Protocol of the Session on March 11, 2004

Damit rufe ich auf die

Frage 7: Steigende Anmeldezahlen an den Gesamtschulen - ist der Elternwille der Landesregierung egal?

Frau Korter als Fragestellerin, bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bereits zum Schuljahr 2003/2004 war ein starker Anstieg der Anmeldungen zu den Gesamtschulen in Niedersachsen zu verzeichnen. Viele der Gesamtschulen mussten etwa die Hälfte, einige Gesamtschulen sogar bis zu zwei Drittel der angemeldeten Kinder abweisen.

Pressemeldungen zufolge zeichnet sich in diesem Jahr ein weiterer deutlicher Anstieg der Anmeldungen an den Gesamtschulen ab.

Ich frage die Landesregierung:

1. Wie viele Kinder wurden zum Schuljahr 2003/2004 an Gesamtschulen angemeldet, und wie viele davon mussten aus Kapazitätsgründen abgelehnt werden?

2. Welche Kenntnisse hat die Landesregierung über die Entwicklung der Anmeldezahlen an Gesamtschulen zum Schuljahr 2004/2005?

3. Wie will sie dafür sorgen, dass künftig der Wunsch einer steigenden Zahl von Eltern, dass ihr Kind an einer Gesamtschule unterrichtet wird, auch erfüllt werden kann?

Herzlichen Dank. - Für die Landesregierung Herr Minister Busemann, bitte!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Landesregierung und die sie tragenden Fraktionen der CDU und der FDP haben den Wählerauftrag erhalten, für mehr Bildungsqualität zu sorgen. Deshalb stärken sie das gegliederte, begabungs

gerechte Schulwesen und tragen verbesserte Bildungschancen durch Neugründung von Schulen und durch Außenstellenlösungen in die Fläche.

Neugründungen von Gesamtschulen hat der Gesetzgeber dagegen nicht zugelassen. Die bestehenden Gesamtschulen haben jedoch eine faire Chance für eine sowohl qualitative als auch organisatorische Weiterentwicklung erhalten. Dies bedeutet konkret, dass sich eine Gesamtschule bei nachgewiesenem Bedarf und ohne Gefährdung bestehender Schulen anderer Schulformen auch erweitern kann, z. B. wenn sie die nach der Verordnung zur Schulentwicklungsplanung mögliche Höchstzügigkeit im Sekundarbereich I bisher nicht ausgeschöpft hat. Ebenfalls möglich ist die Einrichtung einer gymnasialen Oberstufe oder einer Außenstelle, es sei denn, durch die räumlich getrennte Unterbringung würde die Höchstzügigkeit nach der Schulentwicklungsplanungsverordnung überschritten oder das Errichtungsverbot nach § 12 Abs. 1 Satz 3 des Niedersächsischen Schulgesetzes umgangen.

Die in der Neuen Presse vom 26. Februar 2004 wiedergegebene Aussage des Abgeordneten Meinhold, das Ministerium lasse für integrierte Gesamtschulen die Bildung von Außenstellen nicht zu, trifft nicht zu. Ebenso unzutreffend ist die Aussage der Leiterin des Fachbereichs Schule der Landeshauptsstadt Hannover: „Das Kultusministerium hat Außenstellen für Gesamtschulen ausgeschlossen.“ So die HAZ am 1. März 2004.

Was dagegen richtig ist, kann jeder in der Verordnung zur Schulentwicklungsplanung nachlesen. Dort wird in § 2 Abs. 3 über Außenstellen ausgesagt:

„Teile von Schulen können räumlich getrennt untergebracht werden (Au- ßenstellen), wenn

1. die Schulleitung und die Konferenzen ihre Aufgaben ordnungsgemäß erfüllen können,

2. der Unterricht so differenziert wie erforderlich erteilt werden kann und

3. es nicht zu unzumutbaren Schulwegen kommt.

