Protocol of the Session on June 5, 2008

Frau Kollegin, zunächst zu Ihrem Vorwurf, die Landesregierung und auch die sie tragenden Fraktionen hätten nichts hören und sehen wollen. Wir haben uns in den vergangenen drei Monaten - auch wenn drei Monate eine sehr begrenzte Zeit sind - in einem sehr langwierigen Prozess diesen Fragen gestellt und mit allen beteiligten Gruppen - das steht Ihnen ja eigentlich noch bevor; Sie sollten das auch einmal tun - darüber diskutiert, so z. B. mit der GEW, dem Philologenverband, mit Eltern, mit Schülern und auch mit anderen Verbänden und Organisationen. Ich erwarte nicht, dass Sie uns zustimmen. Wenn Sie etwas kritisieren, erwarte ich aber sehr wohl, dass Sie sich festlegen, was Sie eigentlich kritisieren. Sie kritisieren zum einen, alles seien nur Worthülsen. Zum anderen sagen Sie aber, unsere Taten seien Stückwerk. Was kritisieren Sie eigentlich? An anderer Stelle wollen Sie sofort etwas haben, während Ihnen etwas anderes zu lange dauert. Dann sprechen Sie von einem Schnellschuss. Ich kann Ihnen - auch zu Ihrer Forderung des Abiturs nach 13 Jahren - nur eines sagen: Erkennen Sie bei der Flexibilisierung der Zeiten und Wege - das ist die Formulierung von Herrn Möhrmann - doch einmal an: Sie können das Abitur nach 12 Jahren, nach 13 Jahren und in den verschiedensten Schulformen machen. Ich sage Ihnen jetzt etwas, was Sie vielleicht sehr schwer verstehen: Wissen Sie, was das ist? - Das ist ein Stück Freiheit. Das wollte ich Ihnen zum Nachdenken mit auf den Weg geben.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Frau Kollegin Reichwaldt, möchten Sie antworten? - Sie haben für anderthalb Minuten das Wort.

Sie meinen, es sei ein Stück Freiheit, wenn Sie eine Situation schaffen, in der Schülerinnen und Schüler krank werden? - Ich habe einen anderen Begriff von Freiheit!

(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)

Für die FDP-Fraktion hat nun Herr Kollege Försterling das Wort. Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch ich möchte mit einem Zitat beginnen. Man kann hier ja das eine oder andere Extrem zitieren. Frau Korter, Sie haben das eine sehr tragische Extrem zitiert. Ich zitiere einmal etwas anderes. Ich zitiere das, was auf die Frage „Habt ihr noch genug Zeit für außerschulische Aktivitäten?“ von einem Jungen Liberalen aus dem Ammerland geantwortet wurde.

(Heiterkeit)

- Das ist ja nichts Schlimmes. Einmal ganz im Ernst: Wir pflegen innerhalb der FDP durchaus einen ehrlichen Umgang miteinander. Das heißt, dieser Junge Liberale wird mich nicht angelogen haben.

(Kreszentia Flauger [LINKE]: Aber sonst gehen Sie mit niemandem um!)

Er sagte: Ich selbst engagiere mich sehr viel. Ich bin im Schulvorstand unserer Schule, in mehreren AGs, im Vorstand der JuLis im Ammerland, ich bin Jugendbetreuer und Mitglied des Spielmannszuges, ehrenamtlicher Mitarbeiter in einer Bücherei und Leiter eines Biogasprojektes in Zusammenarbeit mit vielen großen Firmen.

(Zuruf von den LINKEN: Das war es schon?)

Es ist erstaunlich, wie er das alles hinbekommt. Noch eine kurze Randbemerkung im Hinblick auf unsere ökologische Wahrnehmung: Ein Junger Liberaler arbeitet bei einem Biogasprojekt mit!

Natürlich gibt es aber auch Sorgen und Nöte. Die Diskussion über die Zeit bis zum Abitur wird fast bundesweit geführt. Davon ausgenommen sind die neuen Bundesländer, die nach der Wiedervereinigung beim Abitur nach zwölf Jahren geblieben sind. Dort funktioniert es ja. Warum führen wir diese Diskussion überhaupt? Warum wollten wir

das Abitur nach zwölf Jahren? - Weil es unseren Jugendlichen die lang ersehnte Möglichkeit eröffnet, früher mit einer Ausbildung zu beginnen und damit einen international vergleichbaren Berufseinstieg zu finden.

