ich verlese unsere Dringliche Anfrage:

Wird sich die Landesregierung für einen umfassenderen Infektionsschutz für Menschen in Sammelunterkünften einsetzen?

In Niedersachsen sind viele Menschen in Sammelunterkünften untergebracht. Für Obdachlose und Werkvertragsarbeitnehmerinnen und -arbeitnehmer z. B. in der Fleischindustrie gibt es wenige Alternativen. Geflüchtete werden zunächst in der Landesaufnahmebehörde und viele anschließend auch in Kommunen in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht.

Die Sammelunterkünfte werden privat, von sozialen Organisationen oder der öffentlichen Hand betrieben.

Trotz aller Hygienepläne ist der Infektionsschutz in vielen Unterkünften in der praktischen Umsetzung nur schwierig zu gewährleisten. Abstand zu halten, ist angesichts der gemeinsamen Nutzung von Sozialräumen, Küchen, Toiletten und Waschräumen kaum oder nicht möglich. Kommt es zu einem Infektionsgeschehen, müssen meist große Gruppen oder alle Bewohnerinnen und Bewohner in Quarantäne.

Auch aus diesem Grund meiden z. B. Obdachlose häufig Sammelunterkünfte, zumal ihr Gesundheitszustand oft ohnehin schwierig ist.

Anfang November kam es in der Landesaufnahmebehörde in Celle zu einem Infektionsfall, woraufhin für alle Bewohnerinnen und Bewohner eine Massenquarantäne verhängt wurde, wie der

Flüchtlingsrat Niedersachsen berichtet. In einer Mitteilung des Flüchtlingsrates heißt es weiter:

„Nach Feststellung von fünf Infektionen in der Erstaufnahmeeinrichtung in Oldenburg wurden im Oktober 2020 mehr als 160 Personen in Quarantäne genommen … Auch in niedersächsischen Kommunen (u. a. Ems- land, Gifhorn, Lüneburg, Harburg) wurden ganze Gemeinschaftsunterkünfte pauschal unter Quarantäne gestellt. Zuletzt verhängte

beispielsweise der Landkreis Stade Ende Oktober eine Quarantäne für alle 65 Bewohnerinnen und Bewohner einer Flüchtlingsunterkunft.“

Von den Quarantänemaßnahmen sind regelmäßig auch Kinder und Jugendliche betroffen.

Nicht nur die Situation durch das Infektionsgeschehen führt zu schwierigen Situationen in den Sammelunterkünften, die Planungen des Bundesinnenministeriums, in Kürze erneut Sammelabschiebungen nach Afghanistan vorzunehmen, führt nach Aussagen möglicher Betroffener zu weiteren, erheblichen Verunsicherungen.

Die Kommission zu Fragen der Migration und Teilhabe des Landtags hat in ihrer letzten Sitzung eine Resolution verabschiedet, in der verschiedene Maßnahmen für einen besseren Infektionsschutz für Obdachlose, Werkvertragsarbeitnehmerinnen und -arbeitnehmer und Geflüchtete gefordert werden - u. a. eine verstärkte Einzelunterbringung in freien Wohnungen, Ferienunterkünften oder Ferienheimen - sowie ein besonderer Schutz für Risikogruppen in den betroffenen Einrichtungen.

Wir fragen die Landesregierung:

1. Wie viele Obdachlose, Werkvertragsarbeitnehmerinnen und -arbeitnehmer und Geflüchtete leben derzeit in Niedersachsen in Sammel- oder Gemeinschaftsunterkünften? Bitte differenzieren Sie nach Statusgruppen, Landkreisen bzw. kreisfreien Städten sowie privater, kommunaler bzw. Landesverwaltung.

2. Welche Maßnahmen hat die Landesregierung bisher unternommen, um den Infektionsschutz für die genannten Gruppen in den Unterkünften zu verbessern?

3. Welche Maßnahmen wird die Landesregierung kurzfristig konkret ergreifen, um insbesondere Risikogruppen in den Einrichtungen besser zu schützen und Kindern und Jugendlichen weiter eine angemessene soziale Teilhabe zu ermöglichen?

