Protocol of the Session on June 23, 2005

Aus Zeitgründen lasse ich jetzt doch den einen oder anderen Punkt weg. Ich möchte jedoch noch einmal darauf hinweisen, dass wir das System als Ganzes denken und realisieren wollen. Das sind zum einen die Schulinspektion in ihrer Funktion als Steuerungsinstrument - die eigenverantwortliche Schule mit ihren Gestaltungsmöglichkeiten und ihrem Beratungs- und Unterstützungsbedarf, Leitungszeit für Schulleiter und alle die Angelegenheiten, die dazu gehören - und zum anderen die Schulaufsicht als Instrument der staatlichen Verantwortung. Ich meine, dass wir in den nächsten Monaten und Jahren die historische Chance haben, dieses anspruchsvolle Ziel gemeinsam zu erreichen. Ich kann nur daran appellieren, trotz möglicher Gegensätze wie bisher und wie in den letz

ten Tagen zusammenzuarbeiten; denn dann erreichen wir auch unser Ziel. - Danke schön.

(Beifall bei der CDU und FDP)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen deswegen zur Abstimmung. Zuerst stimmen wir über Tagesordnungspunkt 28 ab. Wer der Beschlussempfehlung des Ausschusses zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenstimmen? Stimmenthaltungen? - Das Erste war die Mehrheit.

Jetzt lasse ich über Tagesordnungspunkt 44 abstimmen. Wer hier der Beschlussempfehlung des Ausschusses zustimmen will, den bitte ich ebenfalls um ein Handzeichen. - Gegenstimmen? Stimmenthaltungen? - Dann ist auch dies so beschlossen.

Wir kommen jetzt zu

Tagesordnungspunkt 30: Zweite Beratung: Justizmodernisierung statt Ausverkauf wichtiger Bereiche der Justiz - Nachlasssachen bei den Gerichten belassen! - Antrag der Fraktion der SPD - Drs. 15/1758 Beschlussempfehlung des Ausschusses für Rechtsund Verfassungsfragen Drs. 15/2034

Die Beschlussempfehlung des Ausschusses lautet auf Ablehnung. Eine Berichterstattung ist nicht vorgesehen. Als Erstes spricht zu dem Tagesordnungspunkt Herr Helberg von der SPD-Fraktion.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wie wichtig unser Antrag ist, hat die Debatte in der bisherigen Beratung gezeigt. Auch beim Besuch der Mitglieder des Rechtsausschusses in Celle sind unsere Bedenken gegen eine Übertragung der Nachlasssachen auf Notare ohne Einschränkung bestätigt worden. Das ist auch nicht verwunderlich.

Ich fasse noch einmal kurz zusammen, warum die jetzige Lösung geradezu optimal ist.

Erstens. Die Nachlasssachen werden von den Gerichten vorzüglich erledigt. Niemand behauptet etwas anderes; es ließe sich auch nicht belegen.

Zweitens. Die Nachlassgerichte arbeiten nicht nur gut, sondern auch zügig.

Drittens. Die Nachlassabteilungen der Gerichte arbeiten mehr als kostendeckend. Unstreitig liegt der Kostendeckungsgrad derzeit eindeutig bei über 100 %.

Viertens. Diese günstige Kostenstruktur lässt sich durch optimierte Binnenabläufe und die Übertragung weiterer Aufgaben auf die Rechtspfleger sogar noch verbessern.

Fünftens. Bearbeitungszusammenhänge mit anderen gerichtlichen Verfahren machen häufig die Beiziehung der Nachlasssachen erforderlich. Jetzt sind sie jederzeit schnell erreichbar, was bei einer Bearbeitung durch Notare nicht gewährleistet wäre.

Mit keinem dieser Argumente haben Sie, Frau Ministerin, und Sie aus den Regierungsfraktionen sich in der ersten Beratung auseinander gesetzt. Das konnten Sie auch nicht, weil Sie keine Argumente haben. Deshalb flüchten Sie sich in allgemeine Floskeln. Ich möchte hier einmal einige dieser Floskeln, mit denen Sie hier aufgetreten sind, aus dem Protokoll zitieren. Da sprechen Sie davon, dass Sie eine „ganzheitliche Justizreform“ wollen. Da wollen Sie sich „der Herausforderung dieser Zeit zur Neustrukturierung der Justiz“ stellen. Da merken Sie an, Sie hätten eine „neue Dynamik in die Diskussion“ gebracht. Den vollkommenen Allgemeinplatz konnte Herr Lehmann beisteuern, als er meinte, die FDP wolle eine „Justiz, die dem Bürger dient“.

Meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, das reicht nicht. Wer wie Sie Änderungen im Nachlassbereich will, muss mindestens konkret begründen, warum er diese will, und er muss belegen, dass Dritte die Aufgaben besser und billiger erledigen könnten. Beides ist aber nicht möglich.

Herr Dr. Noack, natürlich gibt es keinen Zweifel daran, dass auch Notare Qualitätsarbeit leisten, aber das gilt eben nicht für alle. Nehmen Sie denn nicht zur Kenntnis, was uns in Celle von Richtern und Rechtspflegern dazu berichtet worden ist? Kennen Sie denn die Ergebnisse mancher Notarprüfungen nicht? In den Nachlassabteilungen der

Gerichte werden routiniert auch schwierigste Fälle bearbeitet. Den dort vorhandenen hohen Qualitätsstandard wollen Sie ohne Not aufgeben.

Auch gesamtgesellschaftlich würden die Kosten bei einer Übernahme durch die Notare erheblich ansteigen, allein schon durch die Mehrwertsteuer. Meine Damen und Herren von CDU und FDP, es ist schon bedenklich, wie Sie die Erfahrungen der Praxis hier ignorieren. Es ist kein Wunder, dass man in Gerichten und Staatsanwaltschaften Ihre so genannten Reformbemühungen mit großer Sorge betrachtet.

Wir wollen eine Modernisierung der Justiz im bewährten System. Sie wollen die Justizstrukturen ändern. Das nennen Sie dann Reform. Wo bei Ihnen Reform draufsteht, sind aber Qualitätsabbau und Zerschlagung drin.

(Beifall bei der SPD)

Sie reden davon, die Justiz solle sich auf ihre Kernaufgaben beschränken, aber die kostenintensiven Bereiche wie Prozesskostenhilfe, Rechtsmittelbefassung und Betreuungssachen belassen Sie dort. Sind das nach Ihrem Verständnis etwa Kernaufgaben? Es gibt für Ihre Auffassung also keine sachlichen Gründe. Es verbleiben somit nur sachfremde Erwägungen. Entweder haben die Notare bei Ihnen eine stärkere Lobby als die Gerichte, oder, was ebenso wahrscheinlich ist, es geht Ihnen nur darum, die Personalkürzungsvorgaben des Ministerpräsidenten ohne Rücksicht darauf, was damit in den Gerichten angerichtet wird, zu vollziehen. Das eine wie das andere ist gleichermaßen bedenklich. Die Industrieund Handelskammern haben vor kurzem geäußert, das vorhandene Rechtssystem in Deutschland sei ein positiver Standortfaktor. Wir wollen, dass das so bleibt. Mit unserem Antrag zeigen wir auf, wie dies möglich ist. - Ich bedanke mich.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Jetzt erteile ich Herrn Dr. Noack von der CDUFraktion das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In dieser Zeit harter Prüfungen für die deutsche Sozialdemokratie richtet sich der Fokus

auch und vor allen Dingen auf den Landesverband und die Landtagsfraktion, aus der ein sich dynamisch und fortschrittlich gebender Führungspolitiker der SPD den Weg nach Berlin begonnen hat. What is left? So lautet die wieder häufiger gestellte Frage leicht ironisch: Was ist links?, aber auch: Was ist übrig geblieben?

Was ist die Substanz niedersächsischer sozialdemokratischer Reformpolitik, wenn sie unter der Generalüberschrift „Justizmodernisierung statt Ausverkauf wichtiger Bereiche der Justiz“ antritt? Nach der Debatte am 21. April bei der ersten Beratung zu diesem Thema in diesem Hause und der Erörterung im Rechtsausschuss stelle ich Folgendes fest.

Erstens. Die SPD-Fraktion ist strukturkonservativ. Sie wehrt sich gegen Veränderungen, die sie als bedrohlich empfindet. Sie sehnt sich in das letzte Jahrhundert zurück. Sie will nicht gestalten; sie will bewahren. Sie vertritt idealtypisch Ärmelschoner, Strickweste und Bakelitaugenschirm im bürokratischen Dreiklang:

(Beifall bei der CDU - Widerspruch und Lachen bei der SPD)

Das war schon immer so. Das haben wir noch nie so gemacht. Da kann ja jeder kommen.

(Zuruf von der SPD: Sprechen Sie doch einmal zur Sache!)

Zweitens. Die SPD-Fraktion hat weder einen rationalen noch einen emotionalen Zugang zu den freien Berufen. Deren Dynamik, deren Wettbewerbsverständnis und deren Gewinnstreben betrachtet sie mit stetem Misstrauen. Sie unterstellt prima facie, dass eine besoldete Richterin, aber auch ein besoldeter Rechtspfleger qualitativ bessere Arbeit lieferten als ein Notar, dessen Bestellung in Niedersachsen übrigens zwangsläufig mehrjährige Berufserfahrung, nachweisliche Fortbildung und eine überdurchschnittliche Note im zweiten juristischen Staatsexamen voraussetzt.

