Protocol of the Session on August 18, 2010

Vielleicht - damit möchte ich mein Plädoyer auf „Berücksichtigung“ schließen - sollte hier die Politik und Gesetzgebung einmal genauer über die Sach- und Rechtslage aufgeklärt werden, die sie sonst nur vom Schreibtisch aus kennt.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich erteile Herrn Kollegen Brunotte von der SPDFraktion das Wort. - Ich verbinde das mit dem Hinweis, dass die Fraktionen gebeten sind, bei den weiteren Beiträgen auf die Restredezeiten Obacht zu geben.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich spreche zur Eingabe 01203/08/16 von Rudolf Robbert, unserem ehemaligen Kollegen, zu intensivpädagogischen Einzelmaßnahmen im Ausland.

Rudolf Robbert hat uns eine Eingabe geschrieben, die, glaube ich, nicht nur den Sozialausschuss sehr nachdenklich gemacht hat, sondern auch zu sehr intensiven Debatten und Anhörungen geführt hat. Er hat die Situation von deutschen Jugendlichen in Maramures in Rumänien beschrieben. Diese Jugendlichen sind dort im Rahmen von sogenannten intensivpädagogischen Einzelmaßnahmen untergebracht. Nach wissenschaftlichen Erkenntnissen sind ungefähr zwei Drittel der Jugendlichen, die sich in solchen Maßnahmen befinden,

dort gegen ihren Willen. Das erklärte pädagogische Ziel scheint es, nachdem alle Maßnahmen in Deutschland nicht gegriffen haben, oftmals zu sein, sie fernab im Ausland unterzubringen und sie dort, wie man sagt, zu brechen.

Wir reden hier von schwarzer Pädagogik, die in den letzten Monaten und Jahren in vielen Medienberichterstattungen sehr kritisch begleitet wurde; mit Fragen wie: Welche berufliche Qualifikation haben eigentlich diejenigen, die dort die Trägerschaft übernehmen? Wie nachhaltig sind die Maßnahmen? Werden diese Jugendlichen beschult? Wie kann eine Wiederintegration in Deutschland gewährleistet werden? Wie sieht das mit der Kostenstruktur aus? - Kontrolle durch deutsche Behörden findet anscheinend in den seltensten Fällen statt. Eine Fach- und Rechtsaufsicht ist nicht vorhanden.

Der Sozialausschuss hat sich deshalb in einer Anhörung am 7. April mit Jugendämtern befasst, die Jugendliche nach Maramures in Rumänien geschickt haben; mit sehr erschreckenden Beispielen. Während das Jugendamt Buxtehude - zusammengefasst - gesagt hat „Wir wissen von nichts. Das interessiert uns eigentlich auch nicht. Hauptsache, die sind erst einmal weg“, hat das Jugendamt Celle gesagt: „Wir waren vor Ort. Wir haben uns das angeschaut. Seitdem fährt kein Jugendlicher aus Celle mehr auf eine solche auslandspädagogische Maßnahme, weil wir das nicht verantworten können und verantworten wollen.“ -

Wir haben Professor Christian Pfeiffer im Sozialausschuss dazu gehört, der das Ganze aus wissenschaftlicher Sicht dargestellt hat. Er sprach von einem Export auffälliger Jugendlicher und von einem sehr schrägen Bild, das anscheinend bei den entsendenden Jugendämtern vom Aufnahmeland besteht, zumal nicht bekannt ist, dass wir schwierige Jugendliche aus anderen Ländern aufnehmen. Es gibt keine Evaluation der Maßnahmen und keine Statistiken über Rückfallquoten und auch keine finanzielle Transparenz.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich will mich an der Stelle beim Sozialausschuss sehr herzlich dafür bedanken, dass wir uns so lange mit dieser Thematik befassen konnten. Die Skandale, die uns in den letzten Jahren beschäftigt haben - bei den Heimkindern, in den Internaten und Ferienlagern und vieles mehr -, werfen natürlich immer auch die Frage auf, wie das passieren konnte und was das für die Politik bedeutet.

Rudolf Robbert hat in seiner Petition konkrete Forderungen aufgestellt: Das Land muss alle Einrichtungen überprüfen, in denen schwer erziehbare Kinder und Jugendliche im Ausland untergebracht sind. Das Land muss überprüfen, wie viele Kinder in solchen Einrichtungen sind. Das weiß heutzutage niemand. Außerdem muss das Land die Unterbringung in solchen Verhältnissen untersagen, und es muss überprüfen, wie die finanziellen Mittel verwendet werden. - Er legt den Finger eindeutig in die Wunde des Landes. Nach Abschaffung des Landesjugendamtes ist hier viel Kompetenz verloren gegangen.

