Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Landesregierung widmet dem Bereich der sonderpädagogischen Förderung ihre besondere Aufmerksamkeit. Dies lässt sich durch folgende Fakten belegen: Wir haben die Unterrichtsversorgung auch in diesem Bereich deutlich verbessert. Im Vergleich zum Schuljahresbeginn 2002/2003 und damit zur Vorgängerregierung konnte bis zum Beginn des laufenden Schulhalbjahres die rechnerische Unterrichtsversorgung der Förderschulen um zwei Prozentpunkte verbessert werden.
Obgleich die Schülerzahlen um über 2 % zunahmen und damit der Lehrerbedarf weiter anstieg, wurden die Lehrerstunden im Umfang von rund 160 Stellen deutlich erhöht. Trotz des gravierenden Mangels an Förderschullehrkräften werden wir
bis zum Jahre 2007 sicherstellen, dass auch dort eine 100-prozentige Unterrichtsversorgung erreicht wird. In diesem Jahr werden die überproportionalen Bemühungen um die Förderschulen wieder einmal dadurch deutlich, dass rund 15 % der Anfang Mai ausgeschriebenen Stellen auf diese Schulform entfallen - 150 von rund 1 000 Ausschreibungen.
Wir haben darüber hinaus im letzten Schuljahr 52 Förderschullehrkräfte für die Einrichtung oder Ausweitung regionaler Konzepte zur Verfügung gestellt - so viel wie in keinem Jahr zuvor und fast doppelt so viele, wie die Vorgängerregierung geplant und nicht immer erreicht hatte. Wir legen in Kürze einen Grundsatzerlass zur sonderpädagogischen Förderung vor. Für sechs Förderschulformen wird es damit erstmals erlassliche Grundlagen geben. Dazu kommen eine bisher nicht vorhandene erlassliche Absicherung verschiedener Organisationsformen sonderpädagogischer Förderung sowie ihre zeitgemäße Ausrichtung.
Wir haben durch die letzte Schulgesetznovellierung die bisherige Bezeichnung „Sonderschule“ durch „Förderschule“ ersetzt, vor allem um das aus unserer Sicht Eigentliche dieser Schulform deutlich zu machen. Das Konzept und das Programm dieser Schulform heißt „Fördern“.
In Bezug auf Integrationsklassen in Gesamtschulen war eine Ergänzung des Erlasses zur Klassenbildung und Lehrerstundenzuweisung an den allgemein bildenden Schulen erforderlich. Künftig ist wie folgt zu verfahren - ich zitiere den einschlägigen Erlass -:
„Die Entscheidung über die Gesamtzahl der Schülerinnen und Schüler in Integrationsklassen trifft die Schulbehörde. Dabei sind insbesondere die Anzahl der Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf sowie dessen Art und Ausmaß zu berücksichtigen. Die Größe einer Integrationsklasse kann die durchschnittliche Klassenfrequenz des Schuljahrgangs um die Anzahl der integrativ zu unterrichtenden Schülerinnen und Schüler unterschreiten. Sollte dadurch in den anderen Klassen die Schülerhöchstzahl überschritten werden, kann die Kapazitätsgrenze im Umfang der Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogi
Die Klassenfrequenz von Integrationsklassen wird damit so verringert, dass den besonderen Anforderungen der Schülerinnen und Schüler entsprochen werden kann.
Die Dringliche Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erfordert eine grundsätzliche Aussage bezüglich der sonderpädagogischen Förderung. Es ist zu hoffen, dass die Fragesteller in diesem sensiblen Bereich der Schulpolitik zu einer sachbezogenen Auseinandersetzung zurückkehren. Ich halte es für unangebracht, einen schulpolitischen Streit gerade in diesem Bereich letztlich auf dem Rücken der Betroffenen auszutragen.
Wir alle sind doch, Frau Kollegin, an qualitativen Veränderungen der Verhältnisse gerade für Menschen mit Behinderungen und Benachteiligungen interessiert.
„Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf haben Anspruch auf eine ihren Fähigkeiten und Bedürfnissen angemessene Förderung. Maßstab aller schulpolitischen Entscheidungen muss das Kindeswohl sein.“
Diese Aussagen gelten selbstverständlich uneingeschränkt für die sonderpädagogische Förderung in unserem Lande.