(Zustimmung bei der CDU)

Drittens. Die SPD-Fraktion hat keine ausreichenden Kenntnisse von der Gebührensystematik bezüglich Leistungen in der freiwilligen Gerichtsbarkeit insbesondere unter EU-Vorgaben. Wenn der erste Erbe eines wertvollen Nachlasses gegen die geltende Gebührenordnung für die Erbscheinerteilung eine Beschwerde vorbringen will, braucht er

nur die Ausführungen des geschätzten Kollegen Helberg über die Kostenüberdeckung aus dem Landtagsprotokoll abzuschreiben, um eine vergleichbare Entscheidung wie bei den Handelsregistergebühren zu erreichen.

Viertens. Die Justizmodernisierung beschränkt sich in diesem Betonantrag auf den Vorschlag, Aufgaben vom Richter auf den Rechtspfleger zu verlagern. Das ist erkennbar kein Modernisierungskonzept.

Wir von der CDU gehen deshalb zur Tagesordnung über, lehnen diesen Antrag ab, führen den Dialog mit unserer innovativen Justizministerin, die die große Justizreform vorantreibt, und nur hin und wieder sehnen wir uns klammheimlich nach einer ideenreichen Opposition als Sparringpartner. Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Jetzt hat Herr Briese von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es geht wieder einmal um die Justizreform. Wer sich den Verlauf dieses Projektes aufmerksam anschaut, kommt eigentlich nicht um die Feststellung herum, dass einem sehr vollmundig angekündigten Projekt langsam die Luft ausgeht. Die Jahrhundertreform, das größte Reformprojekt seit 1877, erfährt weder viel Zuspruch aus Fachkreisen, noch ist bisher überhaupt irgendetwas Substanzielles geschehen. Im Gegenteil! Geschätzter Kollege Noack, überall, wo der Rechtsausschuss hinfährt - Sie sind immer mit dabei -, stöhnen die Gerichte angesichts dieser angeblich so tollen Reform. Es sind nicht nur Richter, Rechtspfleger und Anwälte, die die Augen verdrehen.

Ich zitiere jetzt einmal aus der Kommentarlandschaft. Sie haben in der ersten Beratung ja gesagt, angesichts der innovativen Justizministerin werde bundesweit ganz euphorisch über Niedersachsen berichtet. Es finde eine tolle Debatte statt. Im Blick auf diese Ausführungen zitiere ich nun einmal aus der Kommentarlandschaft. Süddeutsche Zeitung: Die große Justizreform wird immer kleiner; der Elan ist verschwunden. Das Handelsblatt, eine Ihnen sehr nahe stehende Zeitung, schreibt: Heiß

gekocht und lau gegessen: Justizreform kommt nicht voran.

FAZ.NET: Widerstand aus dem Bundestag gegen umfassende Justizreform. CDU gegen Verkürzung des Instanzenzuges.

Der Leitkommentar der FAZ lautete - hören Sie genau zu -: Justiz auf Sparflamme. Mit Vorsicht sind die Privatisierungstendenzen in der Justiz zu genießen.

Noch einmal das Handelsblatt: Recht schlecht. Rezepte der Justizminister völlig unausgegoren.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, das sind die euphorischen rechtspolitischen Kommentare aus der bundesweiten Presse zur tollen, phänomenalen Justizreform aus Niedersachsen. Das ist wirklich eine tolle Kommentarlandschaft.

(Thomas Oppermann [SPD]: Da hat Herr Noack ja ein völlig falsches Bild vermittelt!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wissen Sie, was an diesen Kommentaren sehr interessant ist? - Es sind in erster Linie bürgerliche, konservative Presseorgane, die zu dieser Einschätzung kommen. Das sollte Sie nachdenklich machen.

Nun kommen wir zu dem heutigen Baustein der Justizreform, nämlich der Verlagerung von Nachlasssachen auf die Notare. Wenn Sie das unbedingt wollen, dann sagen Sie den Bürgerinnen und Bürgern auch, dass eine Verlagerung dieser Aufgaben eine Kostensteigerung bedeutet. Sie wollen die Bürgerinnen und Bürger immer entlasten. Insbesondere die FDP-Fraktion sagt: Der Staat ist viel zu teuer, zu ineffizient und zu träge. Wir müssen die Aufgaben privatisieren. So geht das besser. Dann sagen Sie den Leuten aber auch die Wahrheit! Sagen Sie, dass es teurer wird. Das gehört zur Ehrlichkeit dazu, meine sehr verehrten Damen und Herren.