Der Ausschuss hat mehrheitlich für „Erwägung“ plädiert. Wir sprechen uns für „Berücksichtigung“ aus, weil wir meinen, dass die Eingabe so detailliert ist, dass sie sich umsetzen lässt und politisch umgesetzt werden muss. Das ist die Pflicht, die dieser Landtag hat.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung von Helge Limburg [GRÜNE])

Ich erteile der Kollegin Staudte von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort zur Eingabe 1203.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch ich spreche zu der Petition, zu der Herr Brunotte soeben gesprochen hat.

Durch die Eingabe des ehemaligen Landtagsabgeordneten Herrn Robbert und die Anhörung, die der Sozialausschuss infolge zu dem Thema Auslandspädagogik durchgeführt hat, ist klar geworden, dass wir wirklich einen sehr dringenden Handlungsbedarf haben, was die Kontrolle von auslandspädagogischen Maßnahmen angeht.

Ich möchte aber betonen, weil es in dem Beitrag vorhin nicht so herüberkam, dass für uns Grüne gar keine Zweifel bestehen, dass in den allermeisten Projekten im Ausland eine ganz hervorragende Arbeit geleistet wird und dass wir sie auch weiterhin haben wollen und fordern.

Wir müssen aber nach der Anhörung auch feststellen, dass es überall schwarze Schafe gibt. Insbesondere in einem Segment, in dem die potenzielle Gewinnspanne enorm hoch ist, weil auf billige Hilfskräfte im Ausland - hier rumänische Bauernfamilien - zurückgegriffen werden kann, ist die

Gefahr, dass sich dort schwarze Schafe tummeln, sehr hoch.

Deswegen wollen wir, dass verpflichtende Qualitätskriterien erarbeitet werden und dass Kontrollen stattfinden. Das ist im Ausland sehr schwierig, weil das Hoheitsrecht deutscher Behörden zur Kontrolle dort eigentlich nicht vorliegt. Wir brauchen im Prinzip bilaterale Vereinbarungen, was diese Kontrollen angeht.

Es wäre natürlich gut, wenn wir noch ein Landesjugendamt hätten. Wir müssen an dieser Stelle feststellen, dass die Abschaffung durch SchwarzGelb ein großer Fehler war.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Wir unterstützen also diese Petition, die eine systematische Überprüfung dieser Projekte fordert. Hier muss wirklich berücksichtigt werden, hier muss gehandelt und darf nicht nur erwogen werden.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ebenfalls zu dieser Eingabe erteile ich dem Kollegen Böhlke von der CDU-Fraktion das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Trotz weitgehender Übereinstimmung in der Sache wurde die Beschlussempfehlung zu dieser Petition an den Landtag, an das heutige Plenum, im Sozialausschuss strittig behandelt und heute erneut strittig zur Abstimmung gestellt.

Der Landesregierung zu empfehlen, diese Petition zu berücksichtigen, wie von der SPD und anderen gefordert, bedeutet, dass diese Petition die Landesregierung dazu verpflichtet, im Rahmen des geltenden Rechts dem Wunsch des Einsenders zu entsprechen oder seiner Beschwerde abzuhelfen. Das ist die weitestgehende Form der positiven Erledigung einer Eingabe. Sie hat zur Voraussetzung, dass der Landtag das Anliegen ohne Einschränkung als gerechtfertigt bzw. die Beschwerde als berechtigt ansieht und zugleich anerkennt, dass es nötig und möglich ist, Abhilfe zu schaffen.

Das aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, kann die Landesregierung, wie wir wissen, gar nicht, weil sich die Rechtsgrundlage im Bundesrecht befindet und der entsprechende Paragraf des

SGB VIII als auch das Gesetz zur Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe, das sogenannte KICK-Gesetz, aus dem Jahre 2005 als Grundlage des Handelns gelten. Die zuständigen kommunalen Jugendämter, die hier angesprochen wurden, handeln aufgrund der bestehenden rechtlichen Grundlage autark und eigenständig, es handelt aber nicht das Land Niedersachsen.

Vor diesem Hintergrund und wegen der weitgehenden inhaltlichen Übereinstimmung haben wir nach ausführlicher Beratung beschlossen, die Landesregierung zu bitten, dies in Erwägung zu ziehen. Damit ist sichergestellt, dass eine nochmalige Prüfung der Angelegenheit seitens der Landesregierung eingeleitet wird und auch ggf. nicht berücksichtigte Tatsachen oder Gesichtspunkte in ihre Überlegungen mit einbezogen werden. Vor diesem Hintergrund ist das, was der Sozialausschuss empfiehlt, richtig. Daran möchten wir festhalten.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ich erteile dem Kollegen Riese von der FDPFraktion das Wort, ebenfalls zu dieser Eingabe.

