Protocol of the Session on June 24, 2004

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Karl-Heinz Klare [CDU]: Übrigens ge- gen die Gesamtschulen!)

Herr Wenzel!

Herr Busemann, ich habe eine Frage zum Thema Elternwille und sonderpädagogischer Förderbedarf. Sie haben in Ihrer Presseerklärung, die Sie in den letzten Tagen herausgegeben haben, gesagt, dass es landesweit nur in zwei bis drei Fällen Streit mit Eltern gibt, die ihr Kind lieber auf eine Regelschule und nicht auf eine Förder- oder Sonderschule schicken wollen. Wie können Sie sich im Hinblick darauf, dass es allein in meiner Gemeinde zwei bis drei Fälle pro Jahr gibt, erklären, dass es hochgerechnet auf das ganze Jahr landesweit nur zwei bis drei Fälle gibt? Ist das in meiner Gemeinde ein Sonderfall, oder wie ist das möglich?

(Zustimmung von den GRÜNEN - Sigmar Gabriel [SPD]: Die bei dir sind ideologisch verblendet!)

Herr Minister!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Wenzel, ich glaube, wir sind jetzt über den eigentlichen Fragegegenstand hinweg.

(Ursula Helmhold [GRÜNE]: Eltern- wille! - Stefan Wenzel [GRÜNE]: El- ternwille ist das Stichwort!)

- Gut, Elternwille. - Ich will das aber gerne aufgreifen. Wir erarbeiten in diesen Tagen einen Erlass zur Sonderpädagogik. Wir haben die Schulen ja nicht nur in Förderschulen umbenannt, sondern dahinter steht auch ein gewisser Anspruch, nämlich dass wir ein breites Angebot entsprechend dem jeweiligen individuellen Förderbedarf vorhalten wollen. In diesem Zusammenhang ist auch die Frage des Elternwillens anders zu behandeln als

an den allgemeinbildenden Schulen. Ich glaube aber, das müssen wir jetzt nicht vertiefen.

Die Verwaltung sagt mir - gemeinsam mit den Schulträgern und den Aufsichtsbehörden -, dass die Zahl der nach einem völlig kooperativen Klärungsprozess am Ende übrigbleibenden Streitfälle, bei denen es darum geht, ob das Kind an diese Schule muss oder ob es an jene kommen kann oder umgekehrt, sich auf sehr wenige Fälle reduziert. Für den Fall, dass es an Ihrem Standort zwei, drei Problemfälle gibt, würde ich Ihnen, weil man das in dieser Runde schlecht vertiefen kann, einfach anbieten - ich glaube, wir hatten während des letzten Plenums eine ähnliche Frage; ob von Ihnen oder einem anderen Kollegen, weiß ich jetzt nicht mehr; diese Fälle sind geklärt worden -, dass wir auch diese Fälle einvernehmlich klären.

Herr Minister, die Annahme der Landesregierung, dass 20 % der Schülerinnen und Schüler eine Hauptschule besuchen, scheint sich zumindest in der Stadt Hannover nicht zu bewahrheiten. Hier beläuft sich der Anteil jener Schülerinnen und Schüler eher auf nur 12 %. Der Elternwille bezüglich des Schulwechsels entspricht also nicht Ihren Annahmen. Unter welchen Bedingungen wollen Sie in Zukunft Aufnahmeprüfungen einführen, und wann ist das der Fall?

(Karl-Heinz Klare [CDU]: Das war die Frage des Tages! Sie ist schon zwei- mal beantwortet worden! Du hast sie jetzt aber noch einmal richtig deutlich gemacht!)

