Protocol of the Session on June 5, 2008

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Zweitens finde ich es ganz schön bedenklich, dass Sie sich in Ihren Bildungskonzepten und gerade auch in Ihrer Rede auf die Meinung der Industrie- und Handelskammer berufen haben.

(Zuruf von der CDU: Wieso ist das bedenklich?)

Dass Sie sich die Bildungspolitik von der Industrie- und Handelskammer formulieren lassen, finde ich ziemlich merkwürdig. Wir wollen Bildungspolitik für die Schülerinnen und Schüler von den Schülerinnen und Schülern und nicht einzig im Interesse der Industrie- und Handelskammer.

(Björn Försterling [FDP]: Die stellen später die Arbeitsplätze zur Verfü- gung!)

Danke schön.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Danke schön. - Frau Bertholdes-Sandrock möchte antworten. Auch Ihnen stehen anderthalb Minuten Redezeit zur Verfügung.

Lieber Kollege, die Zeit reicht jetzt nicht aus - - - Jetzt hören Sie bitte auch zu!

(Heiner Bartling [SPD]: Sind Sie ein- mal Lehrerin gewesen?)

- Aber ich habe gelernt zu diskutieren. - Die Zeit reicht leider nicht aus, um Ihnen all das zu sagen, was ich Ihnen sagen möchte. Deswegen ganz kurz: Wir nehmen die Sorgen und Ängste ernst. Sie behaupten, wir ignorierten sie. Kann man das von jemandem sagen, der diesen runden Tisch eingerichtet hat, dort alle Beteiligten herangerufen hat und der sich im Grunde einvernehmlich mit allen Leuten hat einigen können? - Das stimmt doch wohl nicht.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Und dann sage ich Ihnen eines: Ich bin sehr ungern belehrend, aber die eine oder andere Anreicherung Ihrer Gedanken gestatten Sie mir schon, wenn Sie kritisieren, dass wir auf die Industrie- und Handelskammer oder auch auf Wirtschaftsverbände schauen. Ich finde nämlich, dass das ausgesprochen nötig ist; denn das sind die „Abnehmer“ unserer Schüler. Wir sind darauf angewiesen, dass wir Schüler so qualifizieren, dass sie den Anforderungen hinterher gerecht werden und nicht nur dem, was Ihnen persönlich gefällt.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Für die Fraktion DIE LINKE hat nun Frau Kollegin Reichwaldt das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vorab eine kurze Bemerkung zu der Rede der Kollegin Bertholdes-Sandrock. Ich war gerade bei einer Besuchergruppe einer Schule aus Hannover. Sie hat mir über die Klassenfrequenzen in der Sekundarstufe I und auch in der Sekundarstufe II etwas ganz anderes erzählt. So niedrig scheinen sie doch nicht zu sein.

(Karin Bertholdes-Sandrock [CDU]: Es geht aber nicht um das Scheinen! - Gegenruf von Kreszentia Flauger [LINKE]: Die werden schon zählen können!)

Die Anfragen aus Schulen von Eltern und Schülerinnen und Schülern häufen sich. Das waren übrigens die ersten Anfragen, die mich hier in meiner Tätigkeit überhaupt erreicht haben. Da ging es um das Abitur nach 12 Jahren.

Der runde Tisch hat getagt. Die Ministerin ist zufrieden. Aber die Landesregierung will, meine ich, weiterhin nichts hören und sehen. Laut Aussage der GEW sind die Maßnahmen, die die Kultusministerin in Aussicht gestellt hat, um diese unerträgliche Situation abzumildern, letztlich nur Stückwerk. Während in anderen Bundesländern zumindest Teillösungen für den Übergang zum Abitur nach 12 Jahren bestehen, wird hier starr an dieser katastrophal schlecht organisierten Schulzeitverkürzung festgehalten. Gleichzeitig wächst die Anzahl derjenigen, die das Gymnasium in Richtung Haupt- und Realschule verlassen, ebenso wie der Bedarf an Gesamtschulplätzen; denn dort dürfen die Schülerinnen und Schüler das Abitur weiterhin nach 13 Jahren machen und finden dort das nach unserer Meinung bessere pädagogische Konzept.

