Protocol of the Session on May 26, 2004

aufmerksam gemacht habe, hat er genauso wie eben im Plenum gleich Kompromissbereitschaft signalisiert. Ich freue mich darüber, weil das zeigt, dass wir wohl auch hier einen Kompromiss hinbekommen werden.

Ferner müssen wir noch einmal darüber nachdenken, ob alle betroffenen Organisationen im Stiftungsbeirat vertreten sind, die das gerne wollen. Uns hat zumindest die AvS, die Arbeitsgemeinschaft ehemals verfolgter Sozialdemokraten, gemeldet, dass auch sie Interesse an einer Mitarbeit hätte.

Ein weiterer Diskussionspunkt müssen meiner Ansicht nach die Ängste der privaten Träger von niedersächsischen Gedenkstätten sein. Diese Ängste sind auch in deren Stellungnahme zum Gesetzentwurf formuliert worden. Aus der Stellungnahme ist nämlich zu entnehmen, dass sie befürchten, dass ihre Arbeit in Zukunft möglicherweise nicht wie bisher unterstützt wird. Zu Recht weist die Interessensgemeinschaft niedersächsischer Gedenkstätten und Initiativen zur Erinnerung an die NS-Verbrechen auf ihre wichtige lokale und regionale Arbeit hin. Immerhin gibt es neben den beiden Gedenkstätten Bergen-Belsen und Wolfenbüttel mehr als 60 weitere Gedenkstätten und Erinnerungsinitiativen von ganz unterschiedlicher Größe. Sie sind es, die immer wieder für eine inhaltliche Auseinandersetzung vor Ort sorgen. Diese Initiativen haben gegen das Vergessen und Nichterinnern angekämpft. Sie haben Orte des Erinnerns geschaffen, Orte des Verbrechens aufgedeckt und durch ihre Arbeit immer wieder zum Nachdenken angeregt. Sie sind es, die oft mit kleinem Budget Großes leisten. Während der Ausschussberatungen sollten wir also überlegen, ob es nicht doch sinnvoll ist, sie im Gesetzestext namentlich zu nennen und den Gedenkstättenfonds zur Förderung regionaler Gedenkstättenarbeit abzusichern.

Probleme werden vor Ort auch bei der Aufnahme der Gedenkstätte Wolfenbüttel in die Stiftung gesehen, weil sie erstens innerhalb einer Justizvollzugsanstalt liegt und zweitens im Verhältnis zu Bergen-Belsen so viel kleiner ist. Die Stadt Wolfenbüttel hat deshalb eine andere, möglicherweise sinnvollere Lösung vorgeschlagen. Auch deren Argumente sollten wir im Ausschuss sehr sorgfältig prüfen.

Ein weiterer Diskussionspunkt ist der Sitz der Stiftung. Ist es wirklich sinnvoll, den Sitz der Stiftung nach Celle zu verlegen, obwohl dort weder eine

Gedenkstätte noch Büroräume, noch ein Archiv existieren. Dies führt meiner Ansicht nach nur zu unnötigen Miet- und Dienstfahrtkosten. Die Gelder könnten an anderer Stelle viel sinnvoller im Sinne des Stiftungszweckes ausgegeben werden. Ich könnte mir auch gut vorstellen, dass es mögliche Zustifter und Zustifterinnen oder auch Spenderinnen und Spender überzeugt, wenn sie vor Ort in Bergen-Belsen sehen können, wie sinnvoll ihr Geld eingesetzt werden kann.

