Protocol of the Session on July 16, 2015

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN sowie Zustimmung von Jan-Christoph Oetjen [FDP])

Die Teilnahme an Kommunalwahlen ist aktive Teilhabe. Aktive Teilhabe ist die beste Integration, und daran sind wir doch eigentlich alle interessiert.

Wir werden dicke Bretter zu bohren haben, weil es hier um eine Grundgesetzänderung geht. Wir werden uns hier als Landesregierung nach besten Kräften einbringen und nicht nur den Bundesratsantrag von Rheinland-Pfalz als Mitantragsteller begleiten. Wir werden uns darüber hinaus Mühe geben, die vor drei Jahrzehnten begonnene Diskussion nun endlich positiv abzuschließen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN sowie Zustimmung von Jan-Christoph Oetjen [FDP] Vizepräsident Klaus-Peter Bachmann: Vielen Dank, Frau Ministerin Rundt. - Weitere Wortmeldungen zum Tagesordnungspunkt 33 liegen nicht vor. Deswegen treten wir in die Abstimmung ein. Wer der Beschlussempfehlung des Ausschusses folgen und damit den Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in der Drucksache 17/2885 unverändert annehmen will, den bitte ich jetzt um ein Handzeichen. - Ich frage nach Gegenstimmen. - Das ist mit Mehrheit so beschlossen. (Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich im Verbund die Tagesordnungspunkte 34 und 35 aufrufe, darf ich aufgrund der Zeitsituation und der grundsätzlichen Absprache im Ältestenrat auf Folgendes

hinweisen: Vor der Mittagspause wird auf jeden Fall noch der Tagesordnungspunkt 38 beraten. Da der Punkt 39 nur kurz formal zu beraten ist, weil eine Rücküberweisung vorgeschlagen worden ist, wird das auch noch abgewickelt. Wenn dann noch ausreichend Zeit ist - wir haben jetzt kurze Debatten zu den Tagesordnungspunkten 34 und 35 - und die Pufferzeiten das zulassen, könnte auch der Tagesordnungspunkt 40 noch vor der Mittagspause beraten werden. Das wird der Kollege Klare dann aber nach Zeitverlauf entscheiden. Soweit erst einmal die Ansage.

Ich rufe vereinbarungsgemäß zusammen auf

Tagesordnungspunkt 34: Abschließende Beratung: Eine gemeinsame europäische Verantwortung - Zuständigkeiten für die Flüchtlingsaufnahme in Europa fair regeln - Antrag der Fraktion der FDP - Drs. 17/1209 - Beschlussempfehlung des Ausschusses für Inneres und Sport - Drs. 17/3744

Tagesordnungspunkt 35: Abschließende Beratung: Seenotrettung jetzt - Konsequenzen aus Flüchtlingskatastrophen auf dem Mittelmeer ziehen - Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 17/3442 - Beschlussempfehlung des Ausschusses für Inneres und Sport - Drs. 17/3846

Der Ausschuss empfiehlt Ihnen, den Antrag in der Drucksache 1209 in geänderter Fassung und den Antrag in der Drucksache 3442 unverändert anzunehmen.

Eine Berichterstattung ist nicht vorgesehen.

Zu Anfang haben die antragstellenden Fraktionen das Wort. Als Erster hatte sich der Kollege Mustafa Erkan zu Wort gemeldet. Er beginnt mit der Debatte. Anschließend erhält die FDP-Fraktion das Wort. Herr Kollege Erkan, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute setzen wir alle als Niedersächsischer Landtag gemeinsam ein wichtiges Zeichen für die Rettung von Flüchtlingen und Asylsuchenden mit der Behandlung der beiden Anträge. Es kommt häufig vor, dass wir uns bei vielen Themen nicht einig sind, und es kommt auch häufig vor, dass wir uns bei vielen Themen streiten. Umso

wichtiger ist es aber, Momente wie diese hier zu haben, in denen alle Fraktionen eine gemeinsame Sprache sprechen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN sowie Zustimmung von Jan-Christoph Oetjen [FDP])

Ich möchte noch einmal betonen: In den letzten Jahren war es noch nie so dringend wie jetzt, zusammen anzupacken, und das nicht nur auf kommunaler Ebene, im Landtag sowie im Bundestag, sondern es braucht auch eine gemeinsame europäische Verantwortung. Viele Menschen da draußen sind auf unser Handeln angewiesen. Deshalb freut es mich, dass wir mit den beiden Anträgen versuchen, unseren Teil der Verantwortung für eine weltpolitische Herausforderung zu übernehmen, der wir uns als Politik, aber auch als Gesellschaft stellen müssen. Unsere gemeinsame Initiative zur Verbesserung der Flüchtlings- und Asylpolitik ist ein guter und notwendiger Schritt von vielen weiteren, die wir noch gehen müssen und hoffentlich gemeinsam gehen werden.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Sehr geehrte Damen und Herren, wenn wir uns die Weltlage anschauen, wirkt es so, als gebe es in naher oder ferner Zukunft keine schnellere Besserung. Das Heidelberger Institut für Internationale Konfliktforschung ermittelte für das Jahr 2014 21 laufende Kriege. Ob in Syrien, Irak, Somalia oder in der Ukraine - in all diesen Ländern herrschen Terror, Tyrannei und Todesangst. Die Folgen dieser Kriege sind dramatisch. Tausende Kinder, Jugendliche, Frauen und Männer sterben durch Waffengewalt. Millionen von Menschen sind aus diesen Gründen auf der Flucht, um nicht demselben Schicksal zu unterliegen. Die letzte UNHCRStudie vom 18. Juni 2015 ergab, dass Ende des Jahres 2014 insgesamt 59,5 Millionen Menschen ihre Heimat verlassen haben bzw. verlassen mussten. Das heißt, fast 60 Millionen Menschen sind auf der Flucht. Sie fliehen, weil sie auf der Suche nach Sicherheit und einem neuen Zuhause sind.

