Protocol of the Session on June 24, 2004

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Den Begriff „Zielzahl“ mag ich eigentlich nicht. Der war mehr in etwas anderen gesellschaftspolitischen Systemen das Maß der Dinge, wo das dann aber auch nicht besonders gut gegangen ist.

(Beifall bei der CDU)

Nun will ich Ihnen einmal etwas zu der Frage Abiturquote, Hochschulzugangsberechtigung sagen. Die eine Geschichte ist das Wünschenswerte, die andere ist ein anspruchsvoller Abschluss, eine Hochschulreife, die den Begriff leistungsmäßig auch trägt.

Ich habe an verschiedenen Stellen gesagt: Ich bin kein Abiturquotenfetischist. Man könnte als Kultusminister ja auch an den Stellschrauben drehen und einfach das Niveau absenken. Dann haben wir ganz tolle Hochschulzugangsberechtigungszahlen - mit dem Malheur, was möglicherweise hinterher stattfindet. Dann hätte man eine Abiturquote von 50 %, 60 % oder 70 % fabriziert.

Ich glaube aber, wir kommen hier zusammen. Ich sage Ihnen ganz deutlich: Die Gesellschaft hat Bedarf an mehr Abiturienten. Aber es muss ein anspruchsvolles Abitur sein. Wir haben in Niedersachsen - die jüngsten Zahlen haben bei etwa 30 % gelegen - eine gymnasiale Bildungsbeteiligung von vielleicht 35 %, aber nageln Sie mich bitte nicht auf den Prozentpunkt fest. Aber nicht alle, die das Bildungsangebot des Gymnasiums wahrnehmen, erreichen auch das Abitur. Ich glaube, dass wir gut beraten sind, mit Augenmaß daran zu arbeiten, die Abiturquote - wie gesagt, bei einem gewissen Anspruch - zu steigern.

Ein Teil unserer Schulentwicklungspolitik, unserer Standortpolitik besteht darin, nicht in einigen städtischen Bereichen die Abiturquote auf 50 %, 60 %

oder 70 % hochzujubeln, sondern insbesondere in der Fläche zu gucken, ob es da noch Bildungsreserven gibt, die eine Bildungsbeteiligung in Anspruch nehmen wollen.

Es ist ein hervorragender Effekt unseres Schulgesetzes, unserer Schulentwicklungsverordnung, dass wir nun - auch da habe ich die letzte Zahl nicht präsent - etwa 15 neue Gymnasien bekommen, dass wir etwa 50 bis 60 neue Realschulen bekommen, dass wir auch noch einen Teil neue Hauptschulen bekommen, dass wir, ich glaube, bis zu 200 Außenstellen insbesondere im ländlichen Bereich bekommen, zwei Drittel davon im gymnasialen Bereich. Die Außenstellen sind zwar manchmal der Raumbewirtschaftung geschuldet

(Zuruf von Ralf Briese [GRÜNE])

- ja, manchmal; das kommt alles zusammen -, aber sehr oft eben auch zusätzliche schulische Angebote. Das wird die Bildungsbeteiligung verbessern.

Ich sage Ihnen ganz offen - man guckt ja rum im Lande -: Ich fand es nicht in Ordnung, dass wir, egal, ob im Westniedersächsischen oder im Ostniedersächsischen, nur noch eine Bildungsbeteiligung - jetzt Klasse 7, demnächst Klasse 5 - von 16 % haben. Das ist nicht in Ordnung; das kann ich nicht mit sozialen Strukturen erklären. Man muss daran arbeiten - durch entsprechende Angebote bis hin zum Schülertransport usw. -, dass auch dort eine Bildungsbeteiligung möglich gemacht wird.

Und so kommen wir dann auch wieder zusammen, dass ich sage: Mit Augenmaß und ohne Prahlerei müssen wir gucken, dass wir die gymnasiale Bildungsbeteiligung verbessern. Alles andere regelt sich dann auch in Richtung von bestimmten Quoten.

Frau Heinen-Kljajić, bitte!

