Rechtsprechung. Nun konnte nur noch verurteilt werden, wem die Beteiligung an konkreten Mordtaten nachgewiesen werden konnte. Damit scheiterten viele Prozesse schon im Vorfeld an unüberwindlichen Beweisproblemen - trotz der großen Bemühungen der Gruppe um Fritz Bauer.
Erst in diesem Jahr, vor zwei Wochen, hat der BGH die Entscheidung des Lüneburger Landgerichtes gegen Oskar Gröning bestätigt. Nun ist rechtskräftig festgestellt, dass auch zur Verantwortung gezogen werden kann, wer als Rädchen im Getriebe die fabrikmäßige Ermordung von Menschen in Betrieb gehalten hat. Mit diesem Beschluss ist Rechtsgeschichte geschrieben worden. Es geht hier um die zentrale Frage, wer für ein kollektives Geschehen die Verantwortung trägt. Nun ist es nicht mehr möglich, sich hinter der vermeintlich größeren Schuld der Nazimachthaber und -funktionäre zu verstecken.
Denn die wären ohne die willigen und gehorsamen Untergebenen zum industriellen Massenmord nicht in der Lage gewesen. Der BGH schließt mit dieser Entscheidung auch ein unsägliches Kapitel seiner eigenen Geschichte. Auch wenn nur noch wenige leben, die angeklagt werden können: Der symbolische Wert dieser Entscheidung ist groß, und auch wenn sie viel zu spät kommt, bringt sie den wenigen, die überlebt haben, und den Hinterbliebenen doch eine gewisse Genugtuung.
Sie führt uns auch noch einmal sehr eindrücklich einen so schrecklichen Teil unserer Geschichte vor Augen. Das ist in Zeiten wie diesen, in denen etliche Rechtspopulisten versuchen, die deutsche Geschichte in ein anderes Licht zu rücken, unendlich wichtig.
Meine Damen und Herren, 70 Jahre nach den Bergen-Belsen-Prozessen war es wieder eine Lüneburger Entscheidung, die zu einem historischen Abschluss geführt hat.
Vielen Dank, Frau Kollegin. - Es folgt jetzt für die CDU-Fraktion deren Vorsitzender, Herr Björn Thümler. Bitte sehr!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Gröning-Urteil ist wegweisend für den Umgang unseres Rechtsstaates mit den Verbrechen und dem massenhaften Völkermord des NSRegimes. Dazu gibt es keine zwei Meinungen. Das Urteil allerdings darf man nicht isoliert betrachten. Es geht auch um den Umgang mit dem Antisemitismus im Allgemeinen, im Hier und Heute. Für die CDU-Fraktion möchte ich deswegen betonen: Es kann und darf kein Platz für Holocaust-Leugner in unserer Gesellschaft geben!
Meine Damen und Herren, einen offen ausbrechenden Antisemitismus dürfen wir in unserer Gesellschaft niemals dulden!
Meine Damen und Herren, am 28. Oktober 2016 schrieb die Leiterin des American Jewish Committee in Berlin an den Niedersächsischen Ministerpräsidenten Weil, um auf eine Reihe von Vorfällen im akademischen und pädagogischen Bereich aufmerksam zu machen, die sich zuletzt hier in Niedersachsen ereignet haben und die allesamt dazu beitragen können, das Verhältnis zum jüdischen Staat zu schädigen. Es geht in diesem Schreiben u. a. - Sie wissen es - um die allseits bekannten Vorgänge in der HAWK.
Nur rund vier Wochen später, am 1. Dezember 2016, beschwerte sich der israelische Botschafter in Deutschland, Yakov Hadas-Handelsman, öffentlich darüber, hierzulande werde gegen Juden gehetzt. Der Botschafter stellt dabei die Frage: Was ist nur los in Niedersachsen?
Was ist nur los in Niedersachsen, Herr Ministerpräsident? - Sie sind auf das Gesprächsangebot des American Jewish Committee in Berlin bislang leider nicht eingegangen. Ich glaube, es wäre gut, dieses Angebot anzunehmen, damit eben latent vorhandener Antisemitismus in unserer Gesellschaft nicht Bahnen findet und nicht eine Oberhand in unserer Gesellschaft findet. Daran müssen wir gemeinsam arbeiten!
Meine Damen und Herren, so gut und richtig es ist, auf das Gröning-Urteil zurückzugreifen und die Entscheidung des Bundesgerichtshofs in dieser Frage zu begrüßen: Die Arbeit des Landgerichts Lüneburg in dieser Frage hat Maßstäbe gesetzt und verdient unser aller Lob und Anerkennung und auch unsere Würdigung, weil es eben kein triviales Urteil und kein trivialer Vorgang ist, sondern - wir haben es gehört - Rechtsgeschichte schreibt.
