Den nächsten Tagesordnungspunkt rufe ich erst auf, wenn Ruhe eingekehrt ist. - Ich bitte, auch die Beratungen an der Regierungsbank zügig zu bedenken.
Tagesordnungspunkt 26: Erste Beratung: Handwerksbetriebe entlasten - Änderung der Abfallverzeichnis-Verordnung zurücknehmen - Antrag der Fraktion der FDP - Drs. 17/6895
Verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Man erlebt es manchmal in der Umweltpolitik, dass eine Technologie, eine gelebte Praxis, die seit vielen Jahren in der Anwendung ist und an der über viele Jahre, manchmal Jahrzehnte oder sogar Jahrhunderte eigentlich niemand Anstoß genommen hat, quasi über Nacht diskreditiert wird, weil es irgendwo auf der Welt eine Untersuchung, ein Gutachten oder eine Studie mit der Behauptung gibt, dass diese Technologie, dieses Baumaterial oder dieser Prozess Mängel aufweist und gefährlich für Umwelt und Gesundheit sei.
Wir haben seit März dieses Jahres die Situation, dass Styropor in den Fokus von vielleicht übereifrigen Bürokraten geraten ist. Seit dem 1. Oktober müssen Styroporabfälle bei Abriss- und Sanierungsarbeiten getrennt gelagert, getrennt abtransportiert und getrennt entsorgt werden. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist eine Belastung für unsere mittelständischen Handwerksunternehmen in Niedersachsen, die die zu stemmen nicht in der Lage sind und die keinen Nutzen für die Umwelt oder die Gesundheit spendet. Deswegen, meine sehr verehrten Damen und Herren, muss diese Verordnung möglichst schnell wieder abgeschafft werden.
Man muss sich das einmal auf der Zunge zergehen lassen: Ein Dämmstoff, der ganz bewusst so entwickelt worden ist, dass er nur schwer entzündlich und schwer brennbar ist, muss jetzt thermisch entsorgt werden. Man hat diesen Dämmstoff jahrzehntelang mit bester Absicht, energieeffizient
Eine derartige Verordnung, die Handwerker und den Mittelstand über Gebühr belastet und keinen Nutzen spendet, sondern nur Kosten verursacht - man spricht von Entsorgungskosten von 3 000 bis 6 000 Euro pro Tonne -, muss wieder abgeschafft werden.
Ich bin Ihrem eigenen Minister dankbar, dass er in den vergangenen Wochen immer wieder die Bereitschaft gezeigt hat, über diese Verordnung kritisch nachzudenken. Sehr geehrter Herr Minister Wenzel, da scheinen Sie deutlich weiter zu sein als einige Vertreter Ihrer eigenen Fraktion.
Wir stehen ja erst am Beginn der Beratungen. Aber ich sage Ihnen: Da draußen steht den Mittelständlern das Wasser bis zum Hals. Auf vielen Betriebshöfen türmen sich riesengroße Halden von Styroporabfällen. Deswegen ist auch in diesem Hohen Hause Eile geboten. Auch den Handwerkern steht das Wasser bis zum Hals.
Deswegen beantrage ich für meine Fraktion, dass wir nicht den langen Weg und das lange Verfahren über die Beratungen im Umweltausschuss anstreben, sondern dass wir hier heute eine sofortige Abstimmung herbeiführen.
Vielen Dank, Herr Kollege Hocker. - Nun hat das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Herr Kollege Bajus.
Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! HBCD wurde lange Zeit als Flammschutzmittel in Dämmplatten eingesetzt; kein Zweifel. HBCD ist aber ein Umweltgift. Es ist extrem langlebig, verbreitet sich über weite Entfernungen und reichert sich in Organismen von Menschen und Tieren an.
Die bromhaltige Verbindung wurde sogar schon in der Arktis nachgewiesen, weitab von jeder Industrie.
HBCD steht u. a. im Verdacht, fortpflanzungsschädlich zu sein, und wurde mit der Chemikalienverordnung REACH als besonders besorgniserregend eingestuft. Deswegen ist HBCD seit 2013 weltweit verboten.
