Protocol of the Session on September 14, 2006

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Was wir als Landesregierung tun wollen und tun, ist,

(Walter Meinhold [SPD]: Aha! Jetzt wird es spannend!)

den Ausbildungspakt, den wir mit der Wirtschaft eingegangen sind, daraufhin zu prüfen, ob er auch eingehalten wird. In den Jahren bis jetzt ist er mehr als eingehalten worden; das ist ganz eindeutig so. In diesem Jahr haben wir mehr Ausbildungsverträge von den Kammern gemeldet bekommen als zum gleichen Zeitpunkt des Vorjahres. Andererseits gehen heute nicht nur weniger Betriebe, sondern auch - das ist eine ganz neue Entwicklung weniger Jugendliche zu den Arbeitsagenturen und fragen diesen Service nach. Das bedeutet - ich wiederhole, was ich vorher gesagt habe -, dass die Vermittlungswege offenbar nicht mehr so tragen, wie wir das gewohnt sind. Wir sollten jedenfalls dafür Sorge tragen, dass wir nur die Zahlen verwenden, die richtig sind und die wir für die Lösung des Problems brauchen können.

Wir haben strukturelle Probleme, die aber viele verschiedene Gründe haben. Sie werden wir in diesem Jahr nicht lösen können.

Wir werden vom nächsten Jahr an 2 000 bis 2 500 zusätzliche betriebliche Ausbildungsplätze für Jugendliche fördern, die schon ein Jahr oder länger die Schule beendet oder noch keinen Ausbil

dungsplatz gefunden haben. An diese Aufgabe will sich der Bundesarbeitsminister noch in diesem Jahr machen. Gegen ein solches Teilprogramm für eine Sondergruppe ist nichts einzuwenden. Genauso sehen wir ja inzwischen den Kombilohn nicht mehr als Allheilmittel. Über solche Sachen kann man diskutieren. Aber der Überschuss bei der Bundesagentur für Arbeit, meine Damen und Herren, muss für eine Senkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung verwendet werden, d. h. für eine Senkung der Lohnzusatzkosten. Denn die Ursache für den Rückgang der Zahl der Ausbildungsplätze liegt ja darin, dass die Zahl der Arbeitsplätze zurückgegangen ist. Wenn die Zahl der Arbeitsplätze zurückgeht, weil in Deutschland die Kosten zu hoch sind, müssen wir zuallererst die Kosten für Arbeit herunterbringen, weil dann automatisch die Zahl der Ausbildungsplätze nach oben geht.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Wer sich aber weigert, die Kosten für Arbeit zu senken, und stattdessen sagt: „Da ist ein Überschuss, und das Geld geben wir mal an einer anderen Stelle aus“, der bewirkt, dass sich das Problem des Ausbildungsplatzmangels verlängert, und der bewirkt nicht, dass es verkürzt wird. Insofern geht der Antrag an dieser Stelle in die falsche Richtung.

Herr Lenz, ich freue mich über Ihren zweiten Beitrag, weil Sie da eine Korrektur vorgenommen haben. Sie sind nämlich - der Antrag vermittelt einen anderen Eindruck; ich sage auch das vorsichtig - davon ausgegangen, dass das duale System das Normale sein muss.

(Walter Meinhold [SPD]: Das haben wir immer gesagt!)

- Herr Meinhold, ich rede im Augenblick mit Herrn Lenz, wenn Sie gestatten.

(Wolfgang Jüttner [SPD]: Mit uns al- len! Wir hören auch zu!)

Dann lassen Sie uns doch gemeinsam nach Wegen suchen, wie man die duale Ausbildung verbessern kann. Begeben Sie sich nicht, weil Sie bestimmte Hürden, wie z. B. die Ausbildungsvergütung eine ist, nicht überspringen können, auf ein Nebenfeld, wie es die außerbetriebliche Ausbildung ist! Meine Damen und Herren, wenn die duale Ausbildung der Kern ist, mit dem man die Zukunft der Jugendlichen in der Arbeitswelt sichern

kann, dann muss es um Verbesserungen im dualen System gehen. Nebenwege und Nebeneffekte sind nicht das Wesentliche.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Herzlichen Dank. - Für die SPD-Fraktion hat sich noch einmal Herr Kollege Lenz zu Wort gemeldet. Bitte schön!

Frau Präsidentin! Herr Minister, ich will es gern aufgreifen, wenn Sie hier das Angebot machen, im Ausschuss vernünftig darüber zu reden. Ich will nur in einem Punkt widersprechen: Es gibt zahlreiche - das wissen Sie auch sehr genau - tarifvertragliche Bündnisse für mehr Ausbildungsplätze. Im Übrigen - über Volkswagen soll man hier ja nicht reden; das haben wir gestern gehört -: Sie wissen, dass bei Volkswagen die Ausbildungsvergütungen abgesenkt worden sind, um zusätzliche Ausbildungsplätze zu schaffen.

(Wolfgang Jüttner [SPD]: Guck an!)

Ähnliches gibt es in der Metallindustrie und in der chemischen Industrie. Tun Sie nicht immer so, als ob die Tarifvertragsparteien den Ball nicht schon längst aufgenommen hätten. Das muss an dieser Stelle wirklich einmal aufhören.

(Beifall bei der SPD)

Herzlichen Dank. - Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe damit die Beratung.

Wir kommen zur Ausschussüberweisung. Es wird empfohlen, den Antrag zur federführenden Beratung an den Ausschuss für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr zu überweisen. Mitberatend tätig werden sollen der Ausschuss für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit sowie der Kultusausschuss; Letzteres ist ja zusätzlich beantragt worden. Wer so beschließen möchte, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? Damit ist so beschlossen worden.

Ich rufe auf

Tagesordnungspunkt 21: Erste Beratung: Eigenverantwortliche Schule: Erlasse aufheben - Gestaltungsfreiräume der Schulen erweitern - Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 15/3117

Frau Kollegin Korter von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Juli hat der Landtag den Eigenverantwortlichen Schulen eine neue Verfassung gegeben. Eltern und Schülerinnen und Schüler bekommen im Schulvorstand mehr Mitspracherechte bei der Entwicklung ihrer Schule. Das ist gut so. Aber damit haben die Schulen noch lange nicht die benötigten Freiräume für ihre pädagogische Weiterentwicklung bekommen.

(Walter Meinhold [SPD]: Das wussten wir damals schon!)

Ihre Arbeit wird noch immer durch eine Vielzahl von Erlassen und Verordnungen reglementiert. Das haben wir auch bei der Gesetzesberatung immer wieder betont. Bis heute wissen die Schulen nicht, auf welche Gestaltungsfreiräume sie sich tatsächlich einstellen können.

(Claus Peter Poppe [SPD]: Das ist ja ganz neu!)

Meine Damen und Herren, wir legen deshalb einen Antrag vor, mit dem wir ganz konkret Freiräume für die Weiterentwicklung der Schulen schaffen wollen. Wir wollen damit endlich den Weg frei machen für eine Reform der Schule von innen und von unten. Es geht uns dabei um folgende Bereiche ganz besonders: eine eigenständige Rhythmisierung des Schultages und der Schulwoche, mehr fächerübergreifender Unterricht, inhaltliche Modernisierung auf der Basis von Kerncurricula anstelle von Rahmenrichtlinien in allen Fächern, flexiblere Lerngruppen, neue Formen der Leistungsbewertung und Verzicht auf das Sitzenbleiben zugunsten von Förderkonzepten. Schulen sollen den Tagesablauf neu strukturieren können, um dem Lernrhythmus der Kinder besser gerecht werden und um Projektunterricht besser organisieren zu können. Sie sollen den Unterricht fächerübergreifend organisieren und inhaltlich modernisieren können.

Meine Damen und Herren, noch immer ist Schule in gleichförmige altershomogene Klassenverbände gegliedert, in denen alle zur gleichen Zeit das Gleiche lernen sollen. Meine Damen und Herren von der CDU, Sie benutzen ja so gerne den abschätzigen Begriff der Einheitsschule. Wenn dieser Begriff irgendwo passt, dann für die herkömmlichen Schulklassen mit ihrem Lernen im Gleichschritt.

Wir wollen den Unterricht stärker individualisieren. Dafür müssen die Schulen die Gruppen flexibler bilden können. Sicherlich: Es wird auch künftig Klassenverbände geben. Daneben aber sollen Schülerinnen und Schüler auch in Kleingruppen oder einzeln gefördert werden. Sie werden in Arbeitsgruppen selbstständig lernen, in jahrgangsübergreifenden Gruppen und zeitweise auch in reinen Mädchen- oder Jungengruppen. Dafür soll es keine Vorgaben mehr zur Größe der Klassen geben. Es soll nur noch festgelegt werden, wie viele Stellen den Schulen jeweils insgesamt zustehen, abhängig von der Schülerzahl und vom besonderen Förderbedarf.

Meine Damen und Herren, die altbekannten Klassenarbeiten sind eine Form der Leistungsüberprüfung, die zum herkömmlichen Unterricht im Gleichschritt passt. Ein individualisierter Unterricht braucht auch neue Formen der Leistungsüberprüfung: z. B. Lernjournale, selbstständige Einzel- und Gruppenarbeiten, Portfolios. Lediglich die Abschlusszeugnisse müssen im Interesse der Vergleichbarkeit einheitlich sein. Wir wollen den Schulen die Freiheit geben, auf das pädagogische Holzhammerinstrument Sitzenbleiben zu verzichten und den Lernerfolg aller Schülerinnen und Schüler durch geeignete Förderkonzepte zu sichern, so wie es in den skandinavischen Ländern längst selbstverständlich ist.

Meine Damen und Herren, wir wollen den Schulen diese neuen pädagogischen Konzepte nicht vorschreiben. Wir wollen es ihnen aber endlich ermöglichen, neue pädagogische Wege zu gehen, ohne sich in jedem Einzelfall eine Sondergenehmigung geben lassen zu müssen.

Herr Minister Busemann, Sie erzählen uns gleich sicherlich wieder, dass Sie all das schon machen. Sie haben zwar im April eine Liste von Erlassen vorgelegt, die aufgehoben oder ganz oder zum Teil zur Disposition gestellt werden können. Bislang - das kennen wir bei Ihnen - ist es aber nur bei einer Ankündigung für die Presse geblieben. Noch

steht im Erlass „Unterrichtsorganisation“: „Die Dauer einer Unterrichtsstunde beträgt grundsätzlich 45 Minuten.“ Noch ist im Unterrichtsversorgungserlass vorgeschrieben, in welcher Größe die Klassen zu bilden sind. Noch müssen die Schulen in den meisten Fächern die überfrachteten Stoffkataloge der Rahmenrichtlinien abarbeiten. Noch ist in den Grundsatzerlassen festgelegt, welches Fach in welchem Schuljahr mit wie vielen Stunden in jeder Woche erteilt werden muss und wie viele Klassenarbeiten in jedem Fach pro Schuljahr zu schreiben sind. Und so weiter!

Meine Damen und Herren, künftig wird den Schulen mit den Bildungsstandards vorgegeben, welche Ziele sie erreichen müssen. Aber wir trauen ihnen zu, selbst darüber zu entscheiden, mit welchen Konzepten sie diese Ziele am besten erreichen können. Dafür brauchen sie die nötigen Freiräume. Damit sie diese auch ausschöpfen können, wollen wir ihnen auch mehr organisatorische Freiräume geben. Schulen sollen vor allem über ihre Ressourcen eigenverantwortlich verfügen können, wenn sie die Verantwortung für die Qualität übernehmen sollen. Deshalb sollen sie auch im Rahmen der ihnen zustehenden Personalbudgets einen eigenen Stellenplan aufstellen können. Sie sollen selbst bestimmen können, welches Profil - z. B. welche Zusatzausbildung - die Lehrkräfte haben müssen. Sie sollen z. B. auch bestimmen können, dass für eine Stelle eine Sozialpädagogin oder eine andere Förderkraft eingestellt wird.

Meine Damen und Herren, auch der Einsatz der einzelnen Lehrkräfte soll flexibler werden. In der Arbeitszeitverordnung der Lehrkräfte ist vorgeschrieben, wie viele Unterrichtsstunden pro Woche die Lehrkräfte in den verschiedenen Schulformen jeweils zu erteilen haben. Diese Regelung passt nicht mehr in eine Schule, die mehr ist als Unterricht. Wir wollen deshalb nur noch festlegen, wie viele Stunden die Gesamtjahresarbeitszeit der Lehrkräfte beträgt. Wie die Arbeitszeit dieser Lehrkräfte eingesetzt wird, für Unterricht mit Vor- und Nachbereitung, für Einzelförderung, für Beratung von Schülerinnen und Schülern, für Schulentwicklungsplanung und ähnliches mehr, soll in den Schulen selbst festgelegt werden. Rahmenvereinbarungen für dieses neue Arbeitszeitmodell müssen selbstverständlich mit den Lehrerverbänden ausgehandelt werden.

Meine Damen und Herren, unsere Schulen brauchen nicht nur Freiräume, um neue Konzepte zu entwickeln, sie brauchen dafür auch Unterstüt

zung. Der nächste notwendige Schritt wird deshalb sein, ein qualifiziertes Beratungs- und Unterstützungssystem zu entwickeln.

Herr Busemann, Sie wollen immer so gern der Erste und der Schnellste sein. Wir werden Sie daran messen, ob Sie den Mut haben, jetzt den Schulen die nötige Freiheit für ihre eigenverantwortliche Weiterentwicklung zu geben und ob Sie sie dabei auch ausreichend unterstützen. Zum Nulltarif wird das bestimmt nicht zu haben sein. Ich danke Ihnen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Herzlichen Dank. - Für die SPD-Fraktion Frau Kollegin Eckel, bitte!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte meine Ausführungen zu dem eben eingebrachten Antrag mit einem Zitat aus der Celleschen Zeitung vom 8. September dieses Jahres beginnen. Da heißt es:

„Die im Juli vom Niedersächsischen Landtag beschlossene Eigenverantwortliche Schule reicht nach Ansicht der Grünen nicht aus, um die Bildungssituation im Lande zu verbessern. Die Gesetzesnovelle greife zu kurz, sagte die schulpolitische Sprecherin, Ina Korter.“

(Wolfgang Jüttner [SPD]: Da hat sie recht!)

Staunend fragt man sich: Was liegt hier vor: kurzes Gedächtnis oder erfolgreiche Verdrängung?

(Beifall bei der SPD)

Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, haben doch zugestimmt. Sie haben diese kurz greifende Gesetzesnovelle, wie Sie hier sagen, gewollt, haben sich von den Regierungsfraktionen als einsichtsvolle, vernunftbegabte Nichtblockierer feiern lassen.

(Beifall bei der SPD)