Die sprachliche Brandbreite der letzten Monate und insbesondere der letzten Tage reicht von Chaos bis Desaster. Aber auf den Punkt brachte es die FAZ am 18. Februar in einem Kommentar: Skandal ist ein zu schwaches Wort. Es ist eine Staatsaffäre. – Mit der Kündigung des Betreibervertrages durch den Bund hat eine der gigantischsten Fehlinvestitionen in der Geschichte der Bundesrepublik ausgerechnet in dem vom Kanzler ausgerufenen Jahr der Innovation wohl den Tiefpunkt erreicht.
Deshalb, meine Damen und Herren, war es im Ergebnis leider nicht möglich, zu einem gemeinsamen Antrag zu kommen.
Wer von uns als Antragsteller erwartet, Herr Oppermann, auch noch die letzte Nuance, jeden Hauch von Kritik Richtung Bund, Richtung Kanzler und Richtung Minister Stolpe aus dem Antrag zu streichen, um zu einem gemeinsamen Antrag zu kommen, wer fast hinter jedem Komma einen versteckten Angriff auf die rot-grüne Bundesregierung erwartet, verkennt die Lage.
Wir können in einer Situation, in der unser Bundesland durch das politische Unvermögen Schaden nimmt, keinen Kuschel- oder Streichelantrag verabschieden, weil die Oppositionsfraktionen nicht den Mut haben, hier deutlich niedersächsische Interessen kontra Bund zu vertreten.
Deshalb haben wir, liebe Kolleginnen und Kollegen, diese unerträgliche „Weichmacherlösung“ abgelehnt. Ein Stück mehr Bekennermut hätte ich eigentlich auch den Oppositionsfraktionen zugetraut.
Ich erinnere auch an 1998 und die Zeit davor, in der wir als damalige Opposition durchaus in vielen Fällen klare Signale Richtung Bonn und Berlin gegeben haben, weil das auch von uns damals gefordert wurde.
Es ist wahrlich - das betone ich ausdrücklich - kein Ruhmesblatt für die beteiligten Unternehmen, was hier in Sachen Maut-Einführung abgelaufen ist.
Aber losgelöst von den technischen Problemen gibt es eine politische Verantwortung. Es muss auch eine politische Verantwortung für dieses Desaster geben. Diese politische Blamage hat eindeutig die Bundesregierung zu verantworten. RotGrün ist von vornherein dilettantisch mit dem MautProjekt umgegangen - angefangen von einem unglaublich schlecht ausgehandelten Vertrag über die mangelhafte, unprofessionelle Begleitung des Projekts, fehlendes Controlling, die vorzeitige Kündigung der Euro-Vignette, die voreilige Verplanung der zu erwartenden Einnahmen für den Bundeshaushalt bis hin zum Unvermögen, mit den Partnern der Industrie im Nachhinein eine Verbesserung der Konditionen zu verhandeln. All das summiert sich zum Bild der politischen Schwächen und Unfähigkeit.
Meine Damen und Herren, die Kündigungsanzeige lässt ja die Möglichkeit der Nachbesserung offen. Aber ich persönlich habe größte Zweifel, ob dieser x-te Anlauf überhaupt noch den Rest einer Chance hat.
Für die Finanzierung der Verkehrswege ist durch das Maut-Desaster auch hier in Niedersachsen wirklich der Chaosfall eingetreten. Im Jahr der EUOsterweiterung fehlen 3 Milliarden Euro. Insgesamt entsteht durch das Maut-Chaos ein Schaden von bis zu 6,5 Milliarden Euro.
(Thomas Oppermann [SPD]: Be- zeichnen Sie doch mal das Jahr! Wel- che Baustelle ist denn geschlossen worden?)
Das ist keine Zahl von mir, Herr Oppermann. Diese Zahl wird von der Bundesregierung genannt und macht die Dimension dieses Schadens deutlich.
Niedersachsen gehen durch das konzeptionslose Handeln der Bundesregierung jährlich etwa 110 Millionen Euro für geplante Bauvorhaben verloren. Hierdurch sind viele Projekte aus dem AntiStau-Programm und auch Ortsumgehungen betroffen. Wir alle kennen die Maßnahmen; Minister Hirche wird sie vielleicht noch einmal im Einzelnen vortragen.
Wir können nicht länger akzeptieren, dass dem Wirtschaftsstandort Niedersachsen durch das zögerliche Handeln von Verkehrsminister Stolpe und Bundeskanzler Schröder Schaden zugefügt wird.
Die niedersächsische Bauwirtschaft nimmt erneut schweren Schaden. Viele Betriebe werden diese neue Durststrecke nicht überstehen. Für den Bereich der Schiene verkündet Herr Mehdorn ein weiteres Streichkonzert sowie eine Warteschleife für viele auch für Niedersachsen bedeutsame Projekte.
