Protocol of the Session on April 21, 2005

Die Justizministerin hat insbesondere auch auf Bundesebene im Verein der Justizminister eine neue Dynamik in die Diskussion hineingebracht. Sie werden urplötzlich den Namen Niedersachsen und den Begriff „niedersächsische Reformvorschläge“ in Justizfachzeitschriften und auch in den entsprechenden Fachkommentaren lesen. Das ist für unser Land von großer Bedeutung. Wir verharren nicht, sondern wir setzen uns an die Spitze dieser Reformbemühungen. Die heutigen Ausführungen der SPD-Fraktion zu diesem Thema sind eher bedauerlich.

Ich möchte zunächst einmal deutlich machen, dass Notare Teil der Justiz sind. Sie sind Träger eines öffentliches Amtes. Sie sind Teil der Rechtspflege.

Wer behauptet, durch Aufgabenverlagerung an Notare würden insgesamt Aufgaben aus der Justiz verlagert, der verkennt die Rolle der Notare in unserem Rechtssystem.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Während wir in Niedersachsen - wie Sie wissen, Herr Kollege Helberg - freundliche und duldsame Notare sind, dürften Sie einen solchen Vortrag vor bayrischen Notaren nicht halten. Der Fehler, den Sie zunächst einmal machen, ist, dass Sie verkennen, dass die Notare bereits heute, insbesondere auch in Niedersachsen, eine Fülle von zusätzlichen Aufgaben im Nachlassbereich wahrnehmen. So hat z. B. Niedersachsen - ebenso wie Bayern und Hessen - im Gesetz über die freiwillige Gerichtsbarkeit geregelt: Den Notaren kann die Aufnahme von Nachlassverzeichnissen und Nachlassinventaren sowie die Anlegung und Abnahme von Siegeln im Rahmen eines Nachlasssicherungsverfahrens auch durch Anordnung des Nachlassgerichts übertragen werden. - Das ist eine besondere Befugnis.

Artikel 14 bestimmt: Zur Vermittlung der Auseinandersetzung über einen Nachlasses und über das Gesamtgut einer ehelichen oder fortgesetzten Gütergemeinschaft sind neben den Amtsgerichten auch die Notare zuständig. - Auch dies macht deutlich, dass wir in Niedersachsen bereits eine ganze Reihe von Aufgaben übertragen haben.

Nein, es geht nicht darum, dass wir weniger Aufgaben zuweisen, sondern darum, dass wir mehr zuweisen. So kann überwiesen werden - und dies prüfen wir -: die Bestellung von Notaren zu Nachlasspflegern und Verwaltern, die notarielle Erbschaftserteilung, die notarielle Verwahrung von Testamenten, was derzeit nur bei Erbverträgen möglich ist, die notarielle Zuständigkeit auch für die Eröffnung von Testamenten und Erbverträgen. Wir können die Übertragung der Erteilung von Testamentsvollstreckerzeugnissen auf die Notare vornehmen. Dies sind Tätigkeiten, die den Notaren z. B. in unserem Nachbarland Frankreich seit mehr als 100 Jahren zu einem großen Teil zugewiesen sind und die von diesen zur allgemeinen Zufriedenheit ausgeübt werden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen von der SPD-Fraktion, Sie müssen zur Kenntnis nehmen, dass Sie mit dieser Haltung in der Bundesrepublik Deutschland allein stehen. Während die Justizminister in der Justiz

ministerkonferenz gerade die Übertragung von Aufgaben auf die Notare prüfen lassen und dies mit Nachdruck vorantreiben, nehmen Sie eine Blockadehaltung ein.

Dies ist verwunderlich. Sie spielen in Niedersachsen den Geist, der stets verneint. Während Sie im Rechtsausschuss in Einzelberatungen durchaus sachkundige und kritische Beiträge leisten, kommt es dann, wenn Sie sozusagen die „Volonté générale“ der Sozialdemokraten formulieren, zu einer ständigen Blockadehaltung.