Ist der Landesregierung bekannt, dass nach der Untersuchung des Dortmunder Instituts für Schulforschung mehr als 50 % der Eltern für ihre Kinder einen Ganztagsschulplatz wünschen, und wie gedenkt die Landesregierung darauf zu reagieren?

(Karl-Heinz Klare [CDU]: Es wäre schön, wenn einmal zugehört würde, wenn der Minister das beantwortet! Das ist hier wie im Film!)

Herr Minister!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin, ob es nun eine Dortmunder Studie ist oder ob es niedersächsische Erkenntnisse sind, ob es 50, 55, 38 oder 45 % sind: Ich glaube, wir haben hier - den hatte ich auch schon mit meiner Amtsvorgängerin - seit ein paar Jahren den Konsens, dass der Wunsch nach mehr Ganztagsangeboten absolut da ist. Darüber bedarf es keiner gesellschaftspolitischen Grundsatzdiskussion mehr. Die Verhältnisse sind so, wie sie sind, und die Sinnhaftigkeit ist durchaus gegeben.

Wir hatten vor zwei Jahren einmal einen Bedarfsbzw. Wunsch-Wert für Niedersachsen ermittelt. Da hieß es, 40 % - das wird eher mehr geworden sein - würden für ihr Kind gern ein Ganztagsschulangebot, ein Ganztagsbetreuungsangebot usw. in Anspruch nehmen. Da kann ich Ihnen nur sagen: in der Richtung einverstanden. Wir werden daran arbeiten, dass wir das hinbekommen: mit viel Kreativität - denn das Geld wird auf allen Ebenen ja nicht mehr; darüber haben wir gestern in einer gewissen Breite diskutiert -, da muss man sich vielleicht etwas einfallen lassen.

Und dann kommen wieder Dinge zusammen: dass teilweise der Bund Programme macht, dass die Länder Programme machen. Mir wäre schon daran gelegen, dass man diesen Bildungskonsens bundesweit hinbekommt - unter Wahrung und in Anerkennung der Zuständigkeiten, nicht zuletzt der Länder -, um dann zu gucken: Wie können wir entsprechendes Geld gemeinsam organisieren?

(Heidrun Merk [SPD]: Wie können wir Geld gemeinsam organisieren? Man staunt über die Antworten! - Minister Bernhard Busemann: Sie waren ges- tern nicht da! - Heidrun Merk [SPD]: Märchenstunde hoch drei! - Joachim Albrecht [CDU]: Frau Merk, beruhigen Sie sich!)

Frau Bertholdes-Sandrock, bitte!

Frau Präsidentin! Aufgrund der Aussage des Ministers, Gesamtschulen schöpften ihre Kapazitäten nicht aus, frage ich die Landesregierung: Kann man das auch an einem konkreten Beispiel festmachen?

Herr Minister!

(Minister Bernhard Busemann blättert in seinen Unterlagen - Zurufe von der SPD: Vorlage 3! Blatt 4! - Wolfgang Jüttner [SPD]: Das ist nicht abgespro- chen!)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im Kern geht es doch immer um dieselbe Frage: Welche Zügigkeit haben die Gesamtschulen, und wie viele zusätzliche Schülerinnen und Schüler könnten sie aufnehmen respektive müssten sie nicht ablehnen, wenn sie ihre Zügigkeit ausschöpfen würden? Ich kann Ihnen das schriftlich zukommen lassen, weil Sie es nicht gerne hören wollen. Aber ich kann einmal als Beispiel nennen: Die IGS Kronsberg

(Zuruf von der SPD: Völlig unvorbe- reitet!)

- nein, nein - arbeitet vierzügig, ist aber achtzügig genehmigt. Sie nimmt zurzeit 120 Schüler auf und lehnt zehn ab. Sie könnte bei voller Ausschöpfung ihrer Zügigkeit weitere 120 aufnehmen.