Wir wollen und brauchen keine ideologisch ausgerichtete Diskussion. Wir brauchen in erster Linie angemessene Angebote für alle Kinder und Jugendlichen mit sonderpädagogischem Förderbedarf, wie immer auch diese individuell ausgeprägt ist. Für alle Förderschwerpunkte - Lernen, emotionale und soziale Entwicklung, körperliche und motorische Entwicklung, geistige Entwicklung, Sprache, Sehen und Hören - brauchen wir in allen
Regionen für alle Schulformen und auf allen Schulstufen gute und erreichbare Angebote der Förderung, Unterstützung und Hilfe.
Die erste Frage, die sich stellt, lautet: Welchen Förderbedarf hat dieses Kind oder dieser Jugendliche? Die zweite Frage lautet: Durch welche Maßnahmen kann oder muss diesem Bedarf entsprochen werden? Dann erst stellt sich die dritte Frage, die Frage nach dem Förderort: Wo kann diesem Bedarf entsprochen werden? Das ist die Frage nach den Alternativen: gemeinsamer Unterricht in der allgemeinen Schule oder Unterricht in der Förderschule. Hier ist grundsätzlich die Frage zu stellen und vorrangig zu beantworten: An welchem Förderort kann den besonderen Bedarfen eines Kindes oder Jugendlichen am besten entsprochen werden? Das schließt Überlegungen zu der umfassenden Entwicklungssituation des Kindes ebenso ein wie Überlegungen zu den Bedingungen der Lerngruppe, zu den Voraussetzungen der Lehrkräfte und zu den räumlichen und sächlichen Gegebenheiten und anderes mehr.
Keine Frage ist aber: Diese Landesregierung nimmt den Auftrag ernst, dass Kinder und Jugendliche mit sonderpädagogischem Förderbedarf gemeinsam mit anderen Kindern und Jugendlichen unterrichtet und erzogen werden sollen. Wir wollen immer mehr Schulen stärken und darin bestärken, sich der Aufgabe zu stellen, möglichst viele Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf aus ihrem Einzugsbereich angemessen zu fördern.
Wir lassen uns aber im Interesse der Kinder und Jugendlichen nicht den Blick dafür verstellen, dass die Förderschule der geeignete Förderort sein kann. In diesem Sinne werden wir das System der sonderpädagogischen Förderung weiterentwickeln. Ich spreche bewusst vom System der sonderpädagogischen Förderung, weil diese Förderung nicht mehr allein auf Förderschulen begrenzt ist.
Sonderpädagogische Förderung findet in allen Schulen und in unterschiedlichen Formen statt. Auch künftig soll es das breite Spektrum verschiedener Organisationsformen sonderpädagogischer Förderung geben. Neben den Förderschulen sind dies die mobilen Dienste einschließlich Sprachsonderunterricht und Zusammenarbeit von Grundschule und Förderschule sowie die sonderpädagogische Grundversorgung der Grundschulen, die
Kooperationsklassen und die Integrationsklassen. Integration findet nicht nur in den Integrationsklassen statt, sondern auch in anderen Formen sonderpädagogischer Förderung. Wir sollten ohnehin besser vom „Gemeinsamen Unterricht“ sprechen; denn die zieldifferente Förderung in Integrationsklassen bildet die Wirklichkeit nicht ab. Wir haben in allen Schulformen und auf allen Schulstufen Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf, die auch zielgleich im Gemeinsamen Unterricht gefördert, unterrichtet und erzogen werden.
Die Weiterentwicklung wollen wir erlasslich absichern und langfristig durch Ressourcen sicherstellen. Veränderungen hängen aber nicht nur von Ressourcen, sondern auch von Didaktik und Methodik sowie von Haltungen ab. Förderplanung im Rahmen der Dokumentation der individuellen Lernentwicklung, flexiblere didaktische Konzeptionen und Vernetzungen der Schulen mit dem Umfeld sind Bestandteile der inneren Reform unserer Schulen. Es sind Bausteine einer veränderten Praxis, welche die Tragfähigkeit der zuständigen Schule für möglichst viele Kinder erweitern soll.
