Protocol of the Session on May 14, 2003

Die Landesregierung geht hier den gleichen krummen Weg. Sie lässt die die Regierung tragenden Fraktionen den Antrag einbringen, wie es die SPD zuvor vorgemacht hat. Als Sie von der CDU damals noch in der Opposition waren, haben Sie dieses Verfahren immer kritisiert. Ihre jetzige Gesetzesinitiative ist sowohl von Minister Hirche als auch vom Ministerpräsidenten schon im März und im April in verschiedenen Schreiben an Unternehmen des Verkehrsgewerbes angekündigt worden, die Sie heute als ausführendes Organ für die Landesregierung in den Landtag einbringen. Wir halten dies jedoch für einen schlechten Stil.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Trotz der damit bekundeten Absicht, das Gesetz so verändern zu wollen, hat die Landesregierung noch im März die im Gesetz vorgesehene Kommission tagen lassen, um die Repräsentativität der Tarifverträge festzulegen. In den Beratungen des Vorjahres hat die CDU aber immer wieder das Argument angeführt, dass all das zu kompliziert sei. Die Kommission hat 22 repräsentative Tarifverträge ermittelt und hat sie auch sowohl auf die Straße und die Schiene als auch auf die Regionen hin zugespitzt festgelegt. Sie hat damit bewiesen, dass dieses Argument der CDU gegen diese Gesetzesregelung nicht tragfähig war.

Sie begründen Ihren Antrag jetzt auch damit, dass im Bereich des öffentlichen Nahverkehrs Wettbe

werbsverzerrungen nicht bestehen, Herr Rösler. Diese Behauptung ist nicht haltbar. Ich hatte Ihnen vorhin schon erläutert, dass wir im Augenblick die Neugründung von Dumpinglohnunternehmen in Niedersachsen zu beklagen haben. Wir meinen, dass Sie von Ihrem Ansinnen, den ÖPNV herauszunehmen, abgehen sollten. Ich hoffe, dass wir Sie in den Ausschussberatungen und durch die Anhörung noch davon überzeugen können, dass der von Ihnen eingeschlagene Weg ein falscher Weg ist. Wir brauchen - im Baubereich sind Sie ja bereit, entsprechend zu verfahren - mindestens eine Frist von einigen Jahren, um die Wirkung dieses Gesetzes zu beobachten. Nach einer Evaluation könnte dann beurteilt werden, was das Gesetz gebracht hat, wo es vielleicht verändert werden muss bzw. ob es vielleicht abgeschafft werden muss. Dieses Gesetz sozusagen sofort Geschichte werden zu lassen, ohne überhaupt seine Wirkung abzuwarten, zeigt, dass Sie offensichtlich nicht bereit sind, die Realität für sich sprechen zu lassen, sondern eben doch eher an Ihre Ideologie glauben. - Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Für die SPD-Fraktion hat jetzt der Abgeordnete Will das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst auf das Weltbild von Herrn Rösler eingehen und auch etwas aus dem Newsletter vom 9. Mai 2003 Blickpunkt Bus - Informationen für Busunternehmer zitieren. Am 7. Mai haben 600 Zollbeamte aus allen Bundesländern bundesweit über 120 Firmen und Privatwohnungen wegen des Verdachts der illegalen Beschäftigung durchsucht. Ich zitiere nun wörtlich:

„Die illegalen Arbeitnehmer wurden nach bisherigen Erkenntnissen aus Russland angeworben. Sie beschafften sich so genannte Schengen-C-Visa und reisten damit nach Deutschland ein. Schengen-C-Visa dienen lediglich zu Besuchszwecken und lassen eine Erwerbstätigkeit grundsätzlich nicht zu. Dennoch wurden die angeheuerten russischen Staatsangehörigen im gewerblichen Personenverkehr als Om

nibusfahrer eingesetzt und beförderten Fahrgäste nicht nur im grenzüberschreitenden Verkehr, sondern auch innerhalb Deutschlands. Gültige Aufenthalts- und Arbeitserlaubnisse lagen nicht vor. Ebenso wenig wurden die Fahrer aus Russland zur Sozialversicherung angemeldet.“

(Hermann Eppers [CDU]: Wo ist da der Zusammenhang mit dem Antrag?)

