Protocol of the Session on July 13, 2006

Ich fordere die Landesregierung auf, mit diesem unwürdigen Schauspiel endlich Schluss zu machen und den wiederholt versprochenen Gesetzentwurf dem Landtag unverzüglich zur Beratung vorzulegen, und zwar so, dass er definitiv noch in dieser Periode verabschiedet werden kann.

(Starker Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Danke schön, Herr Schwarz. - Für die CDUFraktion Herr Kollege Böhlke, bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wer hat die niedersächsische SPDFraktion eigentlich 13 Jahre lang erfolgreich daran gehindert, ein Behindertengleichstellungsgesetz im Landtag zu verabschieden?

(Beifall bei der CDU)

In den Jahren von 1990 bis 2003 stand die SPD in der Regierungsverantwortung. In einer rot-grünen Koalition kann man es noch dem kleinen Partner zuschreiben, wenn ein Vorhaben nicht realisiert

wurde. Zuletzt war die SPD-Fraktion hier aber mit der absoluten Mehrheit der Mandate ausgestattet. Sie hatten also alle Zeit der Welt und zweifelsohne auch ausreichende Gelegenheiten, Ihre heutige Forderung in Ihrer 13-jährigen Regierungszeit zu realisieren.

(Zuruf von Heidrun Merk [SPD])

- Wer also hat Sie daran gehindert, Frau ehemalige Sozialministerin Merk, in dieser Frage im Sinne Ihres Antrages aktiv zu werden?

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Es ist Ihnen offensichtlich rechtzeitig überhaupt nicht eingefallen. Der untergegangene Gesetzentwurf aus dem Dezember 2002 ist weniger als nur ein politisches Feigenblatt; denn bekanntlich fanden die Landtagswahlen, die zu dem erwarteten Regierungswechsel führten, wenige Woche später statt.

Meine sehr verehrten Damen und Herren von den Sozialdemokraten, wer sich 13 Jahre lang in dieser Frage zurückgehalten hat, sollte heute nicht mit dicken Backen entsprechende Forderungen erheben.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Sie sollten bei diesem Thema vielmehr erkennbare Bescheidenheit an den Tag legen und warten, bis ein entsprechender Gesetzentwurf eingebracht wird. Seien Sie gewiss, die Wartezeit wird keinesfalls 13 Jahre andauern.

Sie haben aber offensichtlich eine andere Strategie entwickelt, die allerdings auch sehr durchsichtig ist. Ausgerechnet derjenige, der mit den Händen in den Eierkorb griff und die Objekte der Begierde in den Hosentaschen verschwinden ließ, ruft jetzt, um im Bild zu bleiben: Haltet den Eierdieb! Oder anders ausgedrückt: Angriff ist die beste Verteidigung. Dabei sollten Sie doch wissen, dass die Landesregierung und die sie tragenden Fraktionen von CDU und FDP eindeutig Prioritäten gesetzt haben.

(Wolfgang Jüttner [SPD]: Ihre Priorität heißt soziale Kälte!)

Im Zusammenhang mit dem Behindertengleichstellungsgesetz - hören Sie mir genau zu -, das natürlich auch sehr konkrete Auswirkungen auf die Kommunen hat, ist von unserer Seite immer deutlich hervorgehoben worden, dass wir erst einmal

das Thema Konnexität regeln wollen, bevor wir uns detailliert mit dem Entwurf eines Behindertengleichstellungsgesetzes auf den Weg machen. Meine Damen und Herren, bedenken Sie, dass wir das Konnexitätsprinzip erst im März 2006 in unserer Verfassung verankert haben. Anders als in sozialdemokratisch verantworteten Regierungsjahren können und wollen wir nicht mehr die Musik bestellen und die Kommunen dafür bezahlen lassen. Wir haben vielmehr die Interessenlage der Kommunen und auch die Konnexitätsverpflichtung des Landes gebührend zu beachten.

Auch hier gilt: Gut Ding will Weile haben. Seien Sie aber gewiss: Es besteht ausreichend Zeit, um einen entsprechenden Gesetzentwurf noch in dieser Wahlperiode zu verabschieden. Vergessen wir in diesem Zusammenhang nicht, dass es mittlerweile viele Beispiele auf kommunaler Ebene gibt, die dazu beitragen, die Situation der Behinderten spürbar zu verbessern. Die Hilfestellung und Unterstützung durch Kommunen, aber auch durch ehrenamtlich engagierte Mitmenschen lässt erkennen, dass auch im tagtäglichen Leben bereits Angebote vorhanden sind, die es in einem späteren Behindertengleichstellungsgesetz zu stärken gilt.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir arbeiten an einem durchdachten Konzept. Gleichzeitig ist die Landesregierung durch die Sozialministerin und die Hausspitze bestrebt, die Situation behinderter Menschen spürbar zu verbessern. In diesem Zusammenhang möchte ich heute in den Vordergrund stellen, dass - dies geschah bundesweit erstmalig - eine Vereinbarung zwischen dem Ministerium und der Regionaldirektion Niedersachsen-Bremen der Bundesagentur für Arbeit geschlossen wurde. In dieser Vereinbarung machen sich beide gemeinsam dafür stark, eine Verbesserung der Qualifikation und Arbeitsplatzsicherung von behinderten Menschen herbeizuführen. Das Land Niedersachsen wird die vom Integrationsamt zu ermittelnde Ausgleichsabgabe weiterhin für die Schaffung und den Erhalt von Arbeitsplätzen zur Verfügung stellen. Genauso wichtig ist aber auch, dass behinderte Menschen, die häufig Hilfen zur beruflichen Qualifikation benötigen, diese Hilfen auch erhalten und ihre Teilhabe am Arbeitsleben gesichert wird.

