Protocol of the Session on September 13, 2006

Wissen Sie, welcher Eindruck hiermit in meinen Augen erzeugt werden soll? - Dass in Niedersachsen 3 000 potenzielle Terroristen islamistischer Herkunft leben. Zumindest wird dieser Zusammenhang hergestellt. Das nenne ich Verschluderung der Sprache.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Das ist kein seriöser Umgang mit dem Thema.

Ich sage Ihnen ein Zweites: Wenn eine solche Bedrohungslage in Niedersachsen besteht, dann hat die Landesregierung sie noch nie dargelegt, auch nicht in vertraulichen Sitzungen beispielsweise des

Ausschusses für Angelegenheiten des Verfassungsschutzes. Es wäre eine fatale Unterlassung dieser Landesregierung, wenn es diese Bedrohungslage gäbe und sie sie nie dargelegt hätte.

(Zustimmung von Heidrun Merk [SPD])

Ich ziehe allerdings den umgekehrten Schluss daraus: Es gibt diese Bedrohungslage in Niedersachsen nicht, und deshalb muss und kann sie auch nicht dargelegt werden.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Letzter Punkt zu den einzelnen Maßnahmen: die Antiterrordatei. Wir als Grüne haben eine klare Position dazu bezogen. Wir halten eine Indexdatei für angemessen und für vertretbar. Wir haben dort Übereinstimmung unter anderem mit dem Bundestagesabgeordneten Max Stadler von der FDP.

(Christian Dürr [FDP]: Hervorragender Mann!)

Wir stellen allerdings die Frage: Hätten die gescheiterten Attentate mit den Kofferbomben mithilfe einer Antiterrordatei - auch in der Fassung, die Herr Minister Schünemann so bevorzugt, nämlich einer Volltextdatei mit möglichst vielen Informationen - eigentlich verhindert werden können? Sie hätten mithilfe einer solchen Datei nicht verhindert werden können, weil diese Tatverdächtigen vorher noch nie auffällig geworden waren.

Zweiter Punkt: Videoüberwachung. Hätten solche Anschläge mit einer erweiterten Videoüberwachung in den Metropolen, an großen öffentlichen Plätzen, in den großen Städten, wie Herr Schünemann sie jetzt für Niedersachsen gefordert und vorgeschlagen hat, verhindert werden können? Unter anderem hat er, für meine Begriffe amüsanterweise, auch Salzgitter genannt. Offensichtlich sieht er auch für Salzgitter, was wir nicht wissen, eine Bedrohungslage, ein Pflaster, auf dem potenzielle islamistische Terroristen gedeihen. Aber das kann er uns vielleicht noch einmal genauer darstellen.

Jedenfalls gibt es nach unserer Kenntnis diese Bedrohungslage nicht, und auch mithilfe einer erweiterten Videoüberwachung hätten diese Anschläge nicht verhindert werden können. - Damit komme ich zum Ende und bedanke mich.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Für die Landesregierung hat nun Herr Minister Schünemann das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Spätestens nach den versuchten Kofferbombenattentaten muss eigentlich jedem klar sein, in welcher Bedrohungslage wir uns befinden. Dass Sie, Herr Lennartz, dieses noch nicht so sehen, wundert mich wirklich etwas.

(Zuruf von Professor Dr. Albert Len- nartz [GRÜNE])

Die Lage wird übrigens einmütig so eingeschätzt. Wenn Sie die Situation einmal genau betrachten, werden Sie feststellen: Es geht nicht nur um ein oder zwei verwirrte, gewaltbereite Extremisten, sondern in Schleswig-Holstein ist es eigentlich eine Terrorzelle, und in Nordrhein-Westfalen ist es zum Teil schon ähnlich wie in England oder in London. Dort haben wir sogar schon home-grown gewaltbereite Extremisten. Auf diese Situation müssen wir insgesamt reagieren.

Ich bin froh, dass wir in Niedersachsen bereits reagiert haben. Ich bin aber auch froh darüber, dass wir zum Glück im Moment in Niedersachsen eine so starke Bedrohungslage nicht haben. Das hat auch etwas damit zu tun, dass wir die richtigen Instrumente eingerichtet haben.

(Beifall bei der CDU)

Welche Maßnahmen sind denn notwendig, um uns vor derartigen Anschlägen wirklich zu schützen? Da reichen Polizeipräsenz und verstärkte Videoüberwachung nicht aus, sondern wir müssen rechtzeitig an Informationen kommen, und die vorliegenden Informationen müssen miteinander verknüpft werden.

Im Jahr 2004 hat diese Landesregierung im Bundesrat einen Gesetzentwurf eingebracht, in dem wir klar gesagt haben: Wir brauchen eine Kombination aus Index- und Textdatei sowie verdeckte Möglichkeiten der Speicherung beim BND. Der Gesetzentwurf wurde im Oktober 2004 vom Bundesrat verabschiedet und von der rot-grünen Bun

desregierung ohne Änderungsanträge einfach mit den Worten abgeschmettert: Wir brauchen keine Antiterrordatei. - Das ist die Wahrheit. Wäre man dem Rat Niedersachsens gefolgt, hätten wir diese Antiterrordatei bereits und müssten jetzt nicht mehr darüber reden und einen Gesetzentwurf in den Bundestag einbringen.

(Beifall bei der CDU)

Wir haben rechtzeitig gesagt, wir müssen die Informationen aus dem Bereich des Verfassungsschutzes und anderer Sicherheitsbehörden zusammenführen. Wir haben nicht auf den Bund gewartet, weil damals Rot-Grün regierte. Wir haben das GIAZ eingerichtet. Dort können wir die vorliegenden Informationen zusammenfügen, und wir können über notwendige Maßnahmen beraten. Dabei muss natürlich das Trennungsgebot zwischen Verfassungsschutz und Polizei beachtet werden; das ist keine Frage. Aber wir warten nicht, sondern wir handeln, und damit ist Niedersachsen in diesem Bereich eindeutig führend. Jetzt wird es im Bund nachvollzogen, und das ist auch gut so.

(Beifall bei der CDU)

Wir haben den Verfassungsschutz gestärkt, indem wir 20 Mitarbeiter zusätzlich eingesetzt haben, die fast ausschließlich im Bereich islamistischer Extremismus und Terrorismus tätig sind. Sie, meine Damen und Herren von Rot-Grün, haben den Verfassungsschutz geschwächt. Wir haben wenigstens die Strukturen so aufgebaut, dass wir jetzt mehr Informationen haben. Es war wichtig und richtig, dass wir das gleich zu Beginn unserer Legislaturperiode getan haben.

Meine Damen und Herren, wir führen natürlich auch verdachtsunabhängige Kontrollen durch, u. a. vor Moscheen. Auch das ist eine der präventiven Maßnahmen. Natürlich haben wir in Niedersachsen keine Hassprediger; die gehen in andere Bundesländer, weil sie wissen, dass sie in Niedersachsen sofort erkannt werden. Trotzdem sind diese verdachtsunabhängigen Kontrollen auch hier in Niedersachsen richtig und wichtig.

(Zustimmung bei der CDU)

Unabhängig davon muss man natürlich auch mit den Muslimen kooperieren. Natürlich ist es richtig, dass sich die Muslime und ihre Organisationen von den Attentaten distanzieren; das ist eine Selbstverständlichkeit. Ich verlange von den Muslimen aber nicht nur, dass sie kooperieren, sondern

auch, dass sie uns Hinweise geben, wenn ihnen entsprechende Erkenntnisse vorliegen. Aber das ist leider Gottes nicht nur in Niedersachsen, sondern auch in anderen Bereichen noch nicht so, wir ich mir das vorstelle.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, wir haben das Landeskriminalamt neu strukturiert Auch werden wir die Internetrecherche in diesem Bereich verstärken. Ende dieses Monats werden acht Mitarbeiter ausschließlich in diesem Bereich tätig sein. Dies ist notwendig. Auch auf Bundesebene wird dies jetzt aufgebaut.

Ich möchte noch auf ein paar Dinge eingehen, die Herr Bartling dargestellt hat. Wir reden hier von internationalem Terrorismus, und dann zeigen Sie mir in diesem Zusammenhang doch tatsächlich die Bild-Zeitung. Auch ich lese jeden Tag die BildZeitung; dies ist ganz wichtig. Ich lese Ihnen einmal vor, welche Einsparmaßnahmen gefordert werden: E-Mails sollen nur gelesen, aber nicht ausgedruckt werden, beim Kopieren sind Blätter beidseitig zu bedrucken, im Winter sind Büro- und Sitzungsräume auf maximal 20 Grad zu beheizen usw. - Meine Damen und Herren, wenn ich für den Kernbereich der Polizei mehr Geld zur Verfügung stelle, dann muss ich von der Polizei auch Selbstverständlichkeiten verlangen können. Ich sage Ihnen: Bei 20 Grad zu sitzen, ist manchmal besser, als bei 28 Grad zu sitzen.

(Beifall bei der CDU)

Wenn wir das umsetzen, haben wir damit die Polizei in keiner Weise geschwächt. In anderen Bereichen ist das längst umgesetzt. Sie hätten dies längst machen müssen. Dies ist wirklich nicht der Bereich, bei dem Sie uns etwas vorwerfen können.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ferner haben Sie angesprochen, dass wir die Terrorismusbekämpfung verzögern.

(Glocke des Präsidenten)

- Noch diesen einen Satz, Herr Präsident. - Dazu muss ich schon sagen: Das ist nun wirklich der Hammer!

(Ursula Körtner [CDU]: Abenteuer- lich!)

Wir haben Analyse und Ermittlung beim Landeskriminalamt zusammengeführt. Auch die PD Hannover will das jetzt umsetzen; das ist völlig richtig. Sie haben im August diesen Antrag gestellt, und wir haben gesagt: Aufgrund der Bedrohungslage können wir nicht nur eine organisatorische Veränderung machen, sondern wir brauchen ein Gesamtkonzept, bei dem wir den Staatsschutz insgesamt verstärken.

(Zustimmung von Ursula Körtner [CDU])

Die Zahlen, wie wir das machen können, liegen Ende der Woche vor. Am Montag werde ich das Verstärkungsprogramm vorstellen können. Ich brauche nur noch das Wochenende, um darüber zu entscheiden. Sie wären erstens überhaupt nicht darauf gekommen, und zweitens hätten Sie wahrscheinlich ein Jahr gebraucht, um das Ganze zu entscheiden.

Wir werden nicht nur eine Organisation ändern, sondern den Staatsschutz sogar noch verstärken; denn wir müssen die Observation in den Bereichen intensivieren, auch während einer Bedrohungslage. Dies ist die Wahrheit bei diesem Thema.

(Beifall bei der CDU)

Wir werden im Rahmen der notwendigen Sparmaßnahmen die Ausbildungsmaßnahmen auf den Prüfstand stellen. Meine Damen und Herren, gerade was den islamistischen Terrorismus angeht, ist aber doch völlig klar, dass wir diesen Bereich niemals streichen werden. Dies ist von Anfang an ein Versehen gewesen, und wir haben sofort gesagt: Es kommt überhaupt nicht infrage. Natürlich wird das stattfinden. - Es hat keine 24 Stunden gedauert, dann ist das klargestellt worden.

Meine Damen und Herren, was wir in den letzten dreieinhalb Jahren, gerade in diesem Bereich, aufgebaut haben, ist wirklich führend. Ich bin froh darüber, dass wir die Möglichkeiten dazu haben, die Dinge, die wir in Niedersachsen eingeführt haben, jetzt auch bundesweit zu regeln. - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Für die SPD-Fraktion hat sich der Abgeordnete Bartling noch einmal zu Wort gemeldet.

Meine Damen und Herren! Ich werde die BildZeitung zwar nicht noch einmal zitieren, aber ich möchte doch noch einmal auf Folgendes hinweisen: Wer den Zusammenhang zwischen dem, was eine motivierte Polizei machen kann und machen muss, und der Terrorismusbekämpfung vernachlässigt, der begeht einen entscheidenden Fehler; denn hier werden die Grundlagen gelegt. Sie brauchen eine motivierte Polizei. Diese Sonderdienststellen gehören zwar dazu, aber ohne eine motivierte Polizei werden Sie nie auskommen. Wenn so etwas in der Bild-Zeitung berichtet wird, dann wird deutlich, dass Sie die Polizei über ein ganzes Jahr hinweg nicht mit den entsprechend notwendigen Mitteln ausgestattet haben. Das ist der entscheidende Punkt.