Protocol of the Session on April 30, 2010

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, dieser Antrag gehört vom Kopf auf die Füße gestellt. In der Begründung nämlich ist von vier Instrumenten die Rede, die auf europäischer Ebene aktuell angegangen werden und die beachtet und in ihren Chancen und Möglichkeiten genutzt werden sollten: erstens der Europäische Qualifikationsrahmen für lebenslanges Lernen, zweitens das Europäische Leistungspunktesystem für die Berufsbildung, drittens der Europäische Bezugsrahmen für die Qualitätssicherung in der beruflichen Aus- und Weiterbildung und viertens die gemeinsamen europäischen Grundsätze für die Ermittlung und Validierung von nicht formalen und informellen Lernprozessen. Wenn es den Diskussionen im Ausschuss gelingt, auch nur in einem Teil dieser Bereiche zu einer fundierten Einschätzung zu gelangen und in diese die Einzelbeispiele einzuarbeiten, von denen der Antrag ausgeht, dann wäre wirklich etwas gewonnen.

(Beifall bei der SPD)

So, wie er vorliegt, ist der Antrag eine Sammlung von Leerformeln und ein Antrag ohne Substanz mit einer Änderungswirkung gegen null.

Danke schön, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, zu einer Kurzintervention erteile ich jetzt Frau Korter von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Kollege Poppe, Sie hatten einige Fragen aufgeworfen, was Ihnen bei unserem Antrag noch unklar ist, nämlich z. B. wer die Schülerinnen und Schüler bei ihrem Übergang in die Ausbildung oder in ein Studium begleiten soll. Dazu gibt es verschiedene Möglichkeiten. Wir wollen der Eigenverantwortlichen Schule aber nicht vorschreiben, welche sie zu wählen hat, sondern sie soll ein verbindliches eigenes Konzept entwickeln. Denkbar wäre aber, dass sich eine Schule dafür Externe hereinholt, die solche Dinge schon machen. Denkbar wäre, dass man verbindliche Absprachen und Regelungen mit den Agentu

ren für Arbeit trifft, die in den Schulen dann verbindlich existieren. Denkbar wäre auch, durch die Landesregierung zu prüfen, ob dieses nicht auch Aufgabenfelder für Lehrkräfte sein könnten, die ansonsten aus gesundheitlichen Gründen pensioniert würden, weil sie nicht mehr die volle Stundenzahl mit einer ganzen Klasse mit Klassenlehreraufgaben u. Ä. bewältigen können, sehr wohl aber auf Grundlage ihrer Erfahrungen Einzelberatung mit Schülerinnen und Schülern auf diesem Weg vornehmen können.

Ich finde, es gibt viele Ideen, die wir dazu prüfen könnten. Ich bin gespannt, wie wir darüber im Ausschuss beraten können.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Herr Poppe möchte erwidern. Bitte!

(Filiz Polat [GRÜNE]: Wir möchten das im Ausschuss beraten!)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedanke mich für die Hinweise, die wir dann im Ausschuss tatsächlich behandeln können und werden, hätte mir allerdings bei einem Antrag mit einer klaren Forderung vorgestellt, dass diese darin schon skizziert worden wären.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD)

Jetzt hat Herr Försterling von der FDP-Fraktion das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bildungspolitik ist dann erfolgreich, wenn sie den jungen Menschen, den Schülerinnen und Schülern, Perspektiven aufzeigt, was man nach der Schule mit dem erworbenen Wissen alles erreichen kann. Dazu gehört eben auch, dass ich ihnen die europäische Perspektive aufzeige und den europäischen Weg offen darstelle, um Ausbildungsplätze zu gewinnen oder dort das Studium aufzunehmen.

Genau diese Perspektive möchte der Antrag von CDU und FDP den Schülerinnen und Schülern darstellen und mit auf den Weg geben. Deshalb würde ich über diesen Antrag von CDU und FDP

nicht ganz so despektierlich reden. Ich glaube, dass die Intention, die hier von CDU und FDP gesetzt werden soll, sehr, sehr wichtig ist. Ich bin sehr gespannt auf konstruktive Vorschläge vonseiten der SPD in den Beratungen.

So viel zum Antrag von CDU und FDP, der jetzt mit dem Antrag der Grünen gemeinsam beraten wird. Was möchten die Grünen, die uns monatelang in der Öffentlichkeit dafür gescholten haben, dass wir Berufsorientierung in die Haupt- und in die Realschulen bringen? Sie kritisieren jetzt plötzlich, dass wir das angeblich zu wenig machen würden, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Widerspruch bei den GRÜNEN)