Allerdings brauchen wir darüber hinaus eine grundsätzliche Debatte über den Umgang mit Tätern der Vergangenheit. Dazu wird dieses Urteil allein nicht ausreichen, sondern es kommt darauf an, wie entscheidend verantwortlich wir als Demokraten in diesem Haus damit umgehen und wie wir das in die Gesellschaft hinein zurückgeben.
Meine Damen und Herren, wir werden in dieser Woche den Haushalt für die Gedenkstätten in Bergen-Belsen und andere einmütig, gemeinsam beschließen und damit finanziell diese Arbeit nicht nur unterstützen, sondern ausdrücklich befördern, sie gutheißen, sie voranbringen. Das muss eines der Ziele sein - dass wir künftig in den Gedenkstätten auch viel intensiver den Aspekt, der durch dieses Urteil aufgegriffen worden ist, abbilden und deutlich machen, was es eigentlich bedeutet: für damals, für jetzt, aber auch für morgen!
Ich glaube, wir sind an einem Anfang, wo auch Gedenkstättenarbeit sozusagen in eine neue Sphäre übertragen werden muss. Deswegen ist es eben wichtig, dass wir uns den Herausforderungen stellen - das Ganze nicht nur juristisch, sondern auch gesamtgesellschaftlich aufzuarbeiten. Wir wollen uns dieser Arbeit gerne stellen.
Meine Damen und Herren, in diesem Zusammenhang möchte ich erwähnen, dass ich große Hochachtung etwa vor der Auschwitz-Überlebenden Eva Kor habe, die nach unerträglichem Leid, nach vielen Jahrzehnten am Rande des Prozesses in Lüneburg Oskar Gröning, dem Täter, vergeben hat. Sie hat gesagt: Ich bin aus der Opferrolle herausgekommen und kann Frieden finden.
Auch das ist im Zusammenhang mit diesem Urteil ein Aspekt, der aufgearbeitet werden muss - nämlich der Aspekt: Ist Vergebung der Opfer gegenüber den Tätern etwas, was in unser Bewusstsein noch tiefer eindringen muss, weil wir als Nichtbeteiligte über etwas urteilen, was im Grunde genommen nur die beurteilen können, die dabei gewesen sind? - Deswegen finde ich es eine große
Zum Schluss, meine Damen und Herren: Es bleibt Aufgabe aller demokratischen Parteien in unserem Land, im Hier und Jetzt für ein Klima zu sorgen, das Israelfeindlichkeit und Antisemitismus keinen Raum lässt. Das gilt im Übrigen auch für die Verdrehung des Gröning-Urteils durch die AfD und andere Verwirrte, die aus unserer Geschichte nichts gelernt haben. Dagegen müssen wir Front machen und Flagge zeigen!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Verbrechen, über die wir hier sprechen, haben ein schier unüberschaubares Ausmaß. Unter ihrem Eindruck haben die Schöpfer unserer Verfassung viele Vorkehrungen getroffen, damit sich so etwas auf deutschem Boden nie wiederholen kann.
Unter anderem haben sie das Rechtsstaatsprinzip geschaffen. Der Rechtsstaat soll jeden Menschen vor rechtswidrigen Eingriffen schützen, und er soll dafür sorgen, dass diejenigen verfolgt werden, die sich nicht an die gesellschaftlich vereinbarten Regeln halten. So ist es auch Aufgabe des Rechtsstaates der Bundesrepublik Deutschland, die Verbrechen zu ahnden, die vor 1945 begangen wurden. Mord verjährt nicht, Beihilfe zum Mord auch nicht. Die strafrechtliche Verfolgung hat auch eine Signalwirkung. Mord wird auch dann noch verfolgt, wenn der Täter bereits alt und krank ist. Auch dann kann sich ein Täter nicht sicher fühlen.
Richtig ist aber auch, dass sich unser Rechtsstaat mit der Verfolgung der nationalsozialistischen Mörder und Massenmörder viele Jahre lang sehr schwergetan hat. Einer der Gründe ist, dass unser Rechtsstaat verlangt, dem jeweiligen Täter ganz konkret die vorgeworfene Tat nachweisen zu können. Das, meine Damen und Herren, ist keine Schwäche unseres Rechtsstaates. Es ist ein Grundsatz, der u. a. auch aufgrund der Erfahrungen in der Nazidiktatur geschaffen worden ist. Dieser Grundsatz macht es aber schwer, jeman
den wegen Beihilfe zum Mord zu verurteilen, wenn ihm die Beteiligung an ganz konkreten Morden, also an ganz konkreten Einzelfällen, nicht nachgewiesen werden kann. Diese Einzelfälle sind angesichts des massenhaften Mordens in den Vernichtungslagern nur schwer nachzuweisen.
