Protocol of the Session on November 11, 2020

Dazu gehört, was gestern auf der Islam Konferenz verabredet worden ist, dass nämlich mehr muslimische Religionslehrende in Deutschland ausgebildet werden. Da - es ist gerade schon gesagt worden - kommt Niedersachsen, Osnabrück und dem IKD eine besondere Rolle zu.

Wir brauchen einen starken Verfassungsschutz, der materiell und rechtlich in die Lage versetzt wird, Gefahren aufzuspüren und Hinweise an die zuständigen Behörden weiterzugeben, damit diese Gefahren sich nicht realisieren.

Dazu gehört auch das, worüber Innenminister Pistorius gestern hier unterrichtet hat, dass nämlich Gefährderinnen und Gefährder da, wo es geht, konsequent abgeschoben werden.

Aber wir müssen uns auch um diejenigen kümmern, die sich in staatlicher Obhut, nämlich in unserem Justizvollzug, befinden. Wir müssen diese vor dem Einfluss radikaler Kräfte schützen. Es ist schon gesagt worden: Wir in Niedersachsen sind da seit Jahren auf einem guten Weg. - Die Ministerin wird das hier wahrscheinlich gleich ausgiebig darstellen. - Wir sensibilisieren die Mitarbeitenden in Aus- und Fortbildung für Anzeichen von Radikalisierung. Wir machen muslimische Seelsorge und nutzen dabei die jahrzehntelange, man kann sagen: jahrhundertelange Erfahrung aus der evangelischen und der katholischen Seelsorge. Wir arbeiten gemeinsam mit dem Violence Prevention Network an der Deradikalisierung der Gefangenen.

Für meine Fraktion kann ich sagen: Das ist der richtige Weg, den wir schon seit Jahren in Niedersachsen gehen. Diesen Weg müssen wir fortsetzen. Denn unser aller Ziel muss sein, dass unsere Justizvollzugsanstalten nicht zu Brutstätten von islamistischem Terrorismus werden. Daran sollten wir alle gemeinsam arbeiten.

Vielen Dank.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Zinke. Ein Hinweis: Unparlamentarische Begriffe, in Zitate gekleidet, bleiben dennoch unparlamentarisch. Wenn Sie das in Zukunft berücksichtigen würden!

(Helge Limburg [GRÜNE]: Kann Wie- ner Schmäh unparlamentarisch sein?)

Jetzt hat für die FDP-Fraktion Herr Kollege Dr. Genthe das Wort. Bitte, Herr Kollege!

Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Kollege Schünemann hat ja eben schon die vielen Opfer dieser schrecklichen Attentate aufgezählt, und es ist ganz klar: An dieser Stelle muss gehandelt werden.

Das ist aber auch schon länger klar, Herr Kollege Schünemann. Bereits im Jahr 2015 habe ich hier das Problem einer möglichen Radikalisierung in Justizvollzugsanstalten thematisiert. Der Anlass

war damals die Biografie der Attentäter von Paris. In der Folgezeit wurde insbesondere auch darüber diskutiert, ob bestimmte muslimische Seelsorger zu einer Radikalisierung von Inhaftierten beitragen. Und daraus hat das Justizministerium dann auch Konsequenzen gezogen und diesem Personenkreis den Zutritt zu den Anstalten verwehrt. Das war eine richtige Entscheidung der Justizministerin, meine Damen und Herren.

(Zustimmung von Helge Limburg [GRÜNE])

Die deutschsprachige Imamausbildung in Osnabrück, so wie sie gestern auf der Islamkonferenz diskutiert worden ist, ist sicherlich auch eine Chance, die muslimische Seelsorge in den Justizvollzugsanstalten zumindest mittelfristig wieder anbieten zu können. Es ist selbstverständlich unbedingt zu vermeiden, dass sich empfängliche Menschen ausgerechnet in der Obhut des Staates, also in einer Justizvollzugsanstalt, gefährlich radikalisieren. Das ist offenbar aktuell bei den Tätern so geschehen. Dazu sind jedoch diverse Maßnahmen notwendig.

Herr Kollege Schünemann, ich will an dieser Stelle ein wenig konkreter werden. Es müssen insbesondere die Justizvollzugsbediensteten auch in die Lage versetzt werden, die Radikalisierung eines Inhaftierten überhaupt zu bemerken. Die Beamten müssen schlicht auch die Zeit haben, Verhaltensveränderungen wahrzunehmen - und das klappt nur, wenn auch genügend Personal vorhanden ist. Und da, meine Damen und Herren, hat Niedersachsen durchaus Nachholbedarf; das ist hier nämlich nicht der Fall. Bei Personalnotstand ist es einfach nicht möglich, sich ausreichend insbesondere um junge oder psychisch labile Gefangene zu kümmern. Und gerade diese sind anfällig für extremistische Ideen. Sie brauchen Aufklärung, eine Vertrauensperson und gegebenenfalls auch den Schutz vor Mithäftlingen, die in irgendeiner Art und Weise Druck ausüben.