Zu diesem Thema kommen, wie in anderen Bereichen auch, nur Worthülsen vonseiten der Landesregierung. Aber diese Schulsituation, die unsere Schülerinnen und Schüler zurzeit trifft, macht krank.

Zu den geplanten Maßnahmen des Kultusministeriums: Ein paar Stunden weniger, nur noch ein Nachmittag mit Regelunterricht in der Woche und andere Änderungen sollen ausreichen, um den Druck abzumildern. Das reicht nicht. Wenn überhaupt ein Abitur nach 12 Jahren abgelegt werden soll, ist das nur in richtigen Ganztagsschulen mit den entsprechenden konzeptionellen Änderungen für den gesamten Tagesablauf in der Schule möglich.

(Beifall bei der LINKEN und Zustim- mung bei den GRÜNEN)

Mit Ihrer Erlaubnis zitiere ich aus der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung von Anfang dieser Woche den Leiter einer Schule in Hannover: An drei Tagen in der Woche von 8 bis 15 Uhr durchgehend - das ist Wahnsinn.

Eine Maßnahme fehlt im Katalog der Ministerin völlig: die Senkung der Klassenfrequenzen.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Das Problem des kommenden Doppeljahrgangs 2011 mit seinen Auswirkungen auf den Bereich der beruflichen Bildung und den Hochschulzugang ignoriert die Landesregierung. Bei der Massenflucht der Studierenden aus Niedersachsen, die jetzt aufgrund der hohen Studiengebühren eingesetzt hat, wird das Jahr vielleicht auch gar nicht so schlimm. Dann bleiben ja viele Plätze an den Hochschulen frei. Da rechnen Sie meiner Meinung nach falsch. Ich bin mir sicher, auch Niedersachsen wird die Studiengebühren wieder abschaffen. Wir werden jedenfalls alles dazu tun, was uns möglich ist.

(Beifall bei der LINKEN)

Als einziger Grund für das Abitur nach 12 Jahren wird die fehlende Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Schüler im Vergleich zum restlichen Europa genannt. Das ist kein pädagogischer Grund.

(David McAllister [CDU]: Das ist trotz- dem ein wichtiger Grund!)

Die LINKE ist - ich sagte es bereits vor vier Wochen - weiterhin grundsätzlich für das Abitur nach 13 Jahren. Das Vertrauen der Lehrerinnen und Lehrer zu dieser Landesregierung wurde durch den Zickzackkurs bei der Rückzahlung der Arbeitszeitkonten wahrhaftig gewaltig gestört. Mit dieser Form der Schulzeitverkürzung, meine ich, werden Sie auch noch letzte Reste vernichten.

Die Auseinandersetzung wird von der größten Lehrerdemonstration in Niedersachsen begleitet. Die Schülerdemonstrationen zu G8 haben begonnen. Für den 19. Juni ist, denke ich, in Hannover noch einiges zu erwarten.

Zu den vorliegenden Anträgen: Wenn wir davon ausgehen, dass das Abitur in Niedersachsen nach 12 Jahren abgelegt werden soll - mit der Mehrheit hier in diesem Hause ist das auch kaum anders zu erwarten -, ist es zwingend notwendig, alle betroffenen Gymnasien in echte Ganztagsschulen umzuwandeln. Finanzierungsvorschläge und ein Sofortprogramm dazu müssen auf den Tisch.

(Beifall bei der LINKEN)

Dazu liegt auch einiges im Antrag der Grünen vor.

(David McAllister [CDU]: Sie werden also Haushaltsanträge stellen? - Björn Försterling [FDP]: Und die Gegenfi- nanzierung?)

- Das werden wir machen. - Ein Doppelstundenkonzept als erster Schritt ist notwendig und sinn

voll. Am wichtigsten ist allerdings die sofortige Reduzierung der Klassenfrequenzen auf 24 für die 10. Klasse und möglichst nicht mehr als 30 für die Sekundarstufe I. Diesbezüglich geht der heute zur Abstimmung anstehende Antrag von Bündnis 90/Die Grünen richtigerweise weiter als der Antrag der SPD. Sie müssten dann erheblich mehr zusätzliche Lehrkräfte einstellen als geplant.

