Protocol of the Session on December 9, 2005

Zu 1: Für Niedersachsen liegt dem Landesjugendamt ein Antrag auf Betriebserlaubnis für ein Schülerwohnheim in Hannover-Stöcken vor. An den Standorten Braunschweig und Nienburg verfügt der VIKZ über eigene Immobilien, in denen Schülerwohnheime geplant sind. Aber konkrete Anträge liegen für diese Standorte noch nicht vor. Insgesamt verfügt der VIKZ bisher über elf genehmigte Schülerwohnheime in fünf Bundesländern, vornehmlich im Westen und Südwesten der Republik.

Zu 2: Die religiöse Ausrichtung des VIKZ sowie die Integrationsnorm des SGB VIII stellen uns konkret vor die Frage, welches Maß an Integration wir von den hier lebenden Migrantinnen und Migranten und ihren Organisationen erwarten müssen. Der Verband islamischer Kulturzentren ist ein zentralistisch ausgerichteter Verein, dessen Vorstand in der Vergangenheit häufiger ausgewechselt wurde. Die letzte Vorstandsneubesetzung erfolgte in diesem Jahr, nachdem der gesamte Altvorstand in das Visier der Steuerfahndung geriet. In Hessen wurde ein Wohnheim in Frankfurt kürzlich geschlossen, weil es ohne Betriebserlaubnis geführt wurde. In den anderen Bundesländern und auch in Niedersachsen gibt es intensive Kontakte zu den zuständigen Behörden. Auflagen werden vom VIKZ in der Regel akzeptiert, und der genehmigte Betrieb der Einrichtungen läuft auch störungsfrei ab.

Wir haben es hier mit einem Verband zu tun, der auch durchaus widersprüchlich agiert. Das Land Niedersachsen verfolgt die Aktivitäten des VIKZ seit drei Jahren. Kürzlich gab es ein Gespräch zwischen dem Vorstand des VIKZ und der zuständigen Fachabteilung in meinem Hause. Aufgrund der rechtlichen Rahmenbedingungen und vor dem Hintergrund der Integrationspolitik der Landesregierung sehe ich nicht die Möglichkeit, Betriebserlaubnisse für Schülerwohnheime generell zu versagen. Ich halte es jedoch für wichtig, einen engen Kontakt zu pflegen und mit den staatlichen Möglichkeiten der Kontrolle deutlich zu machen, dass wir es mit dem Integrationsziel im Gesetz sehr

ernst meinen und den Träger an seinen eigenen Aussagen messen werden.

Zu 3: Die Landesregierung räumt der Integration und der verbesserten Bildungsbeteiligung von Kindern aus Migrantenfamilien - u. a. aus Familien solchen muslimischen Glaubens - hohe Priorität ein. Vorrangige Bedeutung haben dabei die Vermittlung und die Verbesserung der deutschen Sprachkenntnisse, da diese die Grundlage für den schulischen Lernerfolg sowie für die berufliche und gesellschaftliche Integration bilden.

Das Handlungsprogramm „Integration in Niedersachsen“ verfolgt in erster Linie das Ziel, hier lebende sowie neu zuwandernde Migrantinnen und Migranten in die soziale, wirtschaftliche und rechtliche Ordnung unseres Landes einzugliedern. Es fasst die Bemühungen und die Maßnahmen des Landes Niedersachsen zur Integration ressortübergreifend zusammen und zeigt neue Perspektiven auf. Ziel niedersächsischer Politik ist die Gestaltung und die Optimierung des Integrationsprozesses.

Ich möchte die wesentlichen Bestandteile des Handlungsprogramms nennen. Sie zielen ab erstens auf das Erlernen der deutschen Sprache und die Einordnung in die hiesige Rechts- und Gesellschaftsordnung, zweitens auf die Integration in Ausbildung und Arbeit, drittens auf die Förderung von Frauen und die Stärkung der Familie, die eine besondere Rolle im Integrationsprozess spielen, viertens auf die Optimierung der Beratung durch weitere Vernetzung der Integrationsdienste in der kooperativen Migrationsarbeit in Niedersachsen und fünftens auf die Förderung des Dialogs mit allen wichtigen gesellschaftlichen Akteuren im Integrationsprozess im Forum Integration.

