Protocol of the Session on September 17, 2015

Ich sage das deshalb zu Beginn ganz bewusst, weil wir in der Diskussion, wie wir Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt integrieren, wie wir ihnen eine Perspektive geben, darauf achten müssen, uns jetzt nicht auf einen Teil zu konzentrieren und zu fokussieren, sondern alle im Blick zu haben. Deswegen hat das Fachkräftesicherungskonzept der Landesregierung 13 Handlungsfelder, und es hatte von Beginn an ein Handlungsfeld, Menschen mit Migrationshintergrund in Arbeit zu bringen. Ich glaube, diese klaren Aussagen sind auch für die mindestens über 3 Millionen Menschen notwendig, die in Deutschland jetzt schon leben und ohne Arbeit sind, dass wir uns also konzentrieren und uns breit aufstellen.

Aber, meine Damen und Herren, der Zustrom von Flüchtlingen, die aus humanitärer Not - vor allen Dingen im Nahen Osten - derzeit Schutz in Europa suchen, ist ungebrochen, und er stellt natürlich

zurzeit die zentrale innen- und außenpolitische Herausforderung für die Politik von Bund und Ländern dar.

Deutschlandweit werden in diesem Jahr 800 000 Asylbewerberinnen und -bewerber erwartet. Das bedeutet für Niedersachsen, wenn man den Königsteiner Schlüssel anwenden würde, eine Aufnahme von bis zu 80 000 Asylbewerbern und Flüchtlingen. Zum Teil hören wir sogar deutlich höhere Zahlen.

Viele der neuen Zuwanderinnen und Zuwanderer werden absehbar länger in Deutschland und in Niedersachsen verbleiben. Schon frühzeitig nach der Aufnahme müssen daher auch erste Schritte zur gesellschaftlichen Integration erfolgen. Zentrale Bedeutung für diese gesellschaftliche Integration hat dabei auch eine erfolgreiche Integration in den Arbeitsmarkt.

Die Landesregierung hat diese Herausforderung entschlossen angenommen und frühzeitig, bereits im Januar dieses Jahres, mit den Planungen eines Projektes zur Kompetenzerfassung von Asylsuchenden und Flüchtlingen reagiert. Wir haben zu diesem Zeitpunkt auf der Basis von wesentlich geringeren Zahlen von Asylbewerberinnen und -bewerbern geplant. Das BAMF ging im Dezember 2014 - das war ja die Grundlage unserer Planung - von 230 000 Personen aus, das BMI noch im Mai 2015 von 450 000 Personen. Das zeigt natürlich auch, dass die Instrumente, die wir auf den Weg gebracht haben, noch nicht auf die hohe Zahl an Asylbewerbern und Flüchtlingen ausgerichtet waren, die wir zurzeit in Deutschland haben.

Zur Frage 1: Im Juni 2015 startete das Wirtschaftsministerium das Projekt „Kompetenzen erkennen - Gut ankommen in Niedersachsen“ in Kooperation mit der Regionaldirektion Niedersachsen-Bremen der Bundesagentur für Arbeit. Im Rahmen des Projektes erfolgte an den Standorten Bramsche, Braunschweig, Friedland und Osnabrück der Landesaufnahmebehörde Niedersachsens eine frühzeitige Erstdokumentation schulischer und beruflicher Qualifikation der dort ankommenden Asylsuchenden und Flüchtlinge auf freiwilliger Basis - das muss man, glaube ich, immer dazu sagen - durch Experten der Bundesagentur für Arbeit.

Die Daten werden so den Agenturen für Arbeit, den Jobcentern und den kommunalen Behörden für Arbeitsmarktintegration in den späteren Zuweisungskommunen zur Verfügung gestellt. Gleichzeitig - ich glaube, das ist ebenso wichtig - senden wir

damit ein deutliches Willkommenssignal, indem wir auf die aus Not zu uns gekommenen Menschen zugehen und ihnen frühzeitig vermitteln, in unserer Gesellschaft gebraucht zu werden.

Das Niedersächsische Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr erstellt für das Projekt „Kompetenzen erkennen - Gut ankommen in Niedersachsen“ im Zeitraum von Juli 2015 bis Mai 2017 rund eine Million Euro zur Verfügung.

Zur Frage 2: Im Rahmen der Fachkräfteinitiative Niedersachsen und im Rahmen der niedersächsischen Flüchtlingskonferenz hat die Landesregierung mit ihren Arbeitsmarktpartnern einen fortlaufenden Austausch über die Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen und Asylsuchenden etabliert, um Handlungsbedarfe und benötigte Maßnahmen gemeinsam anzustoßen und einzurichten.