Sie wollen keine Änderungen in Strukturen. Sie sagen: Zusammenführung von Arbeitsgerichtsbarkeit und Zivilgerichtsbarkeit: Nicht mit uns! Sie sagen: Zusammenlegung der Fachgerichtsbarkeit - also der Sozialgerichtsbarkeit, der Verwaltungsgerichtsbarkeit, der Finanzgerichtsbarkeit -: Um Gottes willen! Sie sagen: Eine Strukturänderung durch einen sachgerechten Aufbau, einen dreistufigen Aufbau in der Zivil- und Strafgerichtsbarkeit: Teufelswerk! Sie sagen: Verlagerung von Aufgaben auf andere Registerführer oder die Notare: Um Gottes willen!

Meine sehr geehrten Damen und Herren von der SPD, wenn ich sehe, wie Sie sich hier verweigern, dann fällt mir spontan der Aufmacher der gestrigen taz ein - Sie haben ihn wahrscheinlich noch vor Augen, auch wenn er natürlich aus ganz anderem Anlass gewählt worden ist -: eine große schwarze, zappendustere Seite, auf der in Negativschrift kläglich steht: „Oh, mein Gott!“ - Genau das ist es!

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Als Nächster hat Herr Briese von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

(Bernd Althusmann [CDU]: Oh, mein Gott!)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich rede in dieser Sache nicht pro domo, sondern ich bin ganz unabhängig.

Es geht wieder einmal um Justizreform, das große Thema unserer Justizministerin. Erst einmal müssen wir feststellen: Viel weiter sind wir in der Sache noch nicht gekommen. Es ist auch klar: Eine große Reform braucht Zeit, braucht Vorbereitung und

braucht intensive Diskussion. Aber die Regierungsmaxime, die hier immer so gerne verbreitet wird - „Wir analysieren, wir überzeugen, wir setzen um“ -, findet bisher nicht statt. Weder sind bisher allzu viele überzeugt, und von Umsetzung kann schon gar keine Rede sein. Die Justizministerin macht in dieser Sache viele Ankündigungen. Sie fährt herum, sie hält Reden, sie gründet Arbeitskreise, aber weiter ist sie noch nicht gekommen. Es gibt ein paar sehr unkonkrete Eckpunkte der Justizministerkonferenz. Ansonsten hat man sich erst einmal vertagt und wartet den Frühling ab.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich bin wirklich sehr gespannt, was am Ende dabei herauskommt. Das ist ja ein altes Kohl-Bonmot. Sie haben Erwartungen geweckt, Frau Justizministerin, und Sie werden sich daran messen lassen müssen, was am Ende dabei herauskommt.

(Zustimmung bei den GRÜNEN - Jens Nacke [CDU]: Im Mai ist der letzte Verweigerer weg! Das ist richtig!)

Herr Noack, Sie haben angesprochen, dass mittlerweile in Fachzeitschriften und Zeitungen bundesweit über die große niedersächsische Justizreform berichtet wird. Ich möchte dazu ein schönes Zitat anführen. Das Handelsblatt - nicht unbedingt eine Rot-Grün-nahe Zeitung - schreibt z. B. in einem großen Kommentar: „Heiß gekocht und lau gegessen.“

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, bei diesem Antrag geht es um einen weiteren Baustein der großen Justizreform, nämlich um die Übertragung der Nachlasssachen auf Notare. Bei der Übertragung gibt es tatsächlich eine ganze Menge zu bedenken. Ich finde, Herr Helberg hat eine ganze Reihe von guten Argumenten genannt.

