niedersächsischen Bevölkerung erklären, dass Sie einem Drittel der Niedersachsen verwehren, den Weg zu gehen, den sie gehen wollen, beispielsweise bei der Gründung neuer Gesamtschulen? Was hat es mit Elternwillen zu tun, an dieser Stelle Sperren zu errichten? Selbst die kommunalen Spitzenverbände haben dafür kein Verständnis. Es wäre ein Zeichen von Souveränität und Wettbewerbsorientierung, dies ganz bewusst zuzulassen.
Dann behaupten Sie, Sie orientieren auf Durchlässigkeit und Kooperation. Wer sich den Text ansieht, stellt fest: Das Gegenteil ist der Fall. Sie haben vor einigen Monaten einmal versprochen, Einfädelungsspuren einzurichten. Aber alles das ist auf der Strecke geblieben. Selbst das Thema individuelle Förderung von Schülerinnen und Schülern haben Sie vor zwei oder drei Wochen im Rahmen der parlamentarischen Beratung aus dem Text herausgenommen, weil es Ihnen augenscheinlich nur begrenzt wichtig ist.
Außerdem muss ich noch auf zwei Dinge hinweisen. Erstens. Vor dem Hintergrund Ihrer Argumentation, an einer 100-prozentigen Unterrichtsversorgung interessiert zu sein, ist es schon grotesk, wie massiv Sie durch dieses neue Gesetz Lehrerstellen binden.
Zweitens. Ihr Hinweis, dass sich dieses Gesetz für die Schulträger kostenneutral auswirken würde, ist falsch.
Die kommunalen Spitzenverbände haben Sie in der Anhörung darauf hingewiesen. Wir haben inzwischen die ersten Briefe erhalten, in denen Landkreise und kreisfreie Städte erklären, sie gingen davon aus, dass Kosten mindestens in Millionenhöhe auftreten würden.
Meine Damen und Herren, Ihnen wird der Wind in den nächsten Monaten noch ins Gesicht blasen. Sie werden den Wind zu spüren bekommen, wenn es darum geht, 10 000 personelle Einzelmaßnahmen vorzunehmen, wenn es bei den Schulträgern knirscht und wenn dann im nächsten Jahr die Umorganisation im Einzelnen stattfinden wird. Ich bin sicher, dann werden Sie Ihre derzeitige Friedfertigkeit nicht aufrecht erhalten.
Ich verspreche Ihnen: Neben der Begleitung dieser Debatte werden wir hier weiter über Qualitätsfragen zu diskutieren haben.
Herr Klare hat den Begriff „selbständige Schule“ revitalisiert. Ich freue mich sehr darüber, dass Sie auf unseren Sprachgebrauch zurückgreifen. Wir werden zu diskutieren haben über Schulassistenzen, über Mindeststandards, über die Frage der Lehrerausbildung. Und zwischendrin, meine Damen und Herren, werden wir immer fragen, wie es denn mit der Einhaltung des Wahlversprechens ist.
Sie lehnen heute die von uns vorgelegte Garantieerklärung zur Lehrereinstellung ab. Herr Biallas hat im Fachausschuss gesagt, diese Garantieerklärung sei doch erledigt, weil das alles mit dem Schulgesetz praktisch erfüllt würde. Meine Damen und Herren, wir werden Sie stellen, wenn es darum geht, in den Jahren 2004 bis 2007 die frei werdenden Lehrerstellen wieder zu besetzen. Denn wenn Sie das nicht tun, ist Ihre ganze Argumentation zu dem Thema Unterrichtsversorgung hinfällig.
Letzter Satz. - Und wir werden auch den Zusammenhang zwischen falschen Entscheidungen im Schulgesetz aufdecken. Beispielsweise halten Sie für einen Teil der Schulen, nämlich für die Vollen Halbtagsschulen, bessere Bedingungen aufrecht, und nur für einen Bruchteil davon könnten Sie aber die Finanzierung der Lernmittelfreiheit sicherstellen.
Meine Damen und Herren, Sie glauben, Sie haben gepunktet. Sie irren sich! Sie haben die ersten entscheidenden Fehler gemacht. - Herzlichen Dank.
(Starker Beifall bei der SPD - Lachen bei der CDU - David McAllister [CDU]: Das war aber schwach! - Bernd Althusmann [CDU]: Sie wer- den uns noch einmal dankbar sein!)
Meine Damen und Herren, als nächste Rednerin hat sich Frau Korter von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gemeldet. Frau Korter, ich erteile Ihnen das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Mehrheitsfraktionen wollen heute ein neues Schulgesetz für Niedersachsen beschließen,
welches den Namen „Gesetz zur Verbesserung von Bildungsqualität und zur Sicherung von Schulstandorten“ trägt. Beides, was dieser Name verspricht - Bildungsqualität verbessern und Schulstandorte sichern“ -, werden Sie aus meiner Sicht mit diesem Gesetz nicht schaffen.