(Zustimmung von Gesine Meißner [FDP])

Natürlich ist es auch unsere Aufgabe, eine weitere spürbare Verbesserung der Lebenssituation für

Menschen mit Behinderungen zu erreichen. Wir arbeiten daran. Wir unterscheiden uns in dieser Hinsicht von der sozialdemokratischen Fraktion im Wesentlichen dadurch, dass wir dieses Ziel, mit den tagtäglichen Herausforderungen konfrontiert, ohne Theaterdonner verfolgen.

Abschließend kann ich den Antragstellern nur raten: Ziehen Sie Ihren Antrag zurück,

(Lachen bei der SPD)

und fassen Sie sich mit der gebotenen Bescheidenheit im Blick auf Ihre 13-jährige Regierungszeit in Geduld. Wir werden Ihnen bei den Beratungen im zuständigen Fachausschuss sicherlich den notwendigen Geduldsfaden - wenn es ein roter Faden sein muss, dann in Gottes Namen auch diesen - zur Verfügung stellen. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Danke schön, Herr Böhlke. - Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun Frau Kollegin Helmhold das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Was wir in diesem Hause zum Thema Behindertengleichstellungsgesetz erleben und erlebt haben, gleicht einem Stück aus dem politischen Tollhaus.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Genauer betrachtet gehört es aber doch eher zum Genre Trauerspiel.

Erster Aufzug: 14. Wahlperiode.

Erster Akt: Der Landesbehindertenbeauftragte legt 1999 einen Gesetzentwurf vor, der umgehend in den Schubladen der damaligen Sozialministerin verschwand.

(Norbert Böhlke [CDU]: Haben Sie gehört, Frau Merk?)

Im April 2000 legt die damalige Regierungsfraktion einen Entschließungsantrag vor, in dem in vagen und sehr diplomatischen Formulierungen eine

Reihe von behindertenpolitischen Zielen formuliert wird. Konkret geschieht nichts.

Zweiter Akt: Die Grünen bringen nach dem Tag der Behinderten im Mai 2000 den Gesetzentwurf des Landesbehindertenbeauftragten als eigenen Gesetzentwurf in den Landtag ein, in der Hoffnung, dass etwas geschieht.

Dritter Akt: Im August 2001 fasst der Landtag einen relativ weichen Beschluss, mit dem die Landesregierung aber immerhin aufgefordert wird,

„nach Vorlage eines Bundesgesetzentwurfes zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen die dann noch nötigen gesetzlichen Regelungen zur Umsetzung des... Anspruchs behinderter Menschen auf Gleichstellung und Förderung zügig auf Landesebene zu schaffen.“

Dies allerdings geschieht nicht.

Vierter Akt: Im Februar 2002 beschließt der Deutsche Bundestag das Bundesgesetz zur Gleichstellung Behinderter. Es dauert dann sage und schreibe noch einmal neun Monate, bis im Dezember 2002 ein Gesetzentwurf auf den Tischen des Landtags liegt, der prompt der Diskontinuität anheim fällt. Damit ist klar, dass in der 14. Wahlperiode nichts mehr geschehen wird. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Zweiter Aufzug: 15. Wahlperiode.

Erster Akt: Bereits im Mai 2003 legt die SPD einen Entschließungsantrag vor, in dem sie fordert, nun müsse aber schleunigst ein Entwurf für ein Landesgesetz zur Gleichstellung Behinderter vorgelegt werden.

Zweiter Akt: Im Februar 2005 bringt die SPD erneut ihren alten Gesetzentwurf ein. Sie hatte natürlich ausreichend Zeit gehabt, diese Dinge selbst zu regeln.

Dazwischen tritt die Landesregierung in verschiedenen Intermezzi, so zuletzt beim Landesbehindertenbeirat, auf, ohne dass Entscheidendes passiert.

Meine Damen und Herren, nachdem das Land Mecklenburg-Vorpommern kürzlich sein Gleichstellungsgesetz beschlossen hat, ist Niedersachsen nun das allerletzte der 16 Bundesländer ohne

Gleichstellungsgesetz für behinderte Menschen. Das ist beschämend, meine Damen und Herren.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der SPD)

Dabei geht es um die Verwirklichung eines Stücks Menschenrecht für behinderte Menschen. Die rotgrüne Bundesregierung hat hier längst Zeichen gesetzt, auch mit dem Antidiskriminierungsgesetz als Ergänzung des Bundesgesetzes zur Gleichstellung behinderter Menschen im zivilen Rechtsraum.

Aber in dieser Debatte wird in Niedersachsen deutlich, dass die Landesregierung und die Damen und Herren Abgeordneten der Regierungsfraktionen mit der tatsächlichen Gleichstellung behinderter Menschen doch sehr wenig am Hut haben.

Frau Kollegin Helmhold, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Böhlke?