(David McAllister [CDU]: Das werden Sie beim Haushalt dann auch bean- tragen?)

- Wir glauben, wir müssen grundsätzlich darüber diskutieren, ob der Bereich Bildung und Investitionen in Bildung nicht aus der allgemeinen Logik des Sparens herausgenommen werden müssten. Darüber werden Sie mit der Linken noch weiter diskutieren können.

(Beifall bei der LINKEN - Dr. Bernd Althusmann [CDU]: Können Sie denn bestätigen, dass der Bildungshaushalt in den letzten Jahren kontinuierlich angewachsen ist?)

- Er ist angewachsen, aber bei weitem noch nicht genug.

(Dr. Bernd Althusmann [CDU]: Um 17,4 %!)

Auch wenn wir grundsätzlich keinen Grund für die Verkürzung der Schulzeit bis zum Abitur auf zwölf Jahre sehen, werden wir vernünftigen Vorschlägen, die Situation des gebeutelten Doppeljahrgangs zu verbessern, nicht entgegenstehen. Trotz der Bedenken, die wir in Bezug auf den Vorschlag in beiden Entschließungen zur Flexibilisierung der Zeit bis zum Abitur auf 12 oder 13 Jahre im Rahmen der Eigenverantwortlichen Schule haben, werden wir dem heute zur Abstimmung anstehenden Antrag von Bündnis 90/Die Grünen zustimmen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Es ist besser, dass zumindest einige Schulen entlastet werden, als wenn gar keine entlastet werden. Auch die Vorschläge der GEW zur flexiblen Gestaltung der Oberstufe scheinen uns gut zu sein.

Eines ist für uns jedoch ganz sicher: Die Einführung des Abiturs nach zwölf Jahren unter den derzeit vorhandenen Bedingungen - eine Reform kann man dies ja nicht nennen - verschärft die sozialen Ausgrenzungsmechanismen unseres gegliederten Schulsystems immens. Dem werden wir uns mit

allen zur Verfügung stehenden Mitteln entgegenstellen. Wir stimmen dem Antrag zu. Die Debatte über den anderen Antrag wird weitergehen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Zu einer Kurzintervention auf die Ausführungen der Kollegin Reichwaldt hat jetzt Frau Kollegin Bertholdes-Sandrock von der CDU-Fraktion das Wort.

Frau Kollegin, zunächst zu Ihrem Vorwurf, die Landesregierung und auch die sie tragenden Fraktionen hätten nichts hören und sehen wollen. Wir haben uns in den vergangenen drei Monaten - auch wenn drei Monate eine sehr begrenzte Zeit sind - in einem sehr langwierigen Prozess diesen Fragen gestellt und mit allen beteiligten Gruppen - das steht Ihnen ja eigentlich noch bevor; Sie sollten das auch einmal tun - darüber diskutiert, so z. B. mit der GEW, dem Philologenverband, mit Eltern, mit Schülern und auch mit anderen Verbänden und Organisationen. Ich erwarte nicht, dass Sie uns zustimmen. Wenn Sie etwas kritisieren, erwarte ich aber sehr wohl, dass Sie sich festlegen, was Sie eigentlich kritisieren. Sie kritisieren zum einen, alles seien nur Worthülsen. Zum anderen sagen Sie aber, unsere Taten seien Stückwerk. Was kritisieren Sie eigentlich? An anderer Stelle wollen Sie sofort etwas haben, während Ihnen etwas anderes zu lange dauert. Dann sprechen Sie von einem Schnellschuss. Ich kann Ihnen - auch zu Ihrer Forderung des Abiturs nach 13 Jahren - nur eines sagen: Erkennen Sie bei der Flexibilisierung der Zeiten und Wege - das ist die Formulierung von Herrn Möhrmann - doch einmal an: Sie können das Abitur nach 12 Jahren, nach 13 Jahren und in den verschiedensten Schulformen machen. Ich sage Ihnen jetzt etwas, was Sie vielleicht sehr schwer verstehen: Wissen Sie, was das ist? - Das ist ein Stück Freiheit. Das wollte ich Ihnen zum Nachdenken mit auf den Weg geben.