Meine Damen und Herren, wir sind uns darüber einig, dass die Gründung einer „Stiftung niedersächsische Gedenkstätten“ richtig ist. Über die Ausgestaltung des entsprechenden Gesetzes gibt es noch Beratungsbedarf. Dies sollten wir in den zuständigen Ausschüssen auch tun. Denn eines ist mir wirklich wichtig: Die niedersächsischen Gedenkstätten müssen weiterhin einerseits Orte der Trauer und des Erinnerns, der Mahnung und des Gedenkens, andererseits aber auch des Lernens und des Begreifens sein. Sie müssen uns immer wieder ins Gedächtnis rufen, dass Hass nur Krieg und Tod bringt, Verstehen und Wissen aber Frieden, Toleranz und Zusammenarbeit ermöglichen. Ich danke Ihnen für das Zuhören.

(Beifall im ganzen Hause)

Danke schön, Frau Seeler. - Mir liegt eine Wortmeldung von Herrn Professor Dr. Zielke von der FDP-Fraktion vor. Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Erinnerung, individuelle persönliche Erinnerung an die Zeit des Nationalsozialismus wird unabwendbar immer seltener, gleich ob sie erlittenes Leid oder schuldhafte Verstrickung bedeutet. Was wir und was vor allem die Jüngeren unter uns über das Dritte Reich wissen, verdanken wir kaum noch dem eigenen Erleben oder dem direkten Kontakt zu Zeitzeugen, sondern wir sind verwiesen auf schriftliche Dokumente, Bild- und Tondokumente und deren Interpretationen durch Historiker und Medien. Umso wichtiger ist es, die bleibenden, nicht interpretierbaren Zeugnisse zu erhalten und zu pflegen - und das sind auch ganz entscheidend die Stätten des Terrors.

Die Erinnerung an die Orte nationalsozialistischer Verbrechen wach zu halten, sind wir aber nicht nur

uns selbst, unserer eigenen Geschichte in Diktatur und Demokratie schuldig, sondern mindestens genauso schuldig sind wir es den Opfern des Terrors, ihren Hinterbliebenen und Nachkommen. Diese Aufgabe, den Erhalt und die Pflege der Gedenkstätten, wollen wir als eine gesamtgesellschaftliche Pflicht etablieren und sichtbar machen. Eine Stiftung kann dies jenseits des politischen Tagesgeschäftes in idealer Weise leisten.

Wir folgen damit dem Beispiel anderer Bundesländer. Von meinen Vorrednern sind diverse Vorteile der Stiftungslösung genannt worden. Ebenso sind noch offenen Fragen der Beteiligung weiterer Gruppen von Opfern und der Einbindung kleiner Gedenkstätten neben Bergen-Belsen angesprochen worden. Deshalb möchte ich mich darauf beschränken, nur noch einmal das Ziel zu benennen, zu dem wir mit diesem Gesetz einen kleinen Beitrag leisten wollen. Menschenrechte und Toleranz, Freiheit und Demokratie müssen in unserer Gesellschaft unverrückbar verankert sein und bleiben, damit sich die Schrecken der Diktatur nie wiederholen können. - Danke.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Herzlichen Dank, Herr Professor Dr. Zielke. - Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe damit die Beratungen.

Wir kommen zur Ausschussüberweisung. Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, mit der federführenden Beratung des Gesetzentwurfs den Kultusausschuss zu befassen. Mitberatend tätig werden sollen die Ausschüsse für Rechts- und Verfassungsfragen sowie für Haushalt und Finanzen. Wer so beschließen möchte, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? Das ist nicht der Fall. Damit haben Sie so beschlossen.

Ich rufe jetzt auf

Tagesordnungspunkt 5: Erste Beratung: Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Niedersächsischen Gemeindeordnung und der Niedersächsischen Landkreisordnung Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 15/1028

Zur Einbringung des Gesetzentwurfs erteile ich das Wort dem Kollegen Meihsies von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Bitte schön!

