Protocol of the Session on April 4, 2003

Ich bin schon sehr gespannt darauf, wie Sie, Herr Wulf, bei den kommenden Haushaltsberatungen darauf eingehen werden und a) die Unterrichtsversorgung - haushaltsrechtlich abgesichert - finanziell gewährleisten und b) auch noch zusätzliche Anträge zur flächendeckenden Einführung Ihrer so genannten Ganztagschulen stellen wollen.

Aber nun zum zweiten Punkt Ihres Antrages. Sie, meine Damen und Herren von der SPD-Fraktion, erwarten, dass die Landesregierung jetzt die Möglichkeit nutzt, mit Hilfe des 4 Milliarden Euro schweren Bundesprogrammes in Niedersachsen die Mittel für Ganztagsschulen zur Verfügung zu stellen. Ich kann dazu nur sagen, Herr Wulf und meine Damen und Herren von der SPD-Fraktion, dass wir das auch erwarten. Nur, müssen wir uns nicht die

Frage stellen, dass wir von dieser rot-grünen Bundesregierung ein bisschen mehr hätten erwarten dürfen und hätten erwarten müssen? Denn bei genauerer Betrachtung des Programms müssen wir doch feststellen, dass damit lediglich eine einmalige Anschubfinanzierung gegeben wird. Es werden Zuschüsse für Investitionen, für die Renovierung, für den Ausbau, für den Neubau und für die Ausstattung der Schulen gegeben.

(Zuruf von Wolfgang Wulf [SPD])

Ist an Ihnen, Herr Wulf und meine Damen und Herren von der SPD-Fraktion, nicht völlig vorbeigegangen, dass die eigentliche Problemlage darin besteht, dass dann das Land, die Kommunen, wer auch immer die Personalkosten und die Betriebskosten tragen müssen und die Bundesregierung uns damit hier und vor Ort voll im Regen stehen lässt? Darin liegt das Problem.

(Beifall bei der CDU - Widerspruch von Wolfgang Wulf [SPD])

- Herr Wulf, reden Sie nicht daran vorbei. Durch dieses Programm werden den Ländern und Gemeinden Dauerlasten auferlegt. Ende der Durchsage!

Es kann und darf nach meiner Einschätzung auch nicht Ihr Wille sein, dass ausschließlich die Länder auf den Personalkosten sitzen bleiben. Ich gehe davon aus, dass Sie mit mir darin übereinstimmen, dass das, eben weil wir den Konsens haben, für mehr Schul- und Nachmittagsangebote Sorge zu tragen, das Ziel aller Länder und Gemeinden sein muss.

Aber, meine Damen und Herren, setzt das nicht auch eine verbesserte originäre, dauerhaft, langfristig abgesicherte finanzielle Ausstattung der Kommunen voraus? Müssen wir nicht zur Kenntnis nehmen, dass die Bundesregierung insbesondere bei dieser Problematik die Kommunen wieder voll im Regen stehen lässt?

(Dorothea Steiner [GRÜNE]: Was sind das für Legenden?)

Das müssen Sie sich auch vorhalten lassen.

Ich komme zum dritten Punkt Ihres Antrages, in dem Sie sagen, dass Ganztagsschulen nicht einfach die Verlängerung der Halbtagsschule am Vormittag sein sollen, dass es nicht nur um Betreuung, sondern eben auch um Bildung gehe. Natürlich; auch darin sind wir mit Ihnen einer Meinung:

Ganztagsschulen sollen eine zuverlässige pädagogische Betreuung der Schülerinnen und Schüler am Nachmittag bieten. Genauso sollen Ganztagsschulen am Nachmittag auch eine größere Vielfalt von pädagogisch relevanten Angeboten vorhalten. Das ist völlig unstrittig.

Sie wissen, dass es viele, viele Ganztagsschulen gibt, die am Nachmittag in Kooperation mit dem Sport, mit der Kunst und auch mit Betrieben Freizeitangebote unterbreiten. Das läuft ohne Probleme. Darüber sind wir völlig einer Meinung. Von daher verstehe ich auch nicht so ganz die Kritik des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Er sollte sich vor Ort einmal anschauen, wie toll diese Angebote an den bestehenden niedersächsischen Ganztagsschulen umgesetzt werden.

