Da ist es schon fast zweitrangig, dass Sie völlig ohne Bezug auf das europäische Recht neue Klagerechte für Betriebsräte und Gewerkschaften einführen wollen, auch wenn das die Betreffenden in dem Betrieb gar nicht wollen. Meine Damen und Herren, wir kennen diesen Vorgang aus den alten Vorschriften des Gesetzes gegen unlauteren Wettbewerb. Da gab es die Erscheinung der Abmahnvereine. Das sind Vereine, die sich aufmachen, Gesetze, die vielleicht aus guter Absicht formuliert worden sind, auszunutzen, um selbst wirtschaftliche Vorteile zu erzielen, aber nie zugunsten der Betroffenen, sondern immer zu den eigenen Gunsten und letzten Endes zulasten der Allgemeinheit.
Wir sagen - auch mit dem Zusatzargument, dass man die Wettbewerbsposition Deutschlands in der internationalen Konkurrenz nicht wieder verschlimmern muss -: Wer die Wettbewerbssituation weiter verschlechtert, wird am Ende die soziale Lage in Deutschland verschlechtern. Und wer die soziale Lage verschlechtert, wird die Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Gruppen in der Gesellschaft auf die Spitze treiben, meine Damen und Herren. Dies ist ein Gesetz - bei aller guter Absicht, meine Damen und Herren -, das sich von den Wirkungen her gegen den inneren Zusammenhalt und den Frieden in dieser Gesellschaft richtet, so ehrenwert die Ziele auch sind. Das bedaure ich.
Lassen Sie mich abschließend Folgendes sagen: Wenn Sie der Meinung sind, dass die Rechtslage nicht ausreicht und dass man da und dort etwas machen muss - das respektiere ich -, dann lassen Sie uns in Ruhe darüber reden, aber so, dass am Ende nicht Vorwürfe der einen oder anderen Art übrig bleiben, meine Damen und Herren.
Ich möchte, dass wir alle dazu beitragen, dass es in Deutschland wieder mehr Arbeitsplätze und geordnete Beziehungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern mit starken Gewerkschaften gibt, ohne dass sich der Staat und Dritte in alles einmischen müssen, sondern dass wir eine Gesellschaft haben, in der mehr Freiheit in den Rechtsbeziehungen besteht, als Sie mit Ihrem Gesetz bewirken, meine Damen und Herren. Sie verändern ein Stück - ohne es wahrscheinlich zu wollen; das will ich durchaus unterstellen - den inneren Zustand dieser Gesellschaft. Und das tut mir Leid. In dem Anliegen „keine Diskriminierung“ sind wir uns, hoffe ich, alle einig. Diskriminierung darf nicht sein. Der Unterschied zwischen uns betrifft die Instrumente. Wir meinen, die vorhandenen Gesetze reichen aus. Wenn nicht, dann müssen sie an der Stelle verändert werden. Aber dass Sie die EUVorschriften benutzen, um in dieser Weise in die Beziehungen Privater einzugreifen, ist leider kein Beitrag zu einer positiven Entwicklung der gesamten Gesellschaft.
Herr Kollege Hagenah hat nach § 71 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung noch einmal um Redezeit gebeten. Er erhält eine Redezeit von bis zu einer Minute. Bitte schön!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Minister Hirche, Sie haben wieder den Regelungsbedarf bestritten. Ich verweise auf einen Artikel in der Süddeutschen Zeitung vom 12. April 2005, in dem unter der Überschrift „Schreibmaschinen nur für Deutsche“ eine ganze Hand voll Diskriminierungen, die nur durch das neue Antidiskriminierungsgesetz behoben werden könnten, genannt werden, und die durch unsere bestehenden Gesetze nicht geregelt sind.
Ich möchte Ihnen einige kurze Beispiele nennen: Einer Dame, die sich selbständig machen möchte und über 50 Jahre alt ist, wird von der Versicherung verweigert, Ersatzeinkommen bei Krankheit zu versichern, weil die Versicherung solche Versicherungen generell nur bis zu einem Alter von 50 Jahren annimmt. Solch ein Fall wäre nur durch eine gesetzliche Regelung zu lösen. Übrigens: Die Seniorenunion fordert, bei den Versicherungen nachzubessern. Durch unser Gesetz wird das geregelt.
In einem anderen Beispiel will ein französischer Unternehmer, der in Deutschland als Gastronom tätig ist, eine Parkettschleifmaschine ausleihen. Das wird ihm verweigert, weil er keinen deutschen Pass hat. Die Maschine auszuleihen ist nur möglich, wenn er einen deutschen Pass hat und diesen hinterlegt. Das Unternehmen argumentiert folgendermaßen: Nur dann sei sichergestellt, dass es auf die Person zurückgreifen könnte. - Auch das ist nach deutschem Recht bisher nicht zu ahnden, sondern erst mit dem Antidiskriminierungsgesetz.
