Protocol of the Session on April 4, 2003

Wir erwarten, dass die Landesregierung das Bundesförderprogramm zur Anschubfinanzierung umgehend nutzt, dazu aber auch selbstverständlich und gerade in sozialen Brennpunkten Ganztagsschulen mit Pflichtangeboten zulässt.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Eine starre Einschränkung der Konzeption schon im Voraus lehnen wir ab. - Danke schön.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das Wort hat nunmehr Herr Minister Busemann.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich schätze, Kollege Wulf (Oldenburg), Sie hatten Ihre Ausführungen vorhin zum Anlass genommen, mir zum Vorwurf zu machen, ich würde den Orientierungsstufenerlass verändern. Dazu nur zwei Hinweise:

Zum einen: Ich muss den Erlass deswegen ändern, weil es zu der von Ihnen favorisierten Förderstufe nicht kommen wird. Zum anderen: Sie können sich gar nicht vorstellen, wie stark der Druck von der Basis ist. Wenn wir den Schulen sagen, wir wollten aus der O-Stufe aussteigen, finden diese das gut. Wenn wir sagen, das werde im Schwerpunktjahr 2004 stattfinden, verstehen sie das auch. Dann kommt der Druck; sie möchten es am liebsten sofort und gleich. Die, die noch ein Jahr oder sogar

zwei Jahre die O-Stufe durchführen müssen, sagen: Wir sind die Verlierer der anstehenden Schulreform. Kannst du etwas für uns tun, Kultusminister? - Da sind wir guten Willens, soweit uns die Erlassmöglichkeiten gegeben sind, entsprechende Differenzierungsmöglichkeiten zu schaffen. Das nur zur Erklärung unserer Gedankengänge. - Deswegen müssen Sie nicht weglaufen.

(Zuruf von der SPD: Ich komme wie- der!)

Meine Damen und Herren, der vorliegende Antrag - hier geht es um Ganztagsschulen - will den Eindruck vermitteln, dass die Landesregierung erst von der oppositionellen SPD aufgefordert werden müsse, weitere schulische Ganztagsangebote zu schaffen. Wer die Regierungserklärung und die Koalitionsvereinbarung zur Kenntnis genommen hat, der weiß, dass es einer solchen Aufforderung nicht bedarf. Zudem hat die CDU-Fraktion bereits im Jahr 2001 mit ihrem Entschließungsantrag „Lernen plus“ für das Nachmittagsprogramm in der Schule eine schlüssige Konzeption vorgelegt.

Die Landesregierung will ein bedarfsorientiertes und offenes Angebot von Ganztagsschulen und freiwilligen Nachmittagsprogrammen schaffen gerade auch im Hinblick auf eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Dazu müssen wir nicht erst angeschoben werden. Ich kann die Opposition eigentlich nur einladen, bei der Realisierung dieses Vorhabens kooperativ mitzuziehen.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, zum Schuljahresbeginn 2003 - wie auch in den nächsten Schuljahren - wird die Landesregierung weitere Ganztagsangebote genehmigen. Gegenwärtig haben wir 155 Ganztagsschulen, und es werden schon im nächsten Schuljahr 244 sein. Herr Kollege, wenn Sie scharf durchrechnen, sind das schon neun mehr, als Sie in Ihrem Antrag gefordert haben.

(Wolfgang Wulf [SPD]: Das ist auch gut so, das ist völlig in Ordnung!)

Wir sind also ein bisschen besser, als Sie es von uns erwarten. Das ist ja auch nicht schlecht.

In dieser Woche finden bereits Dienstbesprechungen mit den neuen Ganztagsschulen statt, um die Modalitäten der Einführung zum 1. August dieses Jahres zu beraten und abzustimmen.

Nun zu dem vielleicht spannendsten Thema in diesen Tagen. Es geht um die Bundesmittel. Selbstverständlich haben wir vor, die Bundesmittel aus dem Investitionsprogramm „Zukunft, Bildung und Betreuung“ für die Ausweitung des niedersächsischen Ganztagsangebots in Anspruch zu nehmen, wenn die Verhandlungen der Länder mit dem Bund endlich zu einem tragfähigen Kompromiss führen.

