Protocol of the Session on December 10, 2008

Zweite Frage: Es gibt ja Löschungsfristen für bestimmte Straftaten, nach denen Strafurteile gelöscht werden. Das ist Ihnen bekannt. Muss nicht entsprechend auch für solche Gefangenenakten gelten, dass sie nach bestimmten Fristen vernichtet werden sollten, um zu verhindern, dass darüber noch nach 40 Jahren in den Medien berichtet wird?

Herr Minister Busemann!

Herr Präsident! Herr Kollege Adler, ich beginne mit der zweiten Frage. Es ist natürlich klar, dass es für Straftaten, egal welcher Art, irgendwann eine bestimmte Löschungsvorschrift und sicherlich auch eine Löschungsnotwendigkeit gibt. Eine zwingende Löschungspflicht oder Aktenvernichtungspflicht ist uns rechtlich nicht auferlegt, aber es kann vernünftige Gründe geben - Sie haben einige zitiert -, die dafür sprechen, irgendwann die Akten auch wirklich zu entsorgen.

Zur Aufbewahrungsfrist für Akten in den Strafvollzugsanstalten muss man zunächst einmal vom Hintergrund her wissen: Da gibt es keinen Publikumsverkehr. Da gibt es keine Abläufe und auch keinen Sicherungsbedarf wie beispielsweise bei öffentlichen Bibliotheken, wo jemand sich ein Buch abholt, registriert wird und irgendwann das Buch zurückgibt. Es sind rein interne Vorgänge. Gleichwohl gibt es seit Jahr und Tag natürlich ein Regularium, wie lange dort Akten aufzubewahren sind.

Es ist ganz interessant zu sehen, dass über die Jahre und Jahrzehnte des Strafvollzugs die Zeiten sowohl in der Bundesrepublik als auch im Lande Niedersachsen geschwankt haben. Mal waren es 30 Jahre, mal 20 Jahre. Zuletzt, ich glaube mit einer Regelung aus 2004, hat man gesagt: Grundsätzlich können oder sollten Akten nicht länger als zehn Jahre aufbewahrt werden. Nach zehn Jahren

können Akten somit vernichtet werden. In besonderen Fällen - ich sage einmal: rund um die RAF und die Terroristenszene und bei langen Haftstrafen; das haben wir im Fall Dellwo auch so gesehen -, gilt eine Aufbewahrungsfrist von 15 Jahren. Bei einer der drei Akten - ich glaube, das hat mittlerweile jeder mitbekommen - geht es um die Akte von Herrn Dellwo. Die Akten fehlen übrigens nicht, sondern es geht um Teile der Akten, die, aus welchen Gründen auch immer - wir wissen auch den Zeitpunkt nicht - weg sind. Die Akten wären - Entlassungsdatum 1995 - theoretisch im Jahre 2010 zu entsorgen gewesen.

Herr Driest - das ist der in dem Zusammenhang vielleicht bekanntere Fall - hat als Jurastudent in den 60er-Jahren einen Bankraub begangen, wurde zu fünf Jahren verurteilt und ist 1968 entlassen worden. Das ist also über 40 Jahre her. Warum gibt es diese Akte noch? In früheren Jahren, also zum Zeitpunkt seiner Verurteilung und Entlassung, galt wohl eine Aufbewahrungsfrist von 30 Jahren. Deswegen lag die Akte noch so lange. Man hätte die Akte danach irgendwann schon entsorgen können, aber es gab um 2000/2001 ein Literaturprojekt, bei dem mit Einverständnis von Herrn Driest die Akte für Literaturzwecke verwertet wurde. Das hat auch zu einer Preisverleihung im Jahre 2001 an den betreffenden Literaten geführt, ich meine in München. An der Preisverleihung haben Herr Driest - er hatte also Kenntnis von dem Vorgang - und der damalige Justizminister Pfeiffer meines Wissens teilgenommen. Das war der Grund dafür, dass dieser Akte besondere Bedeutung beigemessen wurde und es nicht zur Entsorgung gekommen ist. Normalerweise hätte die Akte schon seit Jahr und Tag vernichtet sein können.

Eine weitere Zusatzfrage stellt die Abgeordnete Konrath von der CDU-Fraktion.

Herr Minister, wie bewertet es die Landesregierung, dass einen Tag nach den Beratungen im Unterausschuss „Justizvollzug und Straffälligenhilfe“ Einzelheiten der Beratung in einer großen Hannoverschen Tageszeitung zu lesen waren?

Herr Minister Busemann!

