Protocol of the Session on January 22, 2004

Es ist die Aufgabe des Landes Niedersachsen, seine 8 Millionen Bürgerinnen und Bürger vor Straftaten zu schützen.

(Beifall bei der CDU)

Noch einmal zum Mitschreiben: 8 Millionen Niedersachsen und 770 betroffene Personen gemäß §§ 100 a und b StPO. Das sind 0,1 Promille, nicht Prozent. Da behaupte noch einer, es werde abgehört wie wild.

Aber zurück zu den Straftaten. In welchen Bereichen wird denn überwacht? - Auch das möchte ich Ihnen gerne mitteilen, weil Frau Bockmann es vorhin ausgelassen hatte.

(Heike Bockmann [SPD]: Weil das nicht dazugehört! Das ist nicht Inhalt des Antrags!)

Die fünf am meisten betroffenen Straftaten sind: Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz, Raub oder räuberische Erpressung, Straftaten nach dem Ausländer-/Asylgesetz, schwerer Menschenhandel sowie Mord, Totschlag, Völkermord und Bandendiebstahl. Ich weiß, ich wiederhole mich, aber ich sage es noch einmal: Es geht hier nicht um Spaß, sondern es geht darum, unsere Bürgerinnen und Bürger vor Straftaten zu schützen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Wittich Schobert [CDU]: Sehr richtig! - Heike Bockmann [SPD]: Dann ist wohl das Thema verfehlt?)

Die Anklagequote bei Verfahren, bei denen eine Überwachung eingesetzt wird, beträgt 58 %. Das ist doppelt so viel wie sonst im Durchschnitt. Die Verurteilungsquote liegt sogar bei 94 %. Ich möchte die Zahlen nicht kommentieren, aber ich meine, sie sprechen für sich.

Frau Bockmann, ich habe überhaupt kein Verständnis für Ihre Forderung, Straftaten aus dem Straftatenkatalog zu streichen, die bisher selten oder noch nie Gegenstand einer Maßnahme waren. Man stelle sich das einmal vor: Nur weil Hehlerei, Geld- oder Wertpapierfälschung oder Delikte nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz als Straftaten im Zusammenhang mit Überwachung des Telefons selten vorkommen, möchten Sie erreichen, dass in diesen Fällen nicht mehr überwacht werden darf. Ich finde das schlimm.

(Heike Bockmann [SPD]: Nein! Nie- mand behauptet das!)

Mit Ihrem Antrag würden Sie erreichen, dass eine Einstellung auch in folgenden Bereichen passieren würde: bei schwerem sexuellen Missbrauch und bei der Verbreitung pornografischer Schriften.

Meine sehr geehrten Damen und Herren von der SPD-Fraktion, machen Sie ruhig weiter so. Packen Sie eine rote Schleife um Ihre Forderungen, und laden Sie Verbrecher nach Niedersachsen getreu dem Motto ein: Was nicht ist, kann ja noch werden.

(Klaus-Peter Bachmann [SPD]: Un- verschämt!)

Nein, meine Damen und Herren von der SPDFraktion, so geht das nicht. Die Bürgerinnen und Bürger in Niedersachsen wollen das auch nicht.

(Beifall bei der CDU)

Dann ist da noch Ihre Forderung nach Erstellung eines jährlichen detaillierten Berichtes, in dem Sie die Anzahl, den Anlass, die Dauer, den Verlauf, die Ergebnisse, die Anzahl und die Kosten aller in Niedersachsen angeordneten Maßnahmen genau wissen möchten. Dem können wir nicht zustimmen. Ich frage Sie: Wer soll diesen Bericht erstellen, wer zahlt die Kosten, und wem nützt die Angelegenheit? - Schon heute werden die notwendigen Daten erfasst und über das Bundesjustizministerium zur Verfügung gestellt. Wir halten das Verfahren für völlig ausreichend.

(Beifall bei der CDU)

Ihr Forderung kostet Geld, das wir nicht haben, bringt Daten, die niemand braucht und beschäftigt unnötig Staatsanwälte, die ja die Aufgabe haben, Straftäter hinter Schloss und Riegel zu bringen.

(Ursula Körtner [CDU]: Richtig!)

Ich bin mir sicher, dass die Schwächen, die im Rahmen des Gutachtens des Max-Planck-Instituts ausgemacht worden sind, von den zuständigen Ebenen ausgeräumt werden. Lassen Sie das unsere Ministerin machen. Dazu müssen wir die Landesregierung nicht auffordern, sie macht das auch von alleine.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, das ist heute im Parlament die abschließende Beratung zu diesem Antrag. Wir haben uns am 5. Dezember 2003 im Ausschuss für Rechts- und Verfassungsfragen ausgiebig mit diesem Antrag beschäftigt. Wir haben ihn angemessen beraten. Wir haben über ihn abgestimmt und das getan, was mit solchen Anträgen zu tun ist: Wir haben ihn abgelehnt.

