Protocol of the Session on July 16, 2015

Die Initiative, jetzt 40 000 Flüchtlinge zu übernehmen, die von der EU-Kommission angestoßen wurde, ist sicherlich richtig. Hier ist die Solidarität der europäischen Länder mit diesen Ländern im Süden Europas gefragt, aber dies kann aus unserer Sicht nur ein erster Schritt sein. Wenn wir an der grundlegenden Situation, nämlich am DublinVerfahren, nichts ändern, dann werden wir die gleiche Situation in Griechenland und in Italien in Kürze wieder haben. Deswegen müssen wir grundsätzliche Änderungen im Recht vornehmen. Das ist unsere Aufgabe, verehrte Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der FDP, bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Wir haben vorgeschlagen, einen Schlüssel vorzusehen ähnlich dem Königsteiner Schlüssel, der sich an Wirtschaftskraft und Einwohnerzahl orientiert. Das kann man nach diesem Schlüssel machen, es kann auch ein anderer sein. Das ist nicht in erster Linie unser Ansatz gewesen. Ich freue mich, dass die Zielrichtung des FDP-Antrags auch von der Kommission für Migration und Teilhabe unterstützt wurde, und finde es gut, dass wir heute das klare Signal setzen: Nicht nur die Seenotrettung muss fortgesetzt werden, sondern auch das Dublin-Verfahren muss endlich beendet werden.

In diesem Sinne freue ich mich über die Einmütigkeit hier im Hohen Hause.

(Beifall bei der FDP, bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Oetjen. - Jetzt hat sich Filiz Polat, Bündnis 90/Die Grünen, zu Wort gemeldet. Bitte sehr!

Vielen Dank. - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, dass wir, wie schon von verschiedenen Kollegen erläutert, mit zwei Entschließungsanträgen zu Problemen, die derzeit nicht nur Deutschland, sondern die gesamte Europäische Gemeinschaft und Länder darüber hinaus beschäftigen, einstimmig ein klares Signal in Richtung Bund und in Richtung Europa setzen werden. Vielen Dank dafür!

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der FDP)

Ich glaube, bei dem Thema des Verteilungsschlüssels für Flüchtlinge innerhalb der Europäischen Union und auch bei dem Thema Grenzschutzsicherung versus legale Fluchtwege nach Europa wird einmal mehr deutlich, was der Kollege Ottmar von Holtz gestern in der Debatte zum Thema Sprachkurse gesagt hat: Es sind nicht die Menschen, die das Problem ausmachen, sondern es sind wirklich die Verordnungen und Gesetze, die wir uns selber, gerade auf europäischer Ebene, geschaffen haben.

Der Kollege Oetjen hat es gesagt: Mittlerweile gibt es Dublin III. Die Dublin-Verordnung hat dazu geführt, dass wir Menschen in Gesamteuropa hin und her schieben. Das ist ein unglaublicher bürokratischer Aufwand. Es werden Millionen, ja Milliarden in dieses System gesteckt, obwohl alle wissen, dass die Menschen, die zu uns kommen, in das europäische Land gehen, in dem sie Anknüpfungspunkte haben, in dem sie Familie haben, dessen Sprache sie kennen. Jene, die nach Niedersachsen kommen - das wissen wir alle -, ganz gleich, ob es Eritreer, Somalier oder Sudanesen sind, haben meistens hier Bezugspunkte, deretwegen sie nach Niedersachsen kommen. Das ist auch gut so, liebe Kolleginnen und Kollegen. Deswegen sagen wir Grünen: Wir wollen innerhalb eines solchen Verteilungsschlüssels - das ist ganz

wichtig - auch Anknüpfungspunkte und Präferenzen der Flüchtlinge berücksichtigt wissen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD sowie Zustimmung bei der FDP)