Bei diesem zentralen Thema werden wir auch im nächsten Jahr weiterhin einen Schwerpunkt setzen.

Einigkeit besteht darin, dass Asylsuchende und Flüchtlinge zunächst ganz grundlegend einen angemessenen Zugang zum Arbeitsmarkt erhalten müssen. Neben den deshalb bereits vorgenommenen Änderungen im Bund haben wir weitere Forderungen aufgestellt, die die gesetzlichen Rahmenbedingungen verbessern und dadurch den Abbau von Hürden, Asylsuchenden und Flüchtlingen den formalen Zugang zum Arbeitsmarkt zu erleichtern, verbessern. Hier setzen wir uns gegenüber dem Bund dafür ein,

a) einen rechtssicheren Aufenthaltsstatus für Flüchtlinge und Geduldete für die gesamte Dauer ihrer Berufsausbildung zu schaffen, diesen zur Jobsuche auf zwei weitere Jahre nach der Ausbildung zu erweitern und die derzeitige Altershöchstgrenze von 21 Jahren bei Ausbildungsbeginn zu überdenken - ich denke, das ist auch ein wichtiges Signal an die Unternehmen, an die Betriebe, die ausbilden, dass ein großes Maß an Verlässlichkeit besteht -;

b) die Vorrangprüfung durch die Bundesagentur vor der Aufnahme eines Jobangebots in den ersten 15 Monaten des Aufenthalts in Deutschland zu überdenken - mindestens für eine gewisse Zeit, z. B. für zwei Jahre, auszusetzen, wie es ja auch der Vorschlag von Herrn Weise als Chef der Bundesagentur ist -;

c) zeitnah die Integrationskurse, also Sprachkurse, für Flüchtlinge und Asylsuchende mit Bleibeper

spektive zu öffnen und, wie versprochen, die finanzielle Ausstattung sicherzustellen;

d) die Finanzierung der berufsbezogenen Sprachkurse für Asylsuchende und Flüchtlinge, wie versprochen, damit auch sicherzustellen;

e) die Finanzmittel für Lebensunterhalt, also Sprachkurse, und die Arbeitsmarktintegration von Asylsuchenden und Flüchtlingen im Bereich von SGB II entsprechend dem Finanzbedarf der Jobcenter aufzustocken, damit anerkannte Asylsuchende auch unterstützt werden können.

Konkret wird die Arbeits- und Sozialministerkonferenz in einem aktuellen Beschluss den Bund auffordern, angesichts der Herausforderungen eine aufgabenadäquate Finanz- und Personalausstattung der Jobcenter im SGB-II-Bereich sicherzustellen - dazu bedarf es der dauerhaften Aufstockung der im Bundeshalt veranschlagten Mittel für die Verwaltungskosten der Jobcenter um 1,1 Milliarden Euro, die im Koalitionsausschuss beschlossenen schnellen legalen und kontingentierten Zuwanderungsmöglichkeiten für Angehörige der Westbalkanstaaten unter erleichterten Voraussetzungen in den deutschen Arbeitsmarkt zu schaffen.

Auch hinsichtlich des praktischen Handlungsbedarfs besteht Einigkeit zwischen der Landesregierung und den Arbeitsmarktpartnern. Es besteht ein breiter Förderbedarf entlang der gesamten Arbeitsmarktintegrationskette. Dieser umfasst z. B. die Unterstützung des Erwerbs elementarer Deutschkenntnisse, Angebote zur Berufsorientierung und zur beruflichen Qualifizierung, berufsbezogene Deutschkurse, Durchführung von Interessen- und Kompetenzfeststellungsverfahren, Durchführung von Prüfverfahren zur Anerkennung von im Ausland erworbenen Qualifikationen, Vermittlung in Praktika, Ausbildung und Arbeit sowie auch Beratungs- und Schulungsangebote für Arbeitgeber, die Interesse an der Ausbildung oder der Beschäftigung von Asylsuchenden oder Flüchtlingen haben.

Neben der Förderung zur frühzeitigen Erfassung beruflicher Kompetenzen haben wir in den Aufnahmeeinrichtungen bereits weitere Maßnahmen angeschoben. Damit komme ich zur Beantwortung der Frage 3. Dazu gehört - erstens - die ÖPNVNutzung. Zur Verbesserung der Mobilität von Asylsuchenden und Flüchtlingen ermöglicht das Wirtschaftsministerium den Bewohnerinnen und Bewohnern der Erstaufnahmeeinrichtungen des Landes - wir beziehen uns nur auf die Erstaufnahme

einrichtungen - ab dem 1. Oktober 2015 die kostenlose Beförderung im öffentlichen Personennahverkehr des jeweiligen Landkreises, in dem die Erstaufnahmeeinrichtung ihren Sitz hat.

