Protocol of the Session on January 22, 2004

(Dr. Philipp Rösler [FDP]: Das wolltet ihr doch!)

- Zuhören, zuhören! - Der BGH hat in der letzten Woche einem Landwirt Recht gegeben, dessen Hof monatelang von der Polizei zu Unrecht überwacht und abgehört wurde. Diese Familie hat das Vertrauen in den Staat völlig verloren.

(Dr. Philipp Rösler [FDP]: Kurz vorher entlassen!)

Meine Damen und Herren, die Privatsphäre, das Rückzugsgebiet des Bürgers vor den forschenden Blicken anderer, geht zunehmend verloren. Der Schutz der Privatsphäre gehört aber zu den Strukturbedingungen einer funktionierenden Demokratie - nicht weniger als die Presse- und Meinungsfreiheit.

(Beifall bei den GRÜNEN - Zustim- mung von Heike Bockmann [SPD])

In jedem Plenum tönt die FDP-Fraktion von Freiheit. Wie hieß es in Ihrer Antrittsrede? - Wir werden den Menschen die Freiheit wiedergeben. Das Einzige, was Sie ihnen bis jetzt gegeben haben, sind angezapfte Telefone und verwanzte Wohnungen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Es ist daher löblich von der SPD-Fraktion, diesen Antrag eingebracht zu haben. Er macht auf wichtige Dinge aufmerksam. Er stellt richtige Forderungen, die unsere Unterstützung finden: mehr Kontrolle bei den Abhörmaßnahmen, erweiterte richterliche Befugnisse, stärkere Wirkungskontrollen. Es ist daher sehr bedauerlich, dass die FDPFraktion dem Antrag nicht zustimmen kann. Mutig war das allemal nicht. - Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Das Wort hat jetzt der Minister Möllring.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe mir eben noch einmal den § 100 a StPO durchgelesen. Mich hat jemand gefragt: Warum machst du denn das? - Ich habe geantwortet: Wenn ich zu dem Thema rede, dann ist es immer ganz klug, wenn man sich vorher einmal mit der Materie befasst hat.

(Zustimmung bei der SPD)

Als ich eben den Kollegen von der Fraktion der Grünen hörte, dachte ich: Wie richtig ist es, wenn man einmal ins Gesetz schaut, bevor man zum § 100 a StPO redet.

(Beifall bei der CDU)

Es war hanebüchen, was Sie dazu gesagt haben.

(Zuruf von den Grünen: Alles richtig!)

- Nein, darin waren nicht nur keine Rechtskenntnisse enthalten, das war schlichtweg falsch!

Ich freue mich aber, dass auch die Ansicht der SPD-Fraktion inzwischen die ist, dass die Überwachung des Fernmeldeverkehrs zu einem unentbehrlichen Instrument der Kriminalitätsbekämpfung geworden ist. Gestern bei dem Verfassungsschutzthema haben Sie sogar Beschwerde geführt, dass sie gar nicht ausreichend genug eingesetzt wird.

Im Übrigen möchte ich wie folgt Stellung nehmen: Die Bundesratsinitiative lehnen wir ab, weil sie überflüssig ist. Dies gilt insbesondere hinsichtlich Ihrer Forderung, den Straftatenkatalog des § 100 a StPO zu reduzieren. Ich halte es für völlig falsch, daraus, dass einzelne Straftatbestände bisher noch nicht Gegenstand einer Überwachungsmaßnahme waren, zu schließen, dass diese Straftatbestände im Katalog des § 100 a StPO überflüssig sind. Dies wird besonders deutlich, wenn man genau betrachtet, um welche Straftatbestände es sich dabei handelt.

(Heike Bockmann [SPD]: Beihilfe zur Fahnenflucht!)

Das sind nämlich Straftaten gegen die Landesverteidigung, Anstiftung oder Beihilfe zur Fahnenflucht. Da geht es nicht darum, dass eine Freundin einen Soldat einmal bei sich übernachten lässt, damit er nicht in die Kaserne zurück gehen muss, sondern, Frau Kollegin - auch das hätten Sie bei

einem Blick in das Gesetz feststellen können -, es geht um den nachhaltigen Versuch,

(Heike Bockmann [SPD]: „Nachhaltig“ steht aber nicht im Gesetz!)

die Bundeswehr zu schwächen, indem jemand zur massenhaften Fahnenflucht aufruft. Dass das in Deutschland nicht stattfindet, ist ja gut. Deshalb braucht auch keine Überwachung vorgenommen zu werden.

