Protocol of the Session on June 22, 2006

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will nicht fragen, wie viele Flüchtlinge aus der De

mokratischen Republik Kongo in Niedersachsen Zuflucht gefunden haben und wieder abgeschoben worden sind oder noch abgeschoben werden. Mit Sicherheit ist deren Zahl völlig unbedeutend im Verhältnis zu den derzeit 1,5 Millionen Binnenflüchtlingen, die im Kongo umherirren. Sie sind von ihrer Zahl her auch gegenüber den mehr als 300 000 Flüchtlingen aus dem Kongo völlig unbedeutend, die Sambia, Tansania und KongoBrazzaville aufgenommen haben.

Sie sind für uns aber nicht unbedeutend, was die Einzelschicksale angeht, die dahinter stehen; denn das, was die Flüchtlinge nach ihrer Abschiebung aus Niedersachsen im Kongo erwartet, müssen wir hier ansprechen. Die durchschnittliche Lebenserwartung beläuft sich derzeit auf 48,9 Jahre. Die Kindersterblichkeit liegt bei 100 auf 1 000 Lebendgeburten. 48,3 % der Bevölkerung ist null bis 14 Jahre alt. Das ist fast die Hälfte der gesamten Bevölkerung. Der Anteil der 15- bis 64jährigen an der Gesamtbevölkerung beträgt 49,2 %. Der Anteil der über 65jährigen beläuft sich auf nur noch 2,5%. Die Verwaltung funktioniert nicht. Die medizinische Hilfe funktioniert nicht. Die Justiz funktioniert nicht. Es gibt die Subsistenzwirtschaft. Die Arbeitslosigkeit liegt bei fast 100 %. Not, Hunger und Elend prägen das Land. Krieg und Bürgerkriege haben das Land über Jahrzehnte hinweg zerrüttet. Es ist im Chaos versunken. Warlords bestimmen in großen Teilen das Schicksal der Bevölkerung. Kindersoldaten erleiden traumatische Schicksale.

Frau Kollegin, wenn Sie den Film „Lost Children“ gesehen haben, so möchte ich Sie darauf hinweisen, dass er ausschließlich in Gulu in Uganda spielt. - Das aber nur nebenbei.

Noch in den 90er-Jahren forderten der Bürgerkrieg und die Kriege, an denen immerhin acht Staaten im Kongo beteiligt waren, mehr als 4 Millionen Tote. In der afrikanischen Presse wurde das Geschehen der 90er-Jahre als Weltkrieg beschrieben. Er wurde bei uns in Niedersachsen aber nur kaum oder gar nicht wahrgenommen.

Dass das so ist, zeigt jetzt auch die Ablehnung der Forderung, die wenigen Bürgerinnen und Bürger aus dem Kongo, über die wir hier sprechen, wenigstens so lange hier zu belassen, bis ihr Leben im Kongo eine Chance hat, durch die Koalitionsfraktionen. Darüber kann man frühestens nach den möglichst freien Wahlen diskutieren.

Im Gegensatz zu Ihnen, Frau Kollegin, wissen wir, dass seit dem 1. Januar 2005 schon gar nicht der Außenminister Abschiebestopps verhängen kann, wie Sie eben gesagt haben, sondern allenfalls der niedersächsische Innenminister, und zwar im Gegensatz zum früheren Innenminister Bartling jetzt auch allein. Das macht den Unterschied aus.

Die neuesten Reisehinweise des Auswärtigen Amtes sprechen eine sehr deutliche Sprache. Ich zitiere:

„Selbst in Kinshasa kann es immer wieder zu Zwischenfällen mit dem Militär und anderen Sicherheitskräften kommen.“

Aber Niedersachsen schiebt ab. Ja, auch wenn gerade wegen der am 30. Juli stattfindenden Wahlen und wegen der Destabilisierung des Landes eine UN-Peace-Keeping-Mission mit 17 000 Soldaten und Polizisten durchgeführt wird. Auch wenn Deutschland und Europa Soldaten dorthin senden, damit die Wahlen dort durchgeführt werden können, schicken wir die Menschen in dieses Land zurück. Auch Niedersachsen schiebt ab, obwohl ein CDU-Bundestagsabgeordneter am 1. Juni im Bundestag erklärt hat - das ist bisher unwidersprochen und stimmt noch -:

„Noch heute sterben jeden Tag tausende Kongolesen durch Gewalt, das entspricht rechnerisch“

- so sagt er

„einer Tsunami-Katastrophe alle sieben Monate.“

Er fährt fort und begründet den Bundeswehreinsatz zu den ersten freien Wahlen nach 45 Jahren - auch das ist neu - wie folgt:

„Scheitert der politische Prozess, dann fällt der Kongo zurück ins Chaos - - -“

Meine Damen und Herren, wenn so viele Soldaten in den Kongo geschickt werden, um möglichst ein Chaos zu verhindern und die Durchführung freier Wahlen zu ermöglichen, läge es dann nicht nahe, zumindest so lange Humanität zu zeigen, bis die Vereinten Nationen und Europa erklärt haben, dass die Lage jetzt so sei, dass die Soldaten abziehen können, dass die freien Wahlen durchgeführt seien und dass die Menschen wieder Frieden

finden? - Das ist meines Erachtens der Ansatz für die Frage, ob abgeschoben werden kann.

Erlassen Sie diesen Abschiebestopp! Zeigen Sie einmal ein humanes Gesicht! Ihre Härte ist keine adäquate Antwort auf die Probleme, die die aus Niedersachsen abgeschobenen Flüchtlinge im Kongo erwarten.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Danke schön. - Für die FDP-Fraktion Herr Kollege Bode bitte!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Meiner Meinung nach hat es sich niemand von uns im Innenausschuss leicht gemacht, als wir über das Thema Abschiebestopp und die Situation im Kongo diskutiert haben. Meines Erachtens haben wir sogar einen ungewöhnlichen Weg eingeschlagen, als wir selbst das Auswärtige Amt angeschrieben und um eine Stellungnahme zu der Frage gebeten haben, wie die Lage im Kongo aufgrund der aktuellen Diskussion eingeschätzt wird. Wir haben dann die Einschätzungen des Auswärtigen Amtes - allerdings als Verschlusssache - bekommen und konnten lesen, wie das Auswärtige Amt die Situation einschätzt und welche Schlussfolgerungen daraus gezogen werden. Man kann sagen, dass es tatsächlich so ist, dass genau diese Bilder, die hier geschildert worden sind, in Teilen des Kongo vorherrschen. Es handelt sich wirklich um ein Land, von dem man sagen muss, dass sich dort eine Tragödie abspielt. Diese Einschätzung ist allerdings nicht neu, und sie hat sich in der letzten Zeit überhaupt nicht verändert. Das Auswärtige Amt und auch das Bundesamt kommen eindeutig zu der Einschätzung, dass nach einer konkreten Einzelfallprüfung eine Rückführung möglich und vertretbar ist.

Wir haben uns ebenfalls die Konsequenzen überlegt, die sich ergeben, wenn wir eine entsprechen

de Einzelmaßnahme - also nicht mehr im Gleichklang der Bundesländer und der Bundesrepublik Deutschland - in Angriff nehmen würden. Man muss sagen, dass es in der Tat so ist, dass dieses Instrument den Ländern in die Hand gegeben wurde. Es handelt sich hierbei um einen sechsmonatigen Aufschub. Es handelt sich dabei keineswegs um eine dauerhafte Lösung, sondern um einen sechsmonatigen Aufschub, der später verwirkt wäre. Wir können keiner der Aussagen, die wir vom Auswärtigen Amt haben, entnehmen, dass sich die Situation, die jetzt seit langer Zeit vorherrschend ist, in den nächsten sechs Monaten ändern würde. Wir hätten, falls die Situation sich später irgendwann verschlechtern würde, auch dieses Instrument nicht mehr. Bei der Abwägung aller Fragen mussten wir uns folglich tatsächlich dazu durchringen, denjenigen, die vor Ort sind, die konkrete Eindrücke gewonnen haben und auch entsprechende Entscheidungen treffen können, Glauben und Vertrauen zu schenken und ihrer Empfehlung zu folgen, dass nach einer individuellen Einzelfallprüfung die hier in Rede stehende Entscheidung vertretbar ist. Das Instrument eines Aufschubes von sechs Monaten ist hier das absolut falsche. Die Bundesländer und die Bundesrepublik sollten in diesen Fragen immer eine Sprache sprechen und einen gemeinsamen Beschluss herbeiführen. Deshalb können wir dem Antrag nicht zustimmen. - Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Danke schön. - Nun hat zu einer Kurzintervention zu der Rede des Kollegen Bode die Kollegin Langhans das Wort. Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Bode, genau darum geht es doch: Wenn wir weiterhin nicht in der Lage sind, bei dieser Thematik eine eigene Verantwortung zu übernehmen und zu sagen, wir entscheiden für uns, wie wir damit umgehen wollen, sondern uns immer auf das Außenministerium beziehen und uns gewissermaßen zurücklehnen und die Übernahme von Verantwortung ablehnen, müssen wir uns auf die Dauer auch vorwerfen lassen, dass dies inhuman ist. Daran führt kein Weg vorbei. Es ist so.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Sie haben eben noch einmal bestätigt, dass Sie wissen, wie die Situation im Kongo ist. Sie haben aber offenbar die Scheu, die Abschiebung nicht wenigstens für sechs Monate auszusetzen. Das ist wirklich bedauerlich. Der Punkt, den ich noch einmal deutlich zu machen versucht habe, ist dieser: Es geht nicht mehr, dass man sich ewig zurückzieht und sagt: Lasst die mal machen. Ich habe damit nichts zu tun. - Sie haben etwas damit zu tun. Sie entscheiden hier.

(Lebhafter Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Herr Kollege Bode, Sie haben die Möglichkeit zu antworten.

Frau Präsidentin! Frau Langhans, genau das ist der Punkt. Ich habe nicht gesagt, dass pauschal alle Rückführungen in den Kongo durchgeführt werden sollten. Ich habe gesagt, das Auswärtige Amt und auch das Bundesamt haben nach ihrer Lageeinschätzung erklärt, dass nach einer individuellen Einzelfallprüfung im Einzelfall durchaus Rückführungen möglich sind, sofern man abgeklärt hat, dass vor Ort nichts passieren wird. Der Punkt ist, dass man den Einschätzungen und den Erklärungen derjenigen, die besser als ich und fast alle hier im Hause wissen, wie die Situation im Kongo tatsächlich ist, Glauben schenkt, dass man also den Beamten Glauben schenkt, die diese Einschätzungen für die Bundesrepublik Deutschland und damit auch für uns vornehmen. Wir sollten im Bereich der Außenpolitik keine Kleinstaaterei betreiben, sondern die Einschätzung dem Bund überlassen und einheitlich auftreten. - Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Auch Herr Kollege Bachmann hat sich zu einer Kurzintervention zu dem vorherigen Redebeitrag des Kollegen Bode gemeldet. Bitte schön, Herr Kollege Bachmann!

(Zuruf von der CDU: Aber nicht so laut!)

Ob ich laut rede, liegt immer an Ihrem Verhalten. Meist muss ich gegen Sie anbrüllen. Wir wollen jetzt einmal bei der Lautstärke bleiben, die sich hier eben abgezeichnet hat. Ich finde das auch angemessen.

Herr Kollege Bode, ich finde es in Ordnung, dass Sie bestätigen, dass sich für Herrn Schünemann die Rechtssituation anders darstellt, als sie für Herrn Kollegen Bartling gegeben war. Das Zuwanderungsgesetz sieht ausdrücklich erst jetzt vor, dass die Landesinnenminister die Möglichkeit haben, in solchen Fällen den sechsmonatigen Abschiebestopp anzuordnen. Wir haben Ihnen angeboten: Lassen Sie uns alle sechs Monate die Entwicklung, die Sie im Grunde ja bestätigen, beurteilen und dann entscheiden, ob wir Abschiebungen sozusagen wieder ermöglichen oder nicht. Das war unser Angebot. Die entsprechende Möglichkeit hat das Land jetzt. Insofern war das Kopfschütteln des Innenministers vorhin nicht angebracht. In diese Richtung geht unsere Forderung nach wie vor.