Herzlichen Dank, Herr Präsident. - Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bitte die Fraktionen der Opposition, noch einmal zu erwägen, ob sie sich nicht dem Beschlussvorschlag „Erwägung“ anschließen können;

(Zuruf von der SPD: Nein!)

denn das ist eine sehr weit gehende Form der Berücksichtigung der Petition, die der Landesregierung die Sachverhalte, alle Diskussionen, die wir im Ausschuss geführt haben, insbesondere den Inhalt der Eingabe, sehr ans Herz legt und die ihr die Anregung zuteil werden lässt, das Mögliche zu tun.

Was das Mögliche ist, ist - das hat Kollege Böhlke gerade ausgeführt - im SGB VIII und entsprechend natürlich im niedersächsischen Ausführungsgesetz normiert.

Die Verantwortung für diese Maßnahmen, die bekanntlich nur im Ausnahmefall im Ausland stattfinden, obliegt den Trägern der Jugendhilfe, und zwar den örtlichen Trägern der Jugendhilfe. Zwei davon haben wir angehört.

Wie das einem nach einer solchen Ausschusssitzung oftmals ergeht, habe ich die Vorträge etwas anders als der Kollege Brunotte in Erinnerung. Zwar hat sich das Jugendamt Celle kritisch geäußert. Das Jugendamt Buxtehude aber hat uns eindeutig nahegebracht, dass sich die Jugendlichen, die aus Buxtehude in eine solche Maßnahme gegangen sind, dort sehr erfolgreich weiterentwickelt haben und hinterher sozialisiert waren.

(Vizepräsident Dieter Möhrmann über- nimmt den Vorsitz)

Ich darf Sie, meine Damen und Herren, noch darüber unterrichten, dass die Jugendämter insgesamt die Eckpunkte zur Durchführung von intensivpädagogischen Erziehungshilfen im Ausland des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge aus dem Jahr 2008 anerkennen. Darin ist das Verfahren sehr genau beschrieben.

Die Letztverantwortung bleibt beim örtlichen Träger der Jugendhilfe. Er ist gehalten, sich über die Mittel, die wir im internationalen Verkehr haben - Auswärtiges Amt usw. -, mit den örtlichen Autoritäten ins Benehmen zu setzen und einen Kommunikationskontakt zu unterhalten. Das Verfahren sichert eine erfolgreiche und transparente Durchführung der Maßnahme.

(Beifall bei der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Riese. - Mir liegen jetzt noch zwei Wortmeldungen von Herrn Meyer, Bündnis 90/DieGrünen, vor. Er spricht erstens zu der Eingabe zum Thema Langwedel und zweitens zum Thema Wietze. - Bitte schön!

(Jens Nacke [CDU]: Ich bin mal ge- spannt, was er jetzt für Faxen vor- trägt!)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich behandele die beiden Eingaben gleich zusammen. Sie beziehen sich beide auf den Agrarbereich. In der Eingabe aus Winsen geht es um die Wasserversorgung des umstrittenen Geflügelschlachthofes in Wietze. Wir haben über den größten Schlachthof Deutschlands mit 135 Millionen getöteten Tieren pro Jahr schon mehrfach diskutiert. Dieser Schlachthof verbraucht natürlich auch Unmengen an Wasser, und zwar bis zu 1,885 Millionen m3.

Der Petent wendet sich gegen eine Probebohrung, die dort stattgefunden hat, und eine vermutete Grundwasserentnahme in Winsen an der Aller. Bei dem zehntägigen Pumpversuch sei es durch Rückstau zur Anhebung des Grundwasserstandes in der Nähe eines FFH-Gebietes gekommen. Die Landesregierung und der Landkreis behaupten trotzdem, eine Beeinträchtigung des FFH-Gebietes sei völlig auszuschließen. Deshalb sei eine FFHVerträglichkeitsprüfung nicht erforderlich.

Wir sehen das anders. Wir stützen uns dabei auf verschiedene Gerichtsurteile und auf Aussagen des Bundesamtes für Naturschutz. Dort wird gesagt, eine FFH-Verträglichkeitsprüfung müsse durchgeführt werden, wenn nicht abstrakttheoretisch und offensichtlich in jedem Falle ausgeschlossen werden kann, dass es eine Beeinträchtigung gibt. Wenn es auch nur einen kleinen Hinweis auf eine Beeinträchtigung gibt, muss man eine FFH-Verträglichkeitsprüfung vornehmen. Diese ist hier nicht erfolgt. Deshalb beantragen wir bei dieser Petition „Berücksichtigung“.

(Beifall bei den GRÜNEN)