Protocol of the Session on February 16, 2010

(Ulf Thiele [CDU]: Die ganze Wissen- schaft?)

Es sind jedoch nicht nur die Lehren aus der Geschichte, die uns immer wieder nach der Verantwortung der Wissenschaft fragen lassen müssen.

Es ist auch die wachsende Bedeutung der Wissenschaft für unsere Gesellschaft, für Politik und Wirtschaft. Wir reden gerne - vor allem in Sonntagsreden - davon, dass wir in einer Wissensgesellschaft leben, was ja auch stimmt und nichts anderes heißt, als dass die Wissenschaft heutzutage in der Wirtschaft die treibende Kraft für Wachstum ist. Die Wirtschaft investiert nur in die Wissenschaft, die schnell verwertbares und kommerziell erfolgreiches Wissen verspricht. Das ist der Wirtschaft nicht vorzuwerfen; denn ihr Zweck ist ja nicht Wahrheitssuche - wie der der Universitäten -, sondern Gewinnerzielung.

Das Interesse der Wirtschaft an Forschung wächst. Immer mehr Forschung wird von der Wirtschaft finanziert, die damit zugleich Forschungsfragen und Forschungsgegenstand bestimmt. Diese Problematik der Drittmittelforschung lässt der Gesetzentwurf völlig außen vor. Sie konzentrieren sich hier auf die Landesförderung, die dem Problem aber nicht im Ansatz gerecht werden kann.

Meine Damen und Herren, nun sind in Gesetze gegossene Forschungsverbote und Forschungsbeschränkungen kein Novum. Es gibt sie als Reaktion darauf, dass die Forschung andere Grundrechte oder sogar die Garantie der Menschenwürde gefährden kann. Denken Sie an die Forschung an embryonalen Stammzellen, Techniken der Reproduktionsmedizin oder an Feldversuche mit genetisch veränderten Pflanzen! Soll also auch das Verbot von Kriegsforschung in ein Gesetz geschrieben werden? - Verfassungsrechtlich mag eine solche Gesetzesnorm sogar Bestand haben. Doch, Herr Perli, ist eine allgemeine Zivilklausel im Hochschulgesetz auch politisch sinnvoll? Das ist die Frage, die wir diskutieren. Was die Zielsetzung betrifft: Ja. Aber ist sie auch operationalisierbar? - Nur dann wäre sie vertretbar. Wir haben große Zweifel.

Es sollen ja auch Projekte verboten werden, die für zivile Zwecke forschen, aber eine militärische Nutzung nicht ausschließen, die sogenannten Dualuse-Projekte. Damit aber wird die gesamte Grundlagenforschung unter Generalverdacht gestellt und erst recht die angewandte Forschung. Denken Sie an die Informatik oder die Mobilitäts- und Logistikforschung. Was ist mit dem Forschungsflughafen Braunschweig? Schließen? Was ist mit dem Satellitenprojekt Galileo? Verbieten? - Damit, meine Damen und Herren, rede ich nicht einer unbegrenzten Forschungsfreiheit das Wort. Ich habe es hier schon gesagt: Verantwortungsethik im Sinne eines Bedenkens der Folgen und der Selbstbe

grenzung ist die Schwester der Wissenschaftsfreiheit. Diese kann man aber nicht per Gesetz verordnen. Herr Perli, ich halte daran fest: Eine gute Forschungspraxis erreicht man nur durch eine ethische Haltung in den Köpfen der Menschen als Gegenmacht gegen Verwertungsinteressen.

(Victor Perli [LINKE]: Wie erreichen wir die?)

Der Beitrag der Politik muss es sein, diesen ethischen Diskurs zu fördern. Zuallererst gilt es dabei, die Universitäten als Stätten freier Diskussion und Mitentscheidung zu sichern. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie die Studierenden müssen an Forschungsentscheidungen mitbeteiligt werden, damit sie Verantwortung übernehmen. Hochschulen müssen Orte der öffentlichen Diskussion sein. Erst recht gilt das für das Parlament, meine Damen und Herren, wo ebenso Diskussionen über das Verhältnis von Politik und Wissenschaft geführt werden müssen. Hier wurde eine große Chance vertan. Sich dieser Diskussion zu verweigern, wie es die Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP getan haben, ist ein Tiefpunkt demokratischer Kultur in diesem Hause.

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, dieses Ausmaß an ideologischer Borniertheit und politischer Ignoranz ist nicht nur schwer erträglich, es beschädigt auch unsere Demokratie.

