Protocol of the Session on February 16, 2010

betroffenen Person dargestellt und zugegeben werden.

Ich möchte Ihnen kurz unsere Überlegungen zu dem Gesetzentwurf der Linken skizzieren und darlegen. Dabei kann man in diesen Tagen nicht darauf verzichten, sich das gesellschaftspolitische Umfeld anzuschauen. In Deutschland werden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wegen Pfandcoupons über wenige Cents, Frikadellen vom Buffet ihres Arbeitgebers oder weiterer Bagatelldelikte abgemahnt, entlassen und auch um ihre Existenz gebracht. Auch in Niedersachsen werden in Ministerien und Behörden Landesbedienstete abgemahnt; sie bekommen Disziplinarmaßnahmen oder Kündigungen. Dutzende Staatsdiener in Niedersachsen sehen sich jährlich wegen mutmaßlicher Vorteilsnahme im Amt mit Disziplinar- und Strafverfahren konfrontiert. Teilweise handelt es sich dabei um Lappalien, teilweise vielleicht auch nicht. Aber unabhängig davon, ob sie ihre Schuld eingestehen oder leugnen, ob sie den Schaden zahlen oder das Geschenk zurückgeben, gilt: Einen Verstoß kann man nicht wieder rückgängig machen. Dieser Grundsatz gilt für alle gleich - vom Pförtner bis zum Ministerpräsidenten.

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der LINKEN)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, es gibt auch einen Anspruch auf Gerechtigkeit. Die Menschen haben kein Verständnis dafür, dass gleiche Tatbestände unterschiedlich behandelt werden und dass manche für sich das Recht herausnehmen, anders behandelt zu werden als andere.

Damit wären wir bei Punkt 2, den Konsequenzen. Welche Konsequenzen müssen denn aus einem Verstoß gegen geltendes Landesrecht resultieren? - Es sind die gleichen wie bei Landesbediensteten, ohne Ansehen und Abhängigkeit vom Amt, schließlich geht es auch um eine Vorbildfunktion für uns alle. Da reicht es bei Weiten nicht aus, wenn man sich entschuldigt. Fehlverhalten von Politikern kann nicht allein durch politisches Handeln ausgeglichen werden.

Beim Thema Sanktionsfähigkeit greift der Antrag der Linken leider ins Leere. Wenn eine Mehrheit im Niedersächsischen Landtag nicht bereit ist, einen Verstoß festzustellen, wird der Staatsgerichtshof nicht aktiv. Herr Dr. Biester hat ja gerade darauf hingewiesen, dass man im aktuellen Fall sicherlich keine Mehrheit im Parlament bekommen hätte, um den Staatsgerichtshof mit der Thematik zu befassen. Somit gibt es eine Inkonsequenz. Eigentlich

müsste man sagen, dass sich der Staatsgerichtshof ohne Parlamentsbeschluss eigenständig mit einem solchen Verstoß beschäftigen können müsste.

Wir sehen das im Grundsatz anders. Für uns Sozialdemokraten ist das Parlament der Souverän. So muss auch allein der Landtag den Verstoß eines Regierungsmitglieds feststellen können. Die juristische Bewertung und die Konsequenzen daraus müssen dann bei den Gerichten liegen.

Wir sind bei Punkt 3, dem Bild von Politik. Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich halte das, was wir im vergangenen Plenum erlebt haben, und den Umstand, mit welcher Arroganz mit einem Verstoß gegen das Ministergesetz umgegangen wird, für unerträglich. Für uns Politiker müssen die gleichen moralischen Ansprüche wie für jeden anderen Menschen gelten. Deshalb haben wir einen Missbilligungsantrag eingebracht, der während dieses Plenums beraten wird.

Ich frage mich vor allem als junger Abgeordneter immer wieder, wie es dazu kommt, dass Menschen draußen das Bild von Politik bekommen, das wir alle eigentlich nicht haben wollen, ein verzerrtes Bild der Realität und oftmals auch ein sehr schlechtes Bild von Politik in der Öffentlichkeit. Genau diese Affären, über die wir hier auch wieder reden müssen, sind es, die das Bild von Politik speisen, das Ansehen von Politik zerstören und das Bild von Politik in der Öffentlichkeit schwer und nachhaltig beschädigen. Ein moralischer Anspruch an gute Politik kann nicht allein durch Gesetzesänderungen erreicht werden. Hier sind wir alle durch eigenes Handeln und Verantwortungsbewusstsein gefragt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Antrag der Linken kann uns in seinen Folgen nicht überzeugen. Klar muss sein: Auch ein Ministerpräsident ist Gleicher unter Gleichen. Die Frage der Sanktionen kann mit der vorgeschlagenen Gesetzesänderung leider nicht geklärt werden. Wir freuen uns trotzdem auf eine rege Diskussion und Bewertung im Rechtsausschuss. Die politische Bewertung der Upgrade-Affäre Wulff ist jedoch davon losgelöst zu betrachten. Ich sehe aktuell keine Zustimmung der SPD-Fraktion für die von Ihnen eingebrachte Gesetzesinitiative.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Danke schön. - Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Kollege Limburg. Bitte schön, Sie haben das Wort.

