Protocol of the Session on January 27, 2005

Da die Zuckerrübenproduktion für die Landwirtschaft in Niedersachsen eine erhebliche wirtschaftliche Bedeutung besitzt und auch in der Zuckerrüben verarbeitenden Industrie wie bei Saatgutherstellern in Niedersachsen tausende von Arbeitsplätzen von der Zuckerrübe abhängen, hat die Postkartenkampagne noch nicht absehbare Auswirkungen auf die Wirtschaft im Lande.

Wir fragen daher die Landesregierung:

1. Teilt sie die Aussage der Postkarte, wonach EUZucker tödliche Wirkung entfalten kann?

2. Wie beurteilt sie die Förderung der Aktion durch das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung?

3. Hat sich das Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft, das für den Zuckermarkt originär zuständig ist, bereits zu der Postkartenaktion geäußert?

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Für die Landesregierung antwortet Herr Minister Ehlen.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Anlass für die Anfrage der CDU-Fraktion ist eine Postkarte, die sich in zynischer Art und Weise auf die aktuelle Diskussion zur Reform der Zuckermarktordnung bezieht. Seit Ende 2004 sind von dieser Postkarte 100 000 Stück in verschiedenen Regionen verteilt worden. Als Verantwortliche dafür genannt sind die Entwicklungshilfeorganisation Germanwatch und die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (ABL). Mitfinanziert haben diese Aktion nach den Angaben auf der Postkarte das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, der Katholische Fonds und der Evangelische Entwicklungsdienst. Insbesondere Frau Bischöfin Käßmann hat sich für die Evangelische Kirche sofort wohltuend und klar distanziert. Auch aus ABL-Kreisen und vom Katholischen Fonds wurde Kritik geäußert.

Dies vorausgeschickt, ist zu den Fragen der CDUFraktion Folgendes zu sagen:

Der vordergründig entwicklungspolitisch motivierte Slogan „EU-Zucker kann tödlich sein“ ist eine unheimliche Verunglimpfung der Menschen, die mit EU-Zucker zu tun haben.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ich lehne eine solch platte Polemik entschieden ab; denn sie wird den tatsächlichen komplexen Verhältnissen bei der Produktion und beim Handel von Zucker einfach nicht gerecht. Im Zuge einer solch grundlegenden Diskussion, wie sie zurzeit über die zukünftige EU-Zuckermarktordnung geführt wird, prallen natürlich unterschiedliche Meinungen aufeinander. Aber eine derartige Verunglimpfung und Propaganda habe ich bisher so noch nicht erleben müssen. Es ist ein Skandal, das dieses Pamphlet aus Steuergeldern durch das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung finanziert wird.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Um dem noch eine Krone aufzusetzen, hat sich die verantwortliche Ministerin Frau Wieczorek-Zeul noch nicht einmal eindeutig davon distanziert. Dieses Schweigen werte ich als Zustimmung zu dieser polemischen Aktion. Meine Damen und Herren, wer so denkt und so mit öffentlichen Mitteln umgeht, der sollte lieber sein Amt zur Verfügung stellen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Frank Oesterhelweg [CDU]: Bravo! Sehr gut!)

Auch aus dem BMVEL, dem eigentlich zuständigen Ressort der Bundesregierung, ist hierzu ebenfalls kein klares Wort der Zurückweisung bekannt geworden. Der Bundesregierung ist es offensichtlich egal, was mit dem Zuckersektor und den dort beschäftigten Menschen passiert. Wenn man sieht, dass Frau Ministerin Künast die Interessen der Zuckerwirtschaft bisher überhaupt nicht vertreten hat, meine Damen und Herren, dann hätte ich mich, ehrlich gesagt, über eine Reaktion von ihrer Seite eigentlich gewundert.

