Protocol of the Session on March 19, 2015

Am 20. Februar hat Frau Cornelia Rundt im Landtag eine Erklärung zum Explosionsunglück abgegeben. Am selben Tag erfolgte die Beantwortung der Kleinen Anfragen Nrn. 47 und 48.

Im Anschluss an die Unterrichtung im Umweltausschuss und im Sozialausschuss erfolgten umfassende Bemühungen des Sozialministeriums, die von der Staatsanwaltschaft Verden beschlagnahmten bzw. ihr übergebenen Akten des Gewerbeaufsichtsamts Cuxhaven und des Landkreises Osterholz zur Einsicht zu erhalten. Darauf erfolgte die Mitteilung der Staatsanwaltschaft Verden, dass 57 Akten des Bauordnungsamtes des Landkreises und zwei Sonderbände Genehmigungsunterlagen des GAA zur Einsichtnahme bereitgestellt werden könnten. Weitere Unterlagen der Gewerbeaufsicht seien durch die Staatsanwaltschaft nicht überprüft und könnten erst nach Beendigung der Sichtung zur Verfügung gestellt werden. Der genaue Zeitpunkt sei derzeit noch nicht absehbar.

Parallel erfolgte die Einrichtung einer Koordinierungsgruppe der Ressorts zur Klärung aller für das Unglück ursächlichen Umstände. Sie hat die Aufgabe, sämtliche behördliche Akten und sonstige Unterlagen aus den Geschäftsbereichen des Umweltministeriums, des Sozialministeriums, des Innenministeriums, des Wirtschaftsministeriums, des Justizministeriums, der Gewerbeaufsichtsämter und gegebenenfalls auch des Finanzministeriums, der Staatskanzlei, der NGS, der Polizei, der Feuerwehr, des Landkreises und der Gemeinde für die Akteneinsicht zusammenzustellen und für die Ressorts auszuwerten.

Nach einer erneuten Anfrage bei der Staatsanwaltschaft Verden, wann mit der Überlassung der Akten gerechnet werden könne, erfolgte die Mitteilung der Staatsanwaltschaft, dass eine erste Tranche der Akten nunmehr elektronisch gespeichert und zur Überlassung vorbereitet werde.

Zwischenzeitlich erfolgte zunächst die Übermittlung der Entschlüsselungsdatei durch die Staatsanwaltschaft und Mitteilung, die Datenträger würden ich Kürze übersandt.

Zwischenzeitlich erfolgte zudem der Eingang der Bauaufsichtsakten des Landkreises Osterholz in

Kopie mit dem Hinweis, dass die Vollständigkeit der Aktensammlung noch nicht überprüfbar war.

Am 12. März erfolgte der Eingang der ersten Tranche der von der Staatsanwaltschaft beschlagnahmten bzw. ihr überlassenen Akten des Gewerbeaufsichtsamts Cuxhaven und 57 Aktenbänden des Landkreises Osterholz, im Wesentlichen von der Bauaufsicht und vom Bauordnungsamt, von zwei Sonderbänden des Gewerbeaufsichtsamtes zu Genehmigungsverfahren sowie eines Sonderheftes mit Prüfberichten, insgesamt ca. 6 500 Seiten. Mit der Auswertung der von der Staatsanwaltschaft Verden überlassenen Akten des Landkreises Osterholz und des Gewerbeaufsichtsamtes ist unverzüglich begonnen worden.

Darüber hinaus sind der Koordinierungsgruppe der Landesregierung bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt die folgenden Unterlagen gemeldet worden: von der Staatsanwaltschaft Verden, der Generalstaatsanwaltschaft Celle und dem MJ Akten im Umfang von 8 500 Seiten, vom Finanzministerium eine Bürgschaftsakte, von der Staatsanwaltschaft Verden, der Polizeidirektion Oldenburg Verfahrensakten im Umfang von vier Hauptbänden, 13 Beiakten, 40 Umzugskartons Beweismittel und ca. 10 Terabyte auf beschlagnahmten Datenträgern, von der NBank ca. 650 und vom Wirtschaftsministerium ca. 750 Seiten Aktenbände, vom NLWKN ca. 95 Seiten Stellungnahmen zum Bauantrag, von der Staatskanzlei acht Akten von 243 Seiten, von den Gewerbeaufsichtsämtern Cuxhaven und Lüneburg, dem Landkreis Osterholz als unterer Wasserbehörde und der NGS 45 Akten sowie weitere Akten der Wirtschaftsförderung des Landkreises.