Für den Bereich der Kinder- und Jugendhilfe möchte ich neben den Aktivitäten auf örtlicher Ebene im Rahmen der Jugendarbeit besonders auf das Präventions- und Integrationsprogramm (PRINT) hinweisen, das an insgesamt 77 Standorten in sozialen Brennpunkten einer Ausgrenzung aus der Gesellschaft entgegenwirkt.

Sie können anhand dieser Ausführungen erkennen, dass die Umsetzung des Integrationsgedankens aus zwei Blickrichtungen zu betrachten ist. Wir müssen den Migrantinnen und den Migranten Chancen eröffnen, sich in diese Gesellschaft einzufinden. Hier ist nach wie vor die Förderung der Sprachkenntnisse ein zentraler Bereich. Wir müs

sen gleichzeitig aber auch darauf achten, dass Strömungen zur Erschwerung oder Verhinderung von Integration in unserem Land nicht die Oberhand innerhalb bestimmter Bevölkerungsgruppen gewinnen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Vielen Dank, Frau Ministerin. - Auch hierzu sehe ich keine Zusatzfragen.

Wir kommen damit zur

Frage 3: Der Fall Hawar Y.

Die Frage wird gestellt von Herrn Althusmann. Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In ihrer Ausgabe vom 1. Oktober 2005 berichtet die Hannoversche Allgemeine Zeitung über den 19-jährigen Gewalttäter Hawar Y. aus Hannover, der rückfällig geworden ist und nun wieder im Gefängnis sitzt. Vor drei Jahren war der Schüler bekannt geworden, weil er Kinder aus seiner Nachbarschaft über Wochen bedroht und terrorisiert hatte. Damals verurteilte ihn das Gericht zu vier Monaten Dauerarrest. Zuletzt musste er sich am 29. August vor dem Jugendschöffengericht verantworten, weil er seine Freundin brutal misshandelt hatte. Das Gericht verurteilte ihn wegen Vergewaltigung, gefährlicher Körperverletzung und Freiheitsberaubung zu fünf Jahren Haft. Die Verhandlung war von Tumulten begleitet. Als die draußen wartende Familie vom Strafmaß erfuhr, drängte sie zurück in den Saal. Dabei wurde der Richter von einem Bruder Hawars massiv bedroht. Hawar ist irakischer Kurde. Er kam 1997 mit seinen Eltern und seinen neun Geschwistern nach Deutschland. Sie sind als Asylberechtigte anerkannt.

Vor diesem Hintergrund frage ich die Landesregierung:

1. Erachtet sie den Fall des Hawar Y. als ein Problem mangelnder Integration?

2. Wie fördert sie die Integration von Ausländern in Niedersachsen?

3. Welche Maßnahmen ergreift sie, um der Jugendkriminalität besser und effektiver entgegenzutreten?

(Beifall bei der CDU und Zustimmung bei der FDP)

Zur Beantwortung Frau Ministerin Ross-Luttmann, bitte!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bei dem angesprochenen Gewalttäter Hawar Y. handelt es sich um einen 19 Jahre alten irakischen Staatsangehörigen, der zusammen mit seinen Eltern 1997 eingereist ist und als Asylberechtigter anerkannt wurde. Ihm wurde eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis erteilt, die seit dem In-KraftTreten des Aufenthaltsgesetzes zum 1. Januar 2005 als Niederlassungserlaubnis fortgilt. Seit Oktober 2004 ist er mit Hauptwohnsitz in Flensburg, also in Schleswig-Holstein, gemeldet. In Hannover hat er lediglich einen Nebenwohnsitz. Ausländerrechtlich ist also die Stadtverwaltung Flensburg zuständig.

Seit März 2005 befindet sich Hawar Y. in Untersuchungshaft. Im August wurde er zu einer Haftstrafe von fünf Jahren verurteilt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Nach Rechtskraft des Urteils erfüllt er die Voraussetzungen für eine zwingende Ausweisung nach § 53 Abs. 1 Nr. 1 des Aufenthaltsgesetzes. Nach § 56 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG genießt er als Asylberechtigter jedoch besonderen Ausweisungsschutz, sodass er nur aus schwer wiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden kann.

(Joachim Albrecht [CDU]: Die liegen ja wohl vor!)

Diese schwer wiegenden Gründe liegen in den Fällen des § 53 AufenthG zwar in der Regel vor, bei Heranwachsenden - bis zum 21. Lebensjahr -, die im Besitz einer Niederlassungserlaubnis sind, ist gemäß § 56 Abs. 2 AufenthG über die Ausweisung jedoch nach Ermessen zu entscheiden. Diese Entscheidung über die Ausweisung obliegt der schleswig-holsteinischen Ausländerbehörde.

Dieses vorausgeschickt, beantworte ich die Anfrage namens der Landesregierung wie folgt:

Zu 1: In diesem Einzelfall: Ja. Eine erfolgreiche Integration setzt voraus, dass die in Deutschland geltenden Grundwerte und Normen für das Zusammenleben der Menschen, insbesondere die Strafgesetze, geachtet werden.

Zu 2: Die Landesregierung hat im August 2003 das „Handlungsprogramm Integration in Niedersachsen“ beschlossen, das mit Kabinettsbeschluss vom 25. Oktober 2005 fortgeschrieben wurde.

Dieses Programm verfolgt das Ziel, hier lebende sowie neu zuwandernde Migrantinnen und Migranten in die soziale, wirtschaftliche und rechtliche Ordnung unseres Landes einzugliedern. Es fasst die Bemühungen und Maßnahmen des Landes Niedersachsen zur Integration ressortübergreifend zusammen und zeigt neue Perspektiven auf. Ziel niedersächsischer Politik ist die Gestaltung und Optimierung des Integrationsprozesses.

Die wesentlichen Bestandteile des Handlungsprogramms - ich muss mich wiederholen - zielen auf: erstens das Erlernen der deutschen Sprache und die Einordnung in die hiesige Rechts- und Gesellschaftsordnung, zweitens die Integration in Ausbildung und Arbeit, drittens die Förderung von Frauen und die Stärkung der Familie, die eine besondere Rolle im Integrationsprozess spielen, viertens die Optimierung der Beratung durch weitere Vernetzung der Integrationsdienste in der kooperativen Migrationsarbeit in Niedersachsen und fünftens die Förderung des Dialogs mit allen wichtigen gesellschaftlichen Akteuren im Integrationsprozess im Forum Integration.

Um bei der Integration junger Migrantinnen und Migranten noch bessere Ergebnisse zu erzielen, setzt die Landesregierung einen besonderen Schwerpunkt auf die vorschulische Förderung, die schulische Erziehung und die Eingliederung in die berufliche Ausbildung und Arbeitswelt.

Im Rahmen des Handlungsprogramms legt die Landesregierung besonderen Wert auf die Einbeziehung, Vernetzung und gegenseitige Unterstützung der Akteure in der Migrationsarbeit vor Ort. Dies geschieht durch die Zusammenarbeit u. a. der verschiedenen Beratungsstellen, der PRINT-Stellen, des Netzwerks der Jugendberufshilfe und der regionalen Präventionsräte.

Darüber hinaus fördert die Landesregierung eine verbesserte Koordinierung der Integrationsarbeit in einzelnen Kommunen und Landkreisen durch Personal für Integrationsleitstellen. Eine der Aufgaben

dieser Leitstellen ist die Unterstützung des örtlichen ehrenamtlichen Engagements von Migrantinnen und Migranten. Das Modell der Integrationslotsen in Osnabrück bietet dabei Orientierung.

Für die Landesregierung ist die Integration aller rechtmäßig und auf Dauer in Niedersachsen lebenden Migrantinnen und Migranten eine große gesellschaftliche Aufgabe. Sie stellt daher dieses Jahr und auch im nächsten Jahr 60 Millionen Euro für Integrationsmaßnahmen zur Verfügung.

