Protocol of the Session on March 19, 2015

Die Frage ist, ob es daneben noch weitere Flüssigkeiten gegeben hat, die auf dem Gelände rechtmäßig vorhanden waren. Da gibt es verschiedene Möglichkeiten, weil wir sehr unterschiedliche Rechtsgebiete betrachten müssen. Wir müssen uns einerseits flüssige Abfälle angucken. Wir müssen uns andererseits wassergefährdende Stoffe

angucken. Darüber hinaus müssen wir uns entzündliche Stoffe angucken.

Ich habe Ihnen mitgeteilt, dass die sogenannten IBCs, Intermediate Bulk Container - das sind sozusagen mobile Einheiten, die auf dem Gelände offenbar auch vorhanden waren -, Flüssigkeiten enthalten haben können. All das muss bilanziert werden. Bei allen Teilen muss bilanziert werden: Was darin war genehmigt? Was war genehmigungspflichtig? Was war möglicherweise genehmigungsfrei? - Dabei muss auch berücksichtigt werden: Was war vor dem Tag des Unglücks vorhanden? Was war auch fünf oder zehn Jahre vorher vorhanden? - All das muss man sich angucken, wenn man ein vollständiges Bild der Lage bekommen möchte.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD - Zuruf von Jörg Bode [FDP])

Danke schön, Herr Minister. - Die nächste Zusatzfrage stellt der Kollege Bäumer, CDU-Fraktion. Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kann die Landesregierung definitiv ausschließen, dass der Betrieb in Ritterhude als Seveso-Betrieb hätte geführt werden müssen?

Danke schön. - Für die Landesregierung Herr Minister Wenzel, bitte!

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bäumer, nach unserer Prüfung fällt dieser Betrieb nicht unter die sogenannte Störfallrichtlinie, die nach dem Unfall in Seveso auf den Weg gebracht wurde. Von daher kann ich auf Ihre Frage antworten, dass wir das nach derzeitigem Erkenntnisstand ausschließen.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Danke schön, Herr Minister.

(Jörg Bode [FDP] begibt sich zum Redepult)

Die nächste Zusatzfrage kommt von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, von Kollegin Staudte. Danach kommt Herr Bode.

(Jörg Bode [FDP]: Ich habe den Blick falsch interpretiert!)

Sehr geehrter Herr Präsident! Ich frage die Landesregierung vor dem Hintergrund, dass es sich rechtlich gesehen um eine sehr komplexe Materie handelt: Welche Rechtsbereiche sind denn eigentlich insgesamt bei der Beurteilung des Tanklagers berührt?

Danke schön. - Für die Landesregierung Herr Minister Wenzel, bitte sehr!

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir haben es hier mit einem Zeitraum zu tun, der mehr als 25 Jahre umfasst. Wir haben in dieser Zeit einerseits Betriebsübergänge gehabt. Wir haben andererseits eine Verwaltungsreform gehabt, durch die es zu Zuständigkeitsänderungen bei den zuständigen Behörden gekommen ist, Stichwort „Auflösung der Bezirksregierungen“. Wir haben es mit einer Situation zu tun, in der auch umfangreiche Rechtsänderungen stattgefunden haben. Beispielsweise ist das Kreislaufwirtschaftsgesetz in Kraft getreten.

Wir haben es in der Vergangenheit mit der Verordnung für brennbare Flüssigkeiten zu tun gehabt, die dann in die Betriebssicherheitsverordnung übergegangen ist. In diesem Zusammenhang sind z. B. chemikalienrechtliche Grundlagen auf EUEbene neu geregelt worden, die Stoffrichtlinie, die Zubereitungsrichtlinie dazu. Durch diese EUrechtlichen Veränderungen haben sich auch neue Regelungen ergeben, z. B. bei der Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von Stoffen und Gemischen, die sogenannte CLP-Verordnung. Auf der Grundlage der Änderungen im Chemikalienrecht wurde dann auch die Einstufung der Abfälle verändert.