Das ist nun wirklich absolut widersprüchlich, meine Damen und Herren. Was haben wir im Kultusausschuss nicht alles für Diskussionen geführt, dass wir angeblich, weil wir die Allgemeinbildung vernachlässigen würden, nach Inkrafttreten der Haupt- und Realschulerlasse keine vernünftigen Abschlüsse mehr vergeben! Jetzt kommt die Fraktion der Grünen und sagt, ihr müsst im Bereich der Berufsorientierung mehr machen, und nimmt überhaupt nicht zur Kenntnis, dass wir mit dem Hauptschulprofilierungsprogramm mit mehr als 12 Millionen Euro im Jahr genau hier den Schwerpunkt setzen und dass wir mit der Änderung der Erlasse „Arbeit in der Realschule“ und „Arbeit in der Hauptschule“ genau hier die Schwerpunkte setzen, um den Schülerinnen und Schülern Perspektiven für Berufsausbildung aufzuzeigen, und macht hier Vorschläge, die schon längst umgesetzt sind. Wer gibt denn in den nächsten drei Jahren mehr als 2 Millionen Euro für Kompetenzfeststellungsverfahren aus? - Das ist die Landesregierung. Das haben wir als Haushaltsgesetzgeber schon längst beschlossen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Sie dagegen nehmen das nicht zur Kenntnis und erheben das als eigenständige Forderung. Hinsichtlich des von Herrn Poppe in der Tat schon dargestellten Versuchs, ab dem Schuljahr 8 Ansprechpartner zu installieren, muss man doch einmal überlegen, was es bei einem Gymnasium für die Schuljahrgänge 8, 9, 10, 11 und 12 bedeutet, Ansprechpartner zu benennen, bis das Studium oder die Berufsausbildung aufgenommen werden. Für 750 Schülerinnen und Schüler an einem durchschnittlich groß bemessenen Gymnasium sollen individuelle Ansprechpartner eingeführt werden. Sie regen sich heute Morgen noch über Bürokratie in den Schulen auf und stellen dann

solche Anträge! Meine sehr geehrten Damen und Herren, Ihre Bildungspolitik ist völlig kopflos.

Für die Gymnasien sehen Sie aber überhaupt keine Berufsorientierung vor. Dazu steht bis jetzt auch nichts im Schulgesetz. Hier muss sich tatsächlich etwas verändern. Es gibt nämlich eine Menge Betriebe, die auch Gymnasiasten brauchen, u. a. um die Unternehmen eventuell zu führen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Meine Damen und Herren, es gibt zwei Wünsche nach Kurzinterventionen. Zunächst Frau Reichwaldt und dann Frau Korter.

Sie machen sich lustig darüber und verweisen dabei auf bürokratischen Aufwand, wenn wir fordern, dass die Gymnasiasten Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner für den Übergang in Ausbildung und Beruf finden sollten. Angesichts einer Studienabbrecherquote von über 20 % finde ich das geradezu sarkastisch. Finden Sie eine solche Quote in Ordnung?

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Försterling, ein Manko - auch bis zur Schulgesetznovelle des letzten Jahres - der Berufsorientierung, so wie sie im Schulgesetz festgeschrieben war, bestand darin, dass sie für Hauptschulen und in gewisser Weise auch noch für Realschulen, aber eben nicht für alle allgemeinbildenden Schulen in Niedersachsen detailliert beschrieben ist.

Ich möchte Ihnen einmal sagen, wie die Deutschen 2007 nach dem Kelly Global Workforce Index über ihre Berufsorientierung gedacht haben. Die Bertelsmann-Stiftung hat dies dokumentiert. Mehr als ein Drittel der deutschen Arbeitnehmer hätte lieber einen anderen Berufsweg eingeschlagen. Jeder siebente Deutsche gibt an, den falschen Beruf erlernt zu haben. Nur 42 % der Deutschen fühlen sich durch die Schule auf das Arbeitsleben gut vorbereitet.

Sie alle wissen, dass viele Ausbildungsberufe jetzt nur noch Abiturienten zur Verfügung stehen. Kurz gesagt, wir brauchen Berufsorientierung an allen Schulformen.

Im letzten Jahr ist Folgendes passiert und zu Recht auch im Ausschuss rechtlich diskutiert worden: Durch Ihre Schulgesetznovelle wird diese Spaltung zwischen Berufsorientierung, die teilweise durch Berufsbildung ersetzt wird, was nicht im Sinne unseres Bildungssystems ist - diese Spaltung zwischen Gymnasium, Realschule und Hauptschule - verschärft, wird die Durchlässigkeit insgesamt vermindert und werden Schüler in Bezug auf Berufsorientierung ungleich behandelt.