Wenn Sie, Herr Wulf und meine Damen und Herren von der SPD-Fraktion, unter Nr. 4 Ihres Antrages aber wieder Ihr altes Ganztagsschulkonzept einfordern, dann kann ich dazu nur sagen - das haben wir auch in der vergangenen Legislaturperiode immer wieder dargelegt -: Versteht sich unser Konzept als familienergänzende Maßnahme, so haben Sie - wie schon in der vergangenen Legislaturperiode - jetzt erneut unter Beweis gestellt, dass es Ihnen nicht darum geht, familienergänzende Maßnahmen vorzuhalten, sondern darum, auch die Ganztagsschule als Lernort zu installieren, quasi familienersetzend. Das, meine Damen und Herren, wollen wir schon mal gar nicht. Wir wollen das auch vor dem Hintergrund der Tatsache nicht, dass Ihre Sichtweise, Herr Wulf, nur zum Teil auf die Eltern richtig eingeht. Unheimlich viele Eltern sagen nämlich: Am Nachmittag kann ich mich selbst um meine Kinder kümmern. Oder: Es gibt andere Angebote vor Ort.

(Beifall bei der CDU)

Zahlreiche Eltern wollen von diesem Angebot keinen Gebrauch machen. Deshalb ist unser Angebot - Lernen Plus, das freiwillige Nachmittagsangebot in der Schule - eindeutig das Zukunftsmodell. Dieses Baukastensystem enthält Unterricht am Vormittag, gemeinsames Mittagessen, am Nachmittag Bildungs- und Freizeitangebote in Kooperation mit entsprechenden Trägern vor Ort. Die Nachmittagsangebote sollen freiwillig sein. Wenn man sich aber dafür entschieden hat, soll es dann selbstverständlich verpflichtend sein. Mit diesem Baukastenprinzip liegen wir völlig richtig.

Meine Damen und Herren, verlassen Sie sich darauf: Wir in diesem Hause machen gemeinsam mit Kultusminister Bernd Busemann für die Schülerinnen und Schüler hier in Niedersachsen Schulpolitik und damit auch Ganztagsangebote sehr gut, in Zukunft besser.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Schwarz von der FDP-Fraktion.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Wulf, Sie haben einen Ausblick gegeben. Ich hatte den Eindruck, dass Sie ein regelrechtes Horrorszenario an die Wand gemalt haben. Ich halte das für nicht in Ordnung. Wir sollten doch erst einmal abwarten, was wir hier in Niedersachsen nach einem konsequenten Kurswechsel in der Bildungspolitik erreichen.

(Beifall bei der FDP)

Ich gebe Ihnen Recht, Herr Wulf: Die Schule mit den langen Öffnungszeiten, die Ganztagsschule, ist in der ganzen Republik zurzeit außerordentlich beliebt. Sie wurde von allen Parteien auch als Wahlkampfthema entdeckt. Hier scheint tatsächlich die Möglichkeit zu bestehen, Schwachstellen in unserem derzeitigen Bildungssystem abzubauen.

(Vizepräsidentin Astrid Vockert übernimmt den Vorsitz)

Durch PISA wurde nachgewiesen, dass es Vergleichsmöglichkeiten gibt. An der einen oder anderen Stelle werden wir noch einmal darauf zurückkommen. Diese Tatsache wird uns noch einmal begegnen. Wer aber wie z. B. ich im letzten Jahrzehnt sehenden Auges den Weg in das bildungspolitische Desaster mit durchlaufen musste, der hat natürlich auch eine ganze Reihe von Erfahrungen sammeln können.

Um es ganz deutlich zu sagen: Mich und viele meiner Kollegen haben die PISA-Ergebnisse wirklich nicht überraschen können. In allen Schulformen - insbesondere im Bereich der Hauptschule kommt es häufig vor, dass Kinder vernachlässigt werden. Die Eltern stellen ihre Kinder im Alltag einfach ab. In Artikel 6 unseres Grundgesetzes ist festgeschrieben, dass die Pflicht zur Pflege und

Erziehung der Kinder bei den Eltern liegt. Es gibt aber Eltern, die diesen Anspruch insgesamt nicht erfüllen; meiner Ansicht nach viel zu viele.

Zweifellos ist für genau diese Situation das Angebot Ganztagsschule wichtig. Ich stelle aber die Frage: Besteht der Sinn für die Schule der Zukunft darin, dass sie sich als Reparaturbetrieb für außerschulische Versäumnisse anbietet?