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Bajus. - Die Antwort der Landesregierung folgt gleich. Frau Ministerin Reimann, bitte sehr!

Vielen Dank, Herr Präsident. - Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Gerne beantworte ich Ihre Fragen.

Lassen Sie mich eines vorwegstellen:

Seit Beginn der Pandemie bewegen wir uns in einem Spannungsfeld zwischen den notwendigen und angemessenen Infektionsschutzmaßnahmen auf der einen Seite und den Freiheitsrechten und wichtigen Rechtsgütern wie dem Recht auf Bildung und Teilhabe auf der anderen Seite. Hier muss fortwährend abgewogen werden, welche Maßnahmen in der aktuellen Situation angemessen und sinnvoll sind.

Um die Gesundheitsämter dabei zu unterstützen, wurden diverse Empfehlungen für Hygienekonzepte für die unterschiedlichen Settings, die hier angesprochen sind, und auch für das Vorgehen im Fall eines Ausbruchs von COVID-19 erstellt. Solche Empfehlungen gibt es für alle hier angesprochenen Bereiche: für Obdachlosenunterkünfte, für Sammelunterkünfte für Beschäftigte in der Fleischindustrie und für Unterkünfte für Asylsuchende in der Landesaufnahmebehörde.

Bezüglich der Gemeinschaftsunterkünfte für Geflüchtete in kommunaler Verantwortung konnten wir in der Kürze der Zeit leider keine Zahlen und Daten zusammenstellen, da diese nur den Kommunen vorliegen. Bei gemeinschaftlicher Unterbringung sollten sich die Kommunen an dem Hygienekonzept der Landesaufnahmebehörde orientieren.

Ihre Anfrage bezieht sich auf sehr unterschiedliche Einrichtungen mit unterschiedlichen Trägern, sodass eine einheitliche Beantwortung für alle angesprochenen Einrichtungen nicht möglich ist.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, eine einheitliche Definition des Begriffs „Sammelunterkunft“ gibt es nicht. Das Baurecht nimmt Bezug auf andere rechtliche Regelungen wie z. B. die Arbeitsstättenverordnung. Diese kennt den Begriff der „Unterkünfte“. Das Infektionsschutzgesetz kennt den Begriff der „Massenunterkunft“. Für Unterkünfte, die für mehr als zwölf Beschäftigte bestimmt sind, gelten darüber hinaus die Anforderungen der Muster-Beherbergungsstättenverordnung.

Die drei in der Frage genannten Gruppen von Menschen eint zwar, dass sie in Gemeinschaftsunterkünften mit vielen Personen zusammenleben,

und das eher beengt, aber vor dem Hintergrund, dass die Problemstellungen für die drei genannten Personengruppen gleichwohl nicht vergleichbar sind, antworte ich auf Ihre Frage gesondert für die jeweilige Gruppe.

Sie fragten: Wie viele Obdachlose, Werkvertragsarbeitnehmerinnen und -arbeitnehmer und Geflüchtete leben derzeit in Niedersachsen in Sammel- oder Gemeinschaftsunterkünften?

Für die Obdachlosen kann ich sagen: Zum 1. Januar 2021 hat die Bundesregierung das Gesetz zur Einführung einer Wohnungslosenberichterstattung und einer Statistik untergebrachter wohnungsloser Personen beschlossen. Dafür habe ich mich viele Jahre sehr eingesetzt, zuletzt bei der ASMK. Die Daten dieser einheitlichen Bundesstatistik werden erstmals im Jahr 2022 vorliegen. Bis dahin - das muss man klar sagen - gibt es keine belastbaren Aussagen über die Anzahl der Personen, die in den Gemeinschaftsunterkünften leben. Bislang liegen dem Land Niedersachsen keine validen Daten zur kommunalen Unterbringung vor.

