Protocol of the Session on December 9, 2005

Es ist mir noch einmal bestätigt worden: Es gibt Pressemitteilungen, aber es gibt noch keinen Vorschlag von Hessen für die Innenministerkonferenz. Da liegt keiner vor. Insofern werden Sie verstehen,

dass ich hier eine Erklärung dazu nicht abgegeben kann.

(Stefan Wenzel [GRÜNE]: Das war in den letzten zwei Tagen in der Zeitung nachzulesen!)

- In der Zeitung steht natürlich viel.

(Unruhe - Zurufe)

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen zu Fragen zu dieser Dringlichen Anfrage liegen mir nicht vor. Sie gilt damit als beantwortet.

Wir kommen zu

Tagesordnungspunkt 16: Mündliche Anfragen - Drs. 15/2405

Ich stelle fest: Es ist 11.18 Uhr. Wir behandeln zunächst die

Frage 1: Eigenverantwortliche Schule

Die Frage kommt von Frau Ursula Ernst von der CDU-Fraktion. Bitte schön, Frau Ernst, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Landesregierung hat beim Hearing zur Eigenverantwortlichen Schule am 15. und 16. Juni 2005 große Zustimmung erfahren. Eigenverantwortliche Schulen in staatlicher Gesamtverantwortung sind gerade im Licht der PISA-Ergebnisse ein unverzichtbarer Bestandteil notwendiger Qualitätssicherung und Qualitätsentwicklung in unseren Schulen. Eigenverantwortliche Schulen brauchen deshalb auch ein professionelles Qualitätsmanagement mit einer Selbstevaluation, um ihre Verbesserungspotenziale vor Ort erheben und umsetzen zu können.

Vor diesem Hintergrund frage ich die Landesregierung:

1. Welche gesetzgeberischen Maßnahmen sind ihrerseits zur Einführung der Eigenverantwortlichen Schule geplant?

2. Wie werden die Schulen auf die Eigenverantwortung vorbereitet und als Eigenverantwortliche Schulen unterstützt?

3. Welche Mittel stehen für diese Maßnahmen zur Verfügung?

Herr Minister Busemann, Sie haben das Wort zur Beantwortung der Frage.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Ergebnisse der großen internationalen Schuluntersuchungen haben gezeigt, dass die Schulen in Deutschland die Qualität ihrer Arbeit und ihrer Ergebnisse im Interesse der Zukunft ihrer Schülerinnen und Schüler verbessern müssen. Dies gilt auch für Niedersachsen. In unserem Bundesland sind Fortschritte unverkennbar. Die Reformen der Niedersächsischen Landesregierung dienen darum besonders der Qualitätsverbesserung von Schule und Bildung.

Die Qualität der Arbeit in Schulen und deren Ergebnisse können nachhaltig verbessert werden, wenn Schulen einerseits einen größeren Gestaltungsspielraum mit eigener Verantwortung erhalten, z. B. bei pädagogischen Fragen und durch die unmittelbare Zuständigkeit für das Personal. Wichtig ist aber andererseits, dass ihre Ergebnisse regelmäßig überprüft werden. Dies zeigen Erfahrungen aus anderen europäischen Ländern, die sich inzwischen auch andere Bundesländer zu Nutze machen.

Der niedersächsische Weg führt weg von der überregulierten und hin zur Eigenverantwortlichen Schule. In ihr wird gemeinsam gehandelt und ein klares Ziel der Arbeit formuliert. Entsprechende Konsequenzen sollen in eigener Verantwortung gezogen und Ergebnisse regelmäßig auch von außen überprüft werden.

Die Eigenverantwortliche Schule bleibt staatlich verantwortet und beaufsichtigt. Sie kann aber im Rahmen der Vorgaben von Schulgesetz, Grundsatzerlassen und Bildungsstandards ihre eigenen schulischen und unterrichtlichen Profile entwickeln, Personal auswählen und führen und mit den Ergebnissen der Qualitätskontrollen eigenverantwortliche Wege zur Verbesserung ihrer Arbeit suchen.

Die beabsichtigte Novelle des Schulgesetzes wird die Eigenverantwortlichkeit für alle niedersächsischen Schulen in den Mittelpunkt stellen. Ebenso wird gesetzlich vorgeschrieben, dass die Ergebnisse der schulischen Arbeit regelmäßig zu überprüfen sind.

Schon jetzt sind gemäß § 43 Abs. 2 Nr. 8 Schulgesetz Schulleiter zuständig für die Qualitätssicherung und Qualitätsentwicklung der Schule. Die Leiterinnen und Leiter der Eigenverantwortlichen Schulen erhalten weitergehend demnächst eine klare Verantwortung und Zuständigkeit für die Steuerung der Qualität der Arbeit und die Führung des Personals. Daneben erfolgt eine klare Beschreibung der Zuständigkeiten der Konferenzen.