Eines ist vielleicht noch von großem Interesse - Jan-Christoph Oetjen hat es angesprochen -: Heute, ganz aktuell, tagt der Innenausschuss des Europäischen Parlaments. Wir haben gerade noch einmal mit unserer Kollegin Franziska Keller von den Grünen telefoniert. Sie ist stellvertretende Fraktionsvorsitzende und Berichterstatterin genau für diese Themen, zum einen für den Verteilungsschlüssel und zum anderen für die Notfall-, für die Relocation-Maßnahme, 40 000 Flüchtlinge aus Griechenland und Italien auf die europäischen Mitgliedstaaten zu verteilen. Heute hat dieser Innenausschuss hierüber beraten. Wer die Mitglieder dieses Ausschusses kennt, weiß, dass darin die Rechtspopulisten sehr stark vertreten sind. Der Innenausschuss hat dem Paket der Berichterstatterin Ska Keller mit großer Mehrheit zugestimmt, sich für einen ganz klaren Verteilungsschlüssel auszusprechen. Das Entscheidende an diesem Bericht ist, dass sich alle Abgeordneten hinter das Konzept gestellt haben, die Flüchtlinge in den Mittelpunkt zu stellen und nicht nur nach reiner Wirtschaftskraft oder nach Bevölkerungszahlen zu gehen, sondern auch die Präferenzen der Flüchtlinge zu berücksichtigen.

Ich hoffe einmal mehr, dass dieses Signal, das heute das Europäische Parlament ausgesendet hat, auch in den Europäischen Rat hinein Signalwirkung entfaltet. Denn die Parlamente sind sich mittlerweile einig. Es fehlt nur noch eine konsequente Durchsetzung durch die Regierungen in Europa. Deswegen danke für dieses starke Signal! Das ist auch in Richtung unserer Landesregierung wichtig; denn sie hat im Bundesrat schon ein ganz klares Signal in Richtung Migrationsagenda der Europäischen Union gesetzt. Danke dafür!

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Polat. - Jetzt hat sich AnsgarBernhard Focke, CDU-Fraktion, zu Wort gemeldet. Bitte schön, Herr Focke!

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir beraten hier zwei wichtige Anträge. Wir beraten hier nicht nur die Anträge,

sondern auch im Konsens, auf den wir uns geeinigt haben, weil uns die beiden Themen wichtig waren und weil uns die beiden Bereiche so sehr bewegt haben, dass wir uns gesagt haben: Wir müssen hier zu einem Konsens, zu einem gemeinsamen Ziel kommen.

Das gemeinsame Signal - die flüchtlings- und migrationspolitischen Sprecher haben sich zusammengesetzt - ist ein gutes Signal. Die Dublin-IIIVerordnung ist in einer Zeit entstanden, zu der sie anwendbar war. Man kann immer noch darüber streiten, ob sie gut oder falsch war. Aber in der heutigen Zeit, in der so viele Menschen auf der Flucht sind und in der so viele Männer, Frauen und Kinder zu uns kommen und in der so viele zu uns nach Europa flüchten, ist sie nicht mehr zeitgemäß und nicht umsetzbar. Für die Länder, meistens südliche Länder, wie Griechenland und Italien, die für die Erstaufnahme zuständig sind, ist diese Aufgabe einfach nicht mehr zu leisten. Deswegen ist es richtig, dass wir uns heute gemeinsam dafür einsetzen, dass das Dublin-III-Verfahren ausgesetzt und reformiert, an die aktuelle Situation angepasst wird.

(Beifall bei der CDU, bei der SPD und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, ich bin unserer Bundeskanzlerin Angela Merkel dankbar, die als Erste schon sehr frühzeitig auf europäischer Ebene Druck gemacht hat, dass es zu einem europäischen Verteilsystem kommt. Denn die südlichen Länder, insbesondere Italien und Griechenland, sind mit der aktuellen Flut von Flüchtlingen völlig überfordert. Ich habe immer gedacht, dass Europa eine Wertegemeinschaft ist. Aber an diesem Punkt, an dem sich so viele Länder in Europa sträuben, Verantwortung zu übernehmen, Flüchtlinge aufzunehmen und einem Verteilsystem zuzustimmen, frage ich mich manchmal, wo die Seele Europas geblieben ist.