Insofern haben wir es hier mit ganz unterschiedlichen Rechtsgebieten zu tun, nämlich zum einen mit dem Bereich der Abfälle und des Abfallrechts, zum anderen dem Bereich des Umgangs mit entzündlichen oder brennbaren Stoffen und auch dem Bereich des Umgangs mit wassergefährdenden

Stoffen. In jedem Rechtsgebiet gilt es natürlich auch immer zu prüfen: Was war zum Zeitpunkt einer Genehmigung oder zum Zeitpunkt einer erfolgten Maßnahme jeweils nach den unterschiedlichen Rechtsgebieten zulässig, und was war nicht zulässig?

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Minister Wenzel. - Die nächste Zusatzfrage wird von Herrn Bode, FDP-Fraktion, gestellt. Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Minister Wenzel, vor dem Hintergrund, dass, wenn ich Ihre Antwort auf die brennbaren Flüssigkeiten beschränke, dort am Tag der Explosion ein Volumen von über 200 000 l vorrätig gelagert war und auch dies schon eine immense Überschreitung der ursprünglich genehmigten 60 000 l darstellt, frage ich Sie: Welche von Ihnen angedeuteten rechtlichen oder Brandschutzvorkehrungen wären denn erforderlich und denkbar gewesen, damit diese enorme Überschreitung zulässig gewesen wäre?

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Danke schön. - Für die Landesregierung antwortet wiederum Herr Umweltminister Wenzel. Bitte!

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Es gibt natürlich eine ganze Reihe von Punkten, bei denen man sich im Nachhinein fragt: Warum hat man da nicht früher genauer hingeguckt?

Ich erinnere beispielsweise an die Tatsache, dass dieser Betrieb ursprünglich zur Destillation von bestimmten Stoffen zugelassen war und dass Reste aus dieser Destillation in der Feuerungsanlage verbrannt werden durften. Wir hatten dann Ende der 90er-Jahre eine Erweiterung, die nach unseren Erkenntnissen offensichtlich nicht genehmigungsrechtlich abgesichert war, die dazu geführt hat, dass dort auch Fremdabfälle verbrannt wurden.

Wir haben ferner die Situation, dass 2003/2004 die Feuerungsanlage in ihrer Leistung von 1 000 KW auf 3 500 KW erhöht wurde und dass es zu diesem

Zeitpunkt höchstwahrscheinlich notwendig gewesen wäre, ein volles Genehmigungsverfahren nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz durchzuführen.

Aus heutiger Sicht kann man sagen: Das wäre eigentlich der Zeitpunkt gewesen, zu dem all das auf den Prüfstand gemusst hätte. Vermutlich hat es zu diesem Zeitpunkt schon die von Ihnen genannten größeren Flüssigkeitsmengen auf dem Gelände gegeben.

Aber wie gesagt: Das muss - das sind wir sowohl dem Betreiber als auch den Anwohnerinnen und Anwohnern als auch allen beteiligten Behörden schuldig - ganz detailliert abgeklärt werden. Es muss ganz detailliert geklärt werden, was genehmigt war und was nicht. Wenn es 2003 oder 2004 ein öffentliches Verfahren oder z. B. auch eine Umweltverträglichkeitsprüfung gegeben hätte, dann hätten - da bin ich sicher - die Anwohnerinnen und Anwohner damals sehr genau hingeguckt, und auch alle beteiligten Behörden hätten sehr genau geprüft,

(Jörg Bode [FDP]: Das habe ich gar nicht gefragt!)

ob das tatsächlich dem entspricht, was man erwartet hat, oder aber dem, was dort zum ursprünglichen Genehmigungszeitpunkt zulässig war.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD - Christian Dürr [FDP]: Herr Wenzel, die Antwort auf die Frage fehlt noch! Warum beantworten Sie die Frage von Herrn Bode nicht? - Weitere Zurufe)

Vielen Dank, Herr Minister. - Herr Dürr, Herr Bode, was die Antworten substantiell anbelangt, kennen Sie ja die Verhältnisse. - Die nächste Zusatzfrage kommt von der CDU-Fraktion. Herr Abgeordneter Martin Bäumer, bitte sehr!