Dass die FDP-Fraktion hier schlauer zu sein scheint als die weltweiten Umweltexperten, finde ich schon sehr erstaunlich. Zu glauben, dass unser Minister nicht vorneweg an die Umwelt denkt, wie auch unsere Fraktion, finde ich noch viel erstaunlicher. Hiermit dokumentieren Sie einmal mehr, dass Ihnen die Umwelt offensichtlich egal ist.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDPFraktion, es wäre doch grob fahrlässig, die Augen nun zu verschließen. Die HBCD-haltigen Dämmplatten wurden natürlich auch in Niedersachsen verwendet und werden jetzt bei Sanierungsarbeiten ersetzt. Aber es muss doch eine Entsorgung ohne Schäden für Mensch und Umwelt sichergestellt werden. Darum geht es doch. Deshalb ist die nunmehr vorgenommene Einstufung von mit HBCD ausgerüsteten Dämmplatten als gefährlicher Abfall völlig richtig; denn es geht um die Gesundheit von Menschen. Das muss uns doch am wichtigsten sein. Das können Sie hier doch nicht allen Ernstes vertreten!
Die nun von Ihnen geforderte Rücknahme der Abfallverzeichnis-Versordnung geht völlig am Problem vorbei. Sie löst keine Probleme, sondern sie verschärft sie zulasten von Mensch und Natur.
Was im dringenden Interesse des Handwerks und des Baugewerbes tatsächlich notwendig ist, ist eine schnelle Behebung des entstandenen Entsorgungsengpasses. Da sind wir komplett bei Ihnen. Die Betonung liegt dabei allerdings auf „schnell“. Die von Ihnen geforderte Bundesratsinitiative wäre jedoch genau das nicht, nämlich keine ausreichende schnelle Hilfe.
Wie Lesewillige den Antworten in den Drucksachen 6785 und 6855 entnehmen können, hat das Umweltministerium bereits frühzeitig Maßnahmen ergriffen. Polystyrolabfälle mussten auch schon in der Vergangenheit thermisch entsorgt werden. Das Umweltministerium hat nun im Vorgriff auf die neue Bundesregelung für ein unbürokratisches Anzeigeverfahren gesorgt, mit dem sich Abfallverbrennungsanlagen für die Verwertung dieser Dämmstoffe qualifizieren können. Leider haben die Anla
genbetreiber dies zunächst nur zögerlich umgesetzt. Daher hat das MU jetzt das Gespräch mit den Betreibern gesucht. Nunmehr nehmen die ersten MVAs in Niedersachsen diese Abfälle wieder zur Verwertung an. Dazu wird der Minister mit Sicherheit gleich noch mehr sagen.
Meine Damen und Herren, wegen der neuen Bundesregelung gab es einen kurzzeitigen Entsorgungsengpass, den die Landesregierung mittlerweile behoben hat.
Das alles ist auf einem guten Weg. Das war es auch schon zu dem Zeitpunkt, als dieser Antrag eingebracht wurde, was Sie aus den Antworten der Landesregierung zu Ihren eigenen Anfragen hätten entnehmen können.
Ich gehe daher davon aus, dass dieser Antrag nicht auf die realen Entsorgungsengpässe, sondern eher auf einem akuten Antragsnotstand in der FDP-Fraktion zurückzuführen ist. Ehrlich wäre es daher, Sie würden nicht die sofortige Abstimmung beantragen, sondern Ihren Antrag zurückziehen.
Vielen Dank, Herr Kollege Bajus. - Auf Sie gibt es eine Kurzintervention der Kollegin Frau König, FDP-Fraktion. Bitte!
Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte Herrn Bajus einmal fragen, ob er überhaupt über die Situation informiert ist, die wir im Moment vor Ort vorfinden. HBCD ist ein sehr hochgiftiger Stoff, der zum Teil in den Polystyrolen an den Wänden der Häuser klebt, vom Regen ausgewaschen wird und in den Untergrund gelangt. Haben Sie sich darüber schon einmal Gedanken gemacht?