(Beifall)

Mich wundert in diesem Zusammenhang übrigens auch gerade der Widerstand vieler osteuropäischer Länder, die doch wissen, was es heißt, in Not zu sein und Hilfe zu brauchen, um letztendlich einen Aufstieg zu schaffen. Ich finde, hier sollte man seine Haltung überdenken.

Wir reden heute auch darüber, dass wir EUMindeststandards bei der Unterbringung und bei der medizinischen Versorgung brauchen. Es kann nicht sein, dass Flüchtlinge in anderen Ländern

außerhalb Deutschlands, in Polen und anderen Ländern, fürchten müssen, dass sie nicht vernünftig untergebracht werden und dass die medizinische Versorgung mehr als schlecht ist. Auch das ist nicht in Ordnung. Aber, meine Damen und Herren, wir haben gestern auch Bilder vom NDR gesehen, die zeigten, wie es bei uns in manchen Aufnahmeeinrichtungen aussieht. Ich glaube, wir haben selbst noch einen erheblichen Nachholbedarf, um die Menschen vernünftig unterzubringen und medizinisch zu versorgen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Was die schrecklichen Tragödien auf dem Mittelmeer angeht, freue ich mich, dass wir in der letzten Woche eine wirklich tolle Veranstaltung der CDUFraktion mit der Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen hatten, die in einem unglaublich sehr nahegehenden Bildbeitrag und ihrer Rede deutlich gemacht hat, was die deutsche Marine auf dem Mittelmeer leistet. Dem, was unsere Soldatinnen und Soldaten im Namen der Menschlichkeit dort leisten, gilt unser besonderer Dank.

(Beifall)

Aber wir haben auch gelernt: Mare Nostrum ist sicherlich das menschlichere Verfahren, das menschlichere Programm gewesen. Triton ist das Gegenteil. Es beschränkt sich eher auf den Schutz unserer Außengrenzen.

(Glocke des Präsidenten)

Bei diesem Thema gibt es leider keine Schwarzweiß-Malerei. Wir mussten auch feststellen, dass Mare Nostrum auch dazu führt, dass die Schleuseraktivitäten in Nordafrika massiv erhöht wurden.

Deswegen müssen wir hier am Ball bleiben, ein Verfahren zu finden, wie wir die Menschen retten können, dass möglichst wenige auf See zurückbleiben. Aber der Schlüssel, um die Flüchtlingsströme zu stoppen und die Situation der Menschen zu verbessern, liegt in Afrika. Deswegen muss unsere Anstrengung als Europäische Gemeinschaft dahin gehen, die Lebenssituation, die politische Situation und die Wirtschaftssituation in Afrika zu verbessern, damit die Menschen ihre Heimat erst gar nicht zu verlassen brauchen, sondern dort ein lebenswertes Leben aufbauen und führen können und sich weiterentwickeln können.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, ich habe schon ein wenig überzogen und bin dem Präsidium dankbar, dass ich einen abschließenden Satz sprechen

darf. Angela Merkel hat gesagt: Wir müssen auch lernen zu teilen. Wir müssen lernen, unseren Wohlstand zu teilen - mit Regionen, mit Kontinenten, die aufgrund ihrer Lage, des Klimas, der wirtschaftlichen und politischen Situation nicht in der Lage sind, von alleine weiter nach vorne zu kommen. Das sollte für uns alle Ansporn sein. Ich freue mich, dass wir heute alle zu einem gemeinsamen Entschluss kommen.

Vielen Dank.

(Beifall)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Focke. - Jetzt hat sich Frau Ministerin Rundt zu Wort gemeldet. Bitte schön!