Der Gipfel war: Der Lohn für eine 96-StundenTour Moskau - Mannheim - Moskau betrug 70 Euro. Falls sie mit dem Sprit nicht auskamen, mussten sie das Geld für das Nachtanken auch noch zur Verfügung stellen. Dies bezieht sich auf den Bereich von Reisebussen. Entsprechende Handlungsweisen schwappen natürlich auch auf andere Bereiche über. Niemand wird ganz sauber zwischen Schülerbeförderung, ÖPNV und solchen Einsätzen abgrenzen können. Ich meine, dass wir insofern allen Grund haben, diesen Bereich zu ordnen.

Am 28. August 2002 hat der Niedersächsische Landtag das Landesvergabegesetz verabschiedet. Es ist inzwischen am 1. Januar 2003 in Kraft getreten. Leider ist damals eine bundeseinheitliche Regelung, die sehr viel wünschenswerter gewesen wäre, nicht zustande gekommen, weil die CDU sie im Bundesrat bekanntlich blockiert hat. Ein Tätigwerden des Landesgesetzgebers war insofern unumgänglich, um die vor allem im Baubereich deutlich gewordenen Wettbewerbsverzerrungen in Form von Lohndumping zu bekämpfen. Mit dem jetzt geltenden Gesetz hat die alte Landesregierung genau den richtigen Weg beschritten. Wir als SPDFraktion sehen für die Zukunft einen gleichwertigen Regelungsbedarf für den Baubereich und den öffentlichen Personennahverkehr, damit auch im letztgenannten Bereich keine Wettbewerbsverzerrungen entstehen können. Wir wenden uns auch in diesem Bereich gegen Lohndumping im Zuge der EU-Liberalisierung. Wir wollen sowohl Qualitätssicherung bei der Vergabe öffentlicher Aufträge im ÖPNV als auch faire Arbeitsbedingungen bei den Dienstleistern im ÖPNV, damit nicht Schmutzkonkurrenz die Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in diesem Bereich unnötig gefährdet.

Für die Bauwirtschaft und die Sicherung der Arbeitsbedingungen in diesem Bereich war das Gesetz längst überfällig, nachdem es auf Bundesebe

ne keine gemeinsame Haltung in der angesprochenen Frage gegeben hat. Es sollte eben nicht abgewartet werden, wie sich der ÖPNV entwickelt, um dann später eventuell regulierend eingreifen zu müssen. Wir wollen nicht, dass negative Erfahrungen auf dem Rücken der Menschen in den ÖPNVUnternehmen gesammelt werden. Im Gegenteil, es kann nicht das Ziel sein, dass durch Lohndumping für die öffentlichen Haushalte Kostenvorteile herausspringen. Das Unterlaufen von tariflichen Mindestbedingungen darf nicht Markenzeichen der öffentlichen Daseinsvorsorge bei der Mobilität der Menschen in unserem Lande sein. Das Kostenargument darf wirklich nicht im Vordergrund stehen, etwa nach dem Motto: Wegen der verordneten Tariftreue wird der ÖPNV nur unnötig teurer. Sonst dürfte man genauso wenig für den Baubereich eine Regelung treffen, weil dort bekanntlich die gleichen ökonomischen Gesetzmäßigkeiten gelten.

Schon heute bestehen in bestimmten niedersächsischen Grenzregionen, etwa zu Holland oder Sachsen-Anhalt, auch im ÖPNV die Risiken eines gewaltigen Lohndumpings. Schon heute werden viele Subunternehmen ohne tarifliche Bindung und ohne Qualitätsstandards in eine Mischkalkulation einbezogen, die deutlich macht, was passieren wird, wenn der ÖPNV aus dem Landesvergabegesetz gestrichen wird. Wir wollen sichere Beförderung mit gutem Qualitätsstandard. Wir wollen sichere und qualifizierte Arbeitsplätze in den ÖPNVUnternehmen. Wir wollen angemessene Bezahlung der Dienstleistungen und der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sicherstellen. Wir wollen jedoch auf keinen Fall ruinösen Wettbewerb durch Lohndumping, der eine eklatante Verschlechterung staatlicher Leistungen - das gilt sowohl für den Baubereich als auch für den Bereich des ÖPNV mit sich bringt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Streichung des ÖPNV aus dem Landesvergabegesetz ist schlichtweg überflüssig. Sie sollten besser darauf achten, den Einflüsterungen von Lobbyisten und Verbänden in diesem Fall nicht zu erliegen, sondern sollten das jetzige geltende Recht konsequent anwenden. Sorgen Sie auf Bundesebene mit dafür, dass endlich eine einheitliche gesetzliche Grundlage in Deutschland geschaffen wird.