(Björn Thümler [CDU]: Der Twitter- König!)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Jeder Mensch macht Fehler. In diesem Hohen Hause ist wohl niemand, der von sich selber ehrlicherweise behaupten könnte, noch nie in seinem Leben einen Fehler gemacht zu haben oder zukünftig keine Fehler zu machen.

(David McAllister [CDU]: Bei Ihnen wäre ich da im Zweifel!)

Aber wahr ist auch, dass ein Fehler, sofern er juristisch relevant ist, in der Regel Konsequenzen hat. Bei Ihnen, Herr Ministerpräsident Wulff, liegt zweifellos ein Verstoß gegen das Ministergesetz vor. Das haben Sie selbst ja zugegeben. Ob gleichzeitig auch ein Verstoß gegen § 331 StGB - Vorteilsannahme - vorliegt, darüber gibt es verschiedene Auffassungen. Die Staatsanwaltschaft Hannover ist zu dem Schluss gekommen, dass Ihnen juristisch nichts vorzuwerfen ist. Ich habe von vielen Juristinnen und Juristen gehört, dass sie diesen Fall deutlich anders bewerten und sehr wohl einen Verstoß auch gegen § 331 StGB bereits für vollendet ansehen.

(Zustimmung von Ina Korter [GRÜNE] - Björn Thümler [CDU]: Das ist bei Ju- risten so üblich!)

Meiner Ansicht nach ist das Hauptproblem aber nicht die Frage, ob Sie juristisch belangt werden oder nicht, Herr Wulff. Das Hauptproblem ist - das hat mein Kollege Brunotte gerade ausgeführt -, dass zahlreiche Beamtinnen und Beamte in diesem Land wegen weitaus geringerer Summen disziplinarisch belangt worden sind und sich zusätzlich noch einem Strafverfahren und gegebenenfalls weiteren Strafen aussetzen müssen.

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN)

Herr Wulff, wenn Sie nun davonkommen, Landesbedienstete aber Geldbußen wegen geschenkter Weintrauben, zugesagter Schulbücher und ähnlichen Kleinkrams bezahlen müssen, beeinträchtigt das das Gerechtigkeitsgefühl einer Gesellschaft. Wenn in der Folge auch nur der Eindruck entsteht,

dass vor dem Strafgesetzbuch eben doch nicht alle Amtsträgerinnen und Amtsträger gleich sind, wenn der Eindruck entsteht, dass bei dem einen eine Geldbuße wegen Weintrauben fällig wird und bei dem anderen wegen eines Upgrades im Werte von 3 000 Euro eine einfache Entschuldigung ausreicht, damit alles vergessen ist, dann ist das für einen Rechtsstaat sehr, sehr problematisch.

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN)

Diesem Eindruck müssen Sie, meine Damen und Herren von der Regierung, und vor allem auch Sie, Herr Wulff, entgegentreten, auch wenn Sie die ganze Zeit nicht zuhören und krampfhaft Akten und Briefe sortieren.

(Beifall bei den GRÜNEN - Zuruf von Ministerpräsident Christian Wulff - Ulf Thiele [CDU]: Im Gegensatz zu Ihnen kann er beides!)

Sie waren bislang nicht in der Lage, den Landesbediensteten zu erklären, warum sowohl die Fälle der Verfahren gegen Landesbedienstete als auch das Nichtverfahren gegen Sie selber so, wie das abgelaufen ist, in Ordnung waren. Das müssen Sie Ihren Landesbediensteten erklären.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Nun nehmen die Linken dieses Ereignis zum Anlass, um eine vereinfachte Ministeranklage zu fordern. Ich muss Ihnen sagen: Ich bin da sehr skeptisch. Eine Ministeranklage ist in gewisser Weise eine Form von Nebenstrafrecht, eine Art von Strafverfahren, die nur bei Verstößen gegen das Ministergesetz zur Anwendung kommt. Es soll eben kein politisches Kampfinstrument sein, sondern Ultima Ratio bei Rechtsbrüchen durch Regierungsmitglieder. Aber, meine Damen und Herren von der Linken, genau das wollen wir doch nicht: Sondervorschriften für Regierungsmitglieder im Bereich des Strafrechts. Nein, Herr Wulff ist kein König, sondern ein Amtsträger. Für ihn gilt das ganz normale Strafgesetzbuch wie für jeden anderen Menschen in diesem Land auch. Dorthin gehören die Sanktionen in erster Linie.