Herr Minister!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Voigtländer, Niedersachsen ist ein großes Land, ein Flächenland. Es hat städtische Bereiche, aber auch sehr ländliche Bereiche. In Hannover lag der Anteil der Hauptschülerinnen und -schüler - wie auch immer die Vorgeschichte war - noch nie bei 20 %. Es gibt andere Standorte im Westen Niedersachsens mit einer etwas anderen Grundstruktur. Dort haben wir bestens profilierte Hauptschulstandorte mit einem Hauptschüleranteil von 40 %. Die Zahl wird auch in Zukunft auf etwa sol

che Werte geben, sodass ich mit meiner vorhin gemachten Aussage durchaus richtig liege, dass sich der Anteil der Hauptschülerinnen und -schüler landesweit auf etwa 20 % beläuft.

Ich sage Ihnen ganz offen, dass ich Ihnen für Ihre Frage dankbar bin, die wohl in der letzten Woche aufgekommen war. Es hieß, der Kultusminister fummelt jetzt am Elternwille herum. Ich kann Ihnen sagen: Das war schon zuzeiten der Orientierungsstufe ein schwieriges Thema. Was ist richtig? Machen die Eltern, wenn sie die Entscheidung für die Kinder treffen können, alles richtig? Machen die Lehrer, wenn sie die Entscheidung treffen können, alles richtig? - Es ist bekannt, dass dabei manchmal auch Standortbelange mit eine Rolle spielen. Das ist jedenfalls eine schwierige Entscheidung.

(Walter Meinhold [SPD]: Das ist inte- ressant, was Sie eben gesagt haben!)

- Herr Kollege Meinhold, das war doch völlig klar.

(Zuruf von Walter Meinhold [SPD])

- Es gibt ein Phänomen. In dem DIPF-Gutachten, das meine Amtsvorgängerin in Auftrag gegeben hat, gibt es einen tollen Passus - dabei ging es um die Orientierungsstufe und anderes mehr -: Es sei augenfällig, dass das Empfehlungsverhalten der Lehrer auch so ein bisschen an dem örtlichen Schulangebot ausgerichtet sei. So ein bisschen, nicht? Habe ich eine Hauptschule und eine Realschule, stabilisiere ich es so, wie ich es brauchen, bevor mir zu viele Kollegen wegwandern und anderswo unterrichten müssen. Das schwingt da mit. Das hat manchmal auch etwas mit Schulwegen zu tun. So realistisch sollten wir doch miteinander umgehen.

(Sigmar Gabriel [SPD]: Ja, so ist es!)

Das spielt mit eine Rolle. In Deutschland ist doch kein Kultusminister so naiv, dass er diese Dinge nicht sieht.

Im Kern ging es aber um den Elternwillen. Jahrelang ist über die Frage debattiert worden: Ist der Elternwille frei, oder müssen andere Mechanismen wie z. B. Zensurendurchschnitte oder Aufnahmeprüfungen greifen, um all das zu regulieren? - Ich kann Ihnen nur sagen: Wir haben jetzt ein gegliedertes Schulwesen mit einer hohen Durchlässigkeit und mit einem - das aber mögen Sie vielleicht nicht teilen - absolut guten Anspruch, was die jeweils richtigen Bildungswege für die Kinder anbelangt.

Der Elternwille hat in Niedersachsen seit den 70erJahren einen sehr viel höheren Stellenwert als in anderen Bundesländern. Nach Abwägung des Für und Wider und aller Belange haben die Koalitionspartner und die Landesregierung mit dem Schulgesetz zum Ausdruck gebracht: Es gilt der Elternwille, sonst gar nichts. An anderen Modellen basteln wir nicht.

(Beifall bei der CDU)

Frau Andretta!

Beabsichtigen Sie, diese „hochgejubelten“ Quoten wieder abzusenken? Wenn nicht, möchte ich zweitens wissen: Ab welcher Quote werden die Gymnasien dann zu Gesamtschulen erklärt?