Zu 3: Die Landesregierung unterstützt zahlreiche präventive Maßnahmen, um Jugendkriminalität zu verhindern. Besonders wichtig ist die ressortübergreifende Tätigkeit des Landespräventionsrates Niedersachsen. Zu seinen Mitgliedern zählen neben Ministerien, Behörden und landesweit tätigen Verbänden und Organisationen auch sämtliche kommunalen Präventionsgremien Niedersachsens. Der Landespräventionsrat Niedersachsen stellt präventive Maßnahmen und Programme für Kinder und Jugendliche ins Zentrum seines Handelns. Er unterstützt und fördert maßgeblich kommunale Präventionsgremien und Akteure. So werden seit einigen Jahren diverse Modellprojekte durchgeführt oder unterstützt und zahlreiche Projekte auf kommunaler Ebene durch Zuwendungen gefördert. Einen Überblick über die Maßnahmen und Projekte der verschiedenen Ressorts enthält auch die Antwort auf die Große Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vom 15. Februar 2005.

Die Landesregierung wird sich weiter für die Wiedereinbringung der Gesetzesinitiative zur Stärkung des Jugendstrafrechts und zur Verbesserung und Beschleunigung des Jugendstrafverfahrens einsetzen. Auf Straftaten muss effektiv, schnell und konsequent reagiert werden. Das jugendrichterliche Handlungsinstrumentarium soll um die Möglichkeit des Warnschussarrestes neben Bewährungsstrafen und des verkehrsdeliktsunabhängigen Fahrverbots erweitert werden. Die Landesregierung will den Opferschutz in Jugendstrafverfahren stärken und Jugendstrafverfahren durch eine Verbesserung des vereinfachten Jugendverfahrens beschleunigen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Vielen Dank, Frau Ministerin. - Die erste Zusatzfrage stellt der Kollege Althusmann.

Frau Ministerin, da der Täter bereits zum Tatzeitpunkt älter als 18 Jahre war, frage ich die Landesregierung, warum der Täter angesichts der schwer wiegenden Gründe - er soll u. a., wenn ich das richtig erinnere, seine Freundin gefesselt und an einen Wagen gehängt haben, um sie über mehrere hundert Meter mitzuschleifen - nach Jugend- und nicht nach Erwachsenenstrafrecht verurteilt worden ist.

Hawar Y. hat ja offenbar einen Dauerarrest verbüßt. Meine zweite Frage ist: Ist zusätzlich versucht worden, sein kriminelles Verhalten noch mit anderen Maßnahmen in den Griff zu bekommen?

Frau Ministerin Heister-Neumann, bitte!

Herr Althusmann, ich möchte zuerst auf Ihre zweite Frage antworten, ob mit anderen Mitteln versucht wurde, auf diesen jungen Straftäter einzuwirken. Das ist versucht worden. Er hat nach seiner ersten Tat einen sozialen Trainingskurs absolviert, der leider Gottes aber keine Früchte getragen hat. Er ist auch über einen langen Zeitraum von einem ambulanten Verein mitbetreut worden. Das hatte leider Gottes aber auch keine positiven Auswirkungen.

Zu dem Hinweis auf die Verurteilung nach Jugendstrafrecht: Wir haben hier nach wie vor ein laufendes Verfahren. Deshalb kann ich konkret zu diesem Fall nichts sagen. Generell möchte ich aber noch einmal darauf hinweisen - das hat nichts mit diesem Verfahren zu tun; das ist nur ein Hinweis, den ich ja auch schon bei der Antwort auf die Große Anfrage zum Jugendstrafrecht gegeben habe -: In Niedersachsen ist bei Heranwachsenden, sprich bei den 18- bis 21-Jährigen, die Anwendung des Jugendstrafrechts der Regelfall; das sind 70 %.

(Heike Bockmann [SPD]: In anderen Bundesländern auch!)

- Ja, in anderen Bundesländern ist das auch so. In wiederum anderen Bundesländern ist es definitiv nicht so.

Eigentlich sollte bei Heranwachsenden die Anwendung des Erwachsenenstrafrechts der Regel

fall sein. Zum Regelfall geworden ist allerdings die Anwendung des Jugendstrafrechts, was ich nicht für richtig halte. Aber das sage ich nur ganz allgemein vor dem Hintergrund der Großen Anfrage, nicht bezogen auf diesen Fall; da enthalte ich mich jeglicher Wertung.

Schönen Dank. - Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor.

Wir kommen damit zur