Protocol of the Session on July 2, 2008

(David McAllister [CDU]: Sind Sie nun Marxist oder nicht?)

So einfach mache ich es Ihnen nicht.

(David McAllister [CDU]: Stellen Sie sich gegen Ihre Fraktion?)

Es geht hier darum, dass die Mehrheitsfraktionen ein Neuverschuldungsverbot in die Verfassung aufnehmen wollen. Wir müssen uns natürlich fragen, warum ein Bestandteil Ihrer Politik Verfassungsnorm werden muss. Ich meine, eine Verfassungsnorm ist immer eine Selbstbindung der Politik, auch über Wahlen hinaus. Ich fände es sehr gut, wenn wir uns gerade in Fragen der Wirtschaftspolitik und Finanzpolitik bei den nächsten Wahlen und generell bei Wahlen vor die Wählerinnen stellten und sagten: Wir verfolgen diese oder jene Wirtschaftspolitik, ohne allzu sehr durch die Verfassung gebunden zu sein. - Ich will Ihnen gar nicht das Recht abstreiten, das Neuverschuldungsverbot wie eine Monstranz Ihrer Politik vor sich herzutragen.

Herr Kollege Adler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen von der FDP, Herrn Kollegen Riese?

Herzlichen Dank, Herr Adler. - Ich wüsste nur ganz gerne, ob Sie dann auch die Risiken und Nebenwirkungen Ihrer Politik den Wählern im Vorfeld der Wahl genau darlegen wollen.

Darum geht es mir. Genau. Es soll abgewogen werden. Man muss auch sagen, was ein Neuverschuldungsverbot nach sich zieht; denn es bedeutet ja, dass Sie auf der Ausgabenseite erhebliche Einschränkungen vornehmen müssen. Diese Einschränkungen müssen Sie den Wählerinnen und Wählern auch sagen.

(Dr. Bernd Althusmann [CDU]: Genau diese Wahrheit wollen Sie den Men- schen ja nicht sagen! - Unruhe bei der CDU und bei der FDP)

Deswegen bin ich dafür, dass so etwas in die Debatte mit den Wählerinnen und Wählern gehört. Sie sollen auch sagen, wie Sie Ihr Neuverschuldungsverbot finanzieren müssen; denn Sie wollen doch an das Einkommen der Reichen nicht herangehen. Also müssen Sie Sozialausgaben kürzen. Das ist doch die Konsequenz, die Sie nie aussprechen wollen.

(Beifall bei der LINKEN)

Das müssen Sie vor den Wahlen sagen. Deshalb bin ich dagegen, das Neuverschuldungsverbot in die Verfassung aufzunehmen, weil dadurch eine Selbstbindung eintritt und Sie anschließend vor die Wählerinnen und Wähler mit den Worten treten können: Wir können ja nicht anders! Die Verfassung schreibt das doch vor! - Nein, wir wollen die offene Debatte über die richtige Wirtschaftspolitik. Darum geht es.

(Beifall bei der LINKEN - Reinhold Coenen [CDU]: Wir sind doch dabei!)

Ebenfalls zusätzliche Redezeit erhält Herr Kollege Rickert von der FDP-Fraktion. Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin nicht so vermessen zu behaupten, dass das, was in unserem Antrag steht, alles bis ins letzte Detail regelt, Herr Klein. Deswegen sage ich: Das ist keine Zielprojektion, sondern eine Einstiegsprojektion. Zielführend ist für uns allerdings die Vorgabe eines ausgeglichenen Haushalts.

Frau Geuter, in der Tat muss ein ausgeglichener Haushalt auch Investitionen wie die für den JadeWeserPort leisten. Um das besser darzustellen, haben wir uns abschließend dafür entschieden, die Doppik im Landeshaushalt einzuführen; denn damit ließen sich Langfristinvestitionen über Abschreibungen etc. entsprechend darstellen. Das führt dann zu einem entsprechend ausgeglichenen Haushalt.

