Ich habe von vornherein gesagt, dass in dieser Legislaturperiode keine Amtsgerichte angetastet werden. Ich habe auch gesagt - das gehört zu der Wahrheit dazu -: Für die nächste Wahlperiode bzw. die darüber hinaus liegende Zeit wird es davon abhängig sein, ob eine solche Justizreform, wie ich sie anstrebe, umgesetzt werden kann. Denn die führt zur Stärkung des Justizangebots in der Fläche. Aber darauf komme ich später noch einmal zurück.
Zu Ihrer Frage bezüglich des Handelsregisters. Ich darf Sie daran erinnern, meine Damen und Herren, dass es die letzte SPD-Landesregierung war, die die Reduzierung der Handelsregisterstandorte von 80 auf 40 ohne Automatisierung durchgeführt hat. Sie waren das! Wir gehen jetzt anders vor.
Wir haben eine Vorgabe der EU, nach der wir unsere Register zu automatisieren haben; die müssen digital geführt werden. Wegen dieser digitalen Führung ist die Reduktion der Standorte von 40 auf 11 vorgesehen, weil dann von jedem Amtsgericht im gesamten Land Niedersachsen, von jedem Anwaltsstandort und von jeder anderen Einrichtung aus auf die digitalen Register zugegriffen werden kann. An den einzelnen Amtsgerichten, die kein Register haben, wird man auf Terminals zurückgreifen können, falls die Möglichkeit des Zugriffs von zu Hause aus nicht besteht. Deshalb ist das eine völlig andere Ausgangslage. Wir können das vor diesem Hintergrund in der Abwägung - das ist ein Dienstleistungsangebot für jeden in der Fläche per Knopfdruck - sehr viel besser darstellen, als das vorher ohne die Automatisierung der Fall war.
Frau Ministerin, ist die Diskussion über eine Justizreform ein justizinterner Vorgang, oder gehen Sie davon aus, dass es auch unmittelbare Vorteile für die Bürgerinnen und Bürger in Niedersachsen haben wird?
Sehr geehrter Herr Dr. Biester, selbstverständlich soll diese große Justizreform unmittelbare Vorteile für die Bürgerinnen und Bürger in unserem Lande haben. Es ist bei vielen Reformdiskussionen ein Problem, dass sie sich immer erst einmal unter den beteiligten Kreisen organisieren und dass es um die internen Strukturen geht. Aber wir müssen uns immer fragen: Wozu sind die Angebote dieses Staates da? - Die Angebote dieses Staates sind dazu da, den Bürgern ihre Rechte nach unserem Grundgesetz zu verschaffen. Mit dieser Justizreform werden wir erreichen, dass der Bürger wirklich schneller und übersichtlicher zu seinem Recht kommt, und zwar dauerhaft für die nächsten Jahrzehnte. Und wenn das kein Vorteil ist, dann weiß ich es auch nicht.
Frau Ministerin, Sie haben mir eben die Stichworte „Vorteil für die Bürgerinnen und Bürger“ und „Privatisierung der Gerichtsvollzieher bis ca. Ende 2005“ gegeben. Dies ist ja kein Eckpunkt der Justizreform, sondern etwas ganz Konkretes für Niedersachsen; denn Sie gehen ja im Haushalt davon aus, dass das Gerichtsvollzieherwesen privatisiert wird. 216 Stellen sind schon mit einem kw-Vermerk versehen worden, obwohl dazu eine Verfassungsänderung auf Bundesebene notwendig ist.
Erstens. Welche zusätzlichen Kosten kommen auf die Bürgerinnen und Bürger z. B. bei fruchtloser Vollstreckung für Gläubiger zu?
Zweitens. Das Gerichtsvollzieherwesen ist ja ein hoheitliches Handeln. Ein Gerichtsvollzieher muss bei einer Vollstreckung einen Schuldner auch schon mal in Haft nehmen. Wie stellen Sie sich das nach der Privatisierung konkret vor? Sollen das „Schwarze Sheriffs“ oder Inkassobüros leisten,
Ich habe eben ausgeführt, dass ich die Entscheidung über die mögliche Privatisierung des Gerichtsvollzieherwesens bis Ende 2005 erwarte, und zwar auf der Basis der Möglichkeit, die uns auf Bundesebene gegeben werden muss. In der Justiz sind die meisten Dinge, die zu entscheiden sind, von der Bundesgesetzgebung abhängig. Insofern besteht meine Überzeugungsarbeit auch darin, meine Kolleginnen und Kollegen dazu zu bringen, dass sie an einem Strang ziehen und die Bundesebene dazu bewegen, hier mitzuziehen. Das ist ganz wichtig. Anders geht es bei uns nicht. Ich wiederhole: Ich erwarte die Entscheidung über die Möglichkeit der Privatisierung bis Ende 2005.
Zweitens haben Sie die mittelfristige Finanzplanung angesprochen. In der mittelfristigen Finanzplanung haben wir diese Stellen als kw-Stellen - künftig wegfallend - vorgesehen für den Fall, dass die Privatisierung tatsächlich Wirklichkeit werden kann. Wenn das nicht Wirklichkeit werden kann, weil wir diese Zustimmung auf Bundesebene nicht bekommen, dann werden wir die mittelfristige Finanzplanung ändern müssen - um das ganz deutlich zu sagen. Wir haben dazu auch entsprechende Vermerke in unseren Haushaltsbesprechungen, sodass wir dann darauf reagieren können.