(Beifall bei den GRÜNEN - Glocke der Präsidentin)

Herzlichen Dank, Herr Kollege Limburg, auch für die Einhaltung der Redezeit. - Nächster Redner ist

Herr Prof. Dr. Dr. Zielke für die FDP-Fraktion. Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich werde nur über den Gesetzentwurf reden und nicht über irgendwelche Anlässe für den Gesetzentwurf.

(Lachen bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Der vorliegende Gesetzentwurf hat mich schon überrascht; denn er zeigt ein ganz originelles Staatsverständnis der Fraktion DIE LINKE. Zu unserem Grundverständnis von Demokratie gehört die Gewaltenteilung. Das heißt, Legislative, Exekutive und rechtsprechende Gewalt sollen unabhängig voneinander agieren. Diesen Grundsatz hat die Linke offenbar nicht oder noch nicht verinnerlicht, zumindest will sie ihn aufweichen. Da soll der Landtag einen hinreichenden Tatverdacht feststellen können, etwas, was bisher einzig und allein der Staatsanwaltschaft als einem Teil der Exekutive obliegt.

(Christian Meyer [GRÜNE]: Was ma- chen wir denn bei einem Immunitäts- verfahren?)

Ganz abgesehen davon, auf welche und wessen Ermittlungen der Landtag dabei zurückgreifen soll. Soll er bei den Medien nachfragen? Soll er auf allgemeine öffentliche Empörung reagieren oder aufgrund einzelner Anzeigen einzelner Bürgern tätig werden? Soll er selber ermitteln, vielleicht mit der Landtagsverwaltung als Ermittlungsbehörde? Oder soll vielleicht der GBD mit Recherchen beauftragt werden? - Das alles ist nicht ganz zu Ende gedacht.

Bisher kann der Landtag Mitglieder der Landesregierung anklagen, dass sie in Ausübung des Amtes und vorsätzlich die Verfassung oder ein Gesetz verletzt haben. Dazu braucht es im Übrigen eine Zweidrittelmehrheit. Der Linken geht es in ihrem Entwurf aber um die Festestellung eines Tatverdachtes für Taten, bei denen - so steht es ausdrücklich in der Begründung des Gesetzentwurfes - „die strafrechtliche Schwelle noch nicht überschritten ist“. Der Staatsgerichtshof wäre also gezwungen, sich mit nicht strafbaren Handlungen auseinanderzusetzen.

Aber es wird noch kurioser mit dem Staatsverständnis der Linken: Das Urteil des Staatsgerichtshofes soll gegebenenfalls im Ausspruch einer Missbilligung bestehen. Bisher ist es Aufgabe von

Gerichten, Recht zu sprechen, d. h. nach Recht und Gesetz im gerichtlichen Verfahren über einen Streitgegenstand zu entscheiden. Der Ausspruch einer Missbilligung ist keine solche gerichtliche Entscheidung.

Übrigens: Was ist eigentlich, wenn der Staatsgerichtshof nichts zu Missbilligendes erkennen kann? Spricht er dann eine Nichtmissbilligung aus, eine Billigung oder einen Freispruch, wahlweise wegen mangelnden Tatverdachts, wegen erwiesener Unschuld oder aus Mangel an Beweisen?

Meine Damen und Herren, liebe Freunde des Rechts,

(Heiterkeit)

Gerichte sind nicht dazu da, politisch-moralische Wertungen straffreier Handlungen in Form von Missbilligungen vorzunehmen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Solche Wertungen sind ureigenste Aufgabe der Politik und der politischen Auseinandersetzung. Wir sollten die politische Verantwortung nicht an die Gerichte delegieren und uns als Politiker nicht selbst kastrieren.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Herzlichen Dank, Herr Dr. Zielke. - Zu einer Kurzintervention haben Sie, Herr Kollege Adler, für anderthalb Minuten das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Dr. Zielke, Sie haben gesagt: Das Parlament kann doch nicht ermitteln. - Ich will Ihnen sagen: Es gibt für mich zwei Konstellationen. Das eine Instrument ist, dass das Parlament ermittelt, nämlich mit einem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss. Dieser Fall ist in der Geschichte dieses Parlaments schon vorgekommen, wegen verschiedener Verstöße eines Amtsvorgängers des Herrn Wulff. Wenn Sie einmal in die Archive gucken, dann werden Sie feststellen, wer den Antrag gestellt hat, einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss einzusetzen:

(Wolfgang Jüttner [SPD]: Wulff & Co. waren das!)