Die Höchstzügigkeit nach § 3 bleibt unberührt.“

Und in § 2 Abs. 4 heißt es unzweideutig:

„Außenstellen von Gesamtschulen sind nicht zulässig, es sei denn, durch die räumlich getrennte Unterbringung wird die Höchstzügigkeit nach § 3 nicht überschritten und das Errichtungsverbot nach § 12 Abs. 1 Satz 3 NSchG wird nicht umgangen.“

Ja, so eindeutig ist das geregelt. Man hätte nur nachlesen müssen. Aber nun dürfte auch bei denjenigen rechtssicheres Wissen vorhanden sein, die bisher ohne hinreichende Sachkenntnis unzutreffende Aussagen gemacht haben. Vielmehr könnten die betroffenen Schulträger und Schulen mit den zulässigen organisatorischen Erweiterungen nach bisheriger Kenntnis dem Wunsch derjenigen Erziehungsberechtigten, die ihr Kind auf eine Gesamtschule schicken wollen, weitgehend entsprechen. Zum Schuljahresbeginn 2003/2004 betrug die Ablehnungsquote an den Kooperativen Gesamtschulen des Landes 7,6 % und an den Integrierten Gesamtschulen 33,8 % der Anmeldungen. Bei beiden Schulformen hätten rein rechnerisch jedoch alle Schülerinnen und Schüler aufgenommen werden können, wenn die nach der Verordnung zur Schulentwicklungsplanung mögliche Höchstzügigkeit je Schule ausgeschöpft worden wäre. Besonders an den Standorten, an denen Integrierte Gesamtschulen „der zweiten Generation“ errichtet worden sind, so z. B. in Hannover, wurden Anmeldungen abgelehnt, weil sich diese Gesamtschulen aus eigener Entscheidung auf eine geringere Zügigkeit als möglich beschränken.

Die Zahlen belegen: Der Grund, warum Eltern erfahren müssen, dass ihr an einer Gesamtschule angemeldetes Kind nicht aufgenommen wird, ist ganz wesentlich darin zu sehen, dass sich einige Gesamtschulen und Schulträger dazu entschieden haben, die jeweilige Gesamtschule deutlich unterhalb der möglichen Höchstzügigkeit zu führen. Wenn der Abgeordnete Meinhold in der HAZ vom 1. März 2004 und der schulpolitische Sprecher der hannoverschen Ratsfraktion in der Neuen Presse vom 26. Februar 2004 die Auffassung vertreten, dass die Stadt Hannover mit Außenstellen für Gesamtschulen ihr Schulträgerproblem lösen könnte, so ist ihnen beizupflichten.

Die Fragestellerin müsste ihre Fragen deshalb eigentlich an einige Gesamtschulen und deren Schulträger richten. Die Landesregierung jedenfalls ist der falsche Adressat.

Dies vorausgeschickt, beantworte ich namens der Landesregierung die Fragen im Einzelnen wie folgt:

Zu Frage 1: Zum Schuljahr 2003/2004 - Stichtag 1. August 2003 wurden an den Kooperativen Gesamtschulen des Landes 6 049 Schülerinnen und Schüler angemeldet, 462 abgelehnt und 5 587 aufgenommen. An den Integrierten Gesamtschulen des Landes wurden 5 825 Schülerinnen und Schüler angemeldet, 1 970 abgelehnt und 3 855 aufgenommen. Dieser Sachverhalt ist nicht neu, weil auch zu Zeiten der Vorgängerregierung nicht alle Anmeldewünsche an Gesamtschulen berücksichtigt wurden.

Zu Frage 2: Über die Entwicklung der Anmeldezahlen an Gesamtschulen zum Schuljahr 2004/2005 können zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine verlässlichen und gesicherten Angaben gemacht werden, weil ein förmliches Anmeldeverfahren bisher nur für die Integrierten Gesamtschulen durchgeführt worden ist, die endgültige Aufnahmeentscheidung aber auch an diesen Schulen erst bei Vorlage der entsprechenden Zeugnisse am Ende des laufenden Schuljahres erfolgen kann. Zum anderen sind für die Kooperativen Gesamtschulen wie für die übrigen allgemein bildenden Schulen bisher nur Trendmeldungen erhoben worden; die tatsächlichen Anmeldezahlen müssen also noch abgewartet werden. Aufgrund dieses Sachverhalts kann allenfalls eine vorläufige Aussage zu den Anmeldezahlen für die Integrierten Gesamtschulen gemacht werden. Dabei zeigt der Vergleich mit den Zahlen zum 1. August 2003 keine wesentlichen Unterschiede.

Für das Schuljahr 2004/2005 sind nach den vorläufigen Zahlen an den Integrierten Gesamtschulen bisher 5 892 Schülerinnen und Schüler angemeldet, 1 833 abgelehnt und 4 059 aufgenommen worden. Die Ablehnungsquote beträgt im Vergleich zum Schuljahr 2003/2004 31,1 % und ist damit sogar gesunken, denn im Vorjahr lag sie bei 33,8 %.