Ferner haben Sie von „Schwarzen Sheriffs“ gesprochen. Das ist ein Totschlagsargument und ein bisschen billig, Frau Bockmann.
- Nein, das ist nicht die Realität. Sie wissen ganz genau, dass das Vollstreckungswesen eine hoheitliche Tätigkeit ist. Hoheitliche Tätigkeiten können keine - wie Sie es sagen - „Schwarzen Sheriffs“ ausüben. Das sollen sie auch nicht. Wenn es um die Auslagerung des Gerichtsvollzieherwesens geht, dann geht es um Übertragung auf Dritte im
Sinne von: Übertragung auf Beliehene. Ähnlich, wie heute auch Notare für den Staat auftreten und entsprechende hoheitliche Entscheidungen übernehmen können, kann man das auch auf diesem Wege machen.
Frau Ministerin, die Antwort auf die Frage des Kollegen Helberg hat mich noch nicht ganz zufrieden gestellt. Versteht die Landesregierung unter Justizreform eigentlich Neueinstellungen bei der Polizei bei gleichzeitigem Abbau des Personals in der Justiz, was ja zu längeren Verfahrensdauern bei einem gleichzeitigen Anstieg der Zahl der Fälle führen würde?
Ich glaube nicht - um es deutlich zu sagen -, dass durch ein Mehr an Personal bei der Polizei die Zahl der Fälle in der Justiz im Verhältnis 1 : 1 ansteigen wird.
Das ist ja nicht schlimm. - Ich glaube also nicht, dass es im Verhältnis 1 : 1 zu solchen Auswirkungen in der Justiz kommt. Wir werden dann auch genau schauen müssen, welche Fälle das betrifft. Im Sinne unseres Justizcontrollings haben wir natürlich ein Auge darauf und werden das entsprechend berücksichtigen müssen. Es ist aber derzeit nicht erkennbar. Wenn Sie sich die polizeiliche
Statistik und die justizielle Statistik ansehen - wir haben hier zwei unterschiedliche Statistiken, die wir immer wieder in Einklang zu bringen versuchen -, dann werden Sie feststellen, dass hier eine Veränderung jedenfalls noch nicht zu verzeichnen ist.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Ministerin, Ihre paradoxe Argumentation lautet ja: Je weniger Rechtsmittel, umso kundenfreundlicher ist es und umso schneller ist es vorbei. Angesichts der Tatsache, dass die Landtagsmehrheit bereits einen maßgeblichen Beitrag zum Abbau von Rechtsmitteln geleistet hat, als sie die Widerspruchsverfahren weitgehend abgeschafft hat, und angesichts der Tatsache, dass es vor kurzem ein Kostenrechtsmodernisierungsgesetz gegeben hat, das eigentlich Kostenrechtssteigerungsgesetz heißen müsste,
frage ich die Landesregierung, ob sie die mit der Justizreform geplanten weiteren Reduzierungen von Rechtsmitteln in den verschiedenen gerichtlichen Instanzen für einen gelungenen und wünschenswerten Beitrag im Hinblick auf die Rechte der Betroffenen ansieht.
Herr Lennartz, ich möchte kurz nachfragen, ob Sie zielgerichtet die Widerspruchsverfahren ansprechen oder ob Sie es insgesamt meinen.
Ich habe gefragt, ob vor dem Hintergrund der weitgehenden Reduzierung der Zahl der Widerspruchsverfahren mit der Justizreform und der da
mit intendierten Reduzierung der Rechtsmittel in den gerichtlichen Instanzen nicht ein bisschen zu viel des Guten getan wird. Das war gemeint.
Gut. - Ich bin nicht der Auffassung, dass das zu viel des Guten ist. Sie müssen es sich wie folgt vorstellen: Wir haben in der ersten Instanz eine Tatsacheninstanz. Wir haben auch in der zweiten Instanz häufig eine weitere Tatsachenund Rechtsmittelinstanz, und so geht das weiter. Es ist für mich nicht einzusehen, dass man, wenn man in der ersten Instanz die Tatsachen umfänglich prüft, das Ganze mit entsprechenden Beweisanträgen etc. im zweiten Verfahren dann auch noch einmal durchführen muss. Das führt wirklich zu einer erheblichen Verzögerung.
Demgegenüber führt es zu einer gewissen Disziplinierung in der ersten Instanz, wenn dort die Tatsachenfeststellung abschließend bearbeitet werden muss. Dann besteht die Möglichkeit der Rechtsmittelkontrolle im Hinblick auf eine rechtsfehlerhafte Beurteilung dieser Tatsachen. So kommt der Bürger zu einer abschließenden Entscheidung. Wenn Sie sich die heutigen Verfahren anschauen und sehen, auf welche Art und Weise Verfahren in die Länge gezogen werden, dann werden Sie zu dem Schluss kommen, dass ein späterer Erfolg für einen Recht suchenden Bürger nicht mehr unbedingt ein Erfolg im Sinne einer tatsächlichen Umsetzung seiner Sache ist. Das jedoch ist viel schlimmer. Es ist für den Bürger wirklich notwendig, dass er möglichst schnell zu seinem Recht kommt. Ich unterstelle den Richtern in der ersten Instanz, dass sie nicht nur willens, sondern auch in der Lage sind, die Sachverhalte umfassend zu ermitteln und abzuprüfen. Das ist für den Bürger mit Sicherheit ein großer Vorteil.
Frau Ministerin, ich darf Ihnen zunächst vielleicht mit den Zahlen aushelfen, die Sie nicht selbst nennen konnten.