Da hier wieder deutlich geworden ist, dass Sie das Problem noch nicht erkannt haben, möchte ich dies mit einigen Zahlen belegen: 56,5 % der männlichen Abiturienten sind im Bundesdurchschnitt 20 Jahre alt oder älter. Bei den weiblichen Abiturienten sind es 50,1 %. Ich habe vorhin gesagt, dass in einigen neuen Bundesländern das Abitur nach zwölf Jahren beibehalten worden ist. Insofern ist der bundesweite Schnitt, finde ich, relativ dramatisch. Ich wiederhole es: Deutlich über 50 % der Abiturientinnen und Abiturienten sind 20 Jahre alt oder älter. Das heißt, sie haben schon einen Großteil ihrer Lebenserwartung hinter sich gebracht,

(Lachen bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

bevor sie überhaupt in der Lage sind, mit einer Berufsausbildung zu beginnen.

(Zustimmung bei der FDP)

Setzen wir die Rechnung von vorhin einmal fort. Da wir in Niedersachsen zurzeit noch das Abitur nach 13 Jahren haben, liegt das Alter beim Eintritt in die Berufsausbildung in Niedersachsen noch deutlich höher als im Bundesdurchschnitt. Das hat uns zum Handeln bewogen. Insofern ist unsere Entscheidung auch richtig und konsequent.

Herr Kollege Försterling, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein, so viel Zeit habe ich nicht mehr. - Wenn Sie jetzt noch berücksichtigen, dass die Uniabsolventen im Durchschnitt 27,9 Jahre alt sind, wird deutlich, dass eine Rückkehr zum bzw. ein Festhalten am Abitur nach 13 Jahren - dies wurde in der ersten Debatte über den Antrag der Grünen ja auch von der SPD als kritisch angesehen - nicht der richtige Weg wäre. Jetzt laufen Sie von der SPD den Grünen aus Opportunismus wieder einmal hinterher. Das ist wirklich traurig. Aber über Ihre Situation möchte ich hier gar nicht sprechen.

Es wäre daher nicht gerechtfertigt und nicht im Sinne der Jugendlichen in Niedersachsen, dass wir den Schulen die Wahlmöglichkeit geben. Das würde zu einer undurchsichtigen Schullandschaft füh

ren und kann daher gar nicht zum Wohle unserer Schülerinnen und Schüler sein. Es ist schon merkwürdig, wenn Sie bei der Eigenverantwortlichkeit der Schule in dieser Frage betonen, dass man den Schulen die Wahlmöglichkeit geben solle, wenn Sie den Eigenverantwortlichen Schulen jetzt aber gleichzeitig vorschreiben wollen, dass sie Doppelstundenkonzepte umsetzen müssen. Das ist für mich wirklich ein Dissens. Ich verstehe nicht, was Sie unter Eigenverantwortlichkeit verstehen.

Weil es diese Sorgen und Nöte gibt, haben wir uns als FDP-Fraktion bei unserem Bildungskongress natürlich auch mit diesem Thema beschäftigt. Auch wir haben vor diesem Hintergrund Gespräche mit Eltern, Lehrern und Schülern geführt. Bei unserem Bildungskongress kam dabei heraus, dass sich niemand die Rückkehr zum Abitur nach 13 Jahren wünscht. Vor dem Hintergrund dieser Gespräche kann ich auch sagen, dass wir voll und ganz hinter dem Aktionsplan der Kultusministerin stehen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Es sind die richtigen Maßnahmen, die hier getroffen werden und die auch kurzfristig helfen. Schauen Sie sich jetzt bitte Ihre Anträge noch einmal genau an und versuchen Sie einmal, herauszuarbeiten, welche kurzfristigen Maßnahmen darin vorgesehen sind. Die einzige kurzfristige Maßnahme ist, dass Sie hingehen und den Schülern sagen: Ätsch, Pech gehabt, umsonst angestrengt, ihr müsst trotzdem noch ein Jahr länger in der Schule bleiben. - Das ist Ihre einzige kurzfristige Maßnahme. Wir können das aber nicht unterstützen, weil das nicht im Sinne unserer Schülerinnen und Schüler ist.

(Frauke Heiligenstadt [SPD]: Das stimmt doch überhaupt nicht! Lesen Sie unsere Anträge doch noch einmal durch!)

Lassen Sie mich noch kurz etwas zu den Klassengrößen sagen. Das Problem ist uns bekannt. Im Koalitionsvertrag haben wir ja nicht umsonst festgelegt, dass wir die 400 Lehrerstellen im System belassen wollen. Aber wir könnten das natürlich auch einfach so machen, wie Sie es von 1990 bis 2003 gemacht haben: kleine Klassengrößen und eine Unterrichtsversorgung von 80 %. Das ließe sich schnell umsetzen. Aber dafür sind Sie abgewählt worden; und wir lernen ja aus Ihren Fehlern.

