Protocol of the Session on December 14, 2004

PISA II enthält und hinterlässt eine Reihe von offenen Fragen, die bisher niemand beantwortet hat und die zum Teil auch schon aus PISA I stammen. Dabei handelt es sich z. B. um die Frage der unterschiedlichen Ausprägung von Testfähigkeiten in den einzelnen Ländern.

Übrigens ist es auch hilfreich, sich die PISAAufgaben einmal genauer anzusehen und sich kritisch damit auseinander zu setzen. Es gibt Experten, die äußerst skeptisch mit den Ergebnissen umgehen. Dazu gehört z. B. Professor Meyerhöfer von der Universität Potsdam. Ich zitiere ihn:

„Da fast alle PISA-Aufgaben unscharf messen, wissen wir nicht, welche Fähigkeiten wir gemessen haben - außer der Fähigkeit, PISA-Aufgaben zu lösen, also sein Kreuz an die gewünschte Stelle zu setzen... Inwiefern das alles mathematische Leistungsfähigkeit oder Lesefähigkeit ist, bleibt dagegen unklar.“

Meine sehr verehrten Damen und Herren, man muss Herrn Meyerhöfer nicht folgen, aber zumindest muss uns dies Anlass zum Nachdenken geben.

Ein weiterer Punkt in diesem kurzen Beitrag ist mir wichtig, gerade weil wir Erfahrungen aus Finnland mitbringen. Der größte Vorteil von PISA ist, dass Bewegung in die Bildungslandschaft gekommen ist.

(Glocke des Präsidenten)

Es wäre selbstverständlich angenehm, in dem Ranking weiter vorn zu liegen. Wir sollten uns aber von dem Gedanken verabschieden, zu glauben, dass gute Tests breite soziale Integration und gleichzeitig das Erzielen von Spitzenleistungen bedeuten. Wer das glaubt, irrt gewaltig.

(Beifall bei der FDP)

In einem bemerkenswerten Artikel der Süddeutschen Zeitung schreibt Johann Schlömer:

„In einem ganz bestimmten Punkt stößt das Miteinander des Forderns und Förderns an eine Grenze. Es können nicht zugleich alle mitkommen und die klugen Köpfe in voller Ausschöpfung ihrer Möglichkeiten brillieren.“

(Glocke des Präsidenten)

Herr Präsident, Sie hatten mich vorhin unterbrochen. Ich möchte meine Ausführungen noch kurz ergänzen.

Aber nicht zu lang!

Nein. - Ich halte das, was damit gesagt wurde, für eine ehrliche Position, die man offen aussprechen muss.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese meine Gedanken sollten eigentlich nur Anregung dazu sein, die PISA-Studie nicht als Vehikel zu missbrauchen, um parteipolitische Süppchen zu kochen. Im Gegenteil: Ich möchte Sie dazu auffordern, die Scheuklappen abzulegen, die Blockade aufzugeben und sich in eine konstruktiv-kritische Diskussion einzubringen.

Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.

Ich schließe mit einem Zitat, Herr Präsident, nämlich mit dem Zitat des Sprechers des Deutschen Schülerrates, Dino Maiwald:

„Hört endlich auf, euch die Köpfe einzuschlagen, und arbeitet zusammen. Schule muss eine Gemeinschaftsaufgabe zwischen Lehrern, Eltern und Schülern sein.“

Dem habe ich nichts hinzuzufügen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Herr Kollege Jüttner, bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Schwarz, Ihr Antrag zur Aktuellen Stunde lautet: „Erst lesen und denken, dann reden“. Das hätten Sie beherzigen sollen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Karl-Heinz Klare [CDU]: Für eine Aktuelle Stunde war das ganz gut, aber sachlich war es Quatsch!)

Natürlich, meine Damen und Herren, hat Herr Schwarz Recht: Man sollte solche Gutachten nicht instrumentalisieren. - Die Vorstellung, dass sich die Welt nach drei Jahren gravierend verbessert haben könnte, ist abwegig.

(Hans-Werner Schwarz [FDP]: Nach eineinhalb Jahren!)

Deshalb plädiere ich sehr für einen ganz langen Atem in der Bildungspolitik; das ist überhaupt keine Frage. Die Vorstellung, dass sich die internationale Begutachtung spezifisch ein Land vornimmt und damit einzelnen Parteien Verantwortung zuweist, ist ebenfalls ziemlich abwegig, wie auch Sie wissen. Wir reden über ein deutsches, nicht aber über ein niedersächsisches Defizit.

(Beifall bei der SPD)

Die Kultusministerkonferenz hat einvernehmlich festgestellt, dass es in der Tat einige Defizite und einige Erkenntnisse aus den PISA-Untersuchungen gibt, die unstrittig sind. Die naturwissenschaftlich-mathematischen Kenntnisse haben sich leicht verbessert, aber nicht in der Risikogruppe, nicht bei den Hauptschülerinnen und Hauptschülern. Die Lesekompetenz stagniert. Dort ist überhaupt nichts besser geworden.