Meine Damen und Herren, ein Aufenthalt in einer niedersächsischen Vollzugseinrichtung darf nicht wie ein ideologischer Brandbeschleuniger wirken. Wenn sich ein Mensch in staatlicher Obhut befindet, hat der Staat auch eine Verantwortung, und dazu zählt sicher auch der Schutz vor einer Radikalisierung.

(Beifall bei der FDP - Zustimmung von Helge Limburg [GRÜNE])

Neben ausreichend Personal bedarf es sicherlich auch einer gründlichen Schulung der Justizvollzugsbeamten. Sie müssen einschlägige Symbole, Zeichen und Schriften überhaupt erst einmal erkennen. Insbesondere, wenn es sich um arabische Schriftzeichen handelt, ist das nicht immer einfach. Zudem unterliegen auch diese Symbole einer gewissen Entwicklung. Benötigt wird daher eine Schulung, die die Beamten auch auf dem jeweils aktuellen Stand hält. Notwendige Programme zur Deradikalisierung in Vollzugseinrichtungen sollten anhand bundeseinheitlicher Kriterien aufgestellt werden. Das wäre sicherlich auch eine Aufgabe der Landesjustizministerkonferenz.

Meine Damen und Herren, ich begrüße daher ausdrücklich, dass sich die Regierungsfraktionen nun dieser Problematik widmen, und ich bin gespannt, ob sich die dafür notwendigen Haushaltsmittel - also für das Personal, für die Schulungen, für die Programme - dann auch tatsächlich in dem Haushaltsentwurf 2021 wiederfinden.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Vielen Dank, Herr Dr. Genthe. - Für die Landesregierung hat nun das Wort Frau Justizministerin Havliza. Bitte, Frau Ministerin!

Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die schrecklichen Anschläge von Dresden, Paris, Nizza und zuletzt Wien haben uns alle - das haben wir vorhin schon gehört - tief betroffen gemacht. Sie haben uns aber auch auf drastische Weise wieder einmal vor Augen geführt, dass der islamistische Terror keine abstrakte Gefahr, sondern erschreckend real und präsent ist, und sie haben gezeigt, wie menschen- und lebensverachtend diese Extremisten gegen menschliches Leben vorgehen.

Mit dem Gedankengut der Täter, den selbsternannten Glaubenskriegern mit ihren verqueren Ideologien und ihrer verdrehten Religionsauslegung sowie ihren fehlgeleiteten Ansichten und leider auch mit ihren grausamen Taten, habe ich mich - das wissen Sie - früher jahrelang befassen müssen. So mancher Islamist saß da im Gerichtssaal vor mir, und deshalb weiß ich nur zu gut: Ein Urteil im Namen des Volkes, eine Freiheitsstrafe von mehreren Jahren allein ist nicht geeignet,

um einen Islamisten von seinem radikalen Weg abzubringen. Dazu braucht es mehr - viel mehr.

Daher ist es von ganz erheblicher Bedeutung, dass sich Islamisten im Vollzug nicht nur nicht weiter radikalisieren, sondern dass sie auch durch präventive Angebote deradikalisiert werden. Dieser Überzeugung war ich damals, dieser Überzeugung bin ich heute, und deshalb bearbeiten wir diese Aufgabe kontinuierlich und seit vielen Jahren. Ich bin der CDU-Fraktion daher dankbar, dass sie dieses wichtige und leider wieder sehr aktuelle Thema in diese Aktuelle Stunde eingebracht hat.

Meine Damen und Herren, die Landesregierung hat sich bereits im Koalitionsvertrag dazu bekannt, mit mehr Präventionsarbeit, wirksamen Sanktionen und eigenem Personal der politischen und religiösen Radikalisierung in den Justizvollzugsanstalten entgegenzuwirken. Daher haben wir im Vollzug, im Ambulanten Justizsozialdienst und im Landespräventionsrat ein breites Maßnahmenpaket geschnürt, das sich auf alle Phänomenbereiche - also den religiös und den politisch motivierten Extremismus - erstreckt und eine umfassende Kooperation mit zivilen und staatlichen Akteuren vorsieht. Auf die gesamte Bandbreite kann ich in der kurzen Redezeit nur auszugsweise eingehen.

So werden Gefangene, die wegen einer extremistisch geprägten Straftat verurteilt wurden oder in der Haft unter Extremismusverdacht geraten, von unserem Prognosezentrum im niedersächsischen Justizvollzug begutachtet. Vor der Entlassung erfolgt in geeigneten Fällen eine aktuelle Gefährdungseinschätzung, die dann auch sofort den Sicherheitsbehörden zur Verfügung gestellt wird.

Auf vollzuglicher Ebene hat meine Fachabteilung eine Extremismus-Richtlinie erarbeitet, in der verbindliche Regelungen zum Umgang mit extremistischen Gefangenen vereinbart worden sind. Auf Grundlage eines gemeinsamen Runderlasses des Innen- und Justizministeriums werden regelmäßig Informationen zwischen der Justiz und den Sicherheitsbehörden ausgetauscht - was extrem wichtig ist.