Meine Damen und Herren, die Akten werden für die Einsicht sukzessive vorbereitet. Die Auswertung dieses Aktenmaterials wird voraussichtlich weitere Monate in Anspruch nehmen.

Die Landesregierung hat im Landtag umfassende Aufklärung zugesagt. Die Untersuchungen werden intensiv vorangetrieben. Aufgrund der parallel stattfindenden Ermittlungen der Staatsanwaltschaft stehen der Landesregierung allerdings noch nicht alle erforderlichen Akten zur Auswertung zur Verfügung. Dies bedingt, dass die Genehmigungslage noch nicht in allen relevanten Teilen abschließend nachvollzogen werden konnte. Die Landesregierung bemüht sich, die fehlenden Akten zeitnah zu beschaffen, muss hier jedoch auf den Ermittlungsfortschritt der Staatsanwaltschaft Rücksicht nehmen.

Festzustellen ist darüber hinaus, dass kein sachlicher Grund besteht, der es rechtfertigte, in der Aufarbeitung Schnelligkeit vor Sorgfalt zu setzen. Im Gegenteil, Sorgfalt ist im Interesse aller von den Untersuchungen Betroffenen geboten. Die Landesregierung sieht sich gehalten, ihre Aussagen belastbar abzusichern.

Zu betonen ist, dass die Landesregierung nicht die Ursache des Unglücks selbst untersucht. Insofern bleiben die Ergebnisse der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft abzuwarten.

Die Untersuchungen, die die Landesregierung anstellt, dienen in erster Linie dem Zweck, Rückschlüsse für mögliche Verbesserungen bei der Genehmigung und Überwachung von Industriebetrieben in Niedersachsen zu ziehen. Zudem soll die Ermittlungsarbeit der Staatsanwaltschaft bestmöglich unterstützt werden.

Zusammengefasst heißt das: Die umfassenden Bemühungen der Landesregierung zur vollständigen Aufklärung aller in diesem Zusammenhang relevanten Vorgänge geben keinerlei Anlass zur Skandalisierung. Die Dringliche Anfrage der FDPFraktion ist eigentlich mit einem Satz zu beantworten: Ja, die Landesregierung klärt umfassend auf.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD - Lachen bei der FDP - Jens Na- cke [CDU]: Pfeifen im Walde!)

Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Dringliche Anfrage mit folgender Vorbemerkung: Die Bauakten des Landkreises Osterholz wurden am 21. Oktober 2014 der Polizei zur Unterstützung der dortigen Ermittlungsarbeit übergeben. Sie wurden nach abgeschlossener Sichtung durch die Staatsanwaltschaft Verden freigegeben und stehen der Landesregierung seit dem 12. März auf einem Datenträger zur Verfügung.

Allein die Bauakten des Landkreises, die den Betrieb Organo-Fluid/Dr. Koczott betreffen, haben einen Umfang von ca. 6 000 Seiten. Die Auswertung der Akten wird mit verstärkten Anstrengungen betrieben. Eine Durchsicht konnte bis zum heutigen Tag aber nur zu einzelnen Schwerpunkten vorgenommen werden.

Insofern hat sich die Informationsgrundlage für die Landesregierung verbessert, sie ist jedoch aufgrund des Umfangs der Bauakten und mit Hinblick auf die geringe zur Verfügung stehende Zeit noch nicht ausreichend.

Zu Frage 1: Die Erkenntnisse der Landesregierung zu den auf dem Gelände der Firma Organo-Fluid vor dem Ereignis vorhandenen oder vorhanden gewesenen entzündlichen Stoffen - früher sprach man von brennbaren Stoffen - basieren im Wesentlichen auf erstens dem Feuerwehrplan Stand 04/2014 und zweitens dem dazu von der Firma laufend geführten Tankbelegungsplan, der u. a. einen Teil des Feuerwehrplans darstellt.

Aus dem Feuerwehrplan geht die örtliche Lage der Abstell-, Lagerbereiche und Tanks hervor. Der Tankbelegungsplan weist die maximal mögliche und die tatsächliche Menge in den Tanks in Litern aus.

In der Summe ergeben sich nach dem Tankbelegungsplan des Betreibers für den 9. September 2014 vor dem Ereignis folgende Mengen in den Tanks: leicht entzündlich: 121 021 l, entzündlich: 83 471 l, andere: 138 017 l, insgesamt: 342 509 l. Die gesamte Tankkapazität betrug nach dem Tankbelegungsplan des Betreibers 610 000 l.

Dem widersprechen allerdings scheinbar die Angaben eines Zertifizierers vom 30. April 2014, der pauschal 1 000 m3 Tanklager, IBC-Lager- und -Bereitstellungsbereiche in seinem Bericht über den Betrieb vermerkt hat. Es ist deshalb derzeit unklar, in welchen Mengen in den Bereitstellungsbereichen oder in den IBC-Lagerbereichen zum Zeitpunkt des Unglücks zusätzliche Flüssigkeiten auf dem Gelände vorhanden gewesen sein können.

Zu Frage 2: Der Gemeinde Ritterhude obliegen nach § 2 Abs. 1 Niedersächsisches Brandschutzgesetz der abwehrende Brandschutz und die Hilfestellung in ihrem Gebiet. Zur Erfüllung dieser Aufgaben hat sie eine den örtlichen Verhältnissen entsprechende leistungsfähige Feuerwehr aufzustellen, auszurüsten, zu unterhalten und einzusetzen. Dazu hat sie insbesondere gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 4 Niedersächsisches Brandschutzgesetz Alarm- und Einsatzpläne aufzustellen und fortzuschreiben sowie Alarmübungen durchzuführen.

Zu den Alarm- und Einsatzplänen zählen auch die Feuerwehrpläne nach der Deutschen Industrienorm 14095. Sie sind Führungsmittel und dienen der Einsatzvorbereitung und der raschen Orientierung sowie zur Beurteilung der Lage. Feuerwehrpläne gehören nicht zu den Bauvorlagen, können jedoch von der Baugenehmigungsbehörde gefordert werden. Ob für eine bauliche Anlage Feuerwehrpläne erforderlich sind, richtet sich nach deren Lage, Art und Nutzung.

Die Notwendigkeit der Erstellung eines Feuerwehrplans ergibt sich aus den niedersächsischen Sonderbauvorschriften, die einen Teil des niedersächsischen Bauordnungsrechts darstellen, z. B. der Versammlungsstättenverordnung, der Verkaufsstättenverordnung, der Industriebaurichtlinie, oder - soweit es Vorschriften nicht vorsehen - von den Brandschutzdienststellen für erforderlich erachtet werden. Es steht in solchen Fällen allerdings im Ermessen der unteren Bauaufsichtsbehörde, ob sie diese Forderung der Brandschutzdienststelle in der Genehmigung umsetzt. Feuerwehrpläne sind im Einvernehmen mit der zuständigen Brandschutzdienststelle zu erstellen und der örtlichen Feuerwehr zur Verfügung zu stellen.

Für den Betrieb lag ein aktueller Feuerwehrplan vor. Die letzte Aktualisierung datiert auf den 1. August 2014.

Der Landkreis Osterholz ist zuständig für den baulichen Brandschutz nach dem Bauordnungsrecht und den vorbeugenden Brandschutz nach dem Niedersächsischen Brandschutzgesetz.

Die Anforderungen des bauordnungsrechtlichen Brandschutzes, die sich aus der Niedersächsischen Bauordnung und den dazugehörigen Verordnungen ergeben, wurden in den verschiedenen jeweiligen Baugenehmigungen oder Genehmigungen nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz sowie der Erlaubnis nach der Verordnung über brennbare Flüssigkeiten - teilweise unter Berücksichtigung eines Brandschutzkonzepts - festgelegt und lassen sich in den Einzelheiten den Baugenehmigungen bzw. den in anderen Entscheidungen enthaltenen baurechtlichen Bestandteilen entnehmen.

Hierzu hat der für den vorbeugenden Brandschutz zuständige Landkreis Osterholz berichtet, dass der vorbeugende Brandschutz in den jeweiligen Genehmigungsverfahren beteiligt wurde. Wieweit diese vollständig beantragt und durchgeführt worden sind, wird derzeit in einer Arbeitsgruppe auf Grundlage der zurzeit vorhandenen Akten geprüft.

Im Hinblick auf den vorbeugenden Brandschutz nach dem Niedersächsischen Brandschutzgesetz gehörte der Betrieb zu den Anlagen im Landkreis Osterholz, die im Rahmen der Hauptamtlichen Brandschau - heute Brandverhütungsschau - in regelmäßigen Zeitabständen auf ihre Brandsicherheit geprüft wurden. Die Hauptamtliche Brandschau wurde zuletzt im Jahr 2010 durchgeführt. Hinsichtlich dabei festgestellter Mängel wurde eine Mängelbeseitigung jeweils eingefordert und die

Mängelfreiheit bestätigt. Neben den regelmäßigen Hauptamtlichen Brandschauen fanden zusätzlich anlassbezogen weitere einzelfallbezogene Kontrollen statt, zuletzt im Jahr 2013.