Herr Minister!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin, unabhängig von Quotenspielereien: Sie werden nicht erleben, dass wir Gymnasien zu Gesamtschulen erklären. Der Gesetzgeber hat uns durch das Schulgesetz ja verboten, neue Gesamtschulen zu errichten. Sie haben es doch auf den Punkt gebracht. Ich habe mich vorhin dagegen ausgesprochen, immer so einen Quotenfetischismus zu betreiben und die Qualität des Schulsystems nur an Quoten auszurichten. Manche Dinge sind ein Phänomen. Sie kommen aus Göttingen und mögen mir das ergründen. Ich bin vom flachen Lande. Eine Abiturquote oder eine Bildungsbeteiligung des Gymnasiums in Höhe von 75 % - ich weiß nicht, ob die Abiturquote entsprechend ist - ist in Niedersachsen ein absoluter Höchstwert. Da kommen alle anderen nicht mit - nicht die Hanno

veraner, nicht die Braunschweiger, nicht die Emsländer und auch nicht die Ostfriesen. Wir werden aber weder daran arbeiten - das war der Kern der Frage -, die Abiturquote künstlich hoch zu drücken, um - was weiß ich - irgendwelche besonderen Erfolge einzuheimsen, noch werden wir daran arbeiten, die Bildungsbeteiligung des Gymnasiums und insbesondere die Abiturquote künstlich nach unten zu drücken. Ich habe vorhin ausdrücklich darauf hingewiesen, dass dies absolut nicht unser Ziel ist. Deshalb sollten wir gemeinsam von diesem Quotendenken wegkommen und stattdessen gucken, wie wir die Bildungswege für die Kinder noch offener und noch besser gestalten können. Vor allem müssen wir auch das Angebot in der Fläche aufrechterhalten und gegebenenfalls noch verbessern. Dann regelt sich alles andere in Ihrem Sinne von allein.

Herr Meinhold!

Herr Minister, in Beantwortung der Frage einer Kollegin der CDU-Fraktion haben Sie gezielt auf konkrete Gesamtschulen verwiesen. Sie haben u. a. darauf hingewiesen, dass die IGS List ihre Aufnahmezahl verdoppeln und ihre derzeitige Vierzügigkeit auf eine Achtzügigkeit erweitern könnte. Theoretisch ist dies richtig. Der Schulträger aber müsste den Gebäudekomplex verdoppeln. Angesichts der Ansage, dass die Schulreform ohne zusätzliche Belastung der Kommunen umgesetzt werden soll, müsste an dieser Stelle gefragt werden, inwieweit die Landesregierung bereit sein wird, die entsprechenden Kosten zu übernehmen. Ähnliches haben Sie im Hinblick auf die IGS Kronsberg behauptet, die sich derzeit im Aufbau befindet. Das heißt, Sie haben theoretische Möglichkeiten angedeutet, die der Kommune in der Praxis aber richtig Geld kosten würden.

(Joachim Albrecht [CDU]: Wie die Ge- samtschule überhaupt viel Geld kos- tet!)

Ferner möchte ich Ihnen sagen, dass ich Lust hätte, diese Gesamtschule gemeinsam mit Ihnen zu besuchen. Sie gehört mit zu meinem Wahlkreis. Wenn Sie so freundlich wären und entsprechend Zeit hätten, könnten wir dieser Schule einmal einen Besuch abstatten, damit Sie die dortigen Bedingungen einmal real kennen lernen. Also noch ein

mal: Wer soll die Kosten für die Erweiterung tragen?

(Beifall bei der SPD)

Solche Angebote werden hinterher bitte im Zwiegespräch geklärt, nicht aber hier im Plenum. - Herr Busemann, bitte!

Verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Meinhold, wir haben hier schon etliche Debatten zum Thema Konnexität miteinander durchgestanden. Meiner Erinnerung nach habe ich am Freitagmorgen des Mai-Plenums hier Rede und Antwort gestanden, um deutlich zu machen, dass die Schulreform kein Fall von Konnexität ist und Schulgebäudeangelegenheiten kommunal zu regeln sind. Das kann auch geregelt werden. Manche Kommunen haben sogar Einsparungen erzielt. Es gibt keinen Fall, in dem das Land Niedersachsen die Baukosten übernimmt. Wenn man nun aber dem Wunschdenken mancher hier im Hause nachkäme und von Ostfriesland bis zum Harz überall neue Gesamtschulen errichten würde, dann frage ich mich, was sich daraus für Baukosten ergäben.