Wir sollten uns darüber im Klaren sein: Integration kann nicht verordnet werden. Die Forderung, dass auch im Gemeinsamen Unterricht dem sonderpädagogischen Förderbedarf der Kinder und Jugendlichen entsprochen werden muss, erfordert sowohl ein stimmiges pädagogisches Konzept als auch die Kompetenz und Bereitschaft der Beteiligten. Wir alle können für mehr Akzeptanz werben und das Anliegen von Gemeinsamem Unterricht, Integration oder Teilhabe befördern.
Erstens. Durch die aufgezeigte Neuregelung und die damit verbundene Flexibilität für die Schulen ist sichergestellt, dass angemessene Rahmenbedingungen für Integrationsklassen auch an Gesamtschulen bestehen.
Zweitens. Die Landesregierung erwartet, dass auf der Grundlage gesicherter pädagogischer Konzepte die bewährte Arbeit der Integrationsklassen uneingeschränkt fortgeführt werden kann.
Drittens. Die Landesregierung wird durch die Regelungen des künftigen Grundsatzerlasses und im Rahmen der durch den Landeshaushalt zur Verfügung stehenden Mittel sowie der verfügbaren För
derschulkräfte den Gemeinsamen Unterricht in den Regionen des Landes im Gesamtzusammenhang der sonderpädagogischen Förderung verantwortungsbewusst ausweiten.
Meine Damen und Herren, ich habe es heute schon ein paar Mal gesagt: Es ist ziemlich laut, auch auf der Regierungsbank.
Herr Minister, das Bundesverfassungsgericht hat 1996 auf die Beschwerde der Eltern einer niedersächsischen Schülerin entschieden, dass Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf einen vorrangigen Anspruch auf Beschulung in einer Regelschule haben. Vor diesem Hintergrund frage ich Sie: Durch welche konkreten Maßnahmen wollen Sie sicherstellen, dass behinderte Kinder in der Regel und nicht nur in Ausnahmefällen gemeinsam mit nichtbehinderten Kindern beschult werden?
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie auch immer der künftige Erlass zur sonderpädagogischen Beschulung aussehen wird, wir werden selbstverständlich auch die verfassungsgerichtlichen Vorgaben dabei beachten. Aber ich meine, es ist durchaus ein Fortschritt, wenn wir für uns festlegen: Es muss jeweils der individuelle Förderbedarf festgestellt werden, um dann die Angebotspalette entsprechend vorzuhalten und zu sagen, dass dort die Integrationsklasse das Richtige ist, dort die Förderschule das Richtige oder eine andere der angebotenen Formen, sodass wir jedem Kind begabungsgerecht oder in bestimmten Fällen auch behindertengerecht gerecht werden können.
Herr Minister, Sie haben eben zu Recht festgestellt, dass Integration nicht nur in Integrationsklassen stattfindet. Bei uns vor Ort findet sie in Kooperation mit der Geistigbehindertenschule und anderen Schulformen statt. Doch auch diese Kooperationsklassen sind jetzt durch Ihren neuen Unterrichtsversorgungserlass gefährdet, weil es nämlich nicht mehr möglich ist, in den so genannten Partnerklassen die Anzahl der Schülerinnen und Schüler niedriger zu gestalten als in den „normalen“ Schulklassen. Nun können Sie sich sicherlich vorstellen, dass es nicht möglich ist, bei einer Klassenfrequenz von 28 noch zusätzlich z. B. sieben Kinder einer G-Klasse mit zu unterrichten.
Wollen Sie dafür sorgen, dass auch für die Partnerklasse die Zahl der Schülerinnen und Schüler kleiner sein kann, sodass eine sinnvolle Kooperation überhaupt noch stattfinden kann?
(Karl-Heinz Klare [CDU]: Frau Seeler, wir machen das nicht anders, als Sie es auch gemacht haben, nur ein biss- chen mehr Mittel!)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Seeler, ich habe vorhin deutlich gemacht, dass wir die Integrationsklassen ernst nehmen und dass wir, wenn man so will, die Regelungslücke für Gesamtschulen jetzt geschlossen haben, indem wir sagen, entsprechende Kinderzahlen können abgesenkt werden. Es wird dann zur Zufriedenheit der Schule geregelt werden.