Protocol of the Session on December 13, 2016

Die juristische Aufarbeitung des NS-Verbrechens war damit weder in Niedersachsen noch sonstwo abgeschlossen. Sie ist es auch heute nicht. Lange Zeit war die Verfolgung kaum möglich, weil die Rechtsprechung über Jahrzehnte konsequent nur diejenigen zur Verantwortung zog, die unmittelbar

an einer Tötungshandlung mitgewirkt hatten, sei es als Täter oder als Gehilfe.

Eine Kehrtwende trat erst mit dem Fall Demjanjuk ein. Dem ehemaligen Wachmann im Vernichtungslager Sobibor konnte keine Täterschaft oder Teilnahme an konkreten Tötungshandlungen nachgewiesen werden. Das Landgericht München II sah ihn dennoch als verantwortlich für den Mord an mehr als 28 000 Menschen an und verurteilte ihn im Jahr 2011 allein aufgrund seiner Zugehörigkeit zu den Wachmannschaften wegen Beihilfe zum Mord zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren. Zu einer höchstrichterlichen Entscheidung kam es damals nicht, weil der Verurteilte starb, bevor der BGH über die Revision entscheiden konnte.

Im Juli 2015 hat das Landgericht Lüneburg Oskar Gröning - den „Buchhalter von Auschwitz“ - wegen Beihilfe zum Mord in 300 000 Fällen zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Nicht die Teilnahme an unmittelbaren Tötungshandlungen war ihm vorzuwerfen. Anzulasten war ihm, die Tötungsmaschinerie am Laufen gehalten zu haben. Im Alter von nur 22 Jahren hatte er im KZ Auschwitz Verwaltungsaufgaben. Er verbuchte das Geld der Deportierten. Er trug aber auch an der Rampe dafür Sorge, dass das Gepäck der ankommenden Gefangenen bewacht wurde, nur allein, um den Anschein der Normalität zu wahren, um die Arglosigkeit der der Vernichtung Preisgegebenen nicht zu gefährden und damit den weiteren grausamen Ablauf von Selektion und dem Tod in der Gaskammer zu unterstützen. Das hat das Landgericht Lüneburg als strafbare Beihilfe zum Mord gewertet. Das Urteil ist ein Meilenstein auf dem Weg auch der zukünftigen Aufarbeitung von weiteren NS-Kriegsverbrechen.

Der BGH hat das Urteil des Landgerichts Lüneburg inzwischen bestätigt. Damit steht höchstrichterlich fest, dass nicht die Verantwortlichkeit für unmittelbare Tötungshandlungen ausschlaggebend ist, sondern dass die Teilnahme an der Wachmannschaft, an der Maschinerie insgesamt ausreicht. Ein spät gesetzter, aber ein Meilenstein der deutschen Justizgeschichte!

Meine Damen und Herren, es ist viel Zeit vergangen, bis die deutsche Justiz damit begonnen hat, das barbarische Unrecht der NS-Tötungsmaschinerie konsequent gegen alle Beteiligte strafrechtlich aufzuarbeiten. Der Fall Oskar Gröning illustriert das anschaulich: Ein 94 Jahre alter Mann, sichtlich gebrechlich, vor Gericht - wir alle haben die Berichterstattung noch vor Augen -, verantwortlich für

ein Verbrechen, das er im Alter von 22 Jahren beging. Kann das noch richtig sein, kann das gerecht sein, kann das rechtens sein, und kann man das heute noch verantworten?

Meine Antwort ist ein eindeutiges Ja. Wir müssen alles tun, um das damalige Unrecht aufzuklären, zu ahnden, soweit das noch möglich ist. Wir müssen das nicht in erster Linie - aber auch - tun für das abstrakte Postulat der Gerechtigkeit. Wir müssen das in erster Linie für die Opfer tun und für ihre Hinterbliebenen.

(Beifall)

Wir tun das unter Wahrung aller strafprozessualen Rechte von Beschuldigten und Angeklagten. Ihnen widerfährt Recht. Dem Alter und dem gesundheitlichen Zustand wird im Verfahren vollumfänglich Rechnung getragen. Die Frage der Haftfähigkeit findet Berücksichtigung. Unser Rechtsstaat gebietet das, aber er gebietet es auch, das unerträgliche Leid der Opfer nicht zu vergessen. Es geht nicht um Rache, es geht um gemeinsame Aufarbeitung, um Genugtuung für die Opfer und ihrer Hinterbliebenen und im Idealfall um Versöhnung - wie in dem Fall, den Herr Thümler geschildert hat.