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der LINKEN)

Ich erteile jetzt Frau Dr. Heinen-Kljajić das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! So unzureichend der im Gesetzentwurf der Linken vorgeschlagene Lösungsweg jedenfalls aus unserer Sicht ist, so relevant ist die danach zu stellende grundsätzliche Frage, nach welchen Regelungen und an welchen Orten entschieden wird, wo eigentlich die Grenzen der Forschungsfreiheit an unseren Hochschulen sind.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Leider, lieber Herr Perli, haben Sie in Ihrem Gesetzentwurf den Fokus ausschließlich auf militärisch relevante Forschung gelegt. Eine solche Ein

grenzung wird aus unserer Sicht dem eigentlichen Problem nicht gerecht. Forschungsprogramme, die neben der zivilen Nutzung auch im militärischen Sektor Anwendung finden, werden Sie zuhauf finden, aber kaum verbieten können oder verbieten wollen. Ausschließlich militärischen Zwecken dienende Forschung dürfte an unseren Hochschulen sicherlich existieren, aber die Ausnahme sein. Hier dann aber zwischen kriegsfördernd und nicht kriegsfördernd zu unterscheiden, dürfte in der juristischen Auslegung durchaus schwierig sein.

Wesentlich relevanter ist daher aus unserer Sicht die Frage, wo konkret an einer Hochschule und nicht abstrakt in einem Gesetz entschieden wird, in wessen Dienst man die eigene Forschung stellen darf. Das würde aber alle sicherheitsrelevanten Bereiche betreffen, also auch Genforschung, Kernforschung und Pharmazie, um nur einige Beispiele zu nennen.

Diese hochkomplexe Fragestellung über ein Gesetz zu lösen halte ich für eine Scheinlösung, Herr Perli. Das von Ihnen beschriebene Problem bekommt man so nicht in den Griff. Das waren vermutlich auch die Überlegungen, weshalb es seinerzeit aus dem NHG wieder herausgenommen wurde. Viel wichtiger wäre es, eine Transparenz darüber zu gewinnen, was mit welchen Forschungsmitteln an den Hochschulen geforscht wird, damit Grenzfälle öffentlich innerhalb wie außerhalb der Hochschulen thematisiert und diskutiert werden können. Das wäre beispielsweise über eine Veröffentlichungspflicht der Hochschulen herstellbar, lieber Herr Perli. Es wäre aus unserer Sicht sicherlich sinnvoll, wenn sich die Hochschulen einen Verhaltenskodex geben würden, dessen Einhaltung nicht nur von den Hochschulen selbst, sondern über Kommissionen geregelt würde, besetzt mit Vertretern gesellschaftlich relevanter Belange, Kirchen, Gewerkschaften usw. und selbstverständlich unter Beteiligung von Wissenschaftlern und Studierenden, die dann zu den Konfliktfällen Stellung nähmen. Nur so kann aus unserer Sicht eine zivilgesellschaftliche Kontrolle über das, was an unseren Hochschulen geforscht und gelehrt wird, gewährleistet werden.

Dass wir diese spannende und, wie ich finde, hochaktuelle Debatte im Ausschuss nicht haben führen können, ist mehr als bedauerlich. Der Kollege Perli hat den Ablauf eben bereits beschrieben. Dass Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP, den Gesetzentwurf im Wissenschaftsausschuss nicht beraten wollten, ihn dann aber in den mitberatenden Gremien ein halbes

Jahr lang haben schmoren lassen, ist engstirnig. Ihr reflexhaftes Abwehren jeder Debatte, die von den Linken angestoßen wird, zeugt nicht gerade von Vertrauen in die eigenen, vermeintlich besseren Argumente.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der SPD und bei der LINKEN - Wolfgang Jüttner [SPD]: Wenn man keins hat!)

Sie können natürlich mit der Mehrheit Ihrer Stimmen jederzeit beschließen, dass wir uns bestimmten Fragen oder Debatten erst gar nicht stellen. Es gibt bestimmt auch Anträge - wer auch immer sie gestellt hat -, bei denen es angezeigt ist, nicht tiefer darauf einzugehen. Aber im vorliegenden Fall, werte Kollegen, haben Sie mit Ihrer Debattenkultur sich selbst diskreditiert und nicht den Gesetzentwurf der Antragstellerin.

(Lebhafter Beifall bei den GRÜNEN und Zustimmung bei der SPD)

Ich erteile jetzt der Kollegin von Below-Neufeldt das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Mit der Drs. 16/2193 empfiehlt der Ausschuss, den von der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Vermeidung kriegsfördernder Aktivitäten an den Hochschulen abzulehnen. Das ist gut so.