Natürlich macht es auch Sinn, über die Haltbarkeit und Befristung von Gesetzen nachzudenken. Angesichts der katastrophalen Verwerfungen im Baubereich und der notwendigen Sicherung eines qua

litativ guten ÖPNV ist dieses Gesetz jedoch am wenigsten geeignet, schon jetzt mit einem Verfallsdatum versehen zu werden. Niemand hier im Hause glaubt, dass die Probleme in diesem Bereich innerhalb von fünf Jahren geregelt sein können und dass die notwendige soziale und wirtschaftliche Stabilität ohne eine gesetzliche Flankierung eintritt. Ziehen Sie Ihren Gesetzentwurf deshalb zurück, und stampfen Sie ihn ein!

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Für die CDU-Fraktion hat nun der Abgeordnete Hoppenbrock das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Hagenah, ich glaube nicht, dass dann, wenn wir den Antrag im April eingebracht hätten, die rotgrüne Bundesregierung am 1. Mai aus dem Feuer genommen worden wäre. Das, was dort beschlossen werden soll, ist viel zu desolat, als dass die Gewerkschaften darauf nicht hätten reagieren müssen.

Hier wurde eben über das Weltbild gesprochen. Wenn hier über das Landesvergabegesetz gesprochen wird, so hat das tatsächlich etwas mit dem Weltbild zu tun, welches die eine Seite oder die andere Seite vom Staat und von der staatlichen Verpflichtung, Regelungen und Gesetze zu schaffen, hat.

Wir wollen nicht mehr, sondern weniger staatliche Regelungen. Im ÖPNV sind zumindest zurzeit keine Wettbewerbsverzerrungen erkennbar.

(Axel Plaue [SPD]: Dann müssen Sie mal zum Optiker gehen!)

- Herr Plaue, ich weiß, dass Sie im August in Ihrer feinsinnigen, hochintellektuellen Art auch zu diesem Thema gesprochen haben. Im Moment rede ich dazu.

Es ist von Russen am Steuerrad gesprochen worden. So etwas mag vorkommen. Das ist illegal und kriminell.

(Zuruf von der SPD: Das ignorieren Sie!)

Es ist sicherlich so: Wenn jemand kriminelle Praktiken anwenden will, wird er sich an gar kein Gesetz halten. Er wird sich weder an das Niedersächsische Landesvergabegesetz noch an andere Gesetze halten.

(Zuruf von der SPD: Deshalb brau- chen wir keine Gesetze - oder wie?)

- Das ist doch ein Einzelfall. Wir wollen, dass vor Ort und im Wettbewerb entschieden wird. Wir wollen nicht, dass der Staat alles regelt, was geregelt werden kann.

Meine Damen und Herren, ein Sonderfall - ich glaube, darüber sind wir uns einig - ist das Baugewerbe. Im Baugewerbe haben in den vergangenen zwei Jahren mehr als 20 % der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ihren Job verloren. Im Baugewerbe werden ungefähr 20 % der Aufträge von der öffentlichen Hand vergeben. Es gibt im Baugewerbe massive Verwerfungen und illegale Praktiken. Wir sind uns sicherlich einig, dass dieser Bereich für das Baugewerbe drin stehen bleiben soll. Sie hatten aber im letzten August die Chance, mit uns gemeinsam das Landesvergabegesetz für das Baugewerbe zu verabschieden. Dieses Angebot haben Sie ausgeschlagen. Wenn der Staat aber nun als Auftraggeber über ein Vergabegesetz auch noch die Gehälter gleichschaltet,

(Enno Hagenah [GRÜNE]: 22 Tarifverträge sind keine Gleich- schaltung!)

nachdem schon die Treibstoffpreise über die Ökosteuer und über verschiedene Mineralölsteuererhöhungen gleich sind, dann hätten wir eine wirkliche Planwirtschaft. Das ist ordnungspolitisch fragwürdig und muss unserer Meinung nach beseitigt werden.

Mit einem Vergabegesetz zugunsten einer beherrschenden Gewerkschaft würde den privaten Busunternehmen in der Fläche endgültig der Garaus gemacht. Es gäbe dann tatsächlich nur Scheinselbständige. Dann könnte der Oberkreisdirektor oder der Landrat selber das Steuerrad in die Hand nehmen, dann bräuchte wir keine privaten Unternehmer mehr. Gerade die privaten Busunternehmer tragen doch in der Fläche maßgeblich dazu bei, dass der ÖPNV funktioniert, dass unsere Kinder zur Schule gefahren werden und dass wir abends den Nachtbus haben und vieles andere mehr.