Das Gleiche gilt für die Anstiftung zu militärischem Ungehorsam und für Straftaten gegen NatoTruppen. Wir sollten doch dankbar sein, dass so etwas bei uns nicht vorkommt und dass wir deshalb dort keine Gefahrenabwehr machen müssen. Aber wir müssen doch die Möglichkeit haben, dagegen vorzugehen, wenn so etwas geplant wird. Ihrer Logik folgend, Frau Kollegin, könnte man z. B. aus dem StGB auch den Straftatbestand der Vorbereitung eines Angriffskrieges streichen, weil das noch nie vorgekommen ist. Trotzdem muss es doch verboten sein.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Das gilt ferner auch für das Herbeiführen von Kernexplosionen. Das ist auch noch nicht vorgekommen, seitdem es die Bundesrepublik gibt. Aber es ist doch gut, dass es verboten ist und dass man es eben nicht erlaubt.

Auch hinsichtlich Ihrer Forderung, den Richtervorbehalt zu stärken, ist eine Bundesratsinitiative entbehrlich. Natürlich ist es richtig, dass im Gutachten des Max-Planck-Instituts darauf hingewiesen wird, dass ein großer Teil der Anträge auf Telefonüberwachung vom Gericht unverändert übernommen worden ist. Richtig ist dabei aber doch auch, dass die Prüfung vorher so konkret stattgefunden hat, dass sie übernommen werden konnten. Der Kollege Bäumer hat eben darauf hingewiesen: Wenn in Niedersachsen im gesamten Jahr lediglich 700 Überwachungsfälle in etwa 400 Verfahren zu verzeichnen sind, dann sehen Sie doch, wie zurückhaltend damit umgegangen wird und dass eben nicht massenhaft überwacht wird. Wenn von 8 Millionen Niedersachsen 700 Leute überwacht werden, ist das wirklich nicht viel. Prozentual sinkt die Zahl sogar noch, weil inzwischen jeder über einen bis zwei Telefonanschlüsse verfügt. Deshalb sagen wir: Frau Zypries hat Recht, wenn sie sagt, es sei ein Vorurteil, dass Deutschland Weltmeister im Abhören sei. Genau das Gegenteil ist der Fall. Es wird sehr behutsam eingesetzt.

Ich will nicht leugnen, dass die Ergebnisse des Gutachtens durchaus Anlass zum Nachdenken darüber geben, ob der Richtervorbehalt anders ausgestaltet werden soll. Die Bundesjustizministerin Frau Zypries hat die Große Strafrechtskommission des Deutschen Richterbundes gebeten, ein Gutachten zu erstellen. Die Große Strafrechtskommission hat inzwischen getagt. Aber das BMJ, d. h. Frau Zypries, gibt den Länderkollegen, also den Justizministerinnen und den Justizministern, dieses Ergebnis noch nicht. Das heißt, das BMJ sitzt noch auf diesem Gutachten. Wir brauchen gar keine Bundesratsinitiative. Viel besser wäre es, Sie würden Ihrer Parteikollegin Frau Zypries sagen, sie solle das Gutachten an die 16 Länder herausgeben, und dann kann man gemeinsam sehen, was man dort weiter machen kann.

Dann zu der Berichtspflicht. Natürlich wird genau festgehalten, welche Überwachung in welcher Zeit und bei welchen Personen stattgefunden hat. Aber wenn Sie jetzt fordern, dass dies auch noch mit entsprechender Auswertung der Akten dem Landtag vorgelegt wird, dann wird dadurch die Intimsphäre, die durch das Abhören des Telefons notwendigerweise verletzt worden ist, noch mehr, als es überhaupt für die Strafverfolgung erforderlich ist, verletzt, weil dann nämlich auch noch Personen, die damit gar nicht befasst sind, nämlich Abgeordnete, Einblick in diese Intimsphäre nehmen können. Es erscheint uns ausreichend, dass unabhängige Richter dies alles prüfen.