Auf ziviler Ebene kooperieren wir erfolgreich mit Violence Prevention Network. Der bundesweit anerkannte Träger der Extremismusprävention und Deradikalisierung bietet neben Gruppen- und Einzeltrainings für betroffene Gefangene auch Fortbildungen für Bedienstete in niedersächsischen Justizvollzugseinrichtungen sowie im Ambulanten Justizsozialdienst an, und davon wird auch rege Gebrauch gemacht.

Geschult werden auch unsere islamischen Seelsorgerinnen und Seelsorger. Wir sind davon überzeugt, dass die Gefängnisseelsorge einen sehr wichtigen Beitrag zur Islamismusprävention leisten kann, auch wenn es nicht ihr eigentlicher Zweck ist. Es ist aber ein sehr erwünschter Nebeneffekt.

Wir haben die extremistischen Gefahren sehr genau im Blick, meine Damen und Herren. Dies darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Terrorgefahr unverändert fortbesteht. Das sagte ich ja eingangs bereits. Und dieses Risiko, meine Damen und Herren, wird bleiben. Es ist ja auch keinesfalls so - dessen sollten wir uns bewusst sein -, dass die Attentäter zuvor immer inhaftiert waren oder auch nur aufgefallen wären. Daher ist es mir ebenso wichtig, präventive Maßnahmen außerhalb der Gefängnismauern vorzuhalten.

Niedersachsen hat sich einen ganzheitlichen Präventionsansatz zu eigen gemacht und ihn in der ressortübergreifenden Arbeit des Kompetenzforums Islamismusprävention Niedersachsen als Landesprogramm organisiert. Hier kommt dem Landespräventionsrat in meinem Haus eine wichtige Aufgabe zu. Seit mehreren Jahren hat dieser sich die Förderung lokaler Fachstellen gegen Islamismus und Demokratiefeindlichkeit auf die Fahnen geschrieben. In einem Schulterschluss von Staat und Zivilgesellschaft werden seither in den Städten und Landkreisen Hildesheim, Osnabrück und Göttingen erfolgreich pädagogische und andere Fachkräfte geschult, um Jugendliche und junge Erwachsene für die Gefahren und den Sog salafistischer und islamistischer Propaganda zu sensibilisieren und Angebote zu schaffen - all das mit dem Ziel, sie vor dem Einfluss extremistischer Propaganda zu schützen.

Auf justizieller und gesetzgeberischer Ebene habe ich mich in der Vergangenheit dafür eingesetzt - und werde das auch weiterhin tun -, dass bereits der Versuch der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung unter Strafe gestellt wird, und ich setze mich dafür ein, dass derjenige, der eine terroristische Vereinigung gründet, ihr als Mitglied angehört oder sie unterstützt, zukünftig mit einer Freiheitsstrafe von bis zu 15 Jahren bestraft werden kann anstatt wie bisher nur bis zu 10 Jahren.

(Beifall bei der CDU und Zustimmung bei der SPD)

Meine Damen und Herren, Prävention, Intervention und Repression sind im Kampf gegen Extremismus das Gebot der Stunde. Denn eines dürfen wir nicht vergessen: Wir haben es bei Islamisten im

wahrsten Sinne des Wortes mit Glaubenskriegern zu tun. Diese bringt man weder allein durch Bestrafung noch durch gute Worte zurück auf den richtigen Weg.

Die Wirklichkeit ist wesentlich anstrengender. Wir müssen dabei weiter vorangehen und dürfen auf keinen Fall in irgendeiner Weise nachlassen. Das werden wir auch nicht tun.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Ministerin.

Weitere Wortmeldungen sehe ich nicht. Damit ist die Aktuelle Stunde für diesen Tagungsabschnitt beendet.

Ich rufe auf den

Tagesordnungspunkt 34: Dringliche Anfragen

Es liegen zwei Dringliche Anfragen vor.

Die für die Behandlung Dringlicher Anfragen geltenden Geschäftsordnungsbestimmungen setze ich als allgemein bekannt voraus. Ich weise wie üblich besonders darauf hin, dass einleitende Bemerkungen zu den Zusatzfragen nicht zulässig sind, und erinnere daran, dass ein fraktionsloses Mitglied in einem Tagungsabschnitt insgesamt eine Zusatzfrage stellen kann.

Um dem Präsidium den Überblick zu erleichtern, bitte ich, dass Sie sich schriftlich zu Wort melden, wenn Sie eine Zusatzfrage stellen möchten.

Ich rufe auf

a) Wird sich die Landesregierung für einen umfassenderen Infektionsschutz für Menschen in Sammelunterkünften einsetzen? - Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 18/7869

Diese Anfrage wird von Herrn Kollegen Bajus eingebracht.