Herr Präsident! Frau Kollegin Konrath, natürlich will die Landesregierung die Abläufe in den Ausschüssen, die Umgangsformen und Verlautbarungen danach, gerade wenn es um vertrauliche Sitzungen geht, nicht bewerten und nicht kommentieren. Klar ist aber, dass gerade in Dingen des Strafvollzuges allerhöchste Diskretion, Verantwortlichkeit und die ja auch mit der Anfrage eingeforderte Sensibilität angesagt sind. So gesehen hat sich die Landesregierung auf die Unterrichtung im Unterausschuss in der letzten Woche ausdrücklich gut vorbereitet. Es war eine längere Sitzung. Das Protokoll umfasst 29 Seiten. Außerordentlich ausführlich hat man dort das Thema behandelt, mit Fragen und Antworten, wie sich das gehört und wie es sich nach dem Stand der Ermittlungen und Erkenntnisse auch gebührte. Man ist dann schon befremdet, wenn am nächsten Tag die wesentlichen Botschaften einer solchen Sitzung in der Zeitung zu lesen sind. Ich habe das z. B. in der HAZ gesehen; es hat möglicherweise auch anderswo gestanden, z. B. in der BILD-Zeitung und in Kurzform dann noch einmal in der HAZ. Ich wäre dankbar, wenn der Ausschuss den Umgang mit solchen Vorgängen und das Erfordernis der Vertraulichkeit in den eigenen Reihen einmal klären würde.

(Beifall bei der CDU)

Eine weitere Zusatzfrage stellt der Abgeordnete Briese, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass hier ja nun Akten von Personen des öffentlichen Lebens verschwunden sind - es hat mich übrigens gewundert, Herr Minister, dass Sie die höchstrichterliche Rechtsprechung dazu, was eine Person des öffentlichen Lebens ist, gar nicht kennen; dazu gibt es ja viele Urteile - haben Sie in Ihrer Beantwortung angekündigt, dass organisatorische Konsequenzen gezogen werden sollen, was die Aktenverwahrung in JVAen anbelangt. Diesbezüglich bitte ich um Erläuterung, welche organisatorischen Konsequenzen das denn sein sollen, damit entsprechende Akten zumindest zukünftig aus niedersächsischen JVAen nicht mehr verloren gehen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Herr Minister Busemann!

Herr Präsident! Herr Kollege Briese, was sind Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens? Dazu gibt es Rechtsprechung. Gemeint sind dann sicherlich Politiker und andere. Aber in der Szene der JVA gibt es auch andere Kriterien für Persönlichkeiten, beispielsweise Kiezgrößen und was man da sonst gelegentlich hat und was ja auch mit sehr viel Presseaufmerksamkeit begleitet ist. Ich will das nicht vertiefen.

Noch einmal zur Auslangslage: Akten in den JVAen, gerade auch Akten der entlassenen Häftlinge, die ja teilweise viele Jahre alt sein können, sollen natürlich ordnungsgemäß aufbewahrt werden. Aber es gibt dort keinen Publikumsverkehr.

(Ursula Helmhold [GRÜNE]: Aber die Akten sind weg!)

Es handelt sich um einen behördeninternen, einen justizinternen Vorgang. Ich weise Sie darauf hin: Wir haben in unserem neuen Justizvollzugsgesetz des Landes Niedersachsen in § 196 Abs. 2 eine Regelung - sie ist im Grunde deckungsgleich mit früheren Regelungen und mit den Vorschriften anderer Länder -, die eindeutig besagt, dass Akten und Dateien mit personenbezogenen Daten durch die erforderlichen technischen und organisatorischen Maßnahmen gegen unbefugten Zugang und unbefugten Gebrauch zu schützen sind. Das ist eine richtige Forderung. Die JVA hat damit verantwortlich umzugehen.

Vor dem Hintergrund der Historie des Vollzugs in Niedersachsen - mehr als ein halbes Jahrhundert - darf ich sagen, dass es offenbar ganz gut funktioniert hat, das in die Verantwortlichkeit der JVA zu geben; denn dieser einzige Fall, der jetzt vorgekommen sein mag - weiter ist mir nichts erinnerlich -, deutet ja darauf hin, dass es in den JVAen in der Regel ordnungsgemäß gemacht wird.

Deswegen kann ich Ihnen nur sagen: Keinen Aktionismus! Warten wir erst einmal die Ermittlungen ab. Wie ist es gelaufen? Ich nehme nicht an, dass die Bediensteten der JVA einen Fehler gemacht haben. Es sieht nicht danach aus. Aber hier ist entwendet worden. Wenn wir wissen, wie es dazu kommen konnte, werden im Folgenden die notwendigen organisatorischen Maßnahmen getroffen. Das ist doch völlig klar. Damit wir nicht aneinander vorbeireden: Es darf nicht sein, dass Akten entwendet werden können, von wem und aus welchen Gründen auch immer.

(Beifall bei der CDU)

Eine weitere Zusatzfrage stellt der Abgeordnete Dr. Biester von der CDU-Fraktion.

Herr Minister, ich habe folgende Frage: Die Justizverwaltung ist am 3. September von einem Strafgefangenen über den Verdacht informiert worden, dass Akten oder Aktenteile verschwunden seien. Hat die Landesregierung Erkenntnisse darüber, dass eventuell Dritte außerhalb der Justizverwaltung schon vorher von diesem Verdacht Kenntnis hatten?