Lassen Sie mich noch eines sagen. Wir wollen den Katalog nicht verringern, sondern wir wollen ihn sogar noch erweitern. Wir meinen nämlich, dass auch einfache Kinderpornografie aufgenommen werden muss, weil gerade die Kinder, die schwächsten Mitglieder unserer Gesellschaft, geschützt werden müssen. Deshalb ist es falsch, den Katalog des § 100 a kleiner zu machen. Vielmehr muss § 100 a noch erweitert werden. - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, wir sind damit am Ende der Beratung dieses Tagesordnungspunktes angelangt und kommen zur Abstimmung. Wer der Beschlussempfehlung des Ausschusses zustimmen will, den bitte ich um sein Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Das Erste war eindeutig die Mehrheit.

Damit kommen wir zum

Tagesordnungspunkt 21: Einzige (abschließende) Beratung: Niedersächsisches Forstamt Knesebeck, Landkreis Gifhorn - Verkauf von Waldflächen - Antrag der Landesregierung - Drs. 15/682 Beschlussempfehlung des Ausschusses für Haushalt und Finanzen - Drs. 15/716

Die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Haushalt und Finanzen lautet auf Zustimmung.

Eine Berichterstattung ist nicht vorgesehen. Im Ältestenrat waren sich die Fraktionen einig, dass über diesen Punkt ohne Besprechung abgestimmt wird. - Dagegen höre ich keinen Widerspruch. Damit kommen wir zur Abstimmung. Wer der Beschlussempfehlung des Ausschusses zustimmen will, den bitte ich um sein Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Das ist einstimmig so angenommen.

Wir kommen damit zum

Tagesordnungspunkt 22: Einzige (abschließende) Beratung: Selbstbewirtschaftete Domäne Kloster Appingen, Landkreis Aurich Beendigung der Selbstbewirtschaftung durch Verkauf an den Landwirt Jan Rijpma, Groningen, Niederlande - Antrag der Landesregierung - Drs. 15/683 - Beschlussempfehlung des Ausschusses für Haushalt und Finanzen - Drs. 15/717

Die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Haushalt und Finanzen lautet auf Zustimmung.

Eine Berichterstattung ist nicht vorgesehen.

Auch hier waren sich die Fraktionen im Ältestenrat einig, dass über diesen Punkt ohne Besprechung abgestimmt werden soll. - Ich sehe keinen Widerspruch dagegen. Damit kommen wir zur Abstimmung. Wer der Beschlussempfehlung des Ausschusses zustimmen will, den bitte ich um sein Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Auch das ist somit einstimmig beschlossen.

Die folgenden beiden Tagesordnungspunkte werden vereinbarungsgemäß zusammen aufgerufen:

Tagesordnungspunkt 23: Zweite Beratung: Finanzierung des Öffentlichen Personennahverkehrs nicht plündern - Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 15/375 neu - Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr Drs. 15/718

und

Tagesordnungspunkt 24: Erste Beratung: Für einen leistungsfähigen ÖPNV im Flächenland Niedersachsen - Antrag der Fraktion der SPD - Drs. 15/704

Die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr zu Tagesordnungspunkt 23 lautet auf Ablehnung.

Eine Berichterstattung zu Tagesordnungspunkt 23 ist nicht vorgesehen. Damit kommen wir zur Beratung. Wer bringt den Antrag ein? - Herr Will von der SPD-Fraktion hat das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Entwicklung des Öffentlichen Personennahverkehrs ist nicht nur in Niedersachsen maßgeblich von den Liberalisierungsbemühungen auf europäischer Ebene seit Anfang der 90er-Jahre geprägt. Mit der Einführung des Wettbewerbsprinzips auch auf den Verkehrsmärkten will die Europäische Union unter Ausnutzung wettbewerbsbedingter Innovationen und Effizienzsteigerungen die Wirtschaftlichkeit und die Attraktivität des ÖPNV erhöhen. Dabei geht es im Wesentlichen um die Verwirklichung zweier EU-Prinzipien: erstens die organisatorische und juristische Trennung von Aufgabenträgern als Besteller von Verkehrsdienstleistungen auf der einen Seite und Verkehrsunternehmen als Ersteller von Verkehrsdienstleistungen auf der anderen Seite und zweitens die EU-weite Ausschreibung von öffentlichen Verkehrsdienstleistungen. Gegenwärtig werden die Rahmenbedingungen für öffent

liche Verkehrsdienstleistungen mit der Novellierung der spezifischen EU-Verordnung weiter konkretisiert.