Dass die Niedersächsische Landesregierung auf dem richtigen Weg ist, zeigen z. B. schon jetzt die ermutigenden Zwischenergebnisse der berufsbildenden Schulen im Modellversuch ProReKo - „Projekt regionaler Kompetenzzentren“. 19 Schulen haben auf der Basis eines eigenen Budgets, eigener Personalhoheit, eigener selbst gewählter Organisationsstrukturen und intern ermittelter Daten die Qualität der schulischen Prozesse verbessern können.

Außerdem sammeln derzeit etwa 120 allgemein bildende Schulen in Niedersachsen im Rahmen eines Versuchs Erfahrungen mit mehr Eigenverantwortung. Wir werden diese Erfahrungen auswerten und für alle Schulen nutzbar machen.

Als Hilfe für alle Schulen auf dem Weg zu mehr Eigenverantwortlichkeit steht demnächst auch der in meinem Hause entwickelte und überarbeitete „Orientierungsrahmen Schulqualität in Niedersachsen“ als Leitfaden für eine gute Schule zur Verfügung. In ihm ist erstmalig in Deutschland der Versuch unternommen worden, alle Merkmale einer guten Schule zu benennen und durch konkrete Beispiele zu verdeutlichen. Er ist zwischenzeitlich von etlichen Ländern übernommen worden.

Über die weitere Ausgestaltung der Eigenverantwortlichen Schule in Niedersachsen wünsche ich mir einen konstruktiven Dialog mit allen Beteiligten.

Dies vorausgeschickt, beantworte ich namens der Landesregierung die Fragen im Einzelnen wie folgt:

Zu 1: Die Landesregierung wird im kommenden Jahr einen Gesetzentwurf zur Novellierung des

Schulgesetzes in den Landtag einbringen, um die dargelegten Ziele zu realisieren.

Zu 2: Besonders auf Schulleiterinnen und Schulleiter kommen im Rahmen ihrer Verantwortung für die Qualitätsentwicklung ihrer Schulen neue Aufgaben zu. Deshalb gibt es in meinem Hause Überlegungen im Hinblick auf eine erhöhte Leitungszeit.

Schulleiterinnen und Schulleiter brauchen darüber hinaus eine umfassende Vorbereitung auf die Herausforderung, eine Eigenverantwortliche Schule zu leiten. Wir werden deshalb für einen begrenzten Zeitraum mit Vorrang und in großem Umfang vor allem die Qualifizierung für die bereits länger tätigen Schulleiterinnen und Schulleiter durchführen. Diese Maßnahmen sollen im April 2006 beginnen und Ende 2007 abgeschlossen sein. Auch die neu ernannten Schulleiterinnen und Schulleiter werden im Rahmen ihrer Qualifizierung für die neuen Aufgaben fortgebildet. Darüber hinaus sollen die Schulen auf dem Weg zur Eigenverantwortlichkeit in der Organisations- und Qualitätsentwicklung gezielt begleitet und unterstützt werden. Im Kernbereich „Lehren und Lernen“ soll durch Unterstützung und Beratung ein zweiter wichtiger Impuls zur Qualitätsverbesserung gesetzt werden.

Zu 3: In den Jahren 2006 bis 2011 werden wir zur Qualitätsverbesserung von Schule und Unterricht zu den vorgesehenen rund 3 Millionen Euro pro Jahr zusätzlich für die in der Antwort auf die Frage 2 genannten Maßnahmen insgesamt 23,3 Millionen Euro zur Verfügung stellen.

Die für 2006 bis 2011 geplante Fortbildungsoffensive umfasst folgende Gebiete: die Qualifizierung von Schulleiterinnen und Schulleiter, die Qualifizierung von Steuergruppen, die Schulentwicklungsberatung und die Qualitätsoffensive für Unterrichtsentwicklung. Sie hat damit ein Gesamtvolumen von 41,3 Millionen Euro.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Vielen Dank, Herr Minister. - Die Frage scheint umfassend beantwortet zu sein. Zusatzfragen liegen mir nämlich nicht vor. Wir kommen damit zur

Frage 2: Muslimische Schülerheime in Hessen

Die Frage wird gestellt von Herrn Biallas.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die FAZ vom 22. Mai 2005 berichtet in ihrem Artikel „Oben büffeln, unten beten“ vom „Verband der Islamischen Kulturzentren“ (VIKZ), der 14 genehmigte, ausschließlich muslimische Schülerheime in ganz Deutschland unterhält. Beispielsweise in Hessen besuchen muslimische Kinder, die schulisch keine Hilfe ihrer Eltern erhalten können, vormittags eine öffentliche Regelschule, nachmittags werden sie in ihren Heimen von türkischen Hilfskräften schulisch gefördert. Nach Angaben des Generalsekretärs des VIKZ, Erol Pürlü, erfolgt der Koranunterricht dort freiwillig an Wochenenden in einer Moschee im Keller; eine konservative Auslegung des Korans werde dabei vorgegeben. Auch die Gleichberechtigung der Frau sei akzeptiert, wenngleich bei Tagen der offenen Tür eines muslimischen Schülerheims in Duisburg (Nordrhein-Westfalen) das Frauenzelt erkennbar abseits stand. Jene Schülerheime sollen die Integration muslimischer Schüler bei Ausbildung und Studium fördern.