Die erste Frage ist: Kommen eigentlich mehr Gebühren, mehr Kosten auf die Bürgerinnen und Bürger zu? Hier möchte ich insbesondere unsere Freunde von der FDP ansprechen. Sie sagen ja immer: Der Staat ist zu teuer, er ist nicht effizient, meistens macht er solche Sachen auch nicht gut. In dieser Sache liegen Sie wirklich falsch, das muss ich Ihnen einmal ganz deutlich sagen. Der Staat macht hier eine Dienstleistung sehr professionell, sehr gut und auch sehr kostengünstig. Definitiv wird es für die Bürgerinnen und Bürger teurer werden, wenn Sie das an die Notare abgeben;

denn dann müssen sie zukünftig auch Mehrwertsteuer dafür zahlen. Wenn Sie das wollen, dann sollten Sie das den Leuten auch sagen.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Wenn Sie sagen „Wir werden hier eine Aufgabe teilprivatisieren“, dann müssen Sie auch dazu stehen, dass es teurer wird.

Mein zweites Argument, das ich hier anführen möchte: Wie soll es eigentlich in einem Amtsgerichtsbezirk geregelt werden? Wenn z. B. Streitigkeiten innerhalb einer Erbengemeinschaft bestehen - was nicht gerade selten vorkommt - und jeder zu einem anderen Notar in einem Amtsgerichtsbezirk läuft, dann haben plötzlich alle andere Erbscheine. Wer das dann regeln soll, das müssen Sie mir mal erklären. Ich sage Ihnen, wer das dann regeln soll: Das soll wieder die Justiz regeln.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Das trägt nicht unbedingt zur Justizverschlankung oder zur Aufgabenverlagerung bei.

Überhaupt ist die Grundfrage nicht überzeugend beantwortet worden: Warum will man das überhaupt auslagern? Warum wollen Sie diese Aufgabe unbedingt vergeben? Arbeitet die Justiz in Nachlasssachen wirklich schlecht? Gibt es da irgendetwas zu bekritteln? Kann man sagen „Die sind träge, das ist sehr überkommen, da müssen wir frischen Wind hineinbringen“? - Das alles ist ja gar nicht der Fall, sondern diese Dienstleistung wird wirklich sehr gut vollbracht. Die Bürgerinnen und Bürger sind damit sehr zufrieden. Deswegen erschließt sich mir in dieser Sache wirklich nicht, warum man das übertragen will.

Ich bin sehr gegen Denkverbote; das haben wir Grüne in dieser Sache immer gesagt. Wir sagen nicht dogmatisch „Ach, das ist eine Reform, die die Regierung jetzt vorantreiben will, und deswegen sagen wir reflexartig Nein dazu“. Aber man muss sich sehr genau anschauen, was am Ende dabei herauskommen soll und was da stattfindet.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es reicht nicht, dass sich einige Notare, einige Berufsverbände jetzt schon die Finger lecken und sagen: Da kommt eine schöne Aufgabe auf uns zu, das wird uns eine Menge Mehrverdienst bringen, deswegen

würden wir das gerne machen. - Herr Noack, bezeichnenderweise wollen die Notare z. B. die Berufsaufsicht über ihre eigene Profession nicht selber übernehmen. Das ist ihnen wieder zu viel Arbeit. Das soll wieder die Justiz machen. Deswegen ist es auch ein bisschen durchsichtig, wenn Berufsverbände jetzt sehr laut trommeln, aber sich ansonsten eigentlich mehr Zurückhaltung in dieser Sache breit macht.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Vielleicht können Sie in der Ausschussberatung ja noch einige stichhaltige Argumente nennen. Dann lasse ich mich auch gerne überzeugen. Ich freue mich auf die Beratung. - Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Ich erteile das Wort dem Kollegen Lehmann für die FDP-Fraktion.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Welt kann doch so einfach sein in diesem Fall die juristische Welt. Was muss man tun, um die Arbeit der Gerichte, in diesem Fall insbesondere der Amtsgerichte, zu sichern? - Wir belassen einfach die bisherigen Aufgaben und denken nicht weiter. - Auf diese einfache Formel lässt sich zusammenfassen, was unter dem Stichwort „Justizmodernisierung“ in dem Antrag ausgedrückt wird.

(Joachim Albrecht [CDU]: So arbeitet die SPD immer!)