Man muss schon ein bisschen in die Historie und in die Details hineinblenden, um die Kompliziertheit des Themas zu verstehen. Die Auslobung des Programms durch die Bundesbildungsministerin - es war offenbar so etwas wie ein Wahlgeschenk vor der Bundestagswahl - weist eine Reihe von Eigentümlichkeiten und Problemen auf. So hat es keine vorausgehende Abstimmung mit den Ländern oder den kommunalen Spitzenverbänden gegeben, um die haushaltsrechtliche Absicherung zu schaffen.

Was auch ein bisschen nachdenklich stimmen muss: Die Finanzhilfe, Herr Möhrmann, soll nach Artikel 104 a Abs. 4 des Grundgesetzes gewährt werden, also zur Abwehr einer Störung des gesamtgesellschaftlichen Gleichgewichts oder zur Förderung des wirtschaftlichen Wachstums. Wenn nun jemand in Kenntnis von Artikel 104 a etwas tun will, dann könnte er im Bund über Straßenbau, über Wirtschaftspolitik, über alle möglichen Maßnahmen nachdenken. Wir wären wahrscheinlich nicht in erster Linie darauf gekommen, dass es nun über Bildungspolitik - Sie schmunzeln und geben mir Recht - in der Zuständigkeit der Länder passieren soll. Aber so weit, so gut. In diesem Rahmen ist es zwar auch möglich, Investitionen für den Bau von Schulen zu fördern, allerdings nur so lange, wie konjunkturpolitische Motive und nicht bildungspolitische Beweggründe im Vordergrund stehen. Manchmal sind gewisse Zweifel angebracht.

Vor allem aber muss kritisiert werden, dass der Bund lediglich eine Anschubfinanzierung leistet und sich bisher gegen ein langfristiges Finanzierungskonzept sperrt, wie es beispielsweise durch einen höheren Anteil der Länder an der Umsatzsteuer möglich und notwendig wäre.

Jetzt stehen wir vor folgender Situation: Die Bundesmittel sind als Zusatzfinanzierung zu den Eigenaufwendungen in den Ländern einzusetzen, die insgesamt 10 % der eingesetzten öffentlichen Fördermittel betragen. Bei Inanspruchnahme der Bun

desmittel, meine Damen und Herren, betragen die Eigenaufwendungen für Niedersachsen immerhin knapp 40 Millionen Euro. Da nach dem Niedersächsischen Schulgesetz für die Sachkosten der Schulen, also auch für die Bauinvestitionen, die Schulträger zuständig sind, muss diese Eigenbeteiligung von den Landkreisen und Gemeinden aufgebracht werden.

(Ursula Körtner [CDU]: Wie denn?)

- Genau! - Hinzu kommen für die Schulträger die laufenden Unterhaltungskosten. Für das Land entstehen durch die Ganztagsbeschulung erheblich höhere Personalkosten - im Endausbau des Programms mehr als 200 Millionen Euro jährlich. Das heißt, die finanzielle Hauptlast für die Erweiterung des Ganztagsangebots trägt nicht der Bund, sondern tragen die Gemeinden und das Land, und das bei äußerst problematischer Haushaltslage auf allen Ebenen. Wir werden also mit dem Bund über eine langfristige tragfähige Finanzierungskonzeption über den erzielten Kompromiss hinaus verhandeln müssen.

Auch in Kenntnis dieser Probleme sage ich noch Folgendes: Uns ist vor ein paar Stunden der neueste Entwurf der anstehenden Bund-LänderVereinbarung auf den Tisch gekommen. Ich habe den Eindruck, dass der Bund durchaus die Probleme der Länder und Kommunen versteht und irgendwo auch auf uns zukommt. Ich hoffe wirklich, dass es da schon in Kürze zu einer vernünftigen Regelung kommt.

Eines noch dazu: Das Investitionsprogramm, also Baumaßnahmen, als Antwort auf PISA darzustellen, wie es das Bundesbildungsministerium und die Antragsteller tun, ist wohl etwas kurz gegriffen. Das eine ist das Bauen, das Finanzieren, das Hinstellen, und das andere ist gerade bei schulischen Ganztagsangeboten die Qualitätsfrage. Beton, Herr Kollege, hat nichts mit Bildung und Erziehung zu tun. Wie war das immer? - Auf die Inhalte kommt es an, darauf, was darin stattfindet!

