Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Jüttner, wir kennen uns nun doch noch nicht so gut, als dass Sie so ohne weiteres vorhersagen können, was ich jetzt sagen werde. Ich wollte auf diesen Teil gar nicht so eingehen, wie Sie es für mich eben vorformuliert haben.
Lassen Sie uns einmal schauen, wie das heutige System aussieht. Ist es wirklich sozial, dass Einkommen - und zwar nur die lohnabhängigen Einkommen - bis zur Beitragsbemessungsgrenze von genau 3 450 Euro für 90 % der Deutschen die gesamte Last der Krankenversicherung und der Einkommensumverteilung tragen? Wir wenden es in der Tat derzeit an. Ist es sozial, dass Deutschland nach wie vor das einzige Land in Europa ist, das
sich eine Wahlfreiheit für die wirklich gut Verdienenden leistet? Die können nämlich wählen zwischen der Möglichkeit, sich in der GKV billig mit zu versichern, oder der anderen Möglichkeit, das Solidarsystem komplett zu verlassen. Ist es sozial, von einem Bruttoeinkommen Krankenkassenbeiträge in Höhe von derzeit durchschnittlich 14,3 % abzuziehen, völlig unabhängig davon, ob von diesem Einkommen eine Person oder zwei, fünf oder gar neun Personen leben, nämlich Familien?
Frau von der Leyen, können Sie sich vorstellen, dass es mir nicht darum ging, das bisherige System zu verteidigen, weil ich dort nämlich genauso wie Sie Änderungsbedarf sehe?
Schauen wir einmal, was weiterhin zur Gesundheitsprämie gesagt wird. Ein Systemwechsel ist richtig. Die Gesundheitsprämie ist sozial - wenn wir uns einmal den Familien zuwenden -, weil die Kinder weiterhin beitragsfrei versichert sein werden. Das ist unser gemeinsames Anliegen. Der Familienlastenausgleich wird aber nicht mehr primär von den Familien mitzutragen sein, weil einkommensunabhängig vom Bruttoeinkommen abgezogen wird, sondern er wird über die Steuer finanziert. Da wirken Kinder steuermindernd. Das, Herr Jüttner, ist das erste Fehler in dem Modell von Herrn Niemann, mit dem auch ich über dessen Zahlen diskutiert habe. Herr Niemann legt eine Familie mit zwei Kindern zugrunde. Herr Niemann vergisst aber völlig, dass Kinder bei der Steuer anders behandelt werden als beim Abzug von Krankenkassenbeiträgen vom Bruttoverdienst. Ich werde nachher noch auf das Thema Merz eingehen.
Die Gesundheitsprämie ist sozial, weil sie kleine Einkommen weiterhin so stellt wie bisher. Bisher leisten Bezieher kleiner Einkommen einen reduzierten Beitrag zur Krankenversicherung, der nicht
dem entspricht, was zur Deckung der Krankheitskosten notwendig wäre. Die Differenz wird von der Solidargemeinschaft bezahlt. Das sind die Einkommen nur bis 3 450 Euro. Der Rest ist draußen. In Zukunft sollen die Bezieher kleiner Einkommen wie bisher gestellt bleiben und einen reduzierten Beitrag zahlen. Die Differenz aber sollen alle tragen. Alle sollen mit ins Boot. Das geht nur über das Steuersystem.
Die Gesundheitsprämie ist auch deshalb sozial, weil sie Arbeit schafft, weil sie die Grenzkosten für Arbeit senkt und weil Netto näher an Brutto rückt. Sozial ist, was Arbeit schafft.
Zum Stichwort „unfinanzierbar“: Meine Damen und Herren, der Sozialausgleich ist finanzierbar. Das sieht man beim heutigen System. Da wird er ja bereits finanziert. Die gesamte Einkommensumverteilung befindet sich aber auf der schmalen Basis der Beitragsbemessungsgrenze. Wir stellen dieses nur auf eine breite Basis um, und zwar auf die breiteste Basis, die es gibt. Das ist das Steuersystem, bei dem alle Einkommen - z. B. auch die Zinserträge - zum Solidarausgleich mit herangezogen werden sollen.
Zum Stichwort „unseriös“: Frau Mundlos hat bereits auf das Gutachten des Sachverständigenrates hingewiesen. Das Fazit ist besonders beeindruckend. Der von der Bundesregierung eingesetzte Sachverständigenrat hat auf Seite 318 seines jüngsten Gutachtens - dort lässt es sich nachlesen - das Fazit gezogen: Die Pauschalprämie erhöht Beschäftigung. Die Bürgerversicherung verringert Beschäftigung. - Ist dieses von der Bundesregierung eingesetzte Gremium - die fünf Weisen; drei davon sind SPD-Mitglieder - unseriös, wenn es solche Simulationsberechnungen anstellt?
Ich kann Ihnen noch andere Gremien nennen, die sich mit dieser Thematik auseinandergesetzt haben. Das sind die Heinz-Nixdorf-Stiftung, die Ludwig-Erhard-Stiftung und die Bertelsmann-Stiftung. Diese drei Stiftungen haben am 14. November in einer gemeinsamen Pressekonferenz ein Gutachten vorgestellt, das sie in den letzten zwei Jahren zur Sozialreform erarbeitet haben. Darin fordern sie genau das, was auch wir fordern, nämlich einen einkommensunabhängigen Grundbeitrag zu den Krankheitskosten und eine Koppelung des Sozialausgleichs an das Steuersystem. Will man
Frau Janssen-Kucz, bei den Verhandlungen zum Gesundheitsmodernisierungsgesetz hat es auch eine Gruppe der Vernünftigen gegeben, denen es um die