Ihr Antrag enthält durchaus vernünftige Passagen. Er erweckt aber den Eindruck, als könne man mit 500 Ganztagsschulen die größten Probleme lösen. Glücklicherweise gibt es in allen Schulformen zahlreiche tolle Kinder mit all ihren Stärken und Schwächen. Diese Kinder sind es aber nicht, die uns insgesamt die Probleme bereiten. Leider gibt es aber auch eine andere Realität. Die sieht so aus: Kinder, die nicht eine Minute still sitzen können, die den Unterricht gezielt torpedieren, die ihre Mitschüler terrorisieren und auch verprügeln, die ihre Lehrer beleidigen.

Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren von der SPD-Fraktion, möchten dieses Problem gern mit einer möglichst großen Anzahl von Ganztagsschulen lösen. Für uns ist aber nicht die Quantität entscheidend, sondern die Qualität.

(Beifall bei der FDP - Wolfgang Wulf [SPD]: Das ist bei uns auch so!)

Die Schule kann und soll nicht allein die Erziehung oder Ausbildung übernehmen. Wir schreiben mit dem festgeschriebenen Dialog eine Erziehungspartnerschaft nicht vor, sondern wir streben sie an. Dieser Ansatz kann aber nur funktionieren, wenn der Staat die Eltern nicht aus ihrer Rolle als Erziehungsberechtigte verdrängt. Daraus folgt: Wir machen Angebote auf freiwilliger Basis, aber keine Zwangsbeglückung. Deshalb haben wir konsequenterweise den Dialog mit den Eltern in die Schulgesetznovelle aufgenommen. Wir wollen, dass die Eltern als Partner mit einbezogen werden. Dabei beginnen wir mit der Bildungsarbeit in den Kindertagesstätten in enger Zusammenarbeit mit den Grundschulen. Der bessere Weg ist die Steigerung der Unterrichtsqualität und die konsequente Umsetzung der Unterrichtsversorgung. Das wird schwer. Die alte Landesregierung hat dies 13 Jahre lang vergeblich versucht. Wir werden im Gegensatz zu Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herren von der SPD-Fraktion, handeln.

In einem Punkt sind wir uns aber komplett einig. Wir haben uns das auch ein bisschen genüsslich

auf der Zunge zergehen lassen. Im letzten Satz Ihrer Begründung - Herr Wulf, Sie sind schon darauf eingegangen - sind Sie offensichtlich zu der Erkenntnis gekommen, dass die Schule am Vormittag an ihre natürlichen zeitlichen Grenzen stößt. Dem folgen wir uneingeschränkt. Das ist so.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Das Wort hat nun die Abgeordnete Korter.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst muss ich sagen, dass ich es schade finde, dass hier im Plenarsaal bei diesem so wichtigen Thema und obwohl hier Schulklassen zusehen, nur so wenige Plätze besetzt sind. Trotzdem möchte ich versuchen, von unserer Position diejenigen zu überzeugen, die zuhören wollen.

Meine Damen und Herren, qualifizierte Ganztagsangebote in Niedersachsen - das haben wir gehört wollen wir, glaube ich, alle. Es ist gut, dass wir in diesem Punkt Konsens haben. Zu der Frage, wie diese Angebote aussehen sollen, haben wir heute aber ganz unterschiedliche Positionen gehört. Herr Minister Busemann hat im Ausschuss am 28. März erklärt, er wolle die Unterstützung der Bundesregierung mit dem 4-Milliarden-Euro-Programm annehmen. Das ist schon mal ein positiver Ansatz, auf dem wir aufbauen können. Die neu zu genehmigenden Ganztagsangebote sollen aber auf freiwilliger Basis erfolgen. Ganztagsschulen mit verpflichtenden Programmen sollen nur noch Bestandsschutz genießen, und keine neuen sollen mehr genehmigt werden. Wie Herr Wulf bin auch ich der Auffassung, dass diese Position angesichts der vollen Stundentafeln, die wir insbesondere im Zusammenhang mit dem Abitur nach zwölf Jahren zu erwarten haben werden, überhaupt nicht durchzuhalten sein wird.