(Zustimmung bei der CDU)

Zur Verbesserung der schulischen Bildungspolitik bedarf es insbesondere großer Anstrengungen im Bereich der Unterrichtsversorgung. Das können wir auch im Bereich der Ganztagsschule nicht ausblenden. Trotz der Bedenken im Hinblick auf die mit dem Bund noch nicht geklärte Frage einer dauerhaften Finanzierbarkeit werden wir uns an dem Investitionsprogramm beteiligen, und wir

werden zusehen, dass es vernünftig weitergeht. Das habe ich an anderer Stelle auch schon gesagt, das sage ich auch hier noch einmal: Wenn der Bund Geld loswerden will - wenn auch für das Schulwesen -, dann nehmen wir es und helfen ihm dabei. Was soll es denn?

Dann komme ich zu dem eigentlich strittigen vierten Punkt des Antrags. Wir werden entsprechend dem Gesetzentwurf der Fraktionen von CDU und FDP einige wichtige Änderungen des Ganztagserlasses vornehmen. Künftig wird es keine Vorwegverpflichtung zur Teilnahme an nachmittäglichen Angeboten mehr geben. Im Interesse der Entscheidungsfreiheit insbesondere der Eltern soll die Teilnahme ihrer Kinder an zusätzlichen Förder- und Freizeitangeboten grundsätzlich freiwillig sein. Diese Öffnung ist richtig und wichtig. Gerade im Flächenland Niedersachsen brauchen wir offene und flexible Modelle, die sich am tatsächlichen Bedarf orientieren und niemanden ausgrenzen oder unter Druck setzen. Keine Beglückung von oben, sondern standortbezogen gucken, wie sich der Bedarf darstellt, und versuchen, dem gerecht zu werden.

Von den bis 2001 eingerichteten Ganztagsschulen haben sich 64 % für das offene Modell auf der Grundlage der Freiwilligkeit entschieden. Von den jetzt genehmigten Schulen führt ein gleich großer Anteil neben Ganztagszügen weiterhin Halbtagsklassen, um Eltern, Schülerinnen und Schülern eine Wahlmöglichkeit zu geben. Das tatsächliche Verhalten vor Ort ist, wenn Sie so wollen, eine Abstimmung mit den Füßen. Ich glaube, dass wir programmatisch richtig liegen, das entsprechend zu bedienen.

Herr Wulf, eine kleine Korrektur zu der Einschätzung, die aus Ihrer Rede vernehmbar war. Wenn jemand meint, er müsse doch so etwas wie eine stärkere Bindung für seinen Standort schaffen, dann ist das nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Wo man sich vor Ort einig ist, wird es auch künftig möglich sein, im Ganztagskonzept eine Teilnahmeverpflichtung für einzelne Nachmittage vorzusehen. Damit erhält die Schule und damit erhalten die vor Ort Beteiligten einen größeren Gestaltungsspielraum für die Entwicklung eines bedarfsgerechten, maßgeschneiderten Konzeptes. Das ist es: Freiwilligkeit und nicht Beglückung von oben. – Was vor Ort für richtig gehalten wird, wollen wir entsprechend begleiten. Wir wollen in Hannover nicht immer schlauer sein als die Leute vor Ort.

(Beifall bei der CDU)

Wir haben unsere Zuständigkeiten, wir wissen aber auch, was vor Ort möglich ist. Das hat mit Eigenverantwortlichkeit und all diesen Dingen zu tun.

Nun noch eine Bemerkung zu dem oft zu vernehmenden Hinweis auf den notwendigen Unterricht im Zusammenhang mit dem Abitur nach dem 12. Schuljahr. Der Unterricht kann natürlich nicht allein nur am Vormittag liegen. Gerade wer fordert, dass eine Ganztagsschule keine in den Nachmittag hinein verlängerte Halbtagsschule sein darf, wer die Einhaltung von Qualitätskriterien verlangt, sollte hier unterscheiden zwischen nachmittäglichem Unterricht an Halbtagsschulen und nachmittäglichem Bildungs- und Freizeitangebot an einer Ganztagsschule. Ich sage das nur, damit wir eine geistig saubere Linie miteinander fahren.

Meine Damen und Herren, ich glaube, wir sind auf einem guten Weg. Der Entschließungsantrag, der hier vorgelegt wurde, ist aus meiner Sicht entbehrlich, weil die Landesregierung das Richtige an dem bisherigen Konzept vorschreibt und das Erforderliche auf den Weg gebracht hat. Neue Ganztagsschulen werden genehmigt und gefördert. Wir haben schon mehr Standorte, als Sie fordern. Sie könnten Ihren Antrag eigentlich zurückziehen. Aber wenn Sie wollen, beraten wir ihn auch gern in den Ausschüssen. – Danke schön.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Zu Wort gemeldet hat sich noch einmal der Abgeordnete Wulf.