Für die Werkvertragsarbeitnehmerinnen und -arbeitnehmer in der Fleischindustrie kann ich sagen: Der Umgang mit den Unterkünften der Werkvertragsarbeitnehmerinnen und -arbeitnehmer ist in den einzelnen Landkreisen sehr unterschiedlich. Das ist sowohl auf unterschiedliche Formen der Unterbringung als auch auf unterschiedliche Strukturen in den jeweiligen Landkreisen und der Landkreisverwaltung und der Organisation vor Ort zurückzuführen. Außer den Gesundheitsämtern werden teilweise auch Bauaufsicht, der Zoll und die Ordnungsbehörden eingebunden. Zumeist handelt es sich aber auch nicht um Sammelunterkünfte, sondern um gemeinschaftlich genutzte Privatunterkünfte. Die Anzahl der Personen differenziert dann auch nach den Unterkunftsarten und konnte von uns in der Kürze der Zeit von Montag auf heute nicht ermittelt werden.

Für die Geflüchteten kann ich sagen: In der Landesaufnahmebehörde Niedersachsen leben derzeit - Stand 9. November 2020, 24 Uhr - an den verschiedenen Standorten Asylsuchende in folgenden Anzahlen:

Der Standort Fallingbostel/Oerbke hat 628, der Standort Bramsche 679 Asylsuchende. Die Außenstelle Oldenburg hat 460 Asylsuchende, der Standort Braunschweig 461, die Außenstelle Celle 161, und der Standort Grenzdurchgangslager Friedland, das verschiedene Gruppen beherbergt, hat 53 Asylsuchende, zurzeit 48 Personen aus

humanitären Aufnahmeprogrammen, 146 Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler und zwei jüdische Zuwanderinnen und Zuwanderer. Der Standort Osnabrück hat dann noch einmal 382 Asylsuchende zurzeit.

Für die Unterbringung der Ausländerinnen und Ausländer, die im Anschluss an die Erstaufnahme in der Landesaufnahmebehörde Niedersachsen auf die niedersächsischen Städte und Gemeinden verteilt werden, sind nach dem geltenden Aufnahmegesetz die Landkreise, die Region Hannover, die Stadt Hannover und die kreisfreien Städte sowie die Stadt Göttingen zuständig, und ihnen obliegt natürlich auch, nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen über Unterbringungsart und auch über die Ausgestaltung der Unterbringung zu entscheiden. Vor diesem Hintergrund führt das Land keine gesondert laufenden Erhebungen durch, sodass die erfragten Daten beim Niedersächsischen Ministerium für Inneres und Sport nicht unmittelbar verfügbar sind.

Unter 2. fragten Sie: Welche Maßnahmen hat die Landesregierung bisher unternommen hat, um den Infektionsschutz in den Unterkünften zu verbessern?

Da will ich auch wieder mit den Obdachlosen und den Wohnungslosen beginnen. Die Unterbringung Wohnungsloser ist eine ordnungsrechtliche Aufgabe im Rahmen der allgemeinen Daseinsvorsorge der Kommunen und damit in kommunaler Zuständigkeit. Diese Aufgabe liegt daher nicht in der Verantwortung der Landesregierung. Trotzdem hat die Landesregierung die Kommunen dabei unterstützt, Konzepte für die Einrichtungen zu entwickeln. Diese sind jeweils zwischen den Kommunen und den Einrichtungen vereinbart worden.

Ich will hier sagen, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, dass mich das Schicksal der wohnungslosen Menschen schon sehr bewegt, und das nicht nur vor der kalten Jahreszeit und auch nicht nur zu Corona-Zeiten. Es ist mir ein großes Anliegen, zur Verbesserung der Situation wohnungsloser Menschen beizutragen. So habe ich Anfang des Jahres ein Konzept zur Verbesserung der Situation wohnungsloser Menschen vorgestellt. Da geht es um Modellprojekte zur Erprobung neuer Arbeitsansätze.