Zu Frage 3: Meine Damen und Herren, der Landkreis Osterholz hat im Betrieb Organo-Fluid bzw. dessen Vorgängerbetrieben in der Vergangenheit mehrfach Verstöße gegen Regelungen des bauordnungsrechtlichen Brandschutzes festgestellt. Diese Verstöße wurden nach seinen Angaben jeweils verfolgt und abgestellt.

Zum Zeitpunkt des Ereignisses am 9. September 2014 waren dem Landkreis Osterholz keine Verstöße gegen Regelungen des Brandschutzes im Betrieb Organo-Fluid bekannt. Ein aktueller Feuerwehrplan lag vor.

Vor Beantwortung der Frage, welche Erkenntnisse zu Verstößen gegen die Regelungen der Lagerung entzündlicher - früher brennbarer - Flüssigkeiten vorliegen, ist die Fragestellung zu klären, welche Lagerkapazitäten unter welchen Bedingungen auf dem Betriebsgelände zulässig waren. Dabei sind Genehmigungen und Erlaubnisse zu prüfen und ist zu ermitteln, was angezeigt oder genehmigungsfrei errichtet wurde. Diese Frage wird derzeit detailliert untersucht. Dabei werden die nunmehr erst zum Teil vorliegenden Akten ausgewertet und die Erkenntnisse der niedersächsischen Gewerbeaufsichtsverwaltung und des Landkreises Osterholz einbezogen.

Es steht derzeit noch nicht fest, was letztlich tatsächlich zulässig war. Die bislang vorliegenden Erkenntnisse lassen daher eine vollständige Antwort auf die Frage zurzeit nicht zu.

Die Landesregierung wird die notwendigen Informationen ohne schuldhaftes Zögern zusammenstellen, um eine vollständige Information des Landtages und der Öffentlichkeit sicherzustellen. Parallel werden die nach Artikel 24 Abs. 2 der Verfassung zur Vorlage beantragten Akten für die Einsicht der Abgeordneten des Landtages zusammengestellt.

Ich danke Ihnen herzlich fürs Zuhören.

(Lebhafter Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Minister Wenzel. - Wir kommen jetzt zu den Zusatzfragen. Als Erster hat sich Herr Kollege Bode, FDP-Fraktion, gemeldet. Bitte sehr!

(Unruhe)

- Ruhe, bitte, meine Damen und Herren!

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister Wenzel, aufgrund der Tatsache, dass Sie eben ausgeführt haben, dass - nach meiner überschlägigen Addition - rund 324 000 l Flüssigkeiten zum Zeitpunkt der Explosion aller Wahrscheinlichkeit nach dort gelegen haben, und aufgrund der bisherigen Beantwortung der Frage, wie viel Lagerkapazitäten Tanklager eigentlich genehmigt waren, nämlich 60 000 l, frage ich die Landesregierung: Wie bewertet sie die Tatsache, dass es quasi jährlich Kontrollen durch den Landkreis Osterholz gegeben hat und dass die enorme Diskrepanz von genehmigten Tanklagerkapazitäten zu tatsächlich vor Ort vorhandenen Tanklagerkapazitäten scheinbar niemandem aufgefallen sein will?

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Björn Thümler [CDU]: Eine gute Frage!)

Vielen Dank. - Herr Minister Wenzel, bitte sehr!

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Abgeordneter Bode, die Frage ist, ob die Information, die Sie haben, vollständig ist.

(Jörg Bode [FDP]: Das ist Ihre!)

Wenn es tatsächlich so wäre, dann gäbe es hier eine Diskrepanz. Die Frage ist - - -

(Zuruf von Christian Dürr [FDP])

Moment! - Herr Dürr, bitte den antwortenden Minister nicht stören! Denn das führt dazu, dass die Antwort nicht kommt, weil wir nicht weitermachen können. - Bitte!

Die Frage ist, ob es daneben noch weitere Flüssigkeiten gegeben hat, die auf dem Gelände rechtmäßig vorhanden waren. Da gibt es verschiedene Möglichkeiten, weil wir sehr unterschiedliche Rechtsgebiete betrachten müssen. Wir müssen uns einerseits flüssige Abfälle angucken. Wir müssen uns andererseits wassergefährdende Stoffe