Zweitens: die handwerkliche Ausbildung für Flüchtlinge und Asylsuchende. Aktuell bereitet das Wirtschaftsministerium die Unterstützung eines Projekts der Handwerkskammern vor, in dessen Rahmen in allen Kammerbezirken landesweit jüngere Asylsuchende und Flüchtlinge mit Interesse an Handwerksberufen auf eine Handwerksausbildung im neuen Ausbildungsjahr 2016/2017 vorbereitet werden sollen.

Drittens: die Beratung zur Anerkennung ausländischer Abschlüsse. Das landesweit aufgestellte Netzwerk „Integration durch Qualifizierung“ in Niedersachsen bietet seit 2011 für Zuwanderinnen und Zuwanderer aus allen Berufsgruppen eine kostenfreie Erstberatung zu Fragen der beruflichen Anerkennung von im Ausland erworbenen Qualifikationen. Diese Möglichkeit ist auch für die Flüchtlinge von großer Bedeutung, die in ihren Heimatländern zum Teil gut ausgebildet waren und über eine große Berufserfahrung verfügen. Ab 2015 wird das IQ Netzwerk Niedersachsen gemeinsam aus Mitteln des Bundes, des Europäischen Sozialfonds und des Landes finanziert. Das Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung beteiligt sich an der Finanzierung dieses Netzwerks jährlich mit bis zu 480 000 Euro.

Informationsstelle für Arbeitgeber: In Abstimmung mit den Arbeitsmarktpartnern befindet sich die Unterstützung einer zentralen Anlaufstelle, bei der Arbeitgeber aktuelle Informationen zu rechtlichen und praktischen Fragen rund um die Ausbildung und die Beschäftigung von asylsuchenden Flüchtlingen und Geduldeten erhalten sollen.

Sprachförderung und Sprachkompetenz - meine Damen und Herren, da sind wir uns sicherlich sehr schnell einig - sind der Schlüssel, um Flüchtlingen rasch einen Weg in Ausbildung, Studium oder Beruf zu ebnen. Deshalb stellt die Landesregierung im Rahmen des zweiten Nachtragshaushalts jetzt weitere 5 Millionen Euro bereit, aus denen zusätzliche Sprachkurse für erwachsene Flüchtlinge finanziert werden können. Das Wissenschaftsministerium hat hierzu ein Förderprogramm erarbeitet. Die Maßnahmen stehen allen Flüchtlingen offen - ohne entsprechende Zugangsvoraussetzungen - und sind unabhängig von ihrem aktuellen rechtlichen Status und Sprachniveau.

Ferner bereitet das Wirtschaftsministerium die Förderung eines Modellprojektes vor, in dessen Rahmen der Einsatz eines EDV-gestützten audiovisuellen Sprachkurses für Asylsuchende und Flüchtlinge getestet werden soll. Zur Durchführung sieht der Träger u. a. auch Standorte im ländlichen Raum vor, wo ein Regelangebot von Sprachkursen nicht immer kurzfristig erreichbar ist.

Zur beruflichen Qualifikation: Im Rahmen der neuen ESF-Förderperiode „Qualifizierung und Arbeit“ des Wirtschaftsministeriums sind die Bildungsträger für das erste Interessenbekundungsverfahren aufgefordert worden, vorrangig Projektanträge für die Zielgruppe der Migrantinnen und Migranten - dabei insbesondere Asylsuchende und Flüchtlinge - bei der NBank einzureichen.

Meine Damen und Herren, die große Zahl an Menschen, die als Flüchtlinge und Asylsuchende zu uns kommen, bedeutet natürlich eine besondere Herausforderung. Ich will das an dieser Stelle gleich sagen: Die inzwischen schon gut funktionierende Beratung auch in den Erstaufnahmeeinrichtungen ist natürlich angesichts der besonderen Bedeutung der großen Zahl Menschen nicht einfacher geworden, weil zum Teil selbst die räumlichen Voraussetzungen nicht gegeben sind. Darauf werden wir uns einstellen müssen. Dafür werden wir Lösungen finden müssen.

Meine Damen und Herren, ich möchte das wiederholen, was ich bereits eingangs gesagt habe: Das Thema „Integration in den Arbeitsmarkt“ ist für alle Menschen von großer Bedeutung. Auf dieses Thema müssen wir uns mit Blick auf die Flüchtlinge und die Asylsuchenden fokussieren. Im Grunde fokussiert die Landesregierung ihren Blick aber darauf, allen Arbeitsplatzsuchenden eine Perspektive auf dem Arbeitsmarkt zu geben.

Herzlichen Dank.