Meine Damen und Herren, das Landgericht Lüneburg hat ganz sicher Rechtsgeschichte geschrieben, indem es im letzten Jahr entschieden hat, dass auch die bewaffnete Absicherung des Verfahrens zur Auswahl von Menschen, die später getötet wurden, Beihilfe zum Mord ist. So werden auch diejenigen Täter erfasst, die als Mitglieder der Waffen-SS in Auschwitz den sogenannten Rampendienst absolviert haben. Sie waren schließlich Teil einer Drohkulisse und sollten verhindern, dass Menschen fliehen. Sie sicherten die Organisation des Massenmordes ab. Der Bundesgerichtshof hat dieses Urteil vor zwei Wochen bestätigt. Es ist rechtskräftig.
Die Richter machen aber auch klar, dass nicht jeder, der nur irgendwie in Auschwitz tätig gewesen ist, nach unseren Rechtsgrundsätzen auch strafbar ist. Aber soweit der Betreffende Teil des Apparates war, der es möglich machte, diese organisierte industrielle Tötungsmaschinerie überhaupt zu betreiben, macht er sich der Beihilfe zum Mord schuldig.
In dem Verfahren waren über 60 Nebenkläger beteiligt. Für sie muss es ein ganz wichtiges Zeichen sein, dass zwar leider sehr spät, aber nun endlich der Rechtsstaat letztinstanzlich reagiert hat. Zudem könnte dieses Urteil weitere Verfahren ermöglichen. So wird in der zentralen Stelle der Landesjustizverwaltung zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen nunmehr ermittelt, ob sich aufgrund der neuen Rechtsprechung weitere Verfahren eröffnen lassen.
Meine Damen und Herren, die Geschehnisse vor 1945 sind schon sehr lange her. Das war lange vor meiner Geburt. Selbst mein Vater war zu dem Zeitpunkt nur ein kleiner Junge. Aber es gibt noch viele lebende Opfer und auch noch viele lebende Täter. Und solange das der Fall ist, hat der Rechtstaat seine Aufgabe zu erfüllen.
Aber auch dann, wenn keine Zeitzeugen mehr leben, bleibt es eine Aufgabe, auch gerade für uns Politiker: Wir müssen uns den Idioten entgegenstellen, die aus dieser Geschichte nichts gelernt haben. Dabei ist es völlig egal, ob sie mit Glatze
auf irgendeiner Demonstration rumlaufen oder im feinen Zwirn verklausuliert die alten Reden schwingen.
Es ist auch völlig egal, ob sie das im Internet anonym tun oder auf öffentlichen Plätzen skandieren. An dieser Stelle müssen wir Demokraten uns immer einig sein.
Vielen Dank, Herr Kollege. - Für die Landesregierung spricht nun unsere Justizministerin, Frau Niewisch-Lennartz. Bitte sehr! Ich erteile Ihnen das Wort.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Herr Rechtsanwalt Fürst, der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinden in Niedersachsen, hat zum Thema Antisemitismusvorwurf und Niedersachsen - gerade aus seiner Position heraus - das, wie ich finde, Maßgebliche gesagt.
Meine Damen und Herren, ich danke Ihnen für die Gelegenheit, über das für unsere Rechtskultur so wichtige Thema der Aufarbeitung der NS-Verbrechen sprechen zu dürfen. Die niedersächsische Justiz hat dabei vor Kurzem herausragende Aufklärungsarbeit geleistet. Alle Augen der Welt haben sich im Sommer des Jahres 2015 auf das Landgericht in Lüneburg gerichtet. Dessen Entscheidung ist jetzt rechtskräftig geworden. Der Bundesgerichtshof hat den Schuldspruch gegen Oskar Gröning bestätigt.
Lüneburg stand schon einmal, im Sommer 1945, im Fokus der Weltöffentlichkeit, als der erste Bergen-Belsen-Prozess dort stattfand - der erste Kriegsverbrecherprozess auf deutschem Boden überhaupt. Verhandelt wurde vor einem britischen Militärgericht. Verurteilt wurden der Lagerkommandant des KZ Bergen-Belsen, Josef Kramer, und weitere Täter - Ausführende eines unmenschlichen Tötungsapparats.
Die juristische Aufarbeitung des NS-Verbrechens war damit weder in Niedersachsen noch sonstwo abgeschlossen. Sie ist es auch heute nicht. Lange Zeit war die Verfolgung kaum möglich, weil die Rechtsprechung über Jahrzehnte konsequent nur diejenigen zur Verantwortung zog, die unmittelbar