Besonders erschütternd fällt ein weiterer globaler Negativrekord ins Auge: 51 % aller Flüchtlinge sind noch keine 18 Jahre alt. Es handelt sich dabei um einen Anstieg von 41 % innerhalb von nur fünf Jahren. Auch die Zahl der unbegleiteten Kinder, die im Jahr 2014 um Asyl suchten, ist auf die alarmierende Zahl von über 34 000 Menschen angestiegen.

Meine Damen und Herren, es ist unsere moralische und humanitäre Pflicht, diesen Menschen zu helfen. Wir sind verpflichtet, so vielen Menschen wie möglich Zuflucht zu bieten. Es ist eine Frage des Anstandes und eine Frage der internationalen Solidarität.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN sowie Zustimmung von Jan-Christoph Oetjen [FDP])

Hier bei uns in Niedersachsen haben wir bereits in diesem Jahr 14 694 Asylanträge verzeichnet, und es werden noch weitere Menschen zu uns kommen. An dieser Stelle geht ein besonderer Dank an unseren Innenminister Boris Pistorius und an unsere Landesbeauftragte für Migration und Teilhabe, Frau Doris Schröder-Köpf

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

für ihr Herzblut, ihren Einsatz und ihr unermüdliches Engagement für Flüchtlinge und Asylsuchende. Dank ihrer guten Arbeit haben wir in Niedersachsen schon viel für diese Menschen tun können.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

In der Bundesrepublik gibt es seit Langem klare Regeln für die Verteilung von Flüchtlingen. In der Europäischen Union fehlen jedoch diese klaren Verfahren zur Verteilung von Asylsuchenden und Flüchtlingen. Die Dublin-III-Verordnung behindert sogar eine faire und vernünftige Zuständigkeit für die Flüchtlingsaufnahme. Das führt zu einer Überforderung speziell der südeuropäischen Staaten. Am meisten trifft dieser Missstand die Menschen, die vor Leid, Elend und Krieg geflohen sind. Es trifft die Flüchtlinge, die sich zum Zeitpunkt der Antragstellung in einer existenziellen Lebenssituation befinden. Deshalb muss die Dublin-IIIVerordnung hin zu mehr Gerechtigkeit, mehr Fairness und noch mehr Humanität geändert werden.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung von Jan-Christoph Oetjen [FDP])

Zudem müssen wir uns mehr als bisher darüber Gedanken machen, unter welchen Bedingungen Flüchtlinge und Asylsuchende sicherer hier zu uns nach Europa einreisen können. Viele Menschen lassen ihr letztes Hab und Gut sowie ihre letzten Erinnerungen an ihre Heimat zurück. Sie entscheiden sich, ihre Heimat zu verlassen, indem sie sich

einer lebensbedrohlichen Gefahr aussetzen. Sie versuchen, das Mittelmeer zu überqueren und sind sich gewiss darüber im Klaren, dass es eine Reise ohne Ankunft sein kann.

Was bietet sich diesen Menschen alternativ als Handlungsmöglichkeit? - Die sichere Qual verbunden mit dem Tod in der eigenen Heimat. Die Mittelmeerüberquerung stellt für viele Flüchtlinge den letzten Funken Hoffnung dar. Es ist der letzte Ausweg vor Elend und Leid und bei erfolgreicher Überquerung sehen sie die Chance, ein Leben mit Perspektive und Zukunft leben zu können.

Viele schaffen es nach Europa, einige auch bis zu uns nach Niedersachsen und beginnen hier bei uns ein neues Leben. Meine Damen und Herren, die Flucht über das Mittelmeer endet aber für viel zu viele Menschen tödlich. Ich möchte hier nur an zwei große Unglücke erinnern. Im Oktober 2013 starben bei dem Schiffsunglück vor Lampedusa Hunderte Menschen, darunter auch viele Kinder und Jugendliche. Hilfsschiffe trafen leider nicht rechtzeitig ein. Am 18. April 2015 starben bei einem Schiffsunglück 130 km vor der libyschen Küste fast 900 Menschen, auch hier viele Kinder und Jugendliche.