Ich will beispielhaft ein Projekt nennen, das mir sehr wichtig ist. Da geht es um eine Beratungsstelle für wohnungslose Frauen, die „Unter uns“ heißt. Sie ist im August, also zu Zeiten wirklich hoher Temperaturen, in Braunschweig eingeweiht wor

den. Sie ist in der Trägerschaft der Diakonie. Das ist ein niedrigschwelliger Tagestreffpunkt, der sehr gut angenommen wird. Das Thema wohnungslose Frauen finde ich deshalb so wichtig, weil diese öffentlich nicht auftauchen. Sie entsprechen nicht dem Klischee des Wohnungslosen, sie sind aber häufig in einer besonders prekären Situation. Obwohl ihr geschätzter Anteil - auch dazu gibt es keine validen Zahlen - etwa ein Viertel beträgt, werden sie sehr viel weniger wahrgenommen. Sie sind oft nicht auf der Straße sichtbar, leben aber gleichwohl ohne eigene mietrechtliche Absicherung häufig auch in wechselnden Wohnungen von Bekannten. Deshalb erwähne ich hier das einmal.

(Beifall bei der SPD)

Dann zu den Maßnahmen, um den Infektionsschutz in Unterkünften für Werkvertragsarbeitnehmerinnen und -arbeitnehmer zu verbessern. Wir haben im Frühjahr für diese Personengruppe Empfehlungen zum Schutz vor Ansteckung in Sammelunterkünften und bei gemeinschaftlicher Unterbringung gegeben. Diese Empfehlungen hat die Landwirtschaftskammer Niedersachsen neben

verschiedenen anderen Hinweisen zu diesem Thema den Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern zur Verfügung gestellt und veröffentlicht. Dazu gehören Hygiene- und Abstandsmaßnahmen, die in Zeiten von COVID-19 in Sammelunterkünften einzuhalten sind, und auch Musterbetriebsanweisungen in mehreren Sprachen, weitere Informationen der Sozialversicherungen für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau für Unternehmerinnen und Unternehmer zu Corona und Saisonarbeit, weil das der gleiche Bereich war, und ein aktualisiertes Konzeptpapier des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft für Saisonarbeiter in der Landwirtschaft im Hinblick auf Arbeits- und Gesundheitsschutz.

Was die Maßnahmen für Geflüchtete angeht, hat die Landesaufnahmebehörde Niedersachsen seit Ausbruch der Corona-Pandemie in ihren Einrichtungen eine ganze Vielzahl von Maßnahmen zum Infektionsschutz eingeleitet bzw. verstärkt. Ziel der Maßnahmen ist es immer - ich will das einmal ganz grundsätzlich sagen -, mögliche Infektionen schon bei Aufnahme zu erkennen und mögliche Ansteckung während der Zeit des Aufenthaltes in den Aufnahmeeinrichtungen zu vermeiden. Dabei hat sich die Landesaufnahmebehörde immer an die jeweils aktuellen Regelungen und Empfehlungen orientiert und ihre Schutzmaßnahmen laufend angepasst.

Dazu gehört u. a.: Die Landesaufnahmebehörde hält an allen Standorten Separierungsbereiche vor. In diesen Bereichen werden Beobachtungs- und Verdachtsfälle räumlich getrennt untergebracht. Es gibt eine Teststrategie für die neu ankommenden Asylsuchenden. Alle Bewohnerinnen und Bewohner werden durch Flyer und Aushänge informiert. Sie sind in die relevanten Sprachen übersetzt und auch bebildert. Sie klären über die Pandemie an sich und ihre Auswirkungen auf sowie über die wegen der Pandemie getroffenen Regelungen im öffentlichen Leben, und sie geben Hygieneempfehlungen und Tipps dazu.

Dann gibt es darüber hinaus persönliche Gespräche mit den Sozialdiensten, und es wird eine Telefonhotline angeboten. An allen Standorten sind die Haupteingangsbereiche - wie bei uns auch -, die Unterkunfts-, Funktions- und Verwaltungsgebäude mit Handdesinfektionsmöglichkeiten ausgestattet, und in der Landesaufnahmebehörde gilt für alle Standorte in den Verwaltungsgebäuden, inklusive Essensausgabe und Sanitätsbereiche, eine Tragepflicht von Mund-Nase-Bedeckungen. Darüber hinaus wird das Tragen einer Mund-Nase-Bedeckung auf den Fluren und überall dort, wo man den Mindestabstand zu anderen nicht einhalten kann, empfohlen.