Wir wollen, dass die Vorbereitung auf das Arbeitsleben an allen Schulen geschieht. Das ist der Unterschied zu dem, was Sie in Ihrem Flickenteppich an Einzelmaßnahmen für Niedersachsen vorsehen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)

Ich sehe, dass Herr Försterling antworten möchte. Bitte! Vizepräsident Dieter Möhrmann:

Ich erteile jetzt Frau Korter, ebenfalls zu einer Kurzintervention, das Wort. Björn Försterling (FDP):

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Kurzinterventionen haben wieder deutlich gemacht, dass die Erlasse von der Opposition anscheinend nicht gelesen worden sind. Natürlich eröffnen wir die Möglichkeit, dass die Schulen das Neustädter Modell anbieten. Sie müssen es aber nicht anbieten. Jeder, der sich die Erfolgszahlen des Neustädter Modells ansieht, wird keinen Widerspruch gegen die Sinnhaftigkeit dieses Modells erheben. Deshalb ist es folgerichtig, dass es allen Schulen freigestellt wird, dieses Modell zu übernehmen.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Geschätzter Kollege Herr Försterling, Sie haben den Unterschied zwischen Berufsorientierung und -ausbildung immer noch nicht verstanden. Berufsausbildung wollen Sie bei den Haupt- und Realschulen nach Ihrem neuen Erlass in den Klassen 9 und 10 ermöglichen. Darin heißt es nämlich: In der 9. und 10. Klasse werden die Inhalte des ersten Ausbildungsjahrs vermittelt - obwohl niemand weiß, ob sie jemals anerkannt werden. - Das ist Ihr Neustädter Modell. Es steht auch im Erlass.

Ich will Ihnen auch zur Berufsorientierung in Gymnasien etwas sagen. Berufsorientierung findet auch in Gymnasien statt. In dem Antrag der Grünen steht ja, dass dort Praktika durchgeführt werden und dass in der zehnten Klasse nicht nur drei Wochen lang Praktika stattfinden, sondern dass im gesamten Schuljahr auch eine entsprechende Begleitung stattfindet. Glauben Sie tatsächlich, dass man Gymnasiasten ab der achten Klasse bis zum Studium staatlicherseits an die Hand nehmen muss, damit sie das richtige Studium aufnehmen? Sehr geehrte Frau Korter, Sie müssen den jungen Menschen in Niedersachsen ein bisschen Eigenständigkeit und ein bisschen Verantwortung zutrauen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Meine Damen und Herren, die letzte Wortmeldung ist die von Herrn Klare von der CDU-Fraktion. Bitte!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die berufliche Orientierung ist bei der Ausstattung der Schulen im allgemeinbildenden Bereich einer der Schwerpunkte gewesen. Unter diesem Aspekt ist der Hauptschulerlass gleich zu Anfang geändert worden, indem man hineingeschrieben hat, 60 bis 80 Tage beruflicher Orientierung seien in den Klassen 8 und 9 notwendig. Die neuen Erlasse für Haupt- und Realschule sehen sogar noch eine Ausweitung der beruflichen Orientierung vor: mindestens 80 Tage im Bereich der Hauptschule, mindestens 30 Tage im Bereich der Realschule.

Diese berufliche Orientierung ist genau das Erfolgsrezept, das Hauptschüler und Realschüler brauchen. Schauen Sie sich einmal an, was in den einzelnen Schulen geleistet worden ist, um ein spezifisches regionales Angebot im Bereich der beruflichen Orientierung zustande zu bringen! Dies erfolgte übrigens immer in Zusammenarbeit mit berufsbildenden Schulen, mit Betrieben und mit außerschulischen Partnern.

All das, was man sich als Schulmensch wünscht, wurde also umgesetzt, z. B. mehr Praktika und Zusammenarbeit mit den berufsbildenden Schulen. Wir nutzen die guten Werkstätten in den berufsbildenden Schulen aus. Die Schulträger freuen sich, dass die Nutzung zum Teil auch am Nachmittag stattfinden kann. Ich nenne weiterhin Praxistage in Betrieben und Schülerfirmen. Ich glaube, es gibt

überhaupt keine Hauptschule und keine Realschule mehr, die nicht eine Schülerfirma hat. Es ist also alles umgesetzt worden.

Auch in den Gymnasien gibt es natürlich eine ganze Reihe von Praktika, bei denen Gymnasiasten mit beruflicher Orientierung in Verbindung gebracht werden. Es kann durchaus sein, dass in diesem Bereich noch mehr geschehen kann. Es ist aber reichlich Unsinn zu sagen, dass, wie Sie es dargestellt haben, in diesem Bereich gar nichts stattfindet - Entschuldigung, das Wort Unsinn nehme ich zurück.

Frau Korter, nun ganz im Ernst: Sie sind über die Jahre seit 2003 durch die Gegend gelaufen und haben uns immer erzählt, wir würden die berufliche Orientierung übertreiben. Die allgemeinbildenden Kenntnisse würden gar nicht genug praktiziert werden können. Sie haben sogar angezweifelt, ob die allgemeinbildenden Abschlüsse überhaupt noch gelten könnten. Jetzt fordern Sie genau das Gegenteil von dem, was Sie bei Ihrer Kritik über Jahre hin von uns gefordert haben. Wir verstehen Sie in dieser Frage schon lange nicht mehr.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)