Da wir davon ausgehen, dass dieser Stoff auf 800 Millionen m2 unserer Häuser klebt, möchte ich von Ihnen gerne wissen, wie diese Situation behoben werden kann und wie Sie dieses Zeug entsorgen wollen, wenn es mit Schimmelpilzen belastet ist und von den Häusern wieder abgenommen werden muss. Sind die Häuslebauer, die ihre Häuser unter völlig anderen Voraussetzungen mit diesem Material bestückt haben, damals darüber informiert worden, was sie hinterher möglicher
Danke. - Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vielen Dank, Frau König, für diese Intervention; denn Sie haben Ihre Ansprache mit dem Hinweis darauf eingeleitet, dass es sich um einen hochgiftigen Stoff handelt, dessen Entsorgung Sie wiederum aus der Abfallverzeichnis-Verordnung, also aus einem sicheren Weg, den der Bund jetzt vorschreibt, herausnehmen wollen.
Ich kann überhaupt nicht verstehen, warum Herr Dr. Hocker genau das Gegenteil von dem, was Sie sagen, formuliert hat. Er hat dazu aufgefordert, dass wir einen fahrlässigen Entsorgungspfad der Vergangenheit wiederaufnehmen. Wir erleben einmal mehr, dass wir die Sünden der Vergangenheit heute mit Verantwortung bewältigen müssen. Da sind alle gefragt.
Es ist nun einmal so: Wer sich damals auf solche Stoffe eingelassen hat - das haben wir alle an dieser Stelle vielleicht nicht gewusst, schon gar nicht die Bauherrinnen und Bauherren; aber das gilt genauso für alles andere -, muss Verantwortung dafür übernehmen. Wir müssen gemeinsam möglichst effiziente Lösungen dafür finden. Die können aber doch nicht in allererster Linie zulasten der Gesundheit und zulasten der Umwelt gehen, sondern die müssen wir gemeinsam solidarisch lösen. Das geht nicht so, wie Sie es vorschlagen. Wenn Sie sagen, das sei giftiges Zeug, dann muss man mit diesem Gift verantwortungsvoll umgehen. Aber das wollen Sie offensichtlich nicht. Das tut mir leid.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das ist ja ein recht schlanker und recht schmaler Antrag. In der Tat hat die Entsorgung von Styropordämm
platten insbesondere am Anfang für Irritationen gesorgt. Auch gab es dazu Anfragen von Abgeordneten der Fraktionen der CDU und der FDP. An dieser Stelle wurde dann aber auch für Klarheit gesorgt.
Wir wissen, dass Styropordämmplatten vom Bund als gefährlicher Stoff deklariert worden sind. Diese müssen nun bei Sanierungsarbeiten und bei Abbrucharbeiten auf Baustellen gesammelt, dokumentiert und an Entsorgungsfirmen zur thermischen Entsorgung weitergereicht und an der Stelle natürlich auch gesondert abtransportiert werden. Das bedeutet natürlich auch, dass das Handwerk vor gewisse Entsorgungsprobleme gestellt wird. Denn die Entsorgungsfirmen hatten zunächst keine Genehmigung zur Entsorgung. Dann mussten diese Styroporabfälle zunächst dort gesammelt werden.
Zur Annahme der Abfälle mussten die Positivkataloge der Abfallverbrennungsanlagen um einen entsprechenden Abfallschlüssel geändert werden. Deshalb hat das Ministerium - das geht auch aus der Antwort auf die Anfrage hervor - bereits im Vorfeld der Änderung am 22. Juli einen Erlass herausgegeben, der auf unbürokratische Weise durchaus die Möglichkeit zur Ergänzung des Positivkatalogs im sogenannten Anzeigeverfahren eröffnet hat.
In einem weiteren Erlass vom 30. September 2016 hat das MU zudem weiterhin festgelegt, dass gemischte Bauabfälle, die Wärmedämmplatten nur in untergeordneten Anteilen enthalten, fortgesetzt als nicht gefährlicher Abfall in Verbrennungsanlagen angenommen werden dürfen.