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Welt erlebt in diesen Tagen die größten Flüchtlingsbewegungen seit dem Zweiten Weltkrieg - eine humanitäre Katastrophe von kaum vorstellbarem Ausmaß. Die Menschen fliehen aus ihrer Heimat vor Plünderung, vor politischer Verfolgung, vor Krieg, vor Vergewaltigung, vor Hunger. Sie fliehen aus nackter Angst um ihr eigenes Leben und um das Leben ihrer Kinder. Sie kommen aus Syrien, dem Irak, aus Libyen, und viele vom afrikanischen Kontinent. Sie tun dies selbst dann, wenn dieser Weg noch so beschwerlich und noch so gefährlich ist. Der erschütternde Tod von Tausenden von Menschen im Mittelmeer zeigt das täglich auf grauenhafte Art und Weise. Es ist deshalb absolut richtig, wenn einer der vorliegenden Anträge fordert, dass die jeweiligen Fluchtursachen bekämpft werden müssen. Dafür müssen wir als Mitmenschen, als Europäer und als Deutsche eintreten.

Aber - da müssen wir uns nichts vormachen - wir werden hier nicht sofort die ganz großen Fortschritte erzielen können. Unser Einfluss ist begrenzt.

Die Frage ist deshalb: Welche Flüchtlingspolitik machen wir hier, in Europa und in Deutschland? - Die Entschließungsanträge enthalten die richtigen Ansätze. Das Geschehen aus dem April rund um die tödlichste Flüchtlingskatastrophe im Mittelmeer macht uns zutiefst betroffen. Das kann nicht das Bild oder das Verhalten sein, das man von dem Friedensnobelpreisträger EU erwartet oder erhofft. Und man muss sagen: Das zurückliegende Unglück hat ein neues Ausmaß erreicht. - Aber wir

erleben es nicht zum ersten Mal. Lampedusa ist in trauriger Erinnerung. Genau deshalb reicht es nicht, wenn in Europa versprochen wird, so etwas dürfe sich nicht wiederholen. Betroffenheit und Mitgefühl sind das Mindeste, was wir zeigen können. Aber damit ist es nicht getan.

Die vorliegenden Anträge geben genau die richtige Richtung vor. Wir brauchen endlich wirksame Maßnahmen und Konzepte, von der Seenotrettung über ein funktionierendes und solidarisches Verteilsystem bis hin zu legalen Einreisemöglichkeiten. Wir müssen endlich klären, wie wir als Europäer diese globalpolitische Herausforderung bewältigen können und vor allen Dingen wie wir es wollen. Natürlich ist Flüchtlingspolitik eine humanitäre Aufgabe. Genau hier haben wir Verantwortung.

Aber ich finde, es ist noch mehr: Deutschland und Europa können nicht nur ein Ort der Zuflucht sein, sondern sie müssen Orte des Neuanfangs sein.

(Zustimmung von Doris Schröder- Köpf [SPD])

Dazu müssen wir Zuwanderung und Migration viel stärker als bisher als Bereicherung aufgreifen, und zwar in sozialer, in kultureller, aber auch in wirtschaftlicher Hinsicht. Es ist deshalb für beide Seiten wichtig, wenn Deutschland und die EU ihr Möglichstes tun und Flüchtlingspolitik nicht als Belastung, sondern als Chance verstehen. Ihr Handeln muss einerseits mitmenschlicher und andererseits proaktiver und intelligenter werden. Hierum muss es in Zukunft gehen - nicht nur hier in Niedersachsen, sondern in Deutschland und Europa -, damit wir der Lebenswirklichkeit eines Einwanderungslandes endlich gerecht werden. Die Landesregierung wird sich weiter dafür einsetzen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN sowie Zustimmung bei der FDP)

Vielen Dank, Frau Ministerin. - Frau Polat hat um zusätzliche Redezeit gebeten. Bitte schön, Frau Polat! Sie haben eine Minute.

Vielen Dank. - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich mache es ganz kurz. Ich habe etwas vergessen, und zwar: Im Zusammenhang mit der erneuten Katastrophe in der Nacht zum