Deshalb brauchen wir einen Ausbau der Seenotrettung. Neben der Unterstützung durch die Bundesmarine sind weitere vergleichbare Initiativen wie die leider eingestellte italienische Seenotrettungsmission Mare Nostrum vonnöten, damit die tragischen Unglücke bei Mittelmeerüberquerungen wenigstens reduziert werden können. Wir müssen uns intensiv darum bemühen, ausreichend legale und sichere Einreisemöglichkeiten für Schutzsuchende zu schaffen, damit Seenot kein Thema ist.

Meine Damen und Herren, die Bunderegierung und die EU müssen Tempo aufnehmen. Lassen Sie uns gemeinsam zum Wohle der Menschen, die vor Leid, Elend und Krieg fliehen, mithelfen, dass es auch auf anderen politischen Ebenen zu schnelleren, effektiveren, gemeinsamen Lösungen kommt!

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Kollege Erkan. - Jetzt, wie angekündigt, für die FDP-Fraktion der Kollege JanChristoph Oetjen.

Vielen Dank. - Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir haben die humanitäre Pflicht, den Menschen, die den bedrohlichen Weg der Flucht über das Mittelmeer gehen, beizustehen. Unsere Aufgabe ist es, verehrte Kolleginnen und Kollegen, diese Menschen davor zu bewahren, den Tod in den Wellen zu sterben, und unsere humanitäre Pflicht ist es, Leben zu retten, statt Tote zu bergen.

(Lebhafter Beifall bei der FDP, bei der SPD und bei den GRÜNEN sowie Zu- stimmung von Ulf Thiele [CDU])

Deswegen ist es gut, dass wir heute gemeinsam dieses Signal vom Niedersächsischen Landtag aussenden, dass wir wollen, dass die militärischen Missionen auf dem Niveau von Mare Nostrum fortgesetzt und eben nicht abgespeckt werden, wie das vor Kurzem der Fall gewesen ist. Es ist wichtig, dass sich auch die deutsche Marine an diesen Hilfsmissionen beteiligt. Ich möchte an dieser Stelle allen Soldaten, die auf den Schiffen im Mittelmeer Dienst tun und sich dieser Aufgabe stellen, ganz herzlich danken. Diese Aufgabe, die sie im Namen unseres Landes dort wahrnehmen, hat wirklich unsere Unterstützung verdient.

(Beifall bei der FDP, bei der SPD und bei den GRÜNEN sowie Zustimmung bei der CDU)

Aber es geht nicht nur darum, akut das Leid im Mittelmeer zu bekämpfen, sondern es geht auch darum, dass wir für unsere Gesellschaft definieren, wie wir es schaffen können, mehr Einwanderung zu ermöglichen, legale Einwanderungswege zu gestalten, damit Menschen gar nicht erst diesen Weg über das Mittelmeer antreten müssen. Deswegen will ich von dieser Stelle aus auch noch einmal deutlich sagen: Deutschland ist ein Einwanderungsland, wir brauchen Einwanderung, wenn wir den Wohlstand unserer Gesellschaft erhalten wollen,

(Beifall bei der FDP, bei der SPD und bei den GRÜNEN sowie Zustimmung von Björn Thümler [CDU])

und wir brauchen klare Regelungen, wie diese Einwanderung gestaltet werden soll.

Neben diesen Fragen diskutieren wir derzeit vor allen Dingen darüber, dass wir auf kommunaler Ebene sehr große Lasten zu tragen haben, weil wir so viele Asylbewerber haben. Zu diesem Thema

hat die FDP-Fraktion schon im Februar 2014 einen Antrag eingebracht, der sich mit dem europäischen Verteilsystem für Asylbewerber beschäftigt. Wir sind der Auffassung, dass wir vom Dublin-Verfahren wegkommen müssen. Das Dublin-Verfahren bringt Inhumanität mit sich und viele Menschen, die nach Hilfe suchen, in eine sehr schwierige Lage. Deswegen ist der erste Ansatz unseres Antrages im Jahr 2014 gewesen: Mit Dublin muss endlich Schluss sein, verehrte Kolleginnen und Kollegen!

(Lebhafter Beifall bei der FDP, bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Wir haben die Situation, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte heute schon festgestellt hat, dass Italien zum Teil, aber vor allen Dingen Griechenland die Flüchtlingsbetreuung eigentlich gar nicht mehr leisten können. Die Dublin-Verfahren sind für Griechenland insgesamt und für Italien bei bestimmten Gruppen ausgesetzt.

(Vizepräsident Karl-Heinz Klare über- nimmt den Vorsitz)

Die Initiative, jetzt 40 000 Flüchtlinge zu übernehmen, die von der EU-Kommission angestoßen wurde, ist sicherlich richtig. Hier ist die Solidarität der europäischen Länder mit diesen Ländern im Süden Europas gefragt, aber dies kann aus unserer Sicht nur ein erster Schritt sein. Wenn wir an der grundlegenden Situation, nämlich am DublinVerfahren, nichts ändern, dann werden wir die gleiche Situation in Griechenland und in Italien in Kürze wieder haben. Deswegen müssen wir grundsätzliche Änderungen im Recht vornehmen. Das ist unsere Aufgabe, verehrte Kolleginnen und Kollegen.