Herr Minister Busemann!

Herr Präsident! Herr Kollege Biester,

(Ralf Briese [GRÜNE]: Nur Fakten, keine Vermutungen!)

in der Tat ist die Anstaltsleitung am 3. September darüber in Kenntnis gesetzt worden, dass drei Akten weg sein sollten. Die Akte Driest war weg, ist aber wenige Zeit später durch einen Anwaltsbrief wieder ins dortige Haus gekommen. Die Akte Dellwo ist nicht weg, es fehlen aber Teile. Die Vollstreckungsakte Dellwo ist endlos lang und breit. Von einer dritten Akte ist die Rede, aber es fehlt keine.

(Heiterkeit bei der CDU)

Vielleicht erfahren wir bald mehr.

Zu laufenden Ermittlungen will ich nichts sagen, aber bedenklich an der Sache ist, dass möglicherweise weitere Personen schon vor dem 3. September Kenntnis davon hatten, dass - so will ich es einmal sagen - die eine oder andere Akte ganz oder teilweise fehlt. Der Umgang mit diesem Tatbestand ist schon ein ernsthafter Vorgang. Ich kann nur jeden, der sich als Dritter versteht, auffordern, sein Wissen preiszugeben und so einzusetzen, dass es dem ordnungsgemäßen Ablauf im Vollzug dient und das Ermittlungsverfahren fördert.

Wir haben einen guten Strafvollzug im Lande. Er muss auch in allen Einzelheiten gelingen. Das heißt, Akten dürfen nicht entwendet werden. Wenn sie entwendet wurden, muss jeder dazu beitragen, dass sie so schnell wie möglich wieder zurückkommen, damit kein Schaden entsteht. Jeder muss an entsprechender Stelle mitwirken. Auch wir

als Parlamentarier haben alle miteinander - auch in den zuständigen Ausschüssen und im zuständigen Unterausschuss - entsprechende Pflichten, zum Gelingen des Vollzuges und zur Aufklärung - gegebenenfalls durch Zurücksenden von Akten - beizutragen. Mehr sage ich dazu nicht.

Offenbar ist es so, dass der eine oder andere Dritte schon vorher wusste, was läuft. Sofern es sich dabei um einen Abgeordneten dieses Hauses handeln sollte, kann ich ihn nur bitten, sich im Unterausschuss zu offenbaren.

(Beifall bei der CDU)

Abgeordneter Limburg von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen stellt die nächste Zusatzfrage.

Herr Präsident! Herr Minister, vor dem Hintergrund, dass Sie gerade ausgeschlossen haben, dass Bedienstete der JVA Celle mit dem Verlust oder mit dem Verschwinden der Akten irgendwie zu tun haben, frage ich Sie, ob Sie irgendwelche Erkenntnisse über die Art und Weise des Aktenverlustes haben und sie, unter Berücksichtigung der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen, hier preisgeben können.

Herr Minister Busemann!

Herr Präsident! Herr Kollege Limburg, ich gehe nach dem Stand der Erkenntnisse davon aus, dass Bedienstete nicht beteiligt waren. Wenn die Ermittlungen etwas anderes ergeben, wird natürlich ohne Ansehen der Person ordnungsgemäß vorgegangen. Das ist völlig klar.

Wie war der weitere Teil der Frage?

(Helge Limburg [GRÜNE]: Welche Er- kenntnisse haben Sie über den Ab- lauf? - Ursula Helmhold [GRÜNE]: Da sind ja keine verschwunden!)

- Was Abläufe des Entwendens und Verwertens anbelangt, gibt es einen Ermittlungsstand in der Ermittlungsakte. Sie werden verstehen, dass ich dazu hier nichts sage. Wenn Sie, Herr Limburg, dazu etwas beitragen können, würden Sie das Verfahren fördern.

(Beifall bei der CDU)

Eine weitere Zusatzfrage stellt der Abgeordnete Professor Zielke von der FDP-Fraktion.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich frage die Landesregierung, welche Straftatbestände durch das Entwenden von Akten erfüllt sind, welche Straftatbestände jemand erfüllt, der dabei hilft, und welche Straftatbestände jemand erfüllt, der diese Akten dann öffentlich macht.

(Ralf Briese [GRÜNE]: Das waren drei Fragen!)

- Drei Fragen? Ich glaube, das ist ein Block: Täter, Mittäter und Veröffentlicher.

(Zuruf von Dr. Philipp Rösler [FDP] - Gegenruf von Ursula Helmhold [GRÜNE]: Bei meiner Frage war auch nicht Weihnachten, Herr Rösler! Wenn Weihnachten, dann für alle!)

Es bestand die Möglichkeit, zwei Zusatzfragen zu stellen. Das Kontingent der FDP ist damit noch nicht erschöpft. - Herr Minister Busemann!

Herr Präsident! Herr Kollege Professor Zielke, ob zwei oder drei Fragen, ich kann es ganzheitlich beantworten.