Das nächste Beispiel ist der typische Fall der Türsteher, die allein nach Augenschein sagen: Sie dürfen hinein. Sie dürfen nicht hinein.
Auch in diesem Fall gibt es einen großen Regelungsbedarf. Das wird an dem Beispiel einer 28jährigen Münchner Studentin deutlich, die aus In
dien kommt und deswegen den Zugang zu einer Diskothek nicht erhält. Nach ihr kommt eine Gruppe Deutscher aus München, die sofort hineingelassen wird. Das alles sind Tatbestände, die im Augenblick nicht beklagbar sind.
Ich meine, der Handlungsbedarf ist für einen Liberalen, aber auch für uns deutlich zu greifen. Deswegen fordern wir mit dem Antidiskriminierungsgesetz Gleichstellung. - Vielen Dank.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es kann überhaupt keinen Zweifel daran geben, dass es die Beteiligten in dieser Debatte gut meinen. Herr Hagenah, wir erleben aber, dass „gut gemeint“ in der Umsetzung häufig nicht „gut gemacht“ heißt. Das bedeutet für die Betroffenen in ihrer konkreten Situation keinen Vorteil, einen Arbeitsplatz zu finden, eine Wohnung mieten oder andere Vergünstigungen in Anspruch nehmen zu können. Das alles sind Fälle, in denen Gleichbehandlung selbstverständlich Praxis sein muss.
Das Problem ist - das hat der Präsident der Europäischen Kommission den Ministerpräsidenten letzte Woche vorgetragen -, dass insbesondere die deutsche Bundesregierung bei dieser Richtlinie bereits eine Reihe bürokratischer Vorgaben durchgesetzt hat, die man in Berlin wahrscheinlich nie ins Parlament hätte einbringen und mehrheitsfähig machen können und dass jetzt bei der Umsetzung dieser Richtlinie abermals aufgesattelt wird. Es wird aufgesattelt bei den Tatbeständen und in der Behandlung dieser Tatbestände, beispielsweise beim Schadensersatzrecht, wonach Leute, die gar nicht negativ betroffen sind, klagen können, und zwar selbst dann, wenn derjenige, der negativ davon betroffen ist, gar nicht will, dass geklagt wird. Das ist ein Vorgang, der Dinge verkompliziert, ohne dass irgendjemandem geholfen wäre, es sei denn, es geht um Rechthaberei.
Das, was Sie, Herr Hagenah, vonseiten der Grünen ganz offenkundig nicht begreifen, ist die Tatsache, auf die Herr Hirche hingewiesen hat, dass man Leute motivieren muss, Wohnungen zu bau
en, zu errichten oder zu vermieten, und dass man Menschen ermutigen muss, Arbeits- und Ausbildungsplätze zu schaffen und diese anzubieten.
Es wird zukünftig so sein, dass Betriebe aus Angst vor dieser Bürokratie, vor der Schadensersatzverpflichtung, vor der Möglichkeit, verklagt zu werden, vor der Beweislastumkehr und aus Angst vor der Notwendigkeit, Berichte anzufertigen, um sich wehren zu können, dann eben Arbeitsplätze gar nicht mehr nennen. Sie sagen: Wenn wir die Arbeitsplätze beim Arbeitsamt benennen, dann wissen wir ja nicht, ob unter denen, die sich dann melden, nicht gerade einer ist, der sich darauf spezialisiert hat, uns aus diesem Gesetz einen Strick zu drehen. Dann werden Arbeitsplätze eben in der Nachbarschaft, im Freundeskreis, in der Familie vergeben oder gar nicht mehr besetzt, weil man sich schlichtweg vor solchen bürokratischen Monstren fürchtet.
Wir sind dafür, die EU-Richtlinie 1 : 1 in Deutschland umzusetzen, um im gesamten europäischen Rechtsraum gleiche Bedingungen zu haben.
Vielleicht sollten Sie sich mit uns gemeinsam darauf verständigen, dass man vieles durch Zivilcourage wird erreichen können, dass die Leute, die darauf zu achten haben, für Gleichbehandlung werben und dass sie bei Diskriminierungen auch eingreifen. Ihre Hoffnung, dass im Zweifel der Staat, die staatliche Bürokratie und die Gerichte es schon richten werden, ist überzogen. Wir haben die Hoffnung, dass die Menschen in diesem Lande, wenn sie stärker eingebunden werden, selber stärker darauf achten werden, dass Diskriminierungen in diesem Lande nicht zugelassen und gebilligt werden. Ihre Erwartung, der Staat werde es schon machen, halte ich für völlig überzogen. Wir glauben, es ist das Beste für die Betroffenen, wenn es mehr Arbeitsplätze und mehr Wohnungen gibt und nicht immer mehr Einflussnahmen auf die Privatautonomie. Es ist ein hohes Gut, dass die Menschen einen gewissen Entscheidungsspielraum haben.
