Protocol of the Session on June 24, 2005

(Vizepräsidentin Astrid Vockert übernimmt den Vorsitz)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! „Pallium“ ist das lateinische Wort für „Mantel“. Die wie ein Mantel umhüllende Medizin hat im Gegensatz zur kurativen Medizin nicht das Ziel, den Kranken wieder gesund zu machen. Palliativmedizin kümmert sich um die körperlichen Symptome von Schwerstkranken, wie z. B. Schmerzen, Luftnot, Übelkeit und Erbrechen. Auch in diesem Bereich hilft das ständig steigende Fachwissen, die Lebensqualität der Patientinnen und Patienten zu verbessern.

Die Palliativmedizin zeichnet sich jedoch besonders durch den Gesamtheitsansatz aus, der die seelischen, sozialen und spirituellen Bedürfnisse mit berücksichtigt. Die Palliativversorgung umfasst außer dem eben genannten ärztlichen auch noch den pflegerischen, sozialen und seelsorgerischen Bereich, der durch interdisziplinäre so genannte palliative care teams oder, eingedeutscht, PalliativCare-Teams sowohl stationär als auch ambulant geleistet werden kann.

Nun zu unserem Antrag. Seit dem Sommer letzten Jahres liegt das noch von der letzten Landesregie

rung vorbereitete und zusammen mit den Verbänden der gesetzlichen Krankenkassen sowie der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen von der jetzigen Landesregierung in Auftrag gegebene Gutachten zur Palliativversorgung in Niedersachsen vor. Diese umfangreiche Erhebung zur Pflegeund Behandlungssituation todkranker Menschen gibt uns einen guten Überblick über den Istzustand in Niedersachsen, zeigt neue Versorgungskonzepte auf und stellt die Kostensituation dar.

Die im Rahmen dieses Gutachtens erhobenen Befragungen ergaben, dass die Versorgung mit palliativmedizinischen Einrichtungen insgesamt nicht bedarfsgerecht ist, dass die Finanzierung nicht kostendeckend ist, dass adäquate Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten nur unzureichend vorhanden sind.

Insgesamt hat die Palliativmedizin einen geringen Stellenwert in unserer Gesundheitslandschaft im Vergleich zu anderen Versorgungsbereichen. Das, meine Damen und Herren, muss sich ändern. Dieses Thema geht uns alle ganz persönlich an.

(Beifall bei der SPD)

Im Gutachten heißt es - ich zitiere -:

„Die generelle Sektorierung im Gesundheitswesen, die auch in anderen Bereichen eine zentrale Schwachstelle ist, kann als Barriere für eine effektive und effiziente Versorgung angesehen werden.“

Was muss sich also im Interesse der Schwerstkranken ändern?

Wir haben eine Vielzahl unterschiedlicher Anbieter in unserem aufgegliederten Gesundheitssystem. Was ein schwerstkranker Mensch und seine Angehörigen jedoch am wenigsten benötigen, ist eine Auseinandersetzung mit einem Hausarzt, mehreren Fachärzten, der Krankenkasse, der Pflegekasse, Pflegediensten und Physiotherapeuten. Sechs bis acht verschiedene Akteure rund um einen Kranken können da zusammenkommen.

Um Sterbenskranke optimal versorgen zu können, ist eine enge Zusammenarbeit zwischen den medizinischen Disziplinen notwendig. Das bedeutet z. B., dass der Internist, der Urologe, der Gynäkologe, der Anästhesist und der HNO-Arzt zusammenarbeiten müssen. Dazu gehört aber auch eine ganz neue Kooperation mit Pflegekräften, Psy

chologen oder Physiotherapeuten. Dazu gehört weiterhin die Zusammenarbeit professioneller Helferinnen mit ehrenamtlichen. Diese interdisziplinäre Zusammenarbeit ist manchmal schon zwischen Ärzten untereinander nicht so ganz leicht. Aber eine Kooperation zwischen Profis und Ehrenamtlichen, zwischen ambulanter und stationärer Pflege, eine unterschiedliche Sprache oder unterschiedliche Prioritäten setzen ein hohes Maß an persönlichem Einsatz voraus.