Vielleicht ist jemand von Ihnen dabei gewesen, als die niedersächsische Zuckerwirtschaft bzw. die niedersächsischen Zuckerbauern an der Burg Warberg demonstriert hatten. Die Bundesministerin Frau Künast hat damals elf Minuten lang geredet. Eine Minute lang hat sie Worte an die niedersächsische Zuckerwirtschaft und an die Bauern gerichtet, und zehn Minuten lang hat sie über Dinge

gesprochen, die in der ganzen Welt passieren. Meine Damen und Herren, ich glaube, dass sie die deutschen Zuckerinteressen an keiner Stelle vertritt, und zwar weder in Deutschland noch auf EUEbene.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Frau Künast ist bekannt, dass gerade in Niedersachsen und in einigen anderen Bundesländern die Zuckerwirtschaft einen großen Teil des landwirtschaftlichen Einkommens und der landwirtschaftlichen Produktion bestimmt. Ich hätte erwartet, dass sie sich im Interesse unserer Landwirtschaft klar positioniert und sich für die ihr anvertrauten Segmente in der Bundesregierung stark gemacht hätte.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, ich frage Sie: Wie stellt sich die SPD-Landtagsfraktion zu diesem Verhalten der Bundesministerin, und heißt sie diese Postkartenaktion gut? - Die Bundesministerin hat in der Vergangenheit gesagt, die EU-Zuckermarktordnung soll behutsam weiterentwickelt werden. Entweder sie distanziert sich, oder sie handelt verantwortungslos gegen die niedersächsischen Landwirte.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Die derzeit diskutierte EU-Zuckermarktordnung wird große Veränderungen und auch große Herausforderungen für die Landwirte und die Zuckerindustrie bringen. Die bisherigen Vorschläge, die von der EU-Kommission zur Reform des Zuckersektors gemacht worden sind, gehen aus meiner Sicht viel zu weit. Das Ausmaß der vorgeschlagenen Quotenkürzung, insbesondere aber auch die Preissenkungen, sind meines Erachtens sehr überzogen. Gewisse Reformschritte werden zwar unvermeidlich sein, aber das Ausmaß und die zeitliche Umsetzung müssen so gestaltet werden, dass landwirtschaftliche Betriebe und die Verarbeitungsindustrie hinreichende Anpassungsmöglichkeiten haben.

Die Preissenkungen in Europa würden zu drastischen Einkommenseinbußen für Zucker exportierende Entwicklungsländer führen. Selbst diese Entwicklungsländer, denen man durch die Anpassung der Zuckermarktordnung eigentlich helfen wollte, lehnen diese Zuckermarktordnungsvorschläge der Europäischen Union ab.

(Frank Oesterhelweg [CDU]: So ist es!)

Meine Damen und Herren, die Position der Bundesregierung in der Diskussion um die Zukunft des wichtigen Zuckersektors ist einfach enttäuschend. Nur gemeinsam mit den Entwicklungsländern und den Handelspartnern vereinbarte Konzepte werden letztendlich dafür Sorge tragen können, dass die Entwicklungsländer zu ihrem Recht kommen und dass - das halte ich persönlich für noch wichtiger - die Existenz unserer Zuckerrüben anbauenden Betriebe inklusive all derer, die als Arbeitnehmer ihren Arbeitsplatz in der Zuckerverwertungsindustrie in Niedersachsen haben, gesichert wird. Danke schön.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Eine Zusatzfrage stellt der Abgeordnete Herr Briese.

Ich habe selten eine so protektionistische Rede gehört.

(Frank Oesterhelweg [CDU]: Von wem sind Sie eigentlich gewählt wor- den?)

Mich würde sehr interessieren: Wie beurteilt die Landesregierung die Bemühungen der internationalen Organisationen, wie z. B. der Welthandelsorganisation oder auch des GATT-Abkommens, Exportsubventionen und Protektionismus international abzubauen? Denn nach der ökonomischen Lehre des Liberalismus, insbesondere des Neoliberalismus, soll der Freihandel ja zu mehr ökonomischer Prosperität in der Welt führen. Wie beurteilt die Landesregierung also diese Bemühungen, Zölle und Subventionen international abzubauen, vor dem Hintergrund dieser sehr protektionistischen Rede des Landwirtschaftsministers?

(Zustimmung von Ursula Helmhold [GRÜNE])

Herr Minister Ehlen, Sie haben das Wort.

Herr Kollege Briese, ganz so einfach, wie Sie das hier darstellen, ist es nicht.

(Lachen bei der SPD)

- Wir sollten die Frage, die Herr Briese hatte, ganz sinnig abarbeiten. Freuen Sie sich nicht zu früh!