Zu Frage 3: Wie in den Vorbemerkungen ausgeführt, sieht die Landesregierung zurzeit keinen Handlungsbedarf, weil sie die entsprechenden rechtlichen Voraussetzungen geschaffen hat, wonach sich die bestehenden Gesamtschulen im Rahmen der Rechtsbestimmungen organisatorisch erweitern können.

Herzlichen Dank. - Die erste Zusatzfrage stellt Professor Lennartz. Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Minister, Wie erklärt sich die Landesregierung die stetig steigende Zahl von Anmeldungen oder Ankündigungen von Anmeldungen für das zukünftige Schuljahr?

Danke schön. - Herr Minister Busemann, bitte!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Lennartz, was sind Ankündigungen von Anmeldungen? Ein stetiges Ansteigen von Anmeldezahlen bei den Gesamtschulen kann ich statistisch nicht bestätigen. Ich habe Ihnen das Zahlenmaterial dazu soeben bekannt gegeben, das sich ungefähr auf dem Vorjahresniveau bewegt.

Hinsichtlich der Stadt Hannover geht es darum, dass die genehmigte Zügigkeit der Gesamtschulstandorte ausgeschöpft werden müsste, was die Schulträger und die Schulen selbst in der Hand haben. Dann gäbe es kein Abweisungsproblem.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Eine weitere Zusatzfrage stellt Frau Kollegin Heinen-Kljajić!

Wie will die Landesregierung in Zukunft sicherstellen, dass alle Kinder, die auf eine Gesamtschule gehen wollen, dies auch tun können, vor allen Dingen vor dem Hintergrund, dass es Landkreise gibt, in denen es noch kein Gesamtschulangebot gibt?

Für die Landesregierung antwortet Herr Minister Busemann!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Insbesondere mit dem Schulgesetz will die Landesregierung sicherstellen, dass wir Bildung auf möglichst hohem Niveau im ganzen Lande vorhalten und organisieren. Mit dem Schulgesetz sind klare Zielvorgaben nicht zuletzt unter Berücksichtigung des gegliederten Schulwesens für Niedersachsen gemacht worden. Wir haben dabei mit dem Schulgesetz auch festgelegt, dass wir die vorhandenen Gesamtschulstandorte aufrechterhalten und dass sie sich entwickeln können, aber dass weitere Gesamtschulstandorte nicht vorgesehen sind. Das ist mit dem Bildungsauftrag allemal vereinbar.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Die nächste Zusatzfrage: Frau Kollegin Steiner, bitte!

Herr Minister, Sie haben darauf hingewiesen, dass es für bestehende Gesamtschulen möglich sei, bei entsprechendem Bedarf neue Außenstellen einzurichten. Ich frage die Landesregierung: Aus welchen Gründen lehnt sie angesichts dieser Entwicklung und dieser Tatsachen die Neugründung von Gesamtschulen in derart dogmatischer Weise ab?

Danke schön! - Für die Landesregierung Herr Minister Busemann!

(Bernd Althusmann [CDU]: Sollen wir etwa ein gescheitertes Schulmodell fördern?)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin, die Frage habe ich eben schon beantwortet. Wir haben die Antwort mit der Formulierung des Anspruches an unser Bildungswesen in dem Schulgesetz gegeben. Wir haben gesagt: Keine neuen Gesamtschulen! Aber weil wir bei Gesamtschulen durchaus eine gewisse Entwicklungsmöglichkeit zulassen wollen, lassen wir - nach einer durchaus streitig geführten Debatte - für Gesamtschulen durchaus Außenstellenregelungen zu,

auch um Schulträger von Kosten zu entlasten. Wenn die Schulträger - insbesondere diejenigen, die ein starkes Gesamtschulangebot vorhalten die Möglichkeiten der Zügigkeit, aber auch die Möglichkeit der Außenstellen ausschöpfen, gibt es kein Problem. Überall im Lande haben wir eine gute schulformspezifische, aber auch schulstandortspezifische Versorgung mit Schulangeboten.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Dorothea Steiner [GRÜNE]: Also doch dogmatisch!)

Eine weitere Zusatzfrage: Frau Kollegin Korter, bitte!

Herr Minister, Sie haben als einziges Argument gegen die Einrichtung neuer Gesamtschulen - vor dem Hintergrund des steigenden Bedarfs, den wir auch in den Trendanmeldungen immer noch sehen vorgebracht, dass das Niedersächsische Schulgesetz dies nicht zulasse. Wieso ändern Sie dann nicht einfach das Schulgesetz?

(Bernd Althusmann [CDU]: Weil wir das nicht wollen! Wir sind das!)