Es gibt ein Beispiel in Niedersachsen, wo dies funktioniert. Schon 1989 förderte das Bundesgesundheitsministerium ein Projekt zur Evaluierung der Versorgungssituation von Patientinnen und Patienten mit Tumorschmerzen in Göttingen. Seit 1991 gibt es das Südniedersächsische Projekt zur Qualitätssicherung der palliativmedizinisch orientierten Versorgung von Patienten mit Tumorschmerzen, kurz SUPPORT. Dieses vielfach ausgezeichnete Projekt der Ärztekammer Niedersachsen wurde durch Bundes- und Landesmittel finanziert. Es ermöglicht durch den Einsatz so genannter Palliativ-Care-Teams im häuslichen Bereich eine verbesserte Versorgung Sterbenskranker durch eine möglichst optimale Zusammenarbeit aller an der Versorgung Beteiligten im ambulanten und stationären Bereich.

Von 1998 bis 2005 - das heißt, auch zurzeit noch gibt es SUPPORT II zur ambulanten Betreuung von Tumorschmerzpatienten in vier Landkreisen mit rund 500 000 Menschen. Dieses Programm wird durch Landesmittel, die Klosterkammer und durch private Spenden finanziert. Diese Einrichtung zeigt, dass engagierte Ärzte und engagiertes Pflegepersonal in der Lage sind, die Lebensbedingungen der ihnen Anvertrauten zu verbessern und gleichzeitig durch die Vermeidung langer Krankenhausaufenthalte Kosten im Gesundheitssystem zu sparen. Die bundesweite Anerkennung dieses Projekts wird nicht nur durch die Darstellung beim Hauptstadtkongress „Gesundheit“ deutlich, sondern auch in der Finanzierung des Neubaus eines Palliativzentrums und der Finanzierung einer Stiftungsprofessur am Uniklinikum Göttingen durch die Deutsche Krebshilfe.

Die Landesregierung muss also nicht bei Null anfangen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Was es jetzt zu entwickeln gilt, ist ein Konzept zur flächendeckenden, wohnortnahen palliativmedizinischen Versorgung mit vernetzten stationären und ambulanten Angeboten. Regionale Kompetenzzentren müssen die unterschiedlichen Akteure vernetzen

und professionell unterstützen. Die im Gutachten vorgeschlagenen virtuellen Personalpools sind unserer Meinung nach nicht die Antwort auf die Frage nach verlässlichen Strukturen. Um die bestehenden palliativmedizinischen Einrichtungen und Dienste zu sichern, ist es notwendig, gemeinsam mit den Kostenträgern ein tragfähiges Finanzierungssystem zu erarbeiten. Es gibt keine ausreichende Versorgung in diesem Bereich nur mit ehrenamtlichen Kräften.

Die Landesregierung ist gefordert, zusammen mit den Kostenträgern Wege zu finden, das vorhandene Geld in unserem Gesundheitssystem umzuschichten und Patientinnen und Patienten in ihrer letzten Lebensphase eine qualitativ hochwertige ärztliche, pflegerische und soziale Betreuung zukommen zu lassen. Die Betroffenen warten auf die Umsetzung des Gutachtens, Frau Ministerin. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Danke schön. - Für die CDU-Fraktion Frau Kollegin Mundlos, bitte!

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Leben und Tod, geboren werden und sterben müssen sind zwei Seiten einer Medaille. Wir freuen uns über Neugeborene und sprechen offen über alles, was der Fortschritt durch Forschung und Entwicklung, durch moderne Technologien für unser Leben ermöglicht. Nur, Sterben und insbesondere schwere unheilbare Erkrankungen sind nach wie vor weitgehend tabuisiert. Dabei wollen wir doch alle nur eines: Leben bis zuletzt, würdevoll sterben, Abschied nehmen in vertrauter Umgebung. Wir hoffen alle auf ein Sterben ohne Schmerzen. Bei unheilbaren Erkrankungen setzen wir auf eine ganzheitliche Versorgung u. a. in Pflege, Medizin und Seelsorge.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Hospizbewegung und die Palliativmedizin stellen sich dieser Problematik. Sie betreuen überwiegend ehrenamtlich Menschen in ihren individuellen Bedürfnissen und geben Begleitung in Grenzsituationen. Dafür gilt unser aller Dank.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, bereits vor mehr als einem Jahr haben CDU- und FDP-Fraktion einen Antrag zur Förderung der Hospizarbeit sowie der palliativmedizinischen Versorgung in Niedersachsen gestellt. Wir haben darin um eine Bestandsaufnahme der bestehenden palliativmedizinischen Versorgung gebeten. Wir haben ein Konzept für die Weiterentwicklung der palliativmedizinischen Versorgung gefordert. Wir haben ferner darum gebeten, die hospizliche Arbeit auszuweiten, damit möglichst viele Menschen in Niedersachsen im Bedarfsfall davon profitieren können.