Meine Damen und Herren, das gilt auch im Fall Gröning. Auch ein Buchhalter des Bösen muss die Verantwortung dafür übernehmen, ein gut funktionierendes Rad im Getriebe der Tötungsmaschinerie gewesen zu sein - ganz gleich, wie lange die Taten zurückliegen. Denn Mord verjährt nie, und für Gerechtigkeit ist es niemals zu spät

(Beifall)

Das schuldet der Rechtsstaat den Opfern, das schulden wir den Opfern, und dafür tritt diese Landesregierung ein.

Vielen Dank.

(Beifall)

Vielen Dank, Frau Ministerin. - Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen zu Punkt 15 a liegen mir nicht vor.

Wir gehen nun über zu

b) Bund-Länder-Finanzen: Platz 16 von 16 - Verkauft Ministerpräsident Weil die Landesinteressen für nichts? - Antrag der Fraktion der FDP - Drs. 17/7084

Der Antrag wird eingebracht vom Kollegen Bode. Bitte sehr, Herr Bode! Ich erteile Ihnen das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach mehreren Föderalismuskommissionen waren die Verhandlung der letzten Monate über die Bund-Länder-Finanzbeziehungen eigentlich als

Krönung der Modernisierung unseres Wettbewerbsföderalismus gedacht gewesen.

Die letzten Tage haben auch gezeigt, wie wichtig der Anspruch war, die Finanzbeziehungen zu verändern. Denn natürlich kann man die Länder verstehen, die in einen Topf für andere finanzschwächere Länder einzahlen, um ihnen solidarisch zu helfen, aber dann feststellen müssen, dass man dort Dinge macht, die schlicht und ergreifend überflüssig sind.

Ich meine konkret das Land Berlin. Es dürfte unstrittig sein, dass man ein Land von der Größe und Bedeutung Berlins besser verwalten kann, als dies tatsächlich passiert.

(Christian Dürr [FDP]: Ja!)

Aber dass man dafür 25 Staatssekretäre braucht - wie Rot-Rot-Grün es gerade beschlossen hat - und dass das von allen anderen Ländern über den Finanzausgleich mitbezahlt werden soll, ist schlicht und ergreifend Unsinn.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Deshalb ist es richtig, eine solche missliche Situation zu verändern. Also haben in den vergangenen Monaten die 16 Ministerpräsidenten im Bundeskanzleramt gekreißt. Aber was sie gebaren, war eine Maus.

Das Ergebnis der monatelangen Föderalismusverhandlungen lautet, dass sich die 16 Länder nicht mehr gegenseitig unterstützen, sondern dass der Bund alle Länder unterstützt. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist keine Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen, die die Bundesrepublik Deutschland nach vorne bringt, sondern das ist nichts anderes als das Ergebnis eines Kuh

handels. Aber einen Kuhhandel brauchen wir in diesem Bereich nicht; er bringt uns nicht nach vorn. Die Länder legen sich tatsächlich in die soziale Hängematte des Bundes.

Nachdem die Ministerpräsidenten diese „Maus“ hervorgebracht hatten, war im Bundeskanzleramt das große Verteilen angesagt: Wer will noch mal? Wer hat noch nicht? - Herr Ministerpräsident Weil, als die goldenen „Mäuse“ verteilt wurden, haben Sie sich ganz schnell geduckt. Aber als nur noch wenige graue „Mäuse“ übrigblieben, haben Sie zugegriffen.

Sechzehnter von sechzehn zu werden, bedeutet in der Fußballbundesliga noch einen Relegationsplatz. Unter den Bundesländern hingegen ist es einfach ein schlechtes Ergebnis für das Land Niedersachsen.

(Beifall bei der FDP - Anja Piel [GRÜ- NE]: Oder vielleicht auch ein Zeichen für gutes Wirtschaften, Herr Bode! Das haben Sie nur noch nicht begrif- fen!)