Die SPD-Fraktion hat uns heute einen Antrag vorgelegt, in dessen Überschrift von „qualifizierten Ganztagsangeboten“ die Rede ist, dann vom „Ausbau der Ganztagsschulen“, später aber wieder von „gemischten Angeboten mit Betreuungscharakter“ und von „Unterrichtsstunden“. Ich muss sagen: Ich bin daraus nicht ganz schlau geworden. Ein bisschen haben Sie das für mich aufgehellt. Wollen Sie Ganztagsschulen wie früher ausschließlich mit

Pflichtkonzept? Dann frage ich mich, warum Sie an einer Stelle Ihres Antrages von „Schulgeldern“ oder „Elterneinkommen“ sprechen, da Schulpflicht doch kein Geld kostet. Oder wollen Sie Angebote auf freiwilliger Basis oder beides? Oder wollen Sie wieder, wie wir das eigentlich in Niedersachsen schon kennen, den Schulen aus Hannover genau vorschreiben, und zwar möglichst kompliziert, wo ihr wahres Glück liegt?

Ganztagsschulen flächendeckend, schreiben Sie ganz vorn in Ihrem Antrag - das hat Frau Vockert schon gesagt -, seien die richtige Antwort auf PISA. Meine Damen und Herren, wenn Schule ab Klasse 5 so bleibt, wie sie ist, dann nützt uns das nicht sehr viel, dann ist das nicht die Antwort auf PISA.

(Ursula Körtner [CDU]: Auch nicht die einzige Antwort auf PISA!)

Es ist nicht damit getan, den herkömmlichen 45Minuten-Rhythmus einfach in den Nachmittag zu verlängern oder, wie es die CDU-Fraktion will, nachmittags ein paar AGs, Nachhilfeunterricht oder ein paar schöne Freizeitangebote dranzuhängen. Die Umwandlung in eine Ganztagsschule muss auch dazu genutzt werden können, den Zeitrhythmus an den Schulen zu verändern, Schule zu öffnen hin zu außerschulischen Lernorten und Lernangeboten und den Unterricht qualitativ zu verbessern. Solche weitgreifenden Veränderungen im Zeitrhythmus einer Schule sind natürlich nur in Pflichtschulen möglich.

Meine Damen und Herren, für uns muss Grundlage der Einrichtung der einen oder der anderen Form von Schule - mit Pflichtangebot oder auf freiwilliger Basis - ein überzeugendes pädagogisches Konzept sein, das wir nicht von hier aus vorschreiben wollen, sondern das sich die Beteiligten vor Ort, die Schülerinnen und Schüler, einbezogen die Kollegien und die Eltern, in Abstimmung selbst entwickeln sollen.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Es geht uns nicht darum, die Ganztagsschule verpflichtend für alle vorzuschreiben, wenn es sich z. B. um eine Region handelt, in der Schülerinnen und Schüler nachmittags weitgehend mit Sportverein, Musikunterricht und vielen anderen Dingen ausgelastet sind und die Eltern das gar nicht wollen. Bedarfsgerechte Einrichtung von Ganztagsschulen und Angeboten heißt: auf die Bedürfnisse der jeweiligen Kinder und Jugendlichen in Zu

sammenarbeit mit Eltern und Kollegien abgestimmt und passgenau dafür entwickelt.

Meine Damen und Herren, in Niedersachsen gibt es 3 400 allgemein bildende Schulen. Wenn in den nächsten Jahren 500 Schulen in Ganztagsschulen oder Ganztagsangebote umgewandelt werden sollen, müssen wir Prioritäten setzen.

(Glocke der Präsidentin)

Nach PISA - ich komme gleich zum Schluss - sehen wir eine klare Priorität darin, 50 % der Bundesmittel, die wir zur Anschubfinanzierung erhalten, für Schulen in sozialen Brennpunkten einzusetzen, da wir uns - unsere Erkenntnis aus PISA besonders um Kinder aus sozial benachteiligten Elternhäusern kümmern müssen. Aber auch Grundschulen - gerade diese - sollten verstärkt in das Förderprogramm aufgenommen werden.

Wir erwarten, dass die Landesregierung das Bundesförderprogramm zur Anschubfinanzierung umgehend nutzt, dazu aber auch selbstverständlich und gerade in sozialen Brennpunkten Ganztagsschulen mit Pflichtangeboten zulässt.