Im Gegenteil, Ihre Entscheidungen werden ganz andere Konsequenzen haben. Sie werden die Qualität unseres Schulsystems aus meiner Sicht verschlechtern, und Sie werden durch Ihr HauruckVerfahren in den nächsten Jahren ein heilloses Chaos in der Schullandschaft anrichten.
Sie haben zwar die eine oder andere kleine Änderung an Ihrem Gesetzentwurf vorgenommen, aber in den entscheidenden Weichenstellungen sind Sie bei Ihrem alten Entwurf geblieben.
Sie schaffen die Orientierungsstufe überstürzt ab, in einem Jahr. Sie sortieren Schülerinnen und Schüler - angeblich begabungsgerecht - früh nach Klasse 4 in verschiedene Schulen, verschenken damit Bildungspotenziale unserer Kinder und verwehren Spätentwicklern ihre Bildungschancen.
Sie wollen ein schnelles Zentralabitur nach Klasse 12 ohne Rücksicht auf Verluste. Damit verhindern Sie die Durchlässigkeit. Sie können noch so oft das Gegenteil postulieren: Sie schaffen die Durchlässigkeit gerade in diesem Bereich ab. Und Sie nehmen niedrigere Abiturientenquoten in Kauf.
Und last, but not least: Sie verbieten die Neugründung von integrierten und kooperativen Gesamtschulen in Niedersachsen und ignorieren damit den Wunsch zahlreicher Eltern, wie er z. B. in der Eingabe des Schulelternrates der IGS Mühlenberg und
Und das alles mit Zustimmung der FDP! Wo da noch Freiheitlichkeit zu finden sein soll, ist mir völlig schleierhaft.
Ich habe in den Beratungen bereits mehrfach betont, meine Damen und Herren von CDU und FDP, dass Ihr Gesetzentwurf nicht so, wie Herr Klare sagt, fachlich-pädagogisch begründet ist, sondern dass er eine rein ideologische Weichenstellung darstellt.
- Das habe ich mir gedacht. Ich habe auch letztes Mal, als ich das gesagt habe, massiven Protest zu hören bekommen. Aber bei dem massiven Protest ist es dann geblieben. Sie haben nicht einen einzigen tatsächlichen neuen wissenschaftlichen Beleg anführen können, keinen einzigen!
Nach hartnäckigem Nachfragen haben wir herausgefunden, auf was sich Herr Klare, der so genannte Vater des Gesetzentwurfs, bezieht. Man glaubt es kaum: Auf eine Untersuchung des Max-PlanckInstituts aus den Jahren 1968 bis 1970! Mehr als 30 Jahre alte Erkenntnisse sind Ihre Grundlage!
(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD - Enno Hagenah [GRÜNE]: Das war seine Sturm- und Drangzeit!)
Damit ist allerdings klar, Herr Klare, weshalb Ihr Gesetzentwurf derart reaktionär ist und in die 60erJahre passt.
Ich muss aber auch sagen: Ich habe mich ernsthaft gefragt, weshalb Sie eigentlich die neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse aus PISA, aus PISA E, aus IGLU, die Erkenntnisse und Forderungen von Professor Hans-Günter Rolff, von Professor Baumert - PISA-Experte -, von Frau Professorin Valtin, Humboldt-Universität - IGLU-Expertin -, und vielen anderen sowie vom Bundeselternrat völlig ignorieren und nicht zur Kenntnis nehmen; denn
ausnahmslos alle fordern heute eine längere gemeinsame Schulzeit ohne frühe Auslese, aber mit individueller Förderung von Anfang an und mit den entsprechenden Fachkräften dabei.
Alle diese Experten warnen vor der frühen Selektion nach Klasse 4, die sich in vielen Fällen als Fehlentscheidung herausgestellt hat und im streng getrennten System später kaum mehr zu korrigieren ist.
Sie fordern - wie wir auch - eine Schule für alle Kinder, damit auch diejenigen gerechte Bildungschancen haben, die in unserem jetzigen System auf der Verliererseite stehen. Die Koalitionsfraktionen aber sperren sich völlig gegen diese Erkenntnis. Sie zeigen sich in der entscheidenden Frage, ob bei uns in Niedersachsen weiter mehr als 20 % der Jugendlichen die Schulen ohne ausreichende Qualifikation für ihren weiteren Berufweg, geschweige denn für eine Ausbildung, verlassen, beratungsresistent.
Chancengerechtigkeit für alle kommt bei Ihnen nicht vor. Das genau ist es, was ich als ideologisch bezeichne.
(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD - Ursula Körtner [CDU]: Wer hat hier denn 13 Jahre regiert?)