Ein altes Sprichwort sagt: Nichts ist so gut, dass man es nicht noch verbessern könnte. Das stimmt. Folglich müssen aber auch Anträge das Ziel vor Augen haben, ein Gesetz besser zu machen.

(Heike Bockmann [SPD]: Dazu muss man es aber erst einmal verstehen!)

Dazu kann nach unserer Auffassung der vorliegende Antrag keinen Beitrag leisten. Schade um die Arbeit und schade um das Papier.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Der nächste Redner ist Herr Carsten Lehmann.

(Zurufe von der SPD: Freiheit!)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Bockmann, die von Ihnen angesprochene scheinbare Problematik, dass wir auf Ebene der FDP-Landtagsfraktion eine andere Linie fahren als die FDP-Bundestagsfraktion, haben wir auch schon im Ausschuss angesprochen. Auch die SPD-Landtagsfraktion in Rheinland-Pfalz hat andere Vorstellungen als Sie in Niedersachsen.

(Heike Bockmann [SPD]: Aber nicht hierzu!)

Sie haben gesagt: Na ja, auch wir machen nicht immer das, was die anderen machen. - Genauso ist es auch bei uns. Wir bilden uns unsere eigene

Meinung. Wir haben eben eine andere Vorstellung, wie man in diesem Fall mit der Telefonüberwachung umgehen kann bzw. ob es notwendig ist, hier direkt schon Regelungen vorzunehmen oder weitergehende Regelungen zu schaffen.

Dankenswerterweise hat der Kollege Bäumer bereits auf einige Sachen hingewiesen, die ich mir somit ersparen kann. Ich kann Ihnen jedoch nicht ersparen, darauf hinzuweisen, wie sich die SPDFraktion verhält, wenn es um das Thema Telefonüberwachung und Wahrung der Grundrechte geht. Sie tun so, als wenn Sie noch die einzigen Bewahrer wären. Sie haben den Finger jetzt genau in die Wunde gelegt, und Sie werden jetzt genau sagen, wie es richtig zu funktionieren hat.

Ich möchte das gerne einmal ins rechte Licht rücken, und zwar anhand dessen, was Sie an Verhalten auf Bundes- und Landesebene im Gegensatz zu dem, was Sie in Ihrem Antrag - man muss sagen: im abgeschriebenen Antrag - formuliert haben, in der Vergangenheit schon an den Tag gelegt haben.

Ich erinnere an den großen Lauschangriff, der seinerzeit im Bundestag mit den Stimmen der SPDOpposition beschlossen wurde, bei dem wir als FDP sehr große Bauchschmerzen gehabt haben, mit der Konsequenz, dass die damalige FDPBundesjustizministerin Frau Leuthäuser-Schnarrenberger sogar zurückgetreten ist. Das macht deutlich, wie schwer wir uns mit dem Thema Eingriff in die Privatsphäre der Bürgerinnen und Bürger tun, weil nämlich die individuellen Freiheitsrechte des Einzelnen ein urliberales Credo insgesamt sind. Dieses Selbstverständnis durchzieht unsere Innen- und Rechtspolitik sowohl im Bund als auch im Land. Insofern brauchen wir von Ihnen keine Belehrung.

Neben diesem Credo gab und gibt es gute Argumente, die dafür sprechen, dass als ultima ratio - solch eine ist sie - nach einem mit höchsten rechtsstaatlichen Hürden versehenen Verfahren der Staat in Form der Telekommunikationsüberwachung in die Bürgerrechte eingreifen darf. Das hat im Übrigen die Bundestagsfraktion der SPD ebenso gewürdigt wie offensichtlich auch Sie. In Ihrem Begründungsantrag heißt es ja, dass die Telekommunikationsüberwachung zu einem unentbehrlichen Instrument zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität geworden ist. Das heißt, es ist völlig unstreitig, dass wir das Instrument auf jeden Fall brauchen. Dem kann man nur zustimmen. Hier

ist auch die Begründung dafür zu sehen, weshalb sich unsere Fraktion nach einem ganz schwierigen Abwägungsprozess dafür entschieden hat, im neuen SOG die präventive Telefonüberwachung befristet zuzulassen. Das heißt, auch hier versuchen wir sehr strenge Anforderungen zu stellen. Das haben wir aber auch in den vorangegangenen Diskussionen deutlich gemacht.

Eine veränderte Welt erfordert auch eine Neubewertung bestehender Positionen. Insofern kann man durchaus auch einmal abweichende Meinungen haben. Das brauche ich Ihnen nicht näher darzulegen.