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, es ist in der Tat so, dass wir gewisse Dinge des Freihandels auf der Ebene des Welthandels weiterentwickeln müssen. Das steht außer Frage, und, Herr Briese, ich habe hier ja auch ganz klar gesagt, dass es zu Veränderungen kommen muss. Ich habe auch gesagt, dass wir Deutschen auf der Zeitschiene und auch im Hinblick darauf, wie eine Preis- und Mengenabsenkung zu erfolgen hat, mit der EU im Moment sehr weit auseinander liegen und dass auch die Vorstellungen der Europäischen Union nicht mit denen der WTO konform sind.

Deshalb ist es für uns wichtig, dass wir eine Lösung finden, von der alle, vor allem die Entwicklungsländer, letztendlich etwas haben. Die Entwicklungsländer haben festgestellt, dass sie bei einem höheren Preisniveau wesentlich besser wegkommen, als wenn wir die Preise auf Weltmarktbedingungen bringen. Sie sollten sich vielleicht einmal mit den Befindlichkeiten der ärmsten der armen Länder, den „Everything but arms“-Ländern, beschäftigen. Die 49 ärmsten Länder der Welt können im Moment alles, was sie wollen, zollfrei in die EU liefern - außer Waffen. Wir stellen fest: Wenn der Zuckerpreis heruntergeht - er würde ja praktisch um ein Drittel heruntergehen -, dann würden diese Länder wahrscheinlich sehr viel eher nicht mehr liefern können, weil der Preis all das, was sie an Aufwand haben, nicht widerspiegeln würde. Deshalb haben gerade diese Länder gesagt, sie möchten lieber Quotenregelungen haben.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Aber was hat das eigentlich mit dieser polemischen Postkarte zu tun, auf der steht: „EU-Zucker kann tödlich sein“? Herr Briese, darüber sollten Sie sich einmal Gedanken machen, wenn Sie solche Fragen stellen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP- Karin Stief-Kreihe [SPD]: Sie sollten sich auch bei Ihrer Rede Gedanken machen!)

Herr Hogrefe, bitte!

Teilt die Landesregierung die Auffassung, dass die Kampagne auch deshalb besonders perfide und verlogen ist, weil ja, wie Minister Ehlen gerade dargelegt hat, genau das Gegenteil richtig ist? Das Gegenteil ist deshalb richtig, weil die ärmsten der armen Länder dieser Welt auf Gedeih und Verderb vom Erhalt der EU-Zuckermarktordnung abhängig sind.

Herr Minister Ehlen, bitte!

Herr Kollege Hogrefe, wir teilen diese Auffassung voll und ganz. Ich muss aber noch eines hinzufügen: Uns liegt hinsichtlich der zu beschließenden Maßnahmen bislang nur ein Vorschlag auf dem Tisch. Den Legislativvorschlag, wie es denn wirklich werden soll, werden wir erst Ende Mai/Anfang Juni bekommen. Ich meine, dass wir über diese Dinge, die noch verändert werden müssen, heiß diskutieren müssen.

Ich habe am Rande der Grünen Woche mit der neuen EU-Agrarkommissarin, Frau Fischer Boel, gesprochen, die den Kurs ihres Vorgängers eigentlich fortsetzen möchte, die aber wohl schon erkannt hat, dass an dieser Stelle noch Verhandlungsbedarf besteht.

Meine Damen und Herren, wir wollen eine Ordnung in der europäischen Zuckerwirtschaft behalten. Wir haben derzeit einen Verbrauch von etwa 15 bis 16 Millionen t. Die ärmsten der armen Länder würden im Höchstfall etwa 3 bis 5 Millionen t liefern können. Diese Spanne von 2 Millionen t kann letztendlich den ärmsten der armen Ländern nicht zum Vorteil gereichen, wenn keine Kalkulierbarkeit gegeben ist. Der Verbrauch ist ziemlich konstant. Die Zuckerwirtschaft hier in Europa wür

de total durcheinander gebracht. Gerade aufgrund dieser Erkenntnis besteht deshalb der Wunsch der Entwicklungsländer, mit festen Lieferquoten, mit festen Liefermengen in einen freieren Zuckermarkt einzusteigen. Eine völlige Loslösung, eine Liberalisierung von heute auf morgen oder auch innerhalb von zwei oder drei Jahren würde eher Schaden anrichten als förderlich sein.

(Beifall bei der FDP)