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich will die Einbringung unseres Gesetzentwurfes zur Novellierung des § 22 b NGO und des § 17 NLO mit einem Zitat beginnen:

„Die Demokratie muss so umgebaut werden, dass sich der Bürger/die Bürgerin in ihr wieder findet.“

Das hat im Jahr 1986 Rudolf Wassermann, der ehemalige Präsident des Oberlandesgerichts Braunschweig, gesagt. Rudolf Wassermann legte bereits 1986 mit seinem Buch über die Zuschauerdemokratie den Finger in die offene Wunde der parlamentarischen Parteiendemokratie. Er forderte die Parteien nachdrücklich dazu auf, den Bürgerinnen mehr Mitwirkungsrechte einzuräumen, sie quasi von der Zuschauerbank zu holen und sie für eine aktive Teilnahme bei der Gestaltung ihres Gemeinwesens zu gewinnen.

Meine Damen und Herren, unsere Fraktion will mit diesem Gesetzentwurf den Menschen in Niedersachsen mehr Mitspracherechte einräumen und mehr Mitwirkungsrechte an die Hand geben. Wir legen mit diesem Gesetzentwurf den Grundstein für mehr direkte Demokratie in Niedersachsen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die zurzeit gültige Fassung der Niedersächsischen Gemeindeordnung und der Niedersächsischen Landkreisordnung ist Ausdruck einer unbegründeten Angst der Parteien vor dem mündigen Bürger in diesem Lande. Die damalige SPDLandesregierung hat hier mehr Demokratie verhindert als zugelassen. Das war schädlich.

Ein Blick nach Bayern verdeutlicht uns sehr anschaulich, mit welchen Restriktionen die aktuelle Gemeindeordnung z. B. im Hinblick auf Bürgerentscheide belegt ist. Ein kleiner Vergleich mit dem

Land Bayern. Dort wurden mit Bürgerentscheiden 233 Bauleitpläne von den Bürgern kritisch begutachtet. In Niedersachsen sind es drei. In Bayern wurden 246 Infrastrukturprojekte zum Gegenstand von Bürgerentscheiden, in Niedersachsen hingegen nur 43, also eine geringe Anzahl. In Bayern haben sich bei 241 Verkehrsprojekten Menschen engagiert, in Niedersachsen nur in 15 Fällen. Augenscheinlich haben wir in Deutschland eine Zweiklassendemokratie. Zum einen gibt es die demokratieerprobten Bayern, und zum anderen gibt es uns Niedersachsen, denen man anscheinend nicht zutraut, mit dem Instrument Bürgerbegehren verantwortungsvoll umzugehen.

Dieses Misstrauen ist gegenüber den Menschen in Niedersachsen nicht gerechtfertigt. Es gibt keine Gründe für dieses Misstrauen. Es wird Zeit, dass wir in Niedersachsen bayerische Verhältnisse einführen.

(Hans-Christian Biallas [CDU]: Aber dann überall! Dann überall! - Jörg Bo- de [FDP]: Das sieht Herr Lennartz aber ganz anders!)

- Bayerische Verhältnisse in Sachen Demokratie würden uns sehr gut zu Gesicht stehen, meine Damen und Herren. Da machen wir gern eine Anleihe bei den Bayern; denn was für Bayern gut ist, kann für Niedersachsen nicht schlecht sein.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich nun zu den Inhalten unseres Gesetzentwurfs kommen.

(Zurufe von der CDU)

- Herr Biallas, entspannen Sie sich. Sie bekommen gleich das Wort. - Welche Veränderungen streben wir mit unserem Gesetzentwurf an? - Herr Biallas, entspannen Sie sich. Ich weiß, dass dies ein Problem für Sie ist. Ich weiß, dass unser Gesetzentwurf Sie in sehr große Schwierigkeiten bringen wird. Darauf werde ich noch zurückkommen, meine Damen und Herren. - Welche Essentials haben wir nun in unseren Gesetzentwurf hineingeschrieben?

Wir entrümpeln die Ausschlusstatbestände in der jetzigen Fassung der NGO/NLO und lassen zukünftig Bürgerbegehren bei Maßnahmen zum Baugesetzbuch und Planfeststellungsverfahren zu. Das ist etwas, was in Bayern bereits gang und gäbe ist. Warum nicht auch bei uns?