Die Behörden stehen jenen Schülerheimen trotzdem skeptisch gegenüber, sodass z. B. die Behörde in Baden-Württemberg ihre Genehmigungen an Bedingungen wie Kontaktpflege zu anderen Institutionen knüpft. Diesbezüglich zeigt sich der VIKZ, der 2000 aus dem Zentralrat der Muslime austrat, jedoch weiterhin offen und kooperativ. Ferner hat Hessen ein Gesetz in den Bundesrat eingebracht, das dieser auch bereits beschlossen hat: Derartige Kindergärten und Schülerwohnheime erhalten nur dann eine Betriebsgenehmigung, wenn sie sich der Integration junger Menschen ausländischer Herkunft verpflichten.

Vor diesem Hintergrund frage ich die Landesregierung:

1. Wie viele Schülerwohnheime, die vom VIKZ betrieben werden, gibt es in Niedersachsen?

2. Wie beurteilt die Landesregierung die Aktivitäten des VIKZ?

3. Welche Maßnahmen ergreift sie, um die Integration muslimischer Kinder, deren Eltern sie schulisch nicht unterstützen können, zu fördern?

Vielen Dank. - Zur Beantwortung hat das Wort Frau Ministerin Ross-Luttmann.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Anfrage zu den muslimischen Schülerheimen in Hessen berührt einen aktuellen Aspekt hinsichtlich der Integration hier lebender Migrantinnen und Migranten. Träger besagter Schülerheime sind örtliche Kulturzentren, die alle zu dem in Köln ansässigen Verband der islamischen Kulturzentren (VIKZ) gehören. Der VIKZ wurde vor 25 Jahren gegründet. Er ist als Religionsgemeinschaft anerkannt. Es handelt sich - auch nach den Erkenntnissen des Verfassungsschutzes - nicht um eine extremistische Gruppierung. Dennoch stehen die Behörden den in mehreren Bundesländern bestehenden oder geplanten Schülerwohnheimen des VIKZ skeptisch gegenüber. Warum ist das so?

Meine sehr verehrten Damen und Herren, der VIKZ vertritt eine Glaubensrichtung innerhalb des sunnitischen Islam, die der mystischen, streng religiösen Tradition und Ausrichtung zuzurechnen ist. Hierzu gehört einerseits die vordergründige Anerkennung der staatlichen Autorität und ihrer Repräsentanten. Andererseits lässt der religionsphilosophische Hintergrund für Angehörige dieser Glaubensrichtung lediglich den Koran und damit auch die Scharia als einzige Instanz gelten. Ein im Auftrag des hessischen Sozialministeriums verfasstes Gutachten bewertet den VIKZ insgesamt als integrationsfeindlich, fundamentalistisch und durch die türkische Mutterorganisation der Süleymancilar gesteuert. Der VIKZ ist von den großen Organisationen der Muslime in Deutschland eher isoliert und ist im Jahr 2000 aus dem Zentralrat der Muslime ausgetreten.

Hieraus ergeben sich für die Behörden, die für die beantragten Schülerwohnheime das Betriebserlaubnisverfahren durchzuführen haben, einige Fragen. Seit dem 1. Oktober 2005 ist im Kinderund Jugendhilferecht - also in einem Bundesgesetz - der Integrationsgedanke im Zusammenhang mit betriebserlaubnispflichtigen Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe verankert worden. Diese Novellierung wurde vor allem vor dem Hintergrund der Aktivitäten des VIKZ vorgenommen, um die Position der Landesjugendämter im Betriebserlaubnisverfahren im Hinblick auf den Integrationsgedanken zu stärken. Das Landesjugendamt hat nunmehr zu prüfen, ob die Schülerwohnheime des VIKZ oder anderer Träger die gesellschaftliche und sprachliche Integration ermöglichen oder erschweren. Wird eine Erschwerung bejaht, so ist von einer

Kindeswohlgefährdung auszugehen und die Betriebserlaubnis zu versagen, sofern nicht - das ist wichtig - Abhilfe durch Auflagen oder Nebenbestimmungen geschaffen werden kann. Das Kinderund Jugendhilferecht erwartet von den Antragstellern das Eintreten für die Integration von Migrantinnen und Migranten.

Die vorausgeschickt, beantworte ich die Anfrage im Namen der Landesregierung wie folgt:

Zu 1: Für Niedersachsen liegt dem Landesjugendamt ein Antrag auf Betriebserlaubnis für ein Schülerwohnheim in Hannover-Stöcken vor. An den Standorten Braunschweig und Nienburg verfügt der VIKZ über eigene Immobilien, in denen Schülerwohnheime geplant sind. Aber konkrete Anträge liegen für diese Standorte noch nicht vor. Insgesamt verfügt der VIKZ bisher über elf genehmigte Schülerwohnheime in fünf Bundesländern, vornehmlich im Westen und Südwesten der Republik.