Es ist noch nicht lange her, dass der Leiter der Arbeitsagentur Hannover einräumen musste, dass die Arbeitgeber nur etwa ein Drittel der freien Stellen bei der Arbeitsagentur gemeldet haben. Mit anderen Worten: Rund 70 % der Arbeitsvermittlung liefen an der Arbeitsagentur vorbei.
Von einer befriedigenden Neuregelung der Trägerschaft der Grundsicherung für Arbeitsuchende hängt damit sehr viel ab. Das Finanzvolumen beträgt rund 50 Milliarden Euro. Rund 7 Millionen Menschen in Deutschland sind davon betroffen. An dieser Stelle geht es um den Löwenanteil der Arbeitslosigkeit in Niedersachsen mit immer noch deutlich über 200 000 langzeitarbeitslosen Menschen. Im Vergleich dazu ist die Arbeitslosenversicherung nach SGB III in Niedersachsen noch mit deutlich unter 100 000 Menschen bestückt.
Dies ist sicherlich auch eine Frage des Geldes. Deswegen ist die soeben vom Deutschen Bundestag beschlossene Verbesserung des Kinderzuschlags eine gute Sache.
Noch mehr ist Armut aber eine Frage der Lebenslage. Hier müssen wir gezielt an folgenden Punkten ansetzen: bei der Bildung, und zwar möglichst früh, wie wir es in Niedersachsen bundesweit mit am erfolgreichsten machen, bei der Integration von Migranten, wobei unser Innenminister Hervorragendes leistet, und ganz zentral bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit; denn das ist der Schlüssel zur wirksamen Armutsbekämpfung.
Deswegen müssen wir als Niedersachsen gemeinsam alle Anstrengungen unternehmen, um in Deutschland eine Bresche für die Wahlfreiheit der Kommunen zu schlagen, entweder über die Option oder über die Arge zukünftig dauerhaft aktiv zu werden.
Niemand widerspricht der Leistungsfähigkeit des kommunalen Ansatzes, den alle Erfahrungen bestätigen. Bei den Kommunen sind die Handlungs- und finanziellen Anreize am größten. Die Bürgerschaft nimmt die Kommune beim Kampf gegen die Arbeitslosigkeit in die Pflicht und setzt sie unter Druck. Gegenüber der bundeszentralistischen Arbeitsverwaltung fehlt dieses Druckpotenzial hingegen leider. Die kommunale Arbeitsverwaltung hat die Bedürfnisse von Arbeitgebern und Arbeitnehmern immer bestmöglich abgestimmt, auch in konjunkturell schwierigen Zeiten. Übrigens lässt sich der Anreiz bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit auch gut in kommunale Einsparerfolge umsetzen. Dies ist ein großer Vorteil, der bei der zentralen Arbeitsverwaltung fehlt.
Nun muss sich Niedersachsen Verbündete suchen. Alle vier Fraktionen sollten auf ihren Kanälen aktiv werden und kämpfen. Dabei haben wir noch den Trumpf im Ärmel, dass jetzt auf Initiative von Niedersachsen ein Gutachten von Professor Dr. Joachim Wieland von der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer vorliegt. Darin ist der Vorschlag einer Ergänzung des Grundgesetzes um einen Artikel 91 c enthal
ten, der die Optionskommunen und die Argen verfassungsmäßig absichert und darüber hinaus die Option entfristet und ausweitet.
Herr Kollege Matthiesen, sind Sie mit mir der Meinung, dass es sich bei diesem Thema auch um einen Themenkomplex der Arbeitsmarktpolitik handelt? Und falls wir übereinstimmen: Wäre es nicht wünschenswert, dass auch der zuständige Arbeits- und Wirtschaftsminister anwesend wäre?
Es ist richtig, dass es sich hierbei um eine arbeitsmarktpolitische Frage handelt. Ich weiß, dass der Wirtschaftsminister gerade sehr gefordert ist. Es geht darum, ob der Standort Barsinghausen von Bahlsen erhalten wird. Wir hatten gerade ein Gespräch. Da geht es um die Wurst. Wenn er im Moment nicht hier sitzt, erfüllt er seine Aufgabe, die Arbeitslosigkeit aktiv zu bekämpfen. Dies ist übrigens auch ganz im Sinne des Antrags, den wir gerade bearbeiten.
Nun kommt es darauf an, dass wir diesen gordischen Knoten gemeinsam durchschlagen. Wer dies tut, wird auf dem Feld der Arbeitsmarktpolitik Vergleichbares leisten wie Alexander der Große, der ebenfalls den Gordischen Knoten durchschlagen und dann Asien erobert hat. Wer hier die Langzeitarbeitslosigkeit wirksam bekämpfen will, muss unserem Vorschlag deutschlandweit folgen.
Herzlichen Dank. - Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Helmhold. Bitte schön!
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dass heute vier Fraktionen einen gemeinsamen Antrag zur Neuorganisation der Grundsicherung für Arbeitslose vorlegen, ist ein gutes Zeichen - ebenso wie die Gemeinsamkeit der kommunalen Spitzenverbände in dieser Frage.
Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts stehen wir vor der Aufgabe, Bewährtes zu erhalten und positive Weiterentwicklung zu ermöglichen. Wir alle wissen, dass die Arbeitslosigkeit für die Betroffenen oft - in Anführungsstrichen - nur ein Problem unter vielen ist. Für die Lösung dieser Gesamtlage sind kommunale Kompetenzen und Netzwerke unverzichtbar. Es bedarf auch eines an der Person orientierten Fallmanagements.
Für uns Grüne standen an dieser Stelle immer inhaltliche Anforderungen, die von den Bedürfnissen der Betroffenen ausgehen, im Vordergrund. An ihnen muss sich auch die neue organisatorische Umsetzung orientieren. Dazu gehören transparente Verfahrensrechte, unabhängige Beratung und definierte, einklagbare Qualitätsansprüche an die Behörden. Dazu gehört aber auch, dass die Betroffenen einen einheitlichen Ansprechpartner haben und nicht von einem Amt zum nächsten geschickt werden. Dazu gehört ferner, dass sich kommunale Kompetenz auf Augenhöhe mit der Arbeitsagentur bewegt und nicht durch zentralistische Bürokratie erstickt wird.
Deshalb, meine Damen und Herren, muss die Verantwortung beim Arbeitslosengeld II auch zukünftig gemeinsam ausgeübt und aus einer Hand erbracht werden.
Mit den Arbeitsgemeinschaften ist eine Organisation geschaffen worden, die zum einen die Kompetenzen und Ressourcen beider Träger bündelt und zum anderen Hilfen aus einer Hand anbieten sollte. Nun hat das Bundesverfassungsgericht zwar die Zusammenführung positiv bewertet, die gemeinsame Aufgabenwahrnehmung aber für verfassungswidrig erklärt. Unsere Aufgabe ist es jetzt
Wir tun, glaube ich, mit dem, was wir hier vorlegen, das, was in diesem Moment in Niedersachsen möglich ist. Im Juni-Plenum habe ich die Kriterien skizziert, die wir anlegen, nämlich: Die Leistungen müssen aus einem Guss, aus einer Hand erfolgen. Die Verknüpfung von arbeitsmarktpolitischen und sozialpolitischen Instrumenten hat sich bewährt. Zukünftige Strukturen müssen dezentral organisiert sein. Hilfe und Angebote müssen zu den Menschen passen, es darf nicht umgekehrt sein. Wir brauchen bundesweit dasselbe, einheitliche Leistungsrecht. Und: Die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit muss eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe bleiben. Deswegen darf der Bund nicht aus der Verantwortung entlassen werden.
Der jetzt vorliegende gemeinsame Antrag wird unseren Ansprüchen gerecht. Er sichert einerseits die 69 sogenannten Optionskommunen, die die Grundsicherung in Alleinregie durchführen, für die Zukunft ab, und ermöglicht es anderen, neu optieren zu können. Andererseits soll die gemeinsame Aufgabenwahrnehmung von Kommunen und Bundesagentur auch weiterhin möglich sein. Dazu schließen wir auch eine Verfassungsänderung nicht aus.
Meine Damen und Herren, es ist der SPD-Fraktion hoch anzurechnen, dass sie sich an dieser Stelle von dem Scholz-Modell der kooperativen Jobcenter verabschiedet. Dieses wäre mit der getrennten Trägerschaft nämlich ein Sprung zurück in den Zustand vor der Reform.
Die kommunale Seite würde geschwächt. Damit würde die sozialpolitische Komponente in den Hintergrund treten.
Die LINKE allerdings hat sich dem gemeinsamen Antrag mit dem Hinweis und der Feststellung verschlossen, dass sie der Aussage nicht zustimmen könne, die Zusammenführung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe sei eine zukunftsweisende Entscheidung gewesen und habe sich bewährt. So einfach, meine Damen und Herren, finde ich, kann man es sich an dieser Stelle nicht machen. Wollen Sie denn ernsthaft zurück zu den alten Zuständen, wo Sozialhilfeempfänger keine Ansprüche auf arbeitsmarktpolitische Hilfen hatten und wo diese maximal auf die Verschiebebahnhöfe zwischen
Über die Höhe der Leistungen und über die konkrete Ausgestaltung des ALG II hätte ich gerne mit Ihnen diskutiert. Dort sehe auch ich erheblichen Verbesserungsbedarf. Aber das steht in diesem Zusammenhang nicht zur Diskussion.
Ihre Verweigerungshaltung hilft den Betroffenen überhaupt nicht. Ich finde, Sie profilieren sich an dieser Stelle auf Kosten der betroffenen Menschen.
Sie wissen doch so gut wie wir alle, dass die unsichere Situation in den Agenturen, die jetzt besteht - z. B. sind die Menschen nicht sicher, ob ihre Stellen verlängert werden -, dazu führt, dass viele qualifizierte Berater sich überlegen, dort wegzugehen und andere Stellen anzunehmen.
Ich komme zum Schluss. - Damit verschlechtert sich die Situation der Betroffenen strukturell. Ich finde, mit Ihrer Haltung beweisen Sie Ihre Unwilligkeit und Ihre Unfähigkeit zur politischen Gestaltung, jedenfalls in diesem Segment.