Protocol of the Session on February 22, 2006

Drittens. Bei Verzicht auf Finanzreformen haben Sie, Herr Wulff, mit Ihren Kollegen aus den anderen Ländern die Übernahme von Aufgaben durch die Länder bei gleichzeitigem Verbot der Mitfinanzierung durch den Bund eingefordert. Das heißt in der praktischen Konsequenz: Es wird in Zukunft kein Ganztagsprogramm mehr geben; es ist verboten. Es wird kein Hochschulsonderprogramm mehr geben, obwohl wir alle wissen, wie groß der Bedarf ist und obwohl Frau Schavan gegenwärtig den Eindruck erweckt, als ob sie genau daran arbeitet, meine Damen und Herren. Ich meine, ganz abwegig war es ja nicht, was Herr Muñoz gestern dazu erklärt hat, was es bedeutet, wenn die Föderalismusreform dem Bund jede Mitwirkungsmög

lichkeit im Bildungsbereich entzieht. Ich bin der Meinung, hier haben wir eine problematische Entwicklung, über die in der Tat nachgedacht werden muss.

(Beifall bei der SPD)

Frau Andretta wird Ihnen am Freitag die Details zum Hochschulbau noch einmal dezidiert vortragen. Ich sage Ihnen: Sie verzichten auf 105 Millionen Euro Investitionsmittel für Niedersachsen. Sie müssten auch wissen, dass die Jahre 2000 bis 2003 die besten Jahre für den Hochschulbau in Niedersachsen waren.

(Beifall bei der SPD)

Das ist die Realität. Sie waren kontinuierlich im Wachstum begriffen. Sie schreiben diesen Status jetzt fest, obwohl mit dem Königsteiner Schlüssel ein anderes Verteilungsverfahren in Deutschland üblich ist, meine Damen und Herren. Das ist ein armseliges Beispiel für Landespolitik.

(Beifall bei der SPD)

Das Fazit aus dieser Debatte für mich ist: Die Kombination von Artikel 84 - Abweichungsgesetzgebung - und des neuen Artikel 104 a Abs. 3 - neue Mitwirkungsrechte des Bundesrates - werden möglicherweise dazu führen, dass die ursprüngliche Planung, die Senkung der Mitwirkungsrechte des Bundesrates, nicht erreicht wird. Von Transparenz ist an vielen Stellen nicht zu reden. Dafür wird ein ziemlich hoher Preis bezahlt - wenn es nicht noch zu Veränderungen kommt für die Gleichwertigkeit der Lebensbedingungen in Deutschland und für die konkrete Benachteiligung niedersächsischer Belange. An dieser Stelle besteht Nachbesserungsbedarf, meine Damen und Herren. Wir helfen dabei gerne mit.

(Beifall bei der SPD - David McAllister [CDU]: Besser nicht!)

Herr Kollege Briese hat das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Mutter aller Reformen musste sich lange gedulden. Lange währte die Schwangerschaft und war nicht ohne Risiko. Mehrfach drohte der Abbruch. Die Familie war besorgt. Wer der

Vater ist, weiß man bei der ganzen Sache auch nicht so genau.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Jetzt haben die ersten schmerzhaften Wehen eingesetzt. Die Befürchtungen sind groß, meine Damen und Herren, dass das ersehnte Kind den Ansprüchen nicht genügen wird. In den Ankündigungsgazetten äußern sich erste mulmige Stimmen: „Jubel ist nicht angebracht!“, „Kleine Münze“, „Massive Kritik im Detail“ - um nur einige zu nennen. Jubelchöre hören sich anders an. Vieles deutet darauf hin, dass es keine strahlende Geburt wird. Vielmehr liegt der Verdacht nahe, ein fauler Kompromiss wird das Licht der Welt erblicken. Ob das gut für Niedersachsen und für die Menschen hier ist, meine Damen und Herren, erscheint mehr als fraglich.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD - Bernd Althusmann [CDU]: Ein Kuckucksei ist das sozusagen!)

Eine Föderalismusreform - darüber besteht Einigkeit - wollen wir alle. Wir wollen stärker entflechten, wir wollen Kompetenzen verlagern, wir wollen weniger Blockade, wir wollen mehr Transparenz, wir wollen klare Verantwortlichkeiten.

(David McAllister [CDU]: Na also!)