Wir streichen den Kostendeckungsvorschlag ersatzlos. Auch in Bayern gibt es keinen Kostendeckungsvorschlag, der von den Bürgerinnen und Bürgern zu erbringen ist. Ich erinnere an ein aktuelles Bürgerbegehren in Salzgitter, bei dem es darum geht, ein Klinikum zu erhalten. Dort ist von den Bürgern eine Wirtschaftlichkeitsberechnung als Alternativvorschlag zum Verwaltungsvorschlag zu erbringen. So etwas ist für die Bürger aber unmöglich, weil sie nicht über den gleichen Datenstand und die gleichen Hintergrundinformationen verfügen wie die Verwaltung. Mit der geltenden Vorschrift wird das Ganze ad absurdum geführt.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, wir gleichen die für ein Bürgerbegehren nötigen Unterschriftenquoren an die Quoren in Bayern und Nordrhein-Westfalen an.

Schließlich verankern wir mit unserer neuen Fairnessklausel die Chancengleichheit zwischen der Informationspolitik von Verwaltung und den Initiatoren eines Bürgerbegehrens. Es geht um Chancengleichheit auch auf diesem Feld.

Herr Biallas, meine Damen und Herren, unsere Fraktion befindet sich mit diesen Vorschlägen in guter Gesellschaft. Niemand geringeres als Minister Stratmann, der normalerweise links auf der Bank sitzt, hat gleich lautende Forderungen im September letzten Jahres auf dem Kreisparteitag der CDU in Oldenburg formuliert. Die gleichen Vorschläge von einem CDU-Kollegen! Wir freuen uns über diese Vorschläge.

Meine Damen und Herren, mit dem vorliegenden Gesetzentwurf hat unsere Fraktion Ihnen von der CDU und auch von der FDP eine Steilvorlage für mehr direkte Demokratie in Niedersachsen geliefert. Schießen Sie den Ball ins Tor. Die Gewinner stehen bereits heute fest. Es sind die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land, die an den Entscheidungen beteiligt werden sollen. - Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Danke schön. - Frau Kollegin Modder von der SPD-Fraktion, bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Den Vorwurf des Kollegen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, die SPDFraktion habe hier mehr Demokratie verhindert, weise ich natürlich mit Empörung zurück.

(Beifall bei der SPD)

Ob wir darüber hinaus in Niedersachsen bayerische Verhältnisse wollen, lasse ich einmal so im Raum stehen.

(Beifall bei der SPD)

Mehr Demokratie wagen - so könnte die heutige Debatte über den von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung der Niedersächsischen Gemeindeordnung und der Niedersächsischen Landkreisordnung überschrieben werden. Die Frage ist nur: Wie viel mehr?

(Andreas Meihsies [GRÜNE]: Viel mehr!)

Meine Damen und Herren, die direkte Demokratie in Niedersachsen krankt an zu hohen Hürden. Das jedenfalls ist das Ergebnis eines VolksentscheidRankings des Fachverbandes „Mehr Demokratie“ Ein Vergleich der direktdemokratischen Verfahren der Länder und Gemeinden in Deutschland: Als einziges Bundesland erreicht Bayern die Note „Gut“. Niedersachsen findet sich im Mittelfeld mit einem „Ausreichend“ wieder.

Seit Anfang der 90er-Jahre ist die direkte Demokratie in den Bundesländern auf dem Vormarsch und heute in allen 16 Bundesländern verankert. Aber die direktdemokratischen Verfahren sind reformbedürftig. Bürger, die sich des Verfahrens bedienen, werden oft durch zu hohe Quoren und bürokratische Hindernisse ernüchtert. Der schweizerische Nationalrat Andreas Groß - ich betone ausdrücklich: schweizerischer - hat die Situation in Deutschland mit folgendem Vergleich kommentiert: