Protocol of the Session on October 12, 2011

(Beifall bei den GRÜNEN - Zuruf von Christian Dürr [FDP])

- Herr Dürr, unsere Exportüberschüsse sind eine der wesentlichen Ursachen der derzeitigen Wirtschaftskrise und der Ungleichgewichte in Europa.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir müssen außerdem eventuell darüber nachdenken, dass unsere seit zehn Jahren andauernde Aufholjagd der besseren Wettbewerbsfähigkeit das Maß des Vernünftigen vielleicht mittlerweile überdreht hat.

(Christian Dürr [FDP]: Was heißt das konkret?)

- Dass wir deswegen einen gesetzlichen Mindestlohn brauchen und dass wir deswegen auch ein Landesvergabegesetz brauchen, in dem es Mindestlöhne gibt, weil das keine Wirtschaftspolitik ist, hier in Deutschland weiter - - -

(Christian Dürr [FDP]: Die Wettbe- werbsfähigkeit Deutschlands zu redu- zieren? - Das ist grüne Politik!)

Ich möchte Ihnen einige Beispiele dieser Landesregierung geben. Sie haben gerade 5 Millionen Euro Förderung in einen Schlachthof gesteckt, der aktuell, gerade heute, 50 neue Kräfte für einen Stundenlohn von 7,79 Euro sucht. Das nenne ich Wirtschaftsförderung genau kontraproduktiv zu gerechten Löhnen in diesem Land eingesetzt und kontraproduktiv zu dem Ziel, Kaufkraft in der Bevölkerung zu sichern.

Sie wollen ausweislich der Rede von Frau König durch Ihre Politik tatsächlich massiv staatlichen Zusatzlohn fördern, weil es sich bei denen, die Sie hier im doppelten Sinne herbeifördern, ausnahmslos um Aufstocker handelt.

Herr Hagenah, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schönecke?

Unbedingt!

(Heiterkeit)

Bitte, Herr Schönecke!

Herr Kollege Hagenah, können Sie dem Haus mitteilen, woher Sie diese Zahlen haben? Ist das ein durchschnittlicher Lohn, der dort im Schlachthof gezahlt wird, oder welche Art von Arbeitskräften werden dort für diese Bezahlung gesucht?

Herr Kollege Hagenah, bitte!

Ich bin sicher, dass die Geschäftsführer einen höheren Lohn erhalten. Ich kann Ihnen nur berichten, Herr Kollege Schönecke, dass das die heute ins Internet eingestellte Anzeige der Schlachthofgesellschaft ist, die 50 Kräfte für Arbeit im Schlachthof zu einem Stundenlohn von 7,79 Euro sucht. Das ist das Ergebnis Ihrer millionenstarken Wirtschaftsförderung! Das ist so richtig Kaufkraftsteigerung in der Region! Herzlichen Glückwunsch!

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

In diesem Zusammenhang müssen wir das Tariftreuegesetz sehen. Es ist eine falsch verstandene Solidarität mit den Kommunen, dass Sie meinen, es wäre richtig, dass die den Mindestbietenden mit den schlechtesten Löhnen nehmen können.

Wir müssen in diesem Sinne auch für die Kommunen einen Rahmen setzen, damit sie Aufträge zu vernünftigen Bedingungen und zu einem im Vergabegesetz festgeschriebenen Tariflohn von mindestens 8,50 Euro vergeben und auf diese Art und Weise das tun können, was vernünftig wäre.

Dass aber auch das Land und auch der Bund eine Politik betreiben müssen, die die Kommunen in die Lage versetzt, sich das zu leisten, ist inhärent. Das ist völlig klar. Wir können aber nicht meinen, wir würden dem Städte- und Gemeindebund sowie dem Landkreistag das Wort reden, wenn wir im Vergabegesetz keine Untergrenze einziehen. Das ist eine falsch verstandene Solidarität. Damit setzen Sie an der falschen Ecke an.

Hier müssen wir im Sinne eines funktionierenden Systems wirtschaftspolitisch denken. Leider aber lahmt dieses System unter Ihrer Egide. Deshalb ist es dringend reformbedürftig. Der Gesetzentwurf der SPD-Fraktion leistet einen ersten Beitrag dazu. Deshalb werden wir ihn im März/April 2013 hier erneut vorlegen. Dann werden wir sehen, wie die Abstimmung verläuft.

(Lebhafter Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Meine Damen und Herren, zu einer Kurzintervention hat sich der Kollege Rickert von der FDP-Fraktion gemeldet. Bitte schön!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Kein Mensch in diesem Hause hat etwas dagegen, wenn jemand 8 Euro, 10 Euro oder mehr verdient. Würden wir eine solche Mindestgrenze durch Gesetz vorgeben, könnte nach meiner Kenntnis aber nicht nachgewiesen werden, ob und wie viele Arbeitsplätze zu diesen Bedingungen überhaupt nachgefragt werden. Das wird dann nicht mehr ermittelt. Meine Sorge ist also die, ob dann, wenn wir einen gesetzlichen Mindestlohn vorgeben, eine Vielzahl von Arbeitsplätzen, von denen wir uns erhoffen, dass sie in den ersten Arbeitsmarkt führen, tatsächlich nachgefragt wird. Das ist der Grund, weshalb wir gegen einen gesetzlichen Mindestlohn sind.

Vielleicht ein Beispiel zu dem Thema „Exportweltmeister“: Ich selbst war viele Jahre lang in der Metall- und Elektroindustrie sowie im Anlagenbau tätig. Wir standen im Wettbewerb mit italienischen, spanischen und anderen Konkurrenten, die zum Teil 40 % billiger waren als wir. Wir haben dann reagiert und das getan, was passieren musste: Wir haben rationalisiert, outgesourct und anderes mehr. Die Branche, in der ich gearbeitet habe, hat sich selbst von 1,8 Millionen Beschäftigten auf fast 1 Million Beschäftigte reduziert. Das war der Preis für den Titel „Exportweltmeister“, den Sie hier immer so rühmen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP)

Herr Hagenah möchte erwidern. Bitte schön!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Kein Mensch - auch wir Grünen tun dies nicht - wird etwas gegen eine vernünftige Aufstellung im Wettbewerb einwenden.

Sie dürfen das, was noch vor zehn Jahren als Wettbewerbsschwäche der Bundesrepublik Deutschland im europäischen Kanon diskutiert wurde, nicht mit der heutigen Situation vergleichen. Wir haben eine reale inflationsbereinigte Stagnation und Senkung unserer Löhne zu verzeichnen. Im Umfeld gab es jedoch eine erhebliche reale Steigerung der Löhne. In den Partnerländern rund um die Bundesrepublik

Deutschland herum gibt es Mindestlöhne. Es ist ein volkswirtschaftlicher Fakt, dass man sich auch in einer solchen starken Situation, in der wir uns derzeit befinden, irgendwann zu einem Problem für den Rest entwickeln kann. Wenn unsere europäischen Partner nur Haushaltsbilanzdefizite produzieren und wir zuwenig auf die Kaufkraft der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und die Binnenkonjunktur achten - das hat die FDP in ihrem liberal-radikalen Denken der letzten 10 bis 15 Jahre offensichtlich völlig vergessen - und immer nur sagen „Wettbewerb, Wettbewerb, Wettbewerb, so billig wie möglich“ - Beispiel Schlachthof Wietze -, dann führt dies zu einer Bedrohung des Gesamtsystems.

In genau dieser Situation befinden wir uns jetzt. Sie sollten in diesem Zusammenhang eventuell auch die makroökonomische Frage mit beantworten.

Herr Kollege, letzter Satz, bitte!

Diesen Teil eines entsprechenden Vergabegesetzes vernachlässigen Sie, den blenden Sie aus. Sie glauben, das Richtige zu tun, haben die Realität aber überhaupt nicht mehr im Blick.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der SPD)

Meine Damen und Herren, für die CDU-Fraktion spricht nun der Kollege Höttcher. Bitte schön!

Danke schön, Herr Präsident. - Meine Damen und Herren! Ein Vergabegesetz sollte ein ausgewogenes Verhältnis zwischen den Interessen der öffentlichen Auftraggeber und den Interessen der Wirtschaft herstellen. Organisatorische Anforderungen, die oftmals weder der Besteller noch der Auftraggeber, noch die Bieter beherrschen, gibt es bereits viele. Bei mir, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, entsteht der Eindruck, dass Sie manchmal gar nicht wissen, wie viel Zeit die Unternehmen in die Ausarbeitung von Angeboten stecken.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Erst gestern habe ich extra für Sie - allerdings auch für mich - noch einmal mit Handwerksbetrieben telefoniert und habe mir von denen noch einmal einige Dinge erläutern lassen. Herr Lies, ich lade Sie nach der Abstimmung auf einen Kaffee ein, dann können wir beide einmal ganz offen darüber reden.

(Olaf Lies [SPD]: Ja, ganz offen!)

- Ja, Sie können dann ehrlich Ihre Meinung sagen und einmal mitteilen, wie Sie es wirklich sehen.

Dass präqualifizierte Unternehmen nach dem Gesetzentwurf der Landesregierung künftig keine Tariftreueerklärung mehr abgeben müssen, hilft, den Verwaltungsaufwand deutlich zu verringern. Auf beiden Seiten - beim Auftraggeber und beim Auftragnehmer - ist aufgrund des Gesetzentwurfs der Landesregierung mit einer Verringerung des Verwaltungsaufwands zu rechnen.

Warum, Herr Lies, beteiligen sich denn heute - Sie haben es schon gesagt, Frau König - nur noch ca. 75 % der kleinen Betriebe an Vergaben? - Da der bürokratische Aufwand - ich kann es nur noch einmal wiederholen - viel zu groß ist. Sie wollen jetzt aber noch mehr vergabefremde Kriterien im Gesetzentwurf unterbringen, die dort nichts zu suchen haben.

Herr Höttcher, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Lies?

Nein. Ich werde ihm aber noch etwas anderes sagen. Herr Lies hat eben von Bremen gesprochen. Ich jedoch spreche von Nordrhein-Westfalen. Wie kommt es denn, dass Ihre Parteigenossen in NRW vor etwa zwei Wochen eine Anhebung

der Anwendungsschwelle beschlossen haben? - Das passt doch alles gar nicht! Dazu können wir aber vielleicht hinterher zu einem Ergebnis kommen.

(Björn Thümler [CDU]: Das ist ja un- glaublich!)

Der Wertgrenzenerlass soll mit diesem Gesetzentwurf nicht über das Jahr 2011 hinausgeführt werden, und die Ergebnisse der im Moment laufenden Anhörung müssen auch noch abgewartet werden. Unsere Landesregierung befürwortet jedoch eine bundeseinheitliche Anhebung der Wertgrenzen.

Mit unserem Vergabegesetz sollen auch wieder kleine Betriebe, die keine eigene Rechtsabteilung besitzen, in die Lage versetzt werden, schnell und flexibel auf öffentliche Aufträge zu reagieren. Ihr Gesetzentwurf hat für uns so viele Mängel, dass wir ihn ablehnen werden.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)