(Karl-Heinz Klare [CDU]: Aber nicht wieder so beißend! Ganz ruhig und sachlich!)

Karl-Heinz, das machen wir schon. – Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich finde es natürlich grundsätzlich positiv, dass hier im Hause offensichtlich Konsens darüber besteht, dass Ganztagsschulen eingerichtet werden sollen. Dass man sie will, ist gut so.

(Reinhold Coenen [CDU]: Das haben wir nie bezweifelt!)

Ich finde es auch gut, dass wir die Angebote der Bundesregierung aufnehmen – es ist eine enorme Leistung, so viele Milliarden zur Verfügung zu stellen –

(Bernd Althusmann [CDU]: Wenn es nach Leistung ginge, wäre Ihre Bun- desregierung längst abgewählt!)

und die Investitionen vornehmen. Es ist eine originäre Aufgabe der Länder, für das entsprechende Personal zu sorgen. Schließlich pochen die Länder ja auch immer auf ihre Kulturhoheit. Das muss man dann auch realisieren.

Ich finde es schon interessant, dass wir nur in einem Punkt strittig sind. Das betrifft die Frage: verpflichtende Anteile oder rein freiwilliges Modell? Frau Korter, um es klar zu machen, das Modell der vorherigen Landesregierung hatte durchaus Kompromisscharakter. Der Kompromiss bestand darin, dass an zwei Tagen verpflichtende Angebote und an zwei weiteren Tagen freiwillige Angebote vorgesehen waren. Das ist natürlich ein abgeschwächtes Modell. Ein anderes, wie in anderen europäischen Ländern, mit verpflichtenden Angeboten an allen Tagen wäre natürlich besser. Man muss aber auch sehen, dass solche Entwicklungen in Deutschland nur Schritt für Schritt möglich sind. Andere europäische Länder haben andere Traditionen. In anderen europäischen Ländern sind Erziehung und Bildung auch in der Schule Tradition. Bei uns in Deutschland gibt es das noch nicht. Wir müssen uns auf diesen Weg begeben. Das ist ohne Zweifel notwendig. Wir halten es keinesfalls für eine Beglückung von oben, wenn wir sagen: zwei Tage verpflichtend und zwei Tage freiwillig. Es macht durchaus Sinn, die gemeinsamen Angebote am Nachmittag verpflichtend zu gestalten, und zwar aus den Gründen, die ich Ihnen vorhin geschildert habe, weil es nämlich nicht nur eine ganz bestimmte Klientel sein soll, die die Angebote freiwillig wahrnimmt. Auch diejenigen, die die Angebote nicht unbedingt wahrnehmen würden, werden durch das gemeinsame Lernen am Nachmittag gefördert.

Ich halte es für eine positive Aussage – ich bitte darum, Herr Busemann, dass das auch realisiert wird -, den Schulen, die verpflichtende Anteile realisieren wollen, dies zu ermöglichen, wenn vor Ort Konsens besteht. Das habe ich Ihren Worten entnommen. Wenn das so ist, ist das ein Schritt in die richtige Richtung. Das finden wir gut. – Danke schön.

Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Damit kommen wir zur Ausschussüberweisung. Federführend soll sich der Kultusausschuss mit diesem Antrag auseinandersetzen. Mitberaten sollen der Ausschuss für Inneres und Sport, der Ausschuss für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr, der Ausschuss für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit, der Ausschuss für Haushalt und Finanzen sowie der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und den ländlichen Raum. Wer so beschließen möchte, den bitte ich um ein Handzeichen. – Gegenstimmen? – Stimmenthaltungen? – Sie haben so beschlossen.

Wir kommen zu

Tagesordnungspunkt 24: Vorlage eines Konzepts zur Haushaltssanierung - Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drs. 15/65

Die Fraktionen haben sich darauf verständigt, dass dieser Antrag ohne erste Beratung direkt an den Ausschuss überwiesen werden soll. Es wird vorgeschlagen, dass sich der Ausschuss für Haushalt und Finanzen mit dem Antrag befassen soll. Wenn Sie so beschließen möchten, bitte ich um Ihr Handzeichen. – Gegenstimmen? – Stimmenthaltungen? – Sie haben so beschlossen.

Nun kommen wir zu