Der damalige Antrag hat insgesamt die Zustimmung aller Fraktionen gefunden, und das war auch gut so. Wir wissen, dass anschließend sehr zügig gehandelt wurde. Das Gutachten liegt vor. Die Diskussion darüber hat bereits begonnen und ist noch nicht abgeschlossen.

Für die daraus gewonnenen Erkenntnisse sind wir dankbar, bilden sie doch eine gute Grundlage für unsere weitere Arbeit. Folgende Erkenntnisse sind von Bedeutung:

Zurzeit gibt es in Niedersachsen neun Krankenhäuser mit einem speziellen Palliativbereich mit durchschnittlich 5,7 Betten. Das Gute ist: Täglich werden es mehr. Es gibt sechs Palliativdienste, davon drei in Hannover. Das zeigt, dass die Forderung nach einer größeren Präsenz in der Fläche, die wir schon letztes Jahr erhoben haben, in der Tat gerechtfertigt ist.

(Beifall bei der CDU)

Es gibt eine palliativmedizinische Versorgung in Pflegeheimen. Es gibt ambulante Pflegedienste, von denen bisher leider nur 20 % Mitarbeiter beschäftigen, die eine Zusatzqualifikation in PalliativCare erworben haben.

Ich darf in diesem Zusammenhang auch an eine Eingabe erinnern, die wir vor kurzem beraten haben und die der Landesregierung als Material überwiesen werden soll. Auch hierbei geht es um mehr Qualität, um mehr Mitarbeiter mit Zusatzqualifikation, um die palliativmedizinische Versorgung zu verbessern.

Alle Beteiligten sind sich einig: Wir brauchen eine Weiterentwicklung zur Verbesserung der Versorgung, immer wissend um die begrenzten Ressourcen und diese nicht aus dem Blick verlierend.

In wenigen Tagen wird es eine Fachtagung dazu geben, zu der das Sozialministerium eingeladen hat. Auch das ist nur ein weiterer Baustein; denn daran wird sich sicherlich eine - wenn auch möglicherweise befristete - Arbeitsgruppe anschließen, um die gewonnenen Erkenntnisse in Zielvorgaben und entsprechendes Handeln umzusetzen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, das Gutachten zeigt Perspektiven für ein Konzept mit Basis und Spezialversorgung auf. Wir brauchen ein Konzept möglichst wohnortnah, im regionalen Maßanzug, an den Bedürfnissen der Menschen orientiert. Zugleich brauchen wir auch die Berücksichtigung der Leistungsfähigkeit aller Beteiligten einschließlich ehrenamtlicher und hauptamtlicher.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, gute Ideen haben dann eine wahre Chance, realisiert zu werden, wenn sie in solide Konzepte gegossen werden. Dabei darf nur das versprochen werden, was auch haltbar und umsetzbar ist. Ich bin zuversichtlich, dass die Landesregierung ein solches Konzept vorlegen wird, weil alle Beteiligten - einschließlich der Landesregierung - zu unserem Beschluss vom 29. September 2004 Ja gesagt haben. So werden wir also zu einer besseren palliativmedizinischen Versorgung einen Beitrag leisten und dazu das geforderte Gutachten, das inzwischen vorliegt, in Ruhe, mit Bedacht und sorgsam auswerten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, zum Teil bestätigen Sie mit dem heutigen Antrag uns und die Landesregierung in ihrer Arbeit. Weitere Details sollten wir in der Tat im Ausschuss beraten. Aber lassen Sie mich eines abschließend noch ganz klar und deutlich anmerken, um keine Missverständnisse entstehen zu lassen: Gespräche mit denen, die im palliativmedizinischen Bereich, gerade hier in Niedersachsen, aber auch darüber hinaus tätig sind, haben deutlich gemacht, dass Niedersachsen anderen Bundesländern schon jetzt als Vorbild dient.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ich kann Ihnen versichern: Dahinter wollen und werden wir nicht zurückfallen. - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Danke schön. - Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Frau Janssen-Kucz! Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Gutachten „Palliativversorgung in Niedersachsen Bestandsaufnahme und Empfehlungen“ liegt aufgrund des gemeinsamen Beschlusses des Landtages seit Ende November 2004 vor. Die Auswertung fand im März im Sozialausschuss statt. Damit haben wir als einziges Bundesland einen ganz konkreten Überblick über den Stand der Palliativversorgung in Niedersachsen und - was noch wichtiger ist - eine solide Basis, um die palliativmedizinische Versorgung weiterzuentwickeln.