Nach Expertenmeinung kommt die EU-Regelung zur Liberalisierung frühestens in zwei bis drei Jahren. Danach werden wir noch acht Jahre Übergangszeit haben, um diese Regelungen hier durchzuführen. Wir haben dann auch genügend Zeit, uns das anzusehen. Auf alle Fälle hat der ÖPNV heute im Landesvergabegesetz nichts zu suchen.

(Zustimmung bei der FDP)

Das hat eben auch der Kollege Rösler eindrucksvoll erklärt. Wir wollen weniger Staat und mehr persönliche Verantwortung. Wir wollen mehr unternehmerische Verantwortung. Ich meine, das dient den Unternehmen, das dient den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Unternehmen, das dient den Kommunen, und das sichert Arbeitsplätze in Niedersachsen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Hans-Dieter Haase [SPD]: Was für Arbeitsplätze?)

Das Wort hat nun Herr Minister Hirche.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Landesregierung begrüßt diese Vorlage der beiden Fraktionen.

(Hans-Dieter Haase [SPD]: Überra- schung!)

- Das ist für Sie vielleicht überraschend, aber für die Öffentlichkeit sicherlich nicht; denn das war das Ergebnis unserer Koalitionsverhandlungen. Von daher ist das dort angekündigt worden.

Wir begrüßen, dass ein Teil des Gesetzes befristet wird. Das entspricht der Grundlinie, dass wir künftig den Versuch machen wollen, Gesetze grundsätzlich zu befristen, damit nach einer bestimmten Zeit dieses politische Gremium, der Landtag, wieder darüber berät, ob etwas überhaupt noch notwendig ist. Denn wir schleppen eine Fülle von Gesetzen mit uns herum, die längst überholt sind, die zum Teil auch nicht mehr angewendet werden, wobei man aber trotzdem, wenn man dagegen verstoßen würde, entsprechende rechtliche Konsequenzen zu erwarten hätte. Das ist also ein Teil Entschlackung, ein Teil Modernisierung der Gesetzgebung in Niedersachsen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Meine Damen und Herren, die Landesregierung begrüßt auch, dass der öffentliche Personennahverkehr aus den Regelungen herausgenommen werden soll. Ich kann Ihnen nur sagen: Wer sich einmal angetan hat, mit den Betroffenen darüber zu diskutieren, was ein repräsentativer Tarifvertrag ist, dem stehen die Haare zu Berge. Eine dreistündige Sitzung hat nicht ausgereicht, um das unter den Betroffenen zu definieren, weil von bestimmten Seiten der Versuch gemacht wird, den eigenen Tarifvertrag als den repräsentativen darzustellen. Herr Hagenah, da gibt es natürlich bestimmte Machtkämpfe im gewerkschaftlichen Bereich und im Bereich der Tarifpartner, einen bestimmten Tarif als den repräsentativen anzusehen.

(Enno Hagenah [GRÜNE]: 22!)

Im Land Niedersachsen gelten aber ganz speziell im ÖPNV konkurrierende Tarifverträge, die für dieselben Tätigkeiten unterschiedliche Stundensätze oder unterschiedliche sonstige Konditionen beinhalten. Das ist eine gesellschaftlich gewollte und mit der Tarifautonomie verbundene Entscheidung. Deswegen ist dieses Gesetz an dieser Stelle - wie im Übrigen auch an der anderen - mit der Formulierung „repräsentativer Tarifvertrag“ und der Definitionshoheit, die damit in den staatlichen Bereich zurückgeholt werden soll, ein Unterlaufen der Tarifautonomie, meine Damen und Herren. Ich bitte Sie einmal, auch auf diesen Aspekt zu achten. Das ist ein weiterer Punkt, der es aus den technischen und praktischen Schwierigkeiten heraus begrüßenswert macht, dass auf diesen Teil künftig verzichtet wird. Die Landesregierung begrüßt es, wenn insofern das Gesetz handhabbarer wird, wenn das Gesetz entschlackt wird und wenn wir damit einen Beitrag zu Verwaltungsmodernisierung und Gesetzesmodernisierung in Niedersachsen haben. - Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen nun zur Ausschussüberweisung.

Federführend soll sich der Ausschuss für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr und mitberatend sollen sich der Ausschuss für Rechts- und Verfassungs