Die IGS Linden könnte bei Ausschöpfung der Zügigkeit weitere 60 Schüler aufnehmen. Die IGS List könnte bei Ausschöpfung der Zügigkeit noch 120 Schüler aufnehmen. Die IGS Roderbruch könnte noch 60 Schüler zusätzlich aufnehmen. Die IGS Vahrenheide könnte noch 120 Schüler zusätzlich aufnehmen.

Gehen wir einmal nach Braunschweig. Die Wilhelm-Bracke-Gesamtschule könnte noch 60 Schüler zusätzlich aufnehmen. Die IGS Franzsches Feld könnte 120 Schüler zusätzlich aufnehmen. Die IGS Querum könnte ebenfalls 120 Schüler zusätzlich aufnehmen.

Also, das sollen die Schulstandorte bzw. die Schulträger doch bitte klären, ob sie die genehmigte Zügigkeit - das hatte ja auch einen be

stimmten Sinn - auch wirklich ausschöpfen, anstatt sich alle paar Wochen mit dem Gesamtschulthema selbst zu stimulieren und dem Minister im Parlament immer die gleichen Fragen zu stellen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Frau Pfeiffer!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Grünen haben hier behauptet, dass die Eltern für ihre Kinder eine andere Schule - sprich: die IGS wollen. Teilt die Landesregierung diese Auffassung?

(Ursula Helmhold [GRÜNE]: Im Prin- zip, ja!)

Herr Minister!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin, wenn ich einmal von den eben andiskutierten Standortbefindlichkeiten absehe, kann ich landesweit nicht feststellen, dass die Eltern eine bestimmte Schulform, insbesondere die Gesamtschule, für Niedersachsen wollten. Ich kann das insbesondere nicht aus dem Wahlergebnis vom 2. Februar letzten Jahres erkennen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Ursula Helmhold [GRÜNE]: Das war doch keine Volksabstimmung über Gesamtschulen!)

Auf der Rednerliste stehen jetzt noch Herr Klare, Herr Albrecht, Herr Wenzel, Herr Voigtländer, Frau Andretta und Herr Meinhold. - Herr Klare!

Frau Präsidentin! Herr Minister Busemann, Sie haben vorhin gesagt, dass sich die Gesamtschulen pädagogisch und organisatorisch weiterentwickeln können. Unterstellt, das Bedürfnis ist wirklich so groß, wie es hier dargestellt worden ist, frage ich Sie: Wie viele Schulträger im Lande Niedersach

sen haben eine Erweiterung zum 1. August beantragt?

Herr Minister!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Klare, zurzeit sind dem Kultusministerium - mit Ausnahme, ich glaube, eines Antrages aus Göttingen - keine Anträge und Begehrlichkeiten auf Errichtung einer Gesamtschule bekannt.

Herr Albrecht!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich frage die Landesregierung: Teilt sie die Auffassung, dass die Hauptschule durch die Etikettierung als Restschule, wie es in der Vergangenheit geschehen ist und auch in der Gegenwart immer wieder gern geschieht, erheblich diffamiert wird und dass damit eine Verunsicherung der Eltern einhergeht?

Herr Minister!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Albrecht, genau so ist es. Schule und Anwählverhalten hat auch etwas mit dem Image einer Schule zu tun. So gesehen ist es absolut nicht in Ordnung und auch in jeder Hinsicht falsch, die Hauptschule als Rumpfschule, Restschule, Versagerschule oder was wir da alles gehört haben, zu diffamieren. Wenn wir damit alle miteinander aufhören würden - auch diejenigen, die im Lande schulpolitisch unterwegs sind -, dann wäre schon einiges gewonnen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Sigmar Gabriel [SPD]: Herr Buse- mann, wer macht das?)

- Eine ganze Menge Leute. Ich will Ihnen sagen, Herr Gabriel: Ich bin Herrn Clement, Ihrem Parteifreund und Bundeswirtschaftsminister - er war früher Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen -,

außerordentlich dankbar dafür, dass er sich in diesen Tagen ausdrücklich zu den Hauptschulen bekannt hat.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Karl-Heinz Klare [CDU]: Übrigens ge- gen die Gesamtschulen!)