Angesichts der Tatsache, dass die Mehrheit unserer Gesellschaft drastisch altert, ist die Unterstützung der Palliativmedizin eine Aufgabe, der wir uns vordringlich zu stellen haben. Es geht nicht ausschließlich um ältere Menschen, sondern es geht auch um schwerstkranke Kinder, Jugendliche, Erwachsene und deren Angehörige, die schon lange auf adäquate Hilfs- und Unterstützungsangebote warten.

Meine Damen und Herren, die Palliativmedizin muss einen unverzichtbaren Platz in unserem Gesundheitssystem einnehmen. Sie ist für die Begleitung schwerstkranker Menschen höchst bedeutsam und ein wichtiger Baustein bei der Begleitung sterbender Menschen.

Die Zeit ist reif, auf der Grundlage des Gutachtens den Aufbau eines flächendeckenden Versorgungsnetzes für eine palliativmedizinische Versorgung in Niedersachsen anzupacken. Doch bis wir so weit sind, sind noch viele offene Fragen zu klären. Der konkrete Handlungsbedarf steht vor der Tür. Die Ministerin stellte bei der Vorstellung des Gutachtens im März 2005 fest, dass die bereits bestehenden Angebote besser vernetzt werden müssten. Das ist richtig. Sie sagte aber auch, sie wolle nur einen Anstoß geben, damit die Basisversorgung koordiniert wird. Das heißt, sie weigert sich, regionale Kompetenzzentren zu schaffen, die dringend notwendig sind, wenn man davon spricht, dass die Palliativversorgung flächendeckend sein soll. Es kann letztendlich nicht angehen, dass Menschen aus Leer/Aurich nach Göttingen - fern ihrer Heimat - gehen müssen.

Liebe Frau Mundlos, Sie sagen: Wir arbeiten daran. - Aber die Äußerungen der Gesundheitsministerin in dieser Pressekonferenz im März waren ganz anders. Sie hat sehr klar gesagt: Bis hierher und nicht weiter. - Frau Dr. von der Leyen müsste

es allerdings besser wissen, dass nämlich die jetzige Situation unbefriedigend ist.

Beschämend finde ich auch, dass versucht wird, sich möglichst kostengünstig von dem Ziel der flächendeckenden Palliativversorgung zu verabschieden, um es letztendlich den Akteuren - hier den Selbsthilfegruppen vor Ort - zu überlassen, ein Netzwerk aufzubauen.

Ich halte die Schlussfolgerungen, die Frau Dr. von der Leyen als Gesundheitsministerin aus dem Gutachten gezogen und auf dieser Pressekonferenz vorgestellt hat, für völlig unzureichend. Dort können wir nicht stehen bleiben.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Meine Damen und Herren, das Gutachten verdeutlicht, dass die augenblickliche Versorgung schwerstkranker und sterbender Menschen in Niedersachsen weder den Bedürfnissen der betroffenen Menschen noch den Erfordernissen der Palliativversorgung noch den Möglichkeiten der Leistungserbringer entspricht. Das gilt es doch, im positiven Sinne zu verändern. Ein Gesamtkonzept für die Versorgung unheilbar kranker Menschen ist überfällig. Die vorhandenen Abgrenzungen zwischen den Leistungsanbietern spezieller Palliativleistungen müssen aufgehoben werden. Außerdem ist es notwendig, ein bedarfsgerechtes Leistungsbündel zu erstellen, zu dem konkrete Vorschläge erarbeitet werden. Es ist die Aufgabe der Sozial- und Gesundheitsministerin und dieser Landesregierung, diesen Prozess jetzt auf den Weg zu bringen, und zwar umgehend.