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vor dem Hintergrund, dass gestern Abend im NDR-Fernsehen zu erfahren war, dass dort schon im Jahr 2003 200 000 l brennbare Flüssigkeiten gelagert haben dürften, obwohl nur 60 000 l genehmigt waren, vor dem Hintergrund, dass der heutige Staatskanzleimitarbeiter Mielke damals beim Landkreis Osterholz Dezernent für Bauen und Umwelt war, und vor dem Hintergrund, dass

die heutige Staatssekretärin Honé damals in den entsprechenden Jahren Mitglied des Aufsichtsrates der NGS - also der Gesellschaft für Sonderabfälle - und auch bei der Bezirksregierung Lüneburg war, frage ich die Landesregierung vor dem weiteren Hintergrund, dass in verschiedenen Medienberichten auch von Kognak und Champagner die Rede war, ob sie weiterhin der Meinung ist, dass die aktuellen Staatssekretäre nicht tief in diese Geschichte verstrickt sind.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Helge Limburg [GRÜNE]: Das ist ja eine abenteuerliche Konstruktion! - Johanne Modder [SPD]: Nur Unter- stellungen! - Grant Hendrik Tonne [SPD]: Der soll doch vor die Tür ge- hen und sich abreagieren! - Weitere Zurufe)

Danke schön. - Herr Minister Wenzel, Sie wissen, dass der Beantwortung gewisse Grenzen gesetzt sind. - Das meine ich nicht kritisch. Aber wenn es um Werturteile, strafbare Geschichten und Ähnliches geht, kann man das auch sagen.

(Jens Nacke [CDU]: Sie haben ein Zeugnisverweigerungsrecht, will der Präsident damit sagen!)

Sehr geehrter Herr Präsident! Ich danke für den Hinweis. Aber ich will versuchen, die Frage möglichst korrekt zu beantworten.

Herr Abgeordneter Bäumer, genau diesen Bericht habe auch ich mir gestern angeguckt. Genau an dieser Stelle ist zu klären, was sich konkret auf dem Gelände befand. Wenn Sie sich das Recht genau angucken, dann stellen Sie fest, dass sogar noch zwischen Lagerung und Bereitstellung differenziert wird. Das hängt dann wieder davon ab, wie lange sich der Stoff an dem jeweiligen Ort in dem jeweiligen Behälter befindet. Entscheidend dabei ist: Ist der Behälter in ein Gebäude eingehaust, oder ist er nicht eingehaust? Befindet er sich in einem mobilen Container? - All diese Fragen sind zu klären.

Deshalb, Herr Bäumer, finde ich es sehr merkwürdig, dass Sie jetzt zum wiederholten Male den Versuch machen, einzelne Personen zu beschuldigen, ohne dass uns umfassende Informationen vorliegen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Heiner Schönecke [CDU]: Herr Bäumer hat gefragt!)

Ich beantworte die Frage vollständig. Es ärgert mich, wenn hier zum wiederholten Mal versucht wird, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter pauschal für etwas verantwortlich zu machen.

(Dr. Stefan Birkner [FDP]: Das sagt der Richtige! - Jens Nacke [CDU]: Gucken Sie morgens mal in den Spiegel! Sie tragen hier die Verant- wortung! - Weitere Zurufe - Unruhe)

- Ich sage das auch sehr deutlich mit Blick auf unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Gewerbeaufsicht.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD - Unruhe)

Genauso auch mit Blick auf - - -

(Anhaltende Unruhe)

Herr Minister, einen Moment! - Ich darf um Ruhe bitten, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Ich sage das genauso mit Blick auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Ministerien und in der Staatskanzlei.