Dieses Thema muss der Schulträger in seinem Revier klären. Wenn er wie so mancher Antragsteller einen größeren Bedarf an Gesamtschulen sähe, könnte er die Zügigkeit erhöhen und müsste vielleicht bauen. An anderer Stelle hat er vielleicht aber Räumlichkeiten frei. Wir haben Außenstellen von Gesamtschulen in bestimmten Fällen - das war gar nicht so einfach - erlaubt. Im Stadtgebiet ist also Kreativität angesagt. Herr Kollege Meinhold, Sie sind da doch nicht so ganz ohne Einfluss. Das kann man regeln. Andere können das auch. Eine so freundliche Einladung nehme ich aber gerne an. Sie wissen, dass ich gerade in den letzten Wochen Gesamtschulstandorte, aber auch Ganztagsangebote ganz gut bedient habe. Niemand kann sich darüber beklagen und sagen, das gehe nicht gerecht zu. Einen gemeinsamen Schulbesuch kriegen auch wir beide hin.

Frau Korter hat das Wort zu ihrer zweiten Zusatzfrage. Bitte!

Herr Minister, Sie haben eben gesagt, dass Sie am Elternwillen nicht kratzen wollten. Ich frage Sie: Wann beabsichtigt die Landesregierung, den Elternwillen auch für diejenigen Eltern durchzusetzen, die für ihre behinderten Kinder eine integrative Beschulung wünschen? In diesem Bereich gibt es bislang keinen freien Elternwillen, weil die Schulträger oder die Schulen selbst darüber entscheiden, ob sie integrative Angebote machen oder nicht.

Herr Minister!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin, ich habe es eben schon angedeutet. Es gilt der Elternwille. Bezüglich der Förderschulen mit all ihren Fördermöglichkeiten und unterschiedlichen Schwerpunkten wäre es meiner Meinung nach vernünftig, wenn die Verantwortlichkeiten und die Letztentscheidung so geregelt bleiben, wie sie derzeit geregelt sind. Das heißt, dass für diesen Bereich ein völlig freier Elternwille nicht vorgesehen werden sollte. Ich darf Sie aber noch einmal beruhigen. Dies war in den letzten Jahren im ganzen Land auf ganz, ganz wenige Streitfälle beschränkt. Wir meinen also, dass es hinnehmbar ist, es bei der jetzigen Regelung zu belassen.

Frau Janssen-Kucz!

Herr Minister, wir haben uns in der Vergangenheit keine Gesamtschulen leisten können. Wir waren kaum in der Lage, bei der baulichen Unterhaltung der Schulen Schritt zu halten. Das noch einmal zu der ganzen Diskussion darüber, weshalb wir was nicht haben.

Sie sagen, die Zahlen der landesweiten Erhebung lägen erst Ende nächster Woche vor. Der landesweite Trend ist doch klar. Meine Frage ist: Wie wollen Sie eigentlich zukünftig die Hauptschulstandorte dort sichern, wo die Schülerzahlen rückläufig sind - dieser Trend ist offensichtlich -, und denken Sie verstärkt über kooperative Angebote für Hauptschule und Realschule nach?

(Friedrich Pörtner [CDU]: Die gibt es doch schon!)

Herr Minister!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin, ob der Trend so weitergeht oder ob er jetzt gestoppt oder gebrochen ist, wird sich in den nächsten Wochen, was die Statistik angeht, und in den nächsten Jahren, was die tatsächliche Entwicklung anbelangt, ergeben. Das würde ich erst einmal abwarten.

Nun zu der grundsätzlichen Frage, wie wir die Hauptschule - z. B. durch erweiterte Schulangebote - stabilisiert haben.

(Präsident Jürgen Gansäuer über- nimmt den Vorsitz)