Aber ich will Ihnen auch nicht verschweigen, welch großer anderer volkswirtschaftlicher Schaden durch millionenschwere Fehlinvestitionen entstanden ist. Nachdem über Monate hinweg nicht genug On-Board-Units geliefert werden konnten und diese dann auch noch meist defekt waren, können die Speditionen ihre Investitionen, die vielen in der ohnehin kränkelnden Branche unglaublich schwer gefallen sind, jetzt in den Schornstein schreiben. Ich habe den Eindruck, dass die Bundesregierung dies bagatellisiert und auch totschweigt.
Und was ist mit den ca. 800 Mitarbeitern, die extra für das Maut-System eingestellt worden sind und jetzt in hohem Maße Personalkosten verursachen? All das muss in der Summe mit als Schaden gewertet werden.
Es ist summa summarum das, Herr Oppermann, was in der HAZ als Headline stand: „Ein Tiefpunkt deutscher Regierungskunst“.
Wir in Niedersachsen können das aus unserer Interessenlage nicht akzeptieren. Wir wollen - das ist die Kernforderung - umgehend ein Konzept sehen, wie der Bund die Maut-Ausfälle ausgleichen will. Das ist das, was wir so bald wie möglich auf dem Tisch haben wollen.
Wenn all das, was hier politisch kumuliert, was an Maut-Chaos, Dilettantismus, Blauäugigkeit, Ignoranz und Fehleinschätzung zusammengekommen ist, auch noch ohne personelle Konsequenzen bleibt, dann verstehen die Bürger im Lande die Welt nicht mehr. Der Bundesverkehrswegeplan wird zum Münchhausen-Programm, Niedersachsen läuft Gefahr, mit Bauruinen die Weltmeisterschaft 2006 zu begrüßen, und für Speditionen und die Baubranche ist dies ein weiterer Tiefschlag, der das Aus für viele Mittelständler bedeutet. Das ist die zusätzliche Tragödie dieses Skandals.
Meine Damen und Herren, im Ausland - das ist für mich völlig inakzeptabel - wird Werbung dafür gemacht, dass man in Deutschland und damit auch in Niedersachsen gebührenfrei über die Autobahnen fahren und damit auch die Autobahnen kaputt fahren kann. Das spottet jeder Beschreibung.
Unsere Aufgabe ist es, Schaden von Niedersachsen abzuwenden. Deshalb stellen wir klare und berechtigte Forderungen an den Bund. Ich bedauere - ich sage das noch einmal -, dass den Oppositionsfraktionen dazu wahrscheinlich der Mut fehlt.
Aber ich kann und will auch nicht akzeptieren, dass diese gigantische politische Bauchlandung mit einem finanziellen Schaden, der alle Vorstellungen sprengt, im Bund als Bagatelle, als Petitesse, als Betriebsunfall gewertet wird. Wir hatten in Deutschland einen Bundeswirtschaftsminister, meine Damen und Herren, der wegen Einkaufs
Deshalb, Herr Oppermann, brauchen Sie als SPD und Grüne Herrn Minister Stolpe nach dieser Schadensdimension eigentlich gar nicht mehr zu verteidigen. Ich bin davon überzeugt, für ihn wird sich nach einer Schamfrist ein Menschheitstraum verwirklichen: Er wird fliegen.
Meine Damen und Herren, Sie brauchen sich als SPD auch überhaupt nicht mehr schützend vor die Politik der rot-grünen Bundesregierung zu stellen. Sie kennen doch den Spruch: Wo nichts mehr ist, hat der Kaiser sein Recht verloren. Also: Kuschelkurs aufgeben, klare Kante und Profil zeigen, niedersächsische Interessen vertreten. Das ist das Gebot der Stunde, auch für Sie.
Ich mache zum Ende der Plenarwoche einen Vorschlag, meine Damen und Herren, auch an Ihren „virtuellen Fraktionsvorsitzenden“, der ja nicht da ist.
„Waterloo für die SPD“, das ist das neue Konto. Ich kann Ihnen nur empfehlen: Buchen Sie auch das Maut-Thema noch auf das Konto. In dieser Woche ist auf diesem Konto bei Ihnen ohnehin einiges aufgelaufen. - Herzlichen Dank.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Heute diskutieren wir erneut das Maut-Desaster der Regierung Schröder, Stolpe, Trittin und andere.
Die Suche nach den Verantwortlichen erscheint dem einen oder anderen als müßig, zumal die Folgen, die ausführlich beschrieben wurden und wahrscheinlich auch noch beschrieben werden, von uns allen gemeinsam getragen werden müssen.