(Vizepräsidentin Astrid Vockert übernimmt den Vorsitz)

Das größte Problem in Deutschland ist unstrittig, dass der Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungsabschluss so eng ist wie in keinem anderen Land. Das muss uns doch umtreiben, Herr Schwarz.

(Beifall bei der SPD)

Das heißt, hier besteht Handlungsbedarf. Die bisherige Bildungspraxis hat sich erkennbar blamiert. Vor diesem Hintergrund sagt der niedersächsische

Kultusminister Busemann - ich darf ihn mit einem Satz zitieren -: Wenn man so tief im PISA-Tal steckt, sollte man keine Experimente machen. Keine Experimente, wenn man nicht mehr weiter weiß? - Nein! Dann muss man prüfen, was zu ändern ist. Genau das steht auf der Tagesordnung.

(Beifall bei der SPD)

Es gibt einige Dinge, die offensichtlich sind. Wir sind uns sicherlich - zumindest im Anspruch - einig: Die vorschulische Bildung muss gestärkt werden. Ich frage Herrn Busemann: Warum streichen bzw. kürzen Sie die Sprachförderung in den niedersächsischen Kitas? Das müssen Sie einmal erläutern.

(Beifall bei der SPD)

Unstrittig ist: Kinder mit Migrationshintergrund haben erkennbar weniger Chancen. Gleichzeitig wissen wir, dass wir aus ökonomischen Gründen jeden mitnehmen müssen. Sie müssten uns einmal sagen, warum Sie den muttersprachlichen Unterricht kürzen und warum Sie im letzten Jahr die Hausaufgabenhilfe gestrichen haben.

(Beifall bei der SPD)

Wir reden über Gutachten, aber vor allem reden wir über die Praxis. Unstrittig ist doch wohl auch, dass die Durchlässigkeit auf die Tagesordnung gehört. Sie waren so pfiffig und haben die Durchlässigkeit in das Gesetz geschrieben. Aber Sie haben alles dafür getan, damit Durchlässigkeit in der niedersächsischen Schulpraxis nicht stattfinden kann. Das ist der Vorwurf, den wir erheben.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Sie fordern ebenso wie wir eine stärkere Individualisierung des Lernens. Wo aber ist der kleinste Ansatzpunkt konzeptioneller Art, dies auch praktisch einzulösen? - Nichts davon, Herr Busemann, erreicht den Landtag und die niedersächsische Öffentlichkeit.

(Bernd Althusmann [CDU]: Quatsch!)

Ich stimme Ihnen darin zu, dass wir nicht den Eindruck erwecken sollten, als wüssten wir schon alles. Die Untersuchung PISA II enthält eine Reihe offener Fragen. Einige der Dinge, die wir für richtig halten, lassen sich daraus nicht automatisch erklären. Auch das ist richtig, Herr Schwarz. Vor diesem Hintergrund mahne ich an, dass wir uns in diesem

Prozess eher als Suchende begreifen sollten. Aber an den Stellen, an denen es klar ist, müssen die Antworten schon heute gegeben werden. Wir brauchen Zeit, müssen aber heute schon mit den Dingen beginnen, die richtig sind und erkennbar von allen Zustimmung finden. Es kommt darauf an, das Beste für jedes einzelne Kind in Deutschland zu leisten, und es kommt darauf an, die internationale Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands zu erhöhen.

Die Konsequenz ist also: Lesen, denken, reden und für die, die entsprechend ausgestattet sind, weil sie Regierungshandeln ausüben können, hin und wieder auch ein bisschen handeln. - Daran mangelt es in Niedersachsen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Karl-Heinz Klare [CDU]: Letztes Mal haben Sie gesagt, wir würden zu viel machen! - Gegenruf von Wolfgang Jüttner [SPD]: An der falschen Stelle!)

Für die CDU-Fraktion hat das Wort die Kollegin Bertholdes-Sandrock.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Jüttner hat gerade eine ganz beachtliche Palette von Hausaufgaben genannt, die zu machen sind. Leider hat er vergessen zu erklären, warum er das in 13 Jahren nicht mit auf den Weg gebracht hat.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Widerspruch bei der SPD - Ulrich Biel [SPD]: Warum habt ihr das in den 14 Jahren vorher nicht getan?)

Das ist das Erste, was mir aufgefallen ist. Im Übrigen - Sie haben das freundlicherweise selbst zugegeben -: Kaum war die PISA-Studie im Anmarsch, bewerten SPD und Grüne Tage, Wochen - Sie haben von zwei bis drei Wochen gesprochen - vor der Veröffentlichung schon das, was noch kein Mensch kennt, und haben die passenden Schlussfolgerungen parat.