Was - so frage ich mich hier sicherlich nicht allein - will uns die Linke mit einer solchen Vorlage weismachen? Soll das NHG ein neues rotes Label mit einem Friedensengel erhalten? Ist es die Friedensbotschaft von links? - Das glaubt Ihnen hier niemand, und der Bürger draußen genauso wenig.

(Hans-Henning Adler [LINKE]: So ähnlich wie das Grundgesetz!)

Fangen Sie mit der Vermeidung doch einmal bei sich selbst an! Vermeiden Sie es, Ihre Interpretationen, die ohne jegliche Substanz und ohne jeden Hintergrund sind, zu verbreiten!

(Patrick-Marc Humke-Focks [LINKE]: Sprechen Sie von Ihren Redebeiträ- gen?)

Wohin sollen Ihre Ängste und Gedanken führen? - Ich halte die Überlegungen im Gesetzentwurf der

Fraktion DIE LINKE einfach nur für überzogen und unterstelle Populismus an der falschen Stelle.

(Kreszentia Flauger [LINKE]: Sie woll- ten ja nicht einmal darüber reden!)

Ihre aus Ihrer Sicht gut gemeinten, aber schlecht gemachten Ziele sind einfach nur entbehrlich. Frau Dr. Andretta hat dazu in Teilen sehr gute Ausführungen gemacht.

Transparenz, wie von Frau Dr. Heinen-Kljajić gefordert, halte ich aber für nicht praxisgerecht. Niedersachsen ist ein Land, das für Innovation und Fortschritt steht. Damit verbunden ist auch die Stärkung von Wissenschaft und Forschung. Das Land investiert weit mehr als 2 Milliarden Euro in Wissenschaft und Forschung. Wissen und Wissenschaffen sind ohne Neugier und damit ohne Forschung nicht denkbar. Für die FDP sind Innovation und Fortschritt ganz zentrale Themen, immer verknüpft mit dem Gedanken, daraus wirtschaftlichen Nutzen zu generieren.

(Kreszentia Flauger [LINKE]: Ohne Grenzen?)

Forschung ist also gut und richtig. Artikel 5 des Grundgesetzes sichert der Forschung die Forschungsfreiheit zu.

Gesetze - jetzt wende ich mich noch einmal an die Fraktion DIE LINKE - liest man aber zu Ende, und man hört nicht schon bei Artikel 5 auf. Wir brauchen Ihre Gesetzesänderung nicht; denn wir haben etwas viel Besseres: Wir haben in Deutschland das Grundgesetz. Artikel 26 schafft eine klare Grundlage für eine friedliche Gesellschaft. Die FDP lehnt Ihren Gesetzesvorschlag weiterhin ab.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Zu einer Kurzintervention erteile ich der Kollegin Dr. Andretta das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Kollegin hat Artikel 26 zitiert. Ich möchte Absatz 1 vorlesen:

„Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzu

bereiten, sind verfassungswidrig. Sie sind unter Strafe zu stellen.“

Die Väter und Mütter unseres Grundgesetzes wollten damit Lehren aus der Geschichte und auch aus derjenigen Forschung ziehen, die sich in den Dienst eines menschenverachtenden Regimes gestellt hat. Das Ergebnis waren der Holocaust und die millionenfache Vernichtung von Menschen. Jetzt aber stellen Sie in einer äußerst demagogischen Art und Weise in Abrede, dass der vorliegende Gesetzentwurf die Absicht verfolgt, keiner Forschung, die militärischen Zwecken dient, Vorschub zu leisten. Wir alle sind gut beraten, die Lehren der Geschichte ernst zu nehmen, Frau Kollegin.

(Beifall bei der SPD und bei der LIN- KEN)

Zu einer weiteren Kurzintervention erteile ich dem Kollegen Perli das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau von Below-Neufeldt, diesen Worten von Frau Dr. Andretta brauche ich eigentlich nicht mehr viel hinzuzufügen.

(Zurufe - Unruhe - Glocke des Präsi- denten)

Ihre Worte waren sehr richtig und völlig zutreffend. Dass jetzt aber ausgerechnet die FDP den Artikel 26 anführt, obwohl sie in den letzten Jahren zahlreichen Kriegen zugestimmt und sich damit faktisch eines Verbrechens an diesem Artikel schuldig gemacht hat, halte ich für ganz schön hanebüchen.

(Hans-Christian Biallas [CDU]: Was? Unglaublich! Jetzt reicht es hier aber! Wir müssen uns doch nicht jeden Blödsinn anhören! Das ist eine Unver- schämtheit hier! - Weitere Zurufe)