In einer Debatte wurde ich neulich gefragt, ob ich Verständnis dafür hätte, dass ein Wohnungseigentümer in Franken seine Wohnung lieber einem Franken als einem Niedersachsen vermietet, weil er vielleicht mit dem Mieter über Weine reden will und er das mit einem Franken besser kann, weil
die Franken gemeinhin mehr Weinlagen und Weinberge hätten als Niedersachsen. Ich wurde gefragt, ob ein solches Kriterium eine Diskriminierung der Niedersachsen bedeute oder nicht. Die Eingrenzung oder Überprüfung dieser letzten Entscheidung für einen bestimmten Mieter durch Dritte, beispielsweise weil ich mich mit ihm über dieses und jenes Thema besser unterhalten kann als mit dem anderen, diese Einschätzungsprärogative eines Vertragspartners in der Privatautonomie darüber, wem er eine Wohnung vermietet oder wem er einen Arbeitsplatz gibt, ist eine sehr komplexe Materie. Ich kann Sie nur warnen, die Hoffnung immer nur auf Bürokratie statt auf Zivilcourage zu setzen.
Herr Ministerpräsident, der Kollege Möhrmann möchte eine Zusatzfrage stellen. Gestatten Sie diese? - Bitte schön.
Herr Ministerpräsident, Sie haben ein Beispiel gebracht. Ich möchte Sie fragen, ob mein Informationsstand falsch ist. Sie haben gesagt, es könne jemand gegen eine Sache klagen, obwohl er selber gar nicht betroffen ist. Ich nehme an, Sie meinen die Verbandsklage. Nach meiner Kenntnis ist die inzwischen nicht mehr in dem Paket enthalten.
Nach dem jetzt vorliegenden Gesetzentwurf haben Betriebsräte und Gewerkschaften immer noch die Möglichkeit, auch gegen den Wunsch des Betroffenen, der diskriminiert worden sein soll, Klage zu erheben. Wenn es im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens der Bundesregierung gelingt, die Grünen davon zu überzeugen, ihre Position über Bord zu werfen und sich auf den Vorschlag des Kanzlers einzulassen, an diesem Punkt nachzubessern - das ist sicher sehr schwierig, weil die Grünen hier ja eben erklärt haben, für sie sei es das Optimum und sie ständen voll dazu -, dann hätten Sie Recht. Das ist ein Prozess, den Sie auf Bundesebene mit den Grünen austragen müssen. Mit uns gibt es nur eine 1 : 1-Umsetzung der europäischen Richtlinie.
Meine Damen und Herren, der Kollege Hagenah hat noch einmal um Redezeit nach § 71 Abs. 2 gebeten. Er erhält noch eine Minute Redezeit. Aber dieses Mal ist es wirklich nur eine Minute, Herr Kollege Hagenah. Ich war vorhin sehr großzügig.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zu zwei Vorurteilen gegenüber dem Gesetz, die eben auch vom Ministerpräsidenten vorgetragen wurden, möchte ich ganz kurz etwas richtig stellen:
Bei der Beweislastumkehr ist ein Richtervorbehalt vorgeschaltet. Das heißt, Herr Ministerpräsident, wenn Sie sich diskriminiert fühlen, müssen Sie zunächst einmal gegenüber einem Gericht mit Argumenten - Sie wissen, wie schwer das in einem Rechtsstaat ist - beweisen und belegen,
dass tatsächlich ein Grund vorliegt. Erst wenn der Richter ein Verfahren eröffnet, also erst wenn Sie ihn überzeugt haben,
Sie wissen, dass es nicht aufgrund einer eigenen Behauptung gilt, sondern dass Sie tatsächlich signifikante Argumente beibringen müssen.
Zu Ihrem Beispiel mit dem Wein und den Franken: Auch im Wohnungsbereich ist längst eine Regelung getroffen worden, die vorhin sogar vom CDURedner zitiert worden ist, wonach jetzt auch im Massengeschäft bei der Wohnungsvergabe auf die soziale Mischung und entsprechende Entscheidungsfreiheiten von Wohnungsgesellschaften Rücksicht genommen wird
wein trinken oder nicht. Auch im Massengeschäft ist das möglich, wenn es dem sozialen Frieden dient. - Danke schön.
(Beifall bei den GRÜNEN - Zuruf von der CDU: Das ist doch längst Praxis! Sonst könnte es doch gar nicht funkti- onieren! - Hermann Dinkla [CDU]: Jetzt haben wir gehört, was Sie wirk- lich wollen!)
Meine Damen und Herren. Ich schließe zunächst die Beratung; denn Wortmeldungen liegen mir nicht mehr vor.