(Zustimmung bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Minister. - Die erste Zusatzfrage stellt für die CDU-Fraktion Herr Kollege Bley.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor dem Hintergrund, dass Minister Lies mal wieder von Kernaufgaben gesprochen hat, und vor dem Hintergrund der Tatsache, dass schon lange bekannt ist, dass man die Qualifikationen der Flücht

linge für den Arbeitsmarkt kennen muss, frage ich die Landesregierung: Wann, in welcher Form und mit welchem Ergebnis hat man - in Zahlen, bitte! - erhoben, was bisher geleistet wurde und wer wo in den Arbeitsmarkt integriert werden kann?

(Zustimmung bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege. Wenn Ihre Frage auch ein paar Unterfragen hatte, so gilt sie dennoch als eine Frage, denke ich. - Herr Minister!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Bley, ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich Ihre Frage absolut richtig verstanden habe. Bezieht sie sich auf das von uns gestartete Projekt „Kompetenzen erkennen - Gut ankommen in Niedersachsen“, oder bezieht sie sich darauf, wie wir Menschen grundsätzlich in den Arbeitsmarkt bringen? - Ich bitte um Entschuldigung, dass ich - - -

(Karl-Heinz Bley [CDU]: Es sind schon einige Tausend hier! Was wurde bisher gemacht? Mit welchem Ergebnis?)

Also: Zunächst zu dem von uns gestarteten Projekt. Dieses Projekt hat im Juli dieses Jahres begonnen. Dazu gibt es erste statistische Zahlen, die wir Ihnen gern geben können. Diese Zahlen zeigen, wie die Perspektivgespräche und die Informationsgespräche zur Kompetenzfeststellung funktioniert haben.

(Vizepräsident Karl-Heinz Klare über- nimmt den Vorsitz)

Die gesetzlichen Rahmenbedingungen, die sich erst im Laufe dieses Jahres verändert haben - nach drei Monaten Aufenthalt eine Arbeitserlaubnis -, sind ebenfalls vorangebracht worden. Die Arbeitsagenturen sind nicht erst seit dem Zeitpunkt, zu dem wir mit ihnen gemeinsam das Projekt auf den Weg gebracht haben, dabei, sehr intensiv auch Menschen mit Migrationshintergrund in den Arbeitsmarkt zu bringen. Es ist einer der zentralen 13 Bausteine - da nehmen wir die Menschen, die in der Vergangenheit als Flüchtlinge und Asylsuchende zu uns gekommen sind, genauso mit -, Menschen mit Migrationshintergrund in Arbeit zu bringen.

Es gibt, wie Sie sicherlich gesehen haben, ferner ein Projekt, das den Hochschulbereich angeht. Also: Wie öffne ich das Thema „Integration“ für die

Hochschulen? - Wir haben vor Kurzem die 300. Kompetenzfeststellung über das IQ Netzwerk hier bei der IHK Hannover durchgeführt. Es gibt eine Reihe von Projekten, die zeigen, dass wir aufgrund des Fachkräftebedarfs in Deutschland sehr intensiv dabei sind, die Kompetenzen derer, die hier sind, elementar zu erkennen und den betreffenden Personen den Weg in Arbeit oder auch Ausbildung zu öffnen.

Schließlich sind wir über eine intensive Diskussion mit den Handwerkskammern dabei, ein Projekt auf den Weg zu bringen mit dem Ziel, auch die duale Ausbildung zu starten, die wir im nächsten Sommer gemeinsam auf den Weg bringen wollen.

(Zustimmung von Gerald Heere [GRÜNE])

Die nächste Zusatzfrage stellt der Kollege Will.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Minister! Vor dem Hintergrund der stark steigenden Zahlen der Zuwanderung frage ich die Landesregierung, inwieweit eine Ausweitung des Projektes „Kompetenzen erkennen - Gut ankommen in Niedersachsen“ geplant ist. Soll dieses Projekt über die vier aktuellen Standorte hinaus durchgeführt werden, und - wenn ja - welchen Finanzbedarf sieht das Ministerium für diesen Fall?

Herr Minister!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Kollege Will, ich habe die Prognosezahlen für 2015 vorhin genannt und darauf hingewiesen, dass sie stetig erhöht worden sind. Zusätzlich sind weitere Einrichtungen geschaffen worden. Es sind ja weitere Bundeswehrkasernen hinzugekommen. Vor diesem Hintergrund werden wir als Landesregierung prüfen, inwieweit eine Ausweitung des besagten Projektes möglich und sinnvoll ist. Das hängt sicherlich damit zusammen, welche Einrichtungen zu welchem Zeitpunkt in Betrieb sind.