Deswegen kann man die Anträge der Fraktionen der SPD und der Grünen nur ablehnen.

Herr Poppe, lassen Sie mich noch eines sagen: Sie haben ja „Die Entdeckung der Langsamkeit“ von Sten Nadolny zitiert. Zu Ihnen passt ein Buch desselben Autors: „Ein Gott der Frechheit“.

(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU)

Danke schön. - Zu einer Kurzintervention hat sich Herr Kollege Dr. Sohn von der Fraktion DIE LINKE zu Wort gemeldet. Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sie müssen mit Herrn Försterling sanft umgehen. Er hatte nämlich gestern einen schweren Abend, den wir mit zwei weiteren Mitgliedern unseres Hauses gemeinsam verbracht haben. Am Gymnasium in Vechelde gab es nämlich eine Diskussion mit ungefähr 80 Eltern und Lehrern über das Thema: G8 - Chance oder Dauerstress? - Das Ergebnis war, dass Herr Försterling und Herr Höttcher gestern keine Schnitte gekriegt haben.

(Zustimmung bei der LINKEN - Björn Försterling [FDP]: Ich bin satt nach Hause gekommen!)

Am meisten Beifall - das muss ich selbstkritisch sagen - haben nicht die Kollegen von den Grünen, von der SPD und ich bekommen, sondern die besorgten Eltern, die in sehr ergreifenden Worten darauf hingewiesen haben, dass diese Geschichte vollends verkorkst ist. Sie haben an uns alle appelliert: Geben Sie unseren Kindern die Kindheit zurück! - Dafür gab es gestern Abend den stärksten Beifall.

(Beifall bei der LINKEN und Zustim- mung bei der SPD und bei den GRÜ- NEN)

Hier wiederholt sich ein bisschen das Szenario von gestern. Diese Regierung leidet unter Realitätsverlust. Gestern war auch ein Mitglied des hier so gerühmten runden Tisches anwesend - eine Kollegin -, die auf den Einwurf von Herrn Höttcher, es gebe doch den runden Tisch, gesagt hat: Der runde Tisch läuft so ab: Wir sagen etwas, die Ministerin sagt „Nein, wir machen das anders“, und das ist der runde Tisch gewesen.

(Björn Försterling [FDP]: Das hat sie so nicht gesagt! Das zitieren Sie völlig falsch!)

Im Kern ist gestern geäußert worden, dass es zwar einige kleine Trostpflästerchen oder Lackschädenbeseitigungen gibt - - -

Ihre Redezeit von anderthalb Minuten ist zu Ende, Herr Dr. Sohn.

(Dr. Manfred Sohn [LINKE]: - - - aber dass die wahren Geburtsfehler des G8-Projektes nicht behoben worden sind! Das ignorieren Sie! - Beifall bei der LINKEN)

- Herr Dr. Sohn, das Mikrofon ist abgestellt.

Ich rufe Frau Kollegin Korter von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu einer Kurzintervention auf. Sie haben anderthalb Minuten Redezeit.

Frau Präsidentin! Herr Kollege Försterling, Sie haben mit einem Jungliberalen aus dem Ammerland gesprochen. Ich glaube, das ist nicht repräsentativ. Das ist eine dünne Datenlage.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Sie haben gesagt, die Abiturienten sind zu alt. Ich mache Ihnen einen Vorschlag, den Ihr Kollege Schwarz schon immer abgelehnt hat: Wenn wir das Sitzenbleiben abschaffen und die individuelle Förderung weiter ausbauen,

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der SPD)

dann sparen wir auch ein Jahr. Denn ein Drittel aller Schülerinnen und Schüler bleibt einmal sitzen.

Sie meinen, mit dem Herunterpressen des Stoffes von neun auf acht Jahre Gymnasium würden Sie die Studierfähigkeit verbessern. Wir hören aber von allen Gymnasien: Es wird nur noch gepaukt; der Stoff, für den die Schülerinnen und Schüler noch gar nicht reif sind, wird nach unten verlagert. - Das wird sich auf die Studierfähigkeit frappierend auswirken. Sie müssen einmal weiterdenken und erkennen, dass das der falsche Weg ist. Sie haben nicht die richtigen Strukturen eingeleitet.

Wir haben kurzfristige Maßnahmen vorgeschlagen, die noch in diesem Jahr eingeleitet werden sollen: kleinere Klassen im 10. Jahrgang, Mittagessen an den Schulen, Hausaufgabenreduzierung. Davon wollen Sie nichts wissen. Wir haben auch langfristige Maßnahmen vorgeschlagen. Sie sagen dazu: Wir sehen da eigentlich keine Probleme. - Das ist