(Beifall bei der FDP)

Eine Kurzintervention auf die Ausführungen des Kollegen Rickert möchte von der Fraktion DIE

LINKE Herr Dr. Sohn machen. Sie haben anderthalb Minuten.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Rickert, wenn Sie den JadeWeserPort und alle anderen Investitionen finanzieren wollen, ohne an die gut gefüllten Kassen der Reichen in diesem Lande heranzugehen

(Zurufe von der CDU und von der FDP)

und ohne eine erhebliche Neuverschuldung einzugehen, stellt sich natürlich die Frage: Woher kommt diese Kohle? - Dann ist die Antwort völlig klar: aus dem einzig noch vorhandenen flexiblen Teil der Haushalte, nämlich aus den Sozialausgaben.

(Beifall bei der LINKEN - David McAl- lister [CDU]: Aus dem SED-Ver- mögen!)

Der ganze Kern dieser Politik und dieses Verfassungsauftrages ist: Sie möchten sich selbst - so ähnlich wie der Europäische Gerichtshof auf europäischer Ebene - eine verfassungsrechtliche Fessel konstruieren, um mit Hinweis auf diese verfassungsrechtliche Hürde und diese verfassungsrechtliche Fessel - so wie Sie jetzt in anderem Zusammenhang auf Brüssel verweisen - Ihre Sozialmassakerhaushalte durchführen zu können, wie Sie es gern wollen.

(Beifall bei der LINKEN - Lachen bei der CDU)

Herr Kollege Rickert möchte antworten. Bitte schön, auch für Sie anderthalb Minuten!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich gehe jetzt nicht auf diese Haudrauf-Rhetorik ein. Ich sage nur eines: Der JadeWeserPort ist ein modernes, zukunftsweisendes Investitionsobjekt, das sich letztlich aufgrund seiner erfolgreichen Einrichtung selbst finanzieren wird.

(Beifall bei der FDP - Zustimmung bei der CDU - Hans-Jürgen Klein [GRÜ- NE]: 930 Millionen Euro!)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Ich schließe die Beratung.

Wir kommen zur Abstimmung.

Die beiden Ihnen vorliegenden Änderungsanträge lauten auf Annahme des Antrages in veränderter Fassung. Da, wie ich finde, der Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in der Drucksache 16/310 weitergehend und zudem früher eingegangen ist, stimmen wir zunächst über diesen Antrag ab. Falls dieser abgelehnt werden sollte, stimmen wir über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD in der Drucksache 16/319 ab. Falls dieser abgelehnt wird, stimmen wir natürlich über die Beschlussempfehlung des Ausschusses ab. Ich sagte eingangs, dass die Beschlussempfehlung auf „unveränderte Annahme“ lautet.

Wer den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen annehmen will, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. - Gibt es Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Änderungsantrag abgelehnt.

Wir kommen daher zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD. Wer diesem zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der - - -

(Dr. Manfred Sohn [LINKE]: Hier!)

- Entschuldigung. - Das waren die Stimmenthaltungen durch die Fraktion DIE LINKE und durch Frau Wegner. Damit ist der Antrag der SPDFraktion abgelehnt.

Wir kommen nun zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung. Wer der Beschlussempfehlung des Ausschusses folgen möchte, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Beschlussempfehlung des Ausschusses gefolgt.

(Beifall bei der CDU)

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:

Zweite Beratung: Den Fortschritt sichern, Arbeitslosigkeit bekämpfen, Bürokratie vermeiden - Antrag der Fraktionen der CDU und der FDP - Drs. 16/118 - Beschlussempfehlung des Ausschusses für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit - Drs. 16/254 - Änderungsantrag der Fraktionen der CDU, der

SPD, der FDP und Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 16/318

Die Beschlussempfehlung des federführenden Ausschusses lautet auf Annahme in veränderter Fassung.

Da eine Berichterstattung nicht vorgesehen ist, kann ich gleich die Beratung eröffnen. Für die CDU-Fraktion hat sich Herr Kollege Dr. Matthiesen zu Wort gemeldet. Bitte schön!

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! CDU, FDP, Grüne und SPD im Niedersächsischen Landtag haben sich auf den gemeinsamen Änderungsantrag „Wahlfreiheit bei der Trägerschaft für die Grundsicherung ermöglichen - Fördern in den Mittelpunkt“ geeinigt. Wir wollen damit gemeinsam in der Grundsicherung für Arbeitsuchende die Wahlfreiheit für die Kommunen erreichen, entweder eigenverantwortlich dauerhaft im Wege der Option die Aufgabe der Grundsicherung für Arbeitsuchende zu übernehmen oder sich für eine Neuauflage der bisherigen Argen zu entscheiden.

Erstmals in Deutschland haben sich auch alle drei kommunalen Spitzenverbände auf diese Position verständigt. Das ist ein sehr großer Erfolg für die arbeitsuchenden Menschen in Niedersachsen und ihre Familien. Bis zur notwendigen bundesweiten Regelung ist es aber noch ein sehr weiter Weg. Zurzeit gleicht die Frage der Neuregelung der Trägerschaft der Grundsicherung für Arbeitsuchende immer noch dem bekannten gordischen Knoten.

Die drei Unterarbeitsgruppen der Bund-LänderArbeitsgruppe haben am 20. Juni 2008 einen Berichtsentwurf für die Arbeits- und Sozialministerkonferenz verhandelt. Gegenstand sind zurzeit drei Grundmodelle: erstens die Zentren für Arbeit und Soziales als Mischverwaltung von Bundesagentur und Kommunen entsprechend den heutigen Arbeitsgemeinschaften, zweitens das bayerische Modell mit der Zuständigkeit der Kommunen für die Geldleistungen und der Bundesagentur für die Arbeitsvermittlung, also einem Auseinanderfallen von Fordern und Fördern, drittens das kooperative Jobcenter als eigenverantwortliche Geschäftseinheit der Bundesagentur mit unselbstständiger Entscheidung der Kommunen über die Unterkunftskosten, also das, was Bundesarbeitsminister Scholz bisher möchte.

Zurzeit zeichnet sich leider keine Einigung zwischen den Ländern oder gar zwischen Bund und Ländern ab. Die Frage droht aus dem Blickfeld zu geraten, wie den arbeitsuchenden Menschen und ihren Familien am besten geholfen werden kann.

Wenn nichts geschieht - und das ist der Stand der Diskussion in der Bund-Länder-Arbeitsgruppe im Vorfeld der Arbeits- und Sozialministerkonferenz am 14. Juli 2008 -, werden die Optionskommunen und Argen schon im Jahr 2010 auslaufen. Dann wird die Bundesagentur wieder allein für die Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit zuständig sein, und die Kommunen werden getrennt davon nur noch die Unterkunftskosten zu verwalten haben.

Drastisch gesagt, wäre das der Rückfall in die Steinzeit von vor rund 20 Jahren, als die Bundesanstalt für Arbeit nur äußerst unzureichend für Arbeitslosengeld- und Sozialhilfeempfänger aktiv war. Damals mussten die Kommunen zunehmend selbst tätig werden.

Die Gefahr droht, dass Arbeitsuchende mit Vermittlungshemmnissen von der Bundesagentur wieder den Stempel „arbeitsmarktfern“ aufgedrückt bekommen. Sie blieben dann ihrem Schicksal überlassen. Viele Kinder würden erneut in Sozialhilfekarrieren hineinwachsen. Die Kommunen könnten sich dagegen nicht wehren, weil die Bundesagentur als bundeszentralistischer Fremdkörper immer noch weit von den Kommunen und der Basis entfernt ist und durch die Kommunen auch nicht beeinflussbar ist.

Es ist noch nicht lange her, dass der Leiter der Arbeitsagentur Hannover einräumen musste, dass die Arbeitgeber nur etwa ein Drittel der freien Stellen bei der Arbeitsagentur gemeldet haben. Mit anderen Worten: Rund 70 % der Arbeitsvermittlung liefen an der Arbeitsagentur vorbei.