Wir haben den Lagebericht des Auswärtigen Amtes gelesen. Ich habe in den letzten zehn Jahren öfter Lageberichte gelesen. Ich habe noch nie einen Lagebericht gelesen, der zwischen den Zeilen, in der Sprache der Diplomatie, die Alarmstufe Rot so deutlich formuliert hat.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Für die Landesregierung hat sich Herr Innenminister Schünemann zu Wort gemeldet. Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben in der Frage der Abschiebung eine ganz klare Kompetenzzuweisung; die Kompetenz liegt grundsätzlich beim Bund. Die Lageeinschätzung erfolgt über das Auswärtige Amt und über das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Im Zuwanderungsgesetz ist nun eine einzige Möglichkeit eingeräumt worden - ich war bei den Verhandlungen über dieses Gesetz dabei; deshalb kenne ich die Regelung sehr genau -: Es gibt die Möglichkeit eines sechsmonatigen Abschiebestopps, allerdings nur dann, wenn sehr kurzfristig

eine neue Situation eintritt, d. h. wenn politische Umstürze oder eine Naturkatastrophe passiert sind. In diesen sechs Monaten können das Auswärtige Amt und das Bundesamt prüfen, ob die Situation auf Dauer so angelegt ist. Dann würde das Bundesamt nach sechs Monaten sofort wieder die Zuständigkeit haben.

Wir haben das Bundesamt natürlich aufgefordert, eine Stellungnahme abzugeben, ob sich kurzfristig im Kongo etwas geändert hat. Es ist klar gesagt worden, dass sich nichts geändert hat. Das heißt, von der rechtlichen Seite her gibt es für mich und auch für keinen anderen Landesinnenminister eine Möglichkeit, auf diesen Paragrafen zurückzugreifen. Es hat hier keine Veränderung gegeben. Das muss man feststellen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ich möchte hier kurz aus dem Bericht des Auswärtigen Amtes zitieren. Dies ist möglich; ich habe mich extra noch einmal vergewissert. In diesem Bericht heißt es:

„Das Auswärtige Amt beobachtet in unregelmäßigen Abständen die Einreise rückgeführter kongolesischer Staatsangehöriger. Es erhält zudem Informationen von Menschenrechtsorganisationen, den UN-Sonderorganisationen, von Botschaften anderer Staaten vor Ort, die ebenfalls Abschiebungen durchführen. Nach bisherigen Erfahrungen bleiben Zurückgeführte unbehelligt und können nach der geschilderten Überprüfung durch die Einwanderungsbehörde, den Zoll und die Gesundheitsbehörden sowie in besonderen Fällen auch durch den ANR“

- das ist der zivile Nachrichtendienst

„zu ihren Familienangehörigen gelangen. Gegenteilige Berichte einiger Nichtregierungsorganisationen und die von ihnen genannten Referenzfälle wurden vom Auswärtigen Amt eingehend geprüft, konnten aber in keinem Fall bestätigt werden. So sind keine Fälle bekannt, in denen Zurückgeführte, deren Asylantrag abgelehnt worden war, zwangsrekrutiert oder bei Weigerung hingerichtet worden wären. Es sind weiter keine Fälle be

kannt, in denen Kinder Rückgeführter an staatliche Verwahreinrichtungen abgegeben wurden und später als Straßenkinder endeten. Mitarbeiter von Nichtregierungsorganisationen besuchen in besonders gelagerten Fällen im Auftrag des Auswärtigen Amtes zurückgekehrte Personen an ihren Wohnadressen. Staatliche Repressionen gegen diese Personen wurden dabei bislang in keinem Fall festgestellt.“

Wir haben jetzt extra noch einmal nachgefragt, ob sich an dieser Situation etwas verändert hat. Dieses ist nicht der Fall. Dennoch haben wir in diesem Jahr bei der Rückführung - es ist richtig, dass jeder Einzelfall geprüft wird und dann natürlich auch vor Gericht noch einmal überprüft werden kann - sehr vorsichtig agiert. In diesem Jahr ist bis Ende Mai nur ein Straftäter zurückgeführt worden. Ich sage das, um hier noch einmal deutlich zu machen, dass wir mit der Situation insgesamt sehr verantwortungsvoll umgehen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Für die SPD-Fraktion hat sich noch einmal Frau Kollegin Merk zu Wort gemeldet. Sie haben noch eine Redezeit von 1:22 Minuten. Bitte schön!