Das Problem ist dabei schon die Grundkonstruktion. Es kann nun einmal keinen anstrengungslosen Wohlstand geben. Das bedeutet, dass diejenigen Länder, die sich anstrengen, auch Vorteile haben müssen - und dass es nicht einfach den Griff in die Kasse des Bundes geben darf.

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, der Bund wollte aber auch Gegenleistungen dafür haben, dass er die Länder jetzt alimentiert. Erstaunlicherweise haben die Ministerpräsidenten alle Forderungen, die der Bund hatte, am Ende zurückgewiesen. - Wirklich alle? Nein. Eine einzige Forderung nicht. Bei der Steuerverwaltung hat man den Bund zurückgewiesen, beim Stabilitätsrat hat man den Bund zurückgewiesen, bei der Bildung hat man den Bund zurückgewiesen - aber bei der Infrastrukturgesellschaft nicht.

Das ist für Niedersachsens Infrastruktur besonders schlecht; denn wir haben hier die beiden größten autobahnfreien Zonen Deutschlands: im Weserbergland und im Bereich Uelzen/Celle. Durch die Umstrukturierung der Straßenbauverwaltung wird es zu Verzögerungen kommen, was die weitere Planung und Entwicklung der Anbindung angeht. Die anderen Bundesländer, die in den letzten Jahrzehnten bevorzugt waren - beispielsweise der Osten oder der Süden Deutschlands -, können das sicherlich verkraften. Bei uns in Niedersachsen aber ist eine bessere Anbindung entscheidend für

das wirtschaftliche Wachstum. Das besagen auch die Gutachten von NiedersachsenMetall.

Das heißt: Bei dem Thema, das für Niedersachsen wichtig ist, das der Landtag fraktionsübergreifend als entscheidend angesehen hat und bei dem er der Landesregierung in die Verhandlungsmappe gelegt hat, auf gar keinen Fall die Kompetenz an den Bund abzugeben, sind Sie eingeknickt.

Herr Ministerpräsident, eine Protokollerklärung hierzu, dass man das alles ganz böse findet und eigentlich nicht will, reicht in dieser Frage schlicht und ergreifend nicht aus. Das ist nichts!

(Christian Dürr [FDP]: Allerdings!)

Herr Ministerpräsident, warum haben Sie nicht Haltung gezeigt und Position bezogen? Warum haben Sie den Beschluss des Landtages nicht respektiert? - Was hatten Sie denn zu verlieren? Als Letzter konnten Sie doch gar nicht weiter absteigen. Schlechter hätte es doch gar nicht gehen können.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, jetzt ist es wichtig, dem Ministerpräsidenten mitzugeben, dass wir als Landtag zu unserem Beschluss stehen, dass wir ihn und damit die Landesregierung auffordern, diesen Beschluss des Landtages auch umzusetzen, im Bundesrat bei der Föderalismusreform mit Nein zu stimmen und die Grundgesetzänderung abzulehnen.

Herr Ministerpräsident, als Verhandelnder haben Sie bisher versagt. Sie hätten Position beziehen, Haltung zeigen, ein stabiles Auftreten haben müssen. Aber wenn man das nicht hat und wenn man das nicht tut, dann ist man halt, genau wie das Ergebnis, nur eine graue Maus.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Bode. - Für Bündnis 90/Die Grünen folgt jetzt Herr Heere. Bitte sehr!

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Aktuelle Stunden zu den Bund-Länder-Finanzbeziehungen scheinen das Dezember-Murmeltier der FDP zu sein. Ich erinnere gern an Ihre Aktuelle Stunde von vor fast genau

einem Jahr. Am 15. Dezember 2015 habe ich gesagt:

„Dass in dieser komplizierten Gemengelage und bei den sehr langwierigen Verhandlungen überhaupt der Gordische Knoten durchschlagen wurde, ist ein Wert an sich.“

(Christian Grascha [FDP]: Wenn Sie sich schon selbst zitieren müssen, ist es ziemlich weit gekommen! - Christi- an Dürr [FDP]: „Ein Wert an sich“ - was ist denn das für eine Argumenta- tion? Wir sind Letzter! Ist das ein Wert an sich?)

Das gilt damals wie heute. Aber dieses Argument scheint die FDP gar nicht zu interessieren.