Nichts anderes lässt sich aus Ihrem Antrag herauslesen. Sie begründen Ihre Forderung nach dem Verbleib der Nachlasssachen ausschließlich fiskalisch - das hat der Kollege Noack eben schon angedeutet - und natürlich mit der Unterstellung - auch die findet keine Begründung; das finde ich sehr schade, Herr Kollege Helberg, weil Sie es ja eigentlich aus fachlicher Sicht viel besser wissen müssten -, kleinere Amtsgerichte müssten schließen, wenn die Nachlasssachen nicht bei ihnen verbleiben würden. Mit diesem Argument, dass Standorte kleinerer Amtsgerichte gefährdet seien, ziehen Sie ja schon seit Monaten durch die Lande. Jeder Veränderung, die seitens der Landesregierung oder der Fraktionen von FDP und CDU ange

dacht wird, wird dieses Argument entgegengehalten. Das ist zwar noch nie in irgendeiner Weise begründet gewesen, aber macht zumindest Stimmung. Das scheint sich ja jetzt in Bezug auf die Verlagerung von Nachlasssachen fortzuführen.

Es wäre schön, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD-Fraktion, wenn Sie sich einmal konstruktiv mit dem Thema Justizmodernisierung befassen würden.

Mir ist völlig unbegreiflich, warum ein Einnahmeüberschuss das Argument für einen Verbleib der Nachlasssachen sein sollte. Das gilt insofern auch für die Ausführungen, die der Kollege Briese eben gemacht hat. Zum einen dürfen nach dem Kostendeckungsprinzip ohnehin nur kostendeckende Gebühren genommen werden - daran können wir aber nichts ändern, weil das bundeseinheitlich geregelt ist -, und zum anderen geht es auch beim Thema Justizmodernisierung nicht in erster Linie um Kosteneinsparung bzw. Haushaltspolitik, sondern um Effizienzsteigerung, also Veränderungen in der Justiz. Diesem Thema haben Sie sich bisher noch gar nicht gewidmet. Es geht zuallererst um die Frage: Was nützt den Bürgern? - Denn wir wollen eine Justiz, die den Bürgern dient, die den Bürgern schnell und unkompliziert zum Recht verhilft. - Sie stimmen zu. Wunderbar!

Deshalb müssen wir uns fragen: Welche Aufgaben soll die Justiz künftig noch wahrnehmen? - Zu diesem Themenkreis gehört dann die Frage: Welche Aufgaben sollen die Gerichte zukünftig wahrnehmen? Welche Aufgaben können entfallen und von anderen - nämlich Dritten - wahrgenommen werden? - Zu dieser abgeschichteten Vorgehens- und Denkweise sind Sie aber offensichtlich nicht fähig oder zumindest nicht willens. Das habe ich jedenfalls Ihren Ausführungen so entnommen.

Zunächst muss die Justiz als dritte Säule eindeutig erkennbar und von den anderen Gewalten abgrenzbar und unabhängig sein. Ich glaube, da sind wir uns einig.

Ferner heißt Justiz für uns Liberale im Kern spruchrichterliche Tätigkeit. Grundsätzlich können nach unserer Auffassung alle anderen Aufgaben auch von dritter Seite wahrgenommen werden. Das betrifft in diesem Fall die Nachlasssachen.

Das Argument „Entfallen die Nachlasssachen, entfällt auch ein Teil der Arbeit der Gerichte, und darum seien Gerichtsstandorte gefährdet“ zieht nicht. Nachlasssachen machen nur einen kleinen

Teil der Arbeit der Amtsgerichte aus. Ich denke, auch hier dürfte kein Streit entstehen. Bekanntlich sind die Mitarbeiter auch in Amtsgerichten über Gebühr belastet. Wir alle kennen die Klagen über zu hohe Pensen. Wenn die Nachlasssachen als Aufgabe wegfallen würden, könnten somit andere Aufgaben von ihnen wahrgenommen werden. Das würde zu einer Entlastung der Bediensteten insgesamt und gleichzeitig zu einer Beschleunigung der Arbeit in den Amtsgerichten führen. Ich denke, das ist doch unser aller Ziel.