Ich glaube, es wird den berechtigten Belangen behinderter Menschen nicht gerecht, wenn wir uns dahinter verstecken, dass der Bundesgesetzgeber damals noch keinen entsprechenden Gesetzentwurf verabschiedet hatte. Das ist nicht der richtige Weg. Der richtige Weg kann nur sein, nach Verabschiedung des Konnexitätsprinzips jetzt zügig an die Erarbeitung des Gesetzentwurfs zu gehen.
- Herr Böhlke, genauso wie Frau Helmhold haben auch Sie die Möglichkeit, sich nach § 71 Abs. 3 unserer Geschäftsordnung zu Wort zu melden. Jetzt erteile ich Frau Helmhold das Wort. Bitte schön!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Ministerin, ich muss sagen, ich bin über Ihre Einlassungen ein bisschen enttäuscht.
- Sie wissen ja, ich neige oft zu Untertreibungen und sehr dezenten Formulierungen. - Sie haben sehr lange darüber geredet, wie wichtig ein Behindertengleichstellungsgesetz ist. Ich hätte mir allerdings gewünscht, dass Sie einige Worte zum Zeithorizont verloren hätten, damit wir uns darauf einstellen können, wann in etwa wir damit zu rechnen haben. Frau Meißner hat sich ja immerhin darauf eingelassen, zu sagen, sie sei guter Hoffnung.
Sind Sie wenigstens dazu in der Lage, uns zuzusagen, dass der Gesetzentwurf unter Umständen innerhalb der nächsten 280 Tage vorgelegt werden könnte?
Der Antrag soll an den Ausschuss für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit überwiesen werden. Wer so beschließen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Das ist so beschlossen.
Tagesordnungspunkt 32: Erste Beratung: Hilfen und Betreuung von Menschen mit demenziellen Erkrankungen verbessern Antrag der Fraktion der SPD - Drs. 15/3016
Tagesordnungspunkt 33: Erste Beratung: Optimierung vorhandener Pflegestrukturen - Antrag der Fraktionen der CDU und der FDP - Drs. 15/3021
Zur Einbringung erteile ich Frau Kollegin Groskurt von der SPD-Fraktion das Wort. Bitte schön, Frau Groskurt!
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Großen Ankündigungen der Landesregierung, Hilfe und Betreuung für Menschen mit demenziellen Erkrankungen zu verbessern, sind leider keine Taten gefolgt.
Der Antrag der SPD-Fraktion fordert zum wiederholten Male von der Landesregierung, notwendige Maßnahmen zur Verbesserung der Hilfen für demenziell Erkrankte zu ergreifen. Diese Maßnahmen haben Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen der CDU-Fraktion, schon 2002 gefordert, dann aber leider vergessen, sie selbst durchzuführen. Nachdem wir Sie heute daran erinnern, kann ich für die SPD-Fraktion davon ausgehen, dass Sie unserem Antrag zustimmen werden. Denn auf der Grundlage des Landespflegeberichtes, der von rund 100 000 an mittlerer und schwerer Demenz erkrankten Menschen in Niedersachsen sowie von einer deutlichen Zunahme bis 2020 um rund 39 000 Menschen ausgeht, besteht dringender Handlungsbedarf. Das steht übrigens auf Seite 41 des Landespflegeberichtes. Das sage ich freundlicherweise deshalb, damit Sie nicht wieder wie im letzten Plenarsitzungsabschnitt nach den Pflegeausbildungszahlen hektisch suchen müssen, die bei Ihnen etwas durcheinander geraten waren.
Dass die Versorgung der Demenzkranken zu verbessern und ihnen möglichst lange ein würdevolles und entsprechend ihren noch vorhandenen Fähigkeiten erfülltes Leben zu ermöglichen ist, ist unstrittig.
Nach Schätzungen sind in der stationären Altenpflege etwa 60 % der Bewohnerinnen und Bewohner an einer Demenz erkrankt. Die alltägliche Begleitung von Menschen mit Demenz stellt viele Mitarbeitende in Altershilfeeinrichtungen und auch Angehörige vor große Probleme. Vor allem dann, wenn Aggressionen, ein erhöhter Bewegungsdrang, starke Orientierungsprobleme, ein hohes Maß an Selbst- oder Fremdgefährdung auftreten, stehen Pflegende und Begleitung demenzkranker Menschen diesen hilflos gegenüber.
Großer Wert muss bei der Pflege darauf gelegt werden, dass die Begleitung von Menschen mit Demenz darauf abzielt, sie sozial zu integrieren. Es kommt darauf an, die Menschen mit Demenz als Gegenüber ernst zu nehmen und ihre Befindlichkeit und ihr Erleben zu ergründen. Nicht nachvollziehbares Verhalten erweist sich oft als unverstandenes Verhalten.