Hierin besteht allgemeine Einigkeit. Bis hierhin besteht ein großer gesamtpolitischer Konsens: Hinfort mit diesen wachsweichen Kompromissen, mit diesen grottenschlechten Gesetzen aus vernebelten Hinterzimmern, in denen ein unbekannter Vermittlungsausschuss die Bundesrepublik Deutschland regiert.

Auch wir Grünen sind dafür, dass es zu einer klaren Aufgabentrennung zwischen Bund und Ländern kommt statt dieser verwässerten Beschlüsse oder einer destruktiven Blockadehaltung. Dabei haben sich die beiden großen Parteien in den letzten Jahren nichts geschenkt. Der Bundesrat wurde in den letzten Jahren mehrfach durch die großen Parteien missbraucht. Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, das scheint mir ganz wichtig zu sein: Die große Sehnsucht nach einem besseren Staatsaufbau, nach einem effizienteren Gemeinwesen darf doch nicht blind machen für überzeugende Fachargumente.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Der Versuch, zu einem besseren Staatsaufbau zu kommen und dadurch weniger faule Kompromisse zu produzieren, darf doch nicht selbst der faulste aller Kompromisse werden. Ein wirklich überzeugendes Beispiel, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist die Bildungsdebatte. Ich kenne niemanden und nochmals niemanden, der in der fachpolitischen Bildungsdebatte fordert, der Bund sollte sich zu 100 % aus der Bildungskompetenz zurückziehen. Das fordert in der Fachdebatte niemand. Das wäre ein bildungspolitischer Irrsinn.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Es macht überhaupt keinen Sinn, einerseits den Bologna-Prozess voranbringen zu wollen, um europaweit zur Angleichung der Studienbedingungen zu kommen, und andererseits in Deutschland in die Kleinstaaterei des 18. Jahrhunderts zurückzufallen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das Beispiel Schulpolitik hat Herr Jüttner gerade angesprochen. Es ist in meinen Augen verrückt: Der Ganztagsschulimpuls kam aus Berlin. Dann stellt sich Busemann hier hin - -

(Zurufe von der CDU: Herr Buse- mann!)

- - - und wir diskutieren über Frühförderung in der Bildung. Busemann sagt hier eloquent mit seinen drehenden Armen:

(David McAllister [CDU]: Für Sie ist er Herr Busemann!)

Wenn der Bund zu viel Geld für die Frühförderung hat, dann immer her damit! - Ja, mein lieber Herr Minister, Ihre Landesregierung schlägt gerade vor, dass das künftig nicht mehr möglich ist. Da müssen Sie sich einmal einmischen!

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das zweite Argument, meine sehr verehrten Damen und Herren, wurde auch angesprochen, nämlich die Umweltpolitik. Es gibt auch in der umweltpolitischen Debatte niemanden, der den jetzt vorgelegten Kompromiss für vernünftig hält. Im Gegenteil, der Sachverständigenrat für Umweltfragen sagt, die Zersplitterung des Umweltrechts in Deutschland führt wahrscheinlich zu wirtschaftlichen Verwerfungen. Der BDI ist dagegen, und - meine sehr verehrten Damen und Herren, das sollte einen zumindest überzeugen - sogar Wirt

schaftsminister Michi Glos ist gemeinsam mit Umwelt-Siggi der Meinung, das ist keine vernünftige Sache, die an dieser Stelle vorgeschlagen wird.

(Beifall bei den GRÜNEN - Unruhe bei der CDU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, eine verantwortungsbewusste Verfassungsreform darf fachpolitische Argumente nicht ignorieren, sondern muss diese zur Kenntnis nehmen. Dazu gehört meiner Meinung nach auch die Einsicht, dass die Landtage auf manchen Feldern an Einfluss verlieren werden. Aber die Klugheit und die Erkenntnis zu Machtverzicht, um dadurch das Land insgesamt vielleicht besser aufzustellen, ist allemal besser als ein fauler Kompromiss mit fragwürdigen Ergebnissen jenseits von Fachverstand.

Wir haben darüber schon in der Debatte über die Geschäftsordnung geredet: Diese Landesregierung hat in letzter Zeit wahrlich genug schlechte Gesetze produziert. Sie haben mehrfach die Verfassung ignoriert.

(Widerspruch von David McAllister [CDU])

Sie haben für Rechtsunsicherheit im Land gesorgt. Sie haben die Bürger sehr verärgert. Sorgen Sie dafür, dass bei dieser entscheidenden verfassungspolitischen Debatte nicht der absolute GAU produziert wird. Eine Föderalismusreform, die diesen Namen verdient, schichtet nach Vernunftgründen zwischen Bund und Ländern ab, nimmt die undurchsichtigen Finanzbeziehungen in den Blick und scheut sich auch nicht vor einer Länderneugliederung. Das ist eine sehr schwierige Frage. Das wäre eine Herkulesaufgabe. Dann hätten wir die Mutter aller Reformen. Was uns jetzt droht, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist ein Wechselbalg. - Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Vielen Dank. - Frau Kollegin Kuhlo hat das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! „Mutter aller Reformen” - Herr Briese hat dieses Bild sehr schön aufgegriffen. Sie ist 2004 an bildungspolitischen Fragen gescheitert, wurde anschließend wegen der vorgezogenen Bundes

tagswahl auf Eis gelegt und ist jetzt als zentrales Vorhaben der großen Koalition in Berlin angekündigt. Herr Jüttner, Ihr Redebeitrag wundert mich schon sehr; denn auch Ihre Partei ist Teil dieser großen Koalition.

(Zustimmung von Dr. Philipp Rösler [FDP])

Sie scheinen mit Ihren Kollegen in Berlin recht wenig Kontakt zu haben, zumindest wenig mit ihnen übereinzustimmen.

Dieses zentrale Vorhaben wird am 10. März in den Bundesrat und in den Bundestag eingebracht. Es handelt sich um nicht weniger als 40 Grundgesetzänderungen mit 14 Ausführungsgesetzen. Ziel dieser Gesetzesvorhaben ist es, mehr Transparenz zu schaffen und vor allen Dingen eine Verminderung der zustimmungspflichtigen Gesetze im Bundesrat zu erreichen sowie - Herr Jüttner, dies haben Sie sehr richtig gesagt; da stimme ich Ihnen zu - die Blockademöglichkeiten im Bundesrat zu verringern. Dabei verliefen die Frontlinien nicht nur zwischen Bund und Ländern, sondern auch zwischen Ost und West, zwischen Nord und Süd, zwischen Reich und Arm und zwischen Groß und Klein. Dieser Kompromiss ist letzten Endes nur deswegen erreicht worden, weil auch von uns geforderte zentrale Teile ausgeklammert worden sind, nämlich die Zahl der Länder zu verringern und vor allen Dingen die Finanzverflechtung zwischen Bund und Ländern neu zu regeln. Das ist leider ausgegrenzt worden; dazu komme ich nachher noch.

Für die FDP ist das vorliegende Reformwerk ein erster kleiner Schritt in die richtige Richtung, damit sich in Deutschland überhaupt einmal etwas bewegen kann. Die FDP begrüßt es ausdrücklich, dass die Zahl der zustimmungspflichtigen Gesetze von zwei Drittel auf ein Drittel reduziert worden ist und dass damit die Länderparlamente größeren Spielraum in der Gesetzgebung erhalten. Dies ist zum Nutzen Niedersachsens. Das Parlament und auch der Ministerpräsident werden in Niedersachsen eine größere Bedeutung bekommen. Das begrüßen wir.

Die FDP knüpft ihre Zustimmung allerdings daran, dass das Gesamtpaket nicht wieder aufgeschnürt wird und dass die Reform nicht an künstlich hochgezogenen Fragen wie der Justizverwaltung oder an Teilen der Hochschulfinanzierung wieder aufgeschnürt wird. Ob Königsteiner Schlüssel oder

andere Grundlagen - angesichts dessen, was wir hier zu bewältigen haben, ist es nicht der große Wurf, ob Sie sich dazwischen entscheiden.

Die FDP knüpft ihre Zustimmung daran, dass die bisherigen Vereinbarungen eingehalten werden und dass noch vor der Verabschiedung dieses ersten Reformschrittes festgelegt wird, mit welchem Verfahren, nach welchem Zeitplan und mit welchem Ziel die Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern neu geregelt werden.

Meine Damen und Herren, die FDP will den Wettbewerbsföderalismus und die Steuerautonomie der Länder. Diese Subsidiarität hilft den Menschen im Land, auch in Niedersachsen. Sie sind nämlich bereit und vor allen Dingen dazu in der Lage, ihr Leben und ihre Zukunft weitgehend selbst zu gestalten und das hier im Land vor Ort nach Subsidiarität zu tun. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)