Im Gegensatz zur SPD-Fraktion ist die Koalition aus CDU und FDP allerdings handlungs- und entschlussfähig. Ich darf Ihnen ganz kurz einige Sündenfälle aus Ihrer Zeit vorstellen: die Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung - Schily I und II -, die Sie auch mit Unterstützung der Grünen beschlossen haben, mit der ausdrücklichen Auskunftseinholungsmöglichkeit von Banken, Luftfahrtund Transportunternehmen, Telekommunikationsdienstleistern. Und ich erinnere an Beschlüsse aus Ihrer Regierungszeit im Landtag wie Einführung des Lauschangriffes, Ausdehnung des Unterbindungsgewahrsams von 48 Stunden auf vier Tage, Einführung des präventiven Ermittlers, Einführung der Rasterfahndung, Ausweitung der Möglichkeiten für Videoüberwachung.

(Heike Bockmann [SPD]: So wie sie im Gesetz stehen!)

Wer dann sagt, dass wir eigentlich Telefonüberwachung brauchen, aber jetzt müssten wir noch ganz andere rechtsstaatliche Hürden aufstellen, der geht an der Realität vorbei. Was wir brauchen, ist eine genaue Anweisung und eine genaue Kontrolle, um insofern auch der Justiz zu sagen: Ihr müsst das Recht genau so anwenden, wie es vorgeschrieben ist. - Wir müssen deshalb aber keine neuen Regelungen haben. Auch hierzu hat die Frau Ministerin sowohl im Ausschuss als auch in ihrem letzten Redebeitrag dargelegt, dass wir hier klare rechtsstaatliche Vorgehensweisen brauchen. Das wird in Zukunft gewährleistet werden. Wir als FDP-Fraktion haben daran keinen Zweifel. Deshalb werden wir Ihren Antrag ablehnen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Als Nächster hat Herr Ralf Briese das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundestags-FDP hat einen schönen Antrag geschrieben. Viel Vernünftiges, viel Richtiges steht darin. Leider will die mutige FDP in Niedersachsen nichts davon wissen. Wir haben aber in letzter Zeit schon gemerkt: Die Liberalen in Niedersachsen haben ein ganz besonderes liberales Verständnis.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der FDP)

In der Bundesrepublik wird mittlerweile häufiger abgehört als je zuvor. CDU und FDP sei Dank: In Niedersachsen wird das bald noch häufiger der Fall sein.

Verfassungsrechtler bezeichnen das Grundrecht des Fernmeldegeheimnisses mittlerweile als Totalverlust. Es ist in der Bundesrepublik nicht nur die Polizei, die anzapft und belauscht und dabei häufig eben nicht verfahrensrechtliche Grundsätze beachtet, sondern es sind auch jede Menge andere Institutionen, die die Bürger ausspionieren. Der Verfassungsschutz, gerne als teuerste Dilettantentruppe der Republik verspottet, soll weiterhin in Niedersachsen mitlauschen. Die Befugnisse werden ausgeweitet. Wohnungseinbruch bei Unschuldigen wird von dieser Regierung legalisiert.

Meine Damen und Herren, wenn es nach den Sicherheitsfreaks und Angstneurotikern geht, soll zukünftig jeder und jede präventiv abgehört werden. Es reicht nicht mehr ein konkreter Anfangsverdacht, nein, auch schon der Verdacht auf einen möglichen Verdacht soll ausreichen. Kenner des Grundgesetzes erinnern sich: Nicht nur das Fernmeldegeheimnis ist dort als Grundrecht apostrophiert, auch die Unverletzlichkeit der Wohnung galt einmal als sakrosankt.

Meine Damen und Herren, die Telekommunikationsüberwachung kann ein sinnvolles und hilfreiches Instrument bei der Aufklärung von Verbrechen sein. Niemand stellt das grundsätzlich in Frage. Aber es kann eben nicht sein, dass sich die Staatsorgane zur Verbrechensaufklärung nicht an das Gesetz und an die Verfahrensgrundsätze halten. Es muss doch erschrecken, wie lax und leichtfertig Abhöraktionen angefordert und abgesegnet werden und wie selten eine Maßnahme abgelehnt wird; ganz zu schweigen davon, dass die Betroffenen nach einer Abhörmaßnahme nicht informiert werden, wie es das Gesetz eigentlich

vorsieht. Es war nicht richtig, was der Kollege der CDU-Fraktion eben gesagt hat. Es findet eine eklatante Missachtung der Verfahrensgrundsätze in diesem Bereich statt. Es ist eben auch nicht so, dass vermeintlich unbescholtene Bürger nichts zu befürchten haben. Auch Wohlanständige und damit womöglich auch ihre illegalen Putzfrauen können ins Visier geraten.

(Dr. Philipp Rösler [FDP]: Das wolltet ihr doch!)