Der Blick muss weg von den Defiziten der Erkrankung hin auf die ihnen verbleibenden Kompetenzen gerichtet werden. Werden diese vermehrt genutzt, können sie zugleich gestärkt werden. Zu den Hauptmerkmalen einer solchen Versorgung gehören bedürfnisgerechte Koordination und Vernetzung von Leistungen, Akteuren und Kostenträgern. Alle, die in der Politik Verantwortung tragen, müssen sich darüber einig sein, dass eine Verbesserung der Versorgungssituation, insbesondere von demenziell erkrankten Menschen, dringend erforderlich ist.
Das Spektrum der Probleme, die angegangen werden müssen, um zu einer durchgreifenden Verbesserung zu kommen, ist groß. Dies zeigt auch der vorliegende Landespflegebericht. Aus dem sich verändernden und künftig weiter verschiebenden Altersaufbau der Bevölkerung erwachsen vielfältige Handlungserfordernisse in Politik und Gesellschaft.
Alten Menschen gebührt die Solidarität der Gesellschaft. Sie haben den Anspruch und das Recht darauf, ein möglichst selbständiges, selbstbestimmtes Leben als geachtete und gleichwertige Mitglieder unserer Gesellschaft zu führen.
Aufgabe der Politik ist es, die für ein aktives und kompetentes Altern notwendigen Rahmenbedingungen zu schaffen. Den alten Menschen, die krank, hilfe- oder pflegebedürftig sind, muss die Politik die notwendige Unterstützung und den gebotenen Schutz bereitstellen. Der Erhalt der individuellen Würde bis zum Lebensende ist dabei Grundlage aller Bemühungen. Die Bedingungen für die Pflege alter Menschen zu verbessern und zu sichern, muss Ziel der Politik sein. Die Forderungen in unserem Antrag zeigen hier Lösungen auf.
Zu Nr. 1: In der Praxis hat sich gezeigt, dass insbesondere ein hoher Bedarf für ein unbürokratisches niedrigschwelliges Angebot zur Betreuung der dementen Pflegebedürftigen und zur Entlastung der pflegenden Angehörigen besteht. Oft erleichtern gerade diese niedrigschwelligen Angebote den pflegenden Angehörigen den für sie schweren Schritt, erstmals Hilfen von außen in Anspruch zu nehmen.
In den Parlamentsferien habe ich in einer Tagespflegeeinrichtung für demenzkranke Menschen gearbeitet. Es war zwar nur eine Woche, aber die hat mir sehr deutlich gemacht: Das ist das optimale Angebot, wenn sich Erkrankte und Angehörige mit der Erkrankung auseinander setzen müssen. Es ist für die Angehörigen eine zeitliche Entlastung - sie können ihren Alltag häufig mit Berufstätigkeit fast uneingeschränkt bewältigen - und auch eine psychische Entlastung, den Erkrankten nicht stationär in ein Pflegeheim abgeschoben zu haben. Der Erkrankte wird morgens zu Hause abgeholt und abends wieder nach Hause gebracht. Er hat eine geregelte Tagesstruktur, in der er sich mit seiner Erkrankung gut zurechtfinden kann, in der er gefordert und gefördert wird. Dieser Tagesablauf gibt ihm das Gefühl eines Arbeitsalltags, verbunden mit der Wahrnehmung einer gewissen Normalität.
Zu Nr. 2: Rahmenbedingungen und Pflegekonzepte gerade in stationären Einrichtungen müssen zunehmend auf die Bedürfnisse Demenzkranker abgestimmt werden. Architektonisch notwendige Umbaumaßnahmen zur bedarfsgerechten Betreuung Demenzkranker in gesonderten Wohnbereichen lassen sich in ganz normalen Pflegeheimen erfolgreich realisieren. Auf Seite 376 des Landespflegeberichts heißt es
„Nach Kenntnisstand des Ministeriums steht zu vermuten, dass derzeit erst ein nicht näher bekannter Teil der Pflegeheime ihre innerbetriebliche Organisation, die Wohnbedingungen und die Betreuung der Bewohnerinnen und Bewohner auf die neuen Erkenntnisse und Erfahrungen im Umgang mit dementen alten Menschen umfassend ausgerichtet hat.“
„Es steht zu vermuten“ gibt eindeutig den Auftrag, hier zu recherchieren. Dies ist vor allem deswegen erforderlich, weil einen Absatz später auf Seite 377 zu lesen ist:
„Zudem zeigen gelungene Beispiele von Heimen mit konventioneller Bauweise aus früheren Jahrzehnten, dass bereits mit vergleichsweise geringen Eingriffen in die Bausubstanz und durch entsprechende Milieugestaltung der Wohn- und Aufenthaltsbereiche erhebliche Verbesserungen erzielt werden können.“
Ich kann nicht nachvollziehen, weshalb Sie, geehrte Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP, das Ministerium da noch nicht in Ihrer freundlichen Art gebeten haben, aktiv zu werden.
Zu Nr. 3: Um der Herausforderung durch die demografisch bedingt wachsende Anzahl demenzkranker alter Menschen auf Dauer gerecht werden zu können, bedarf es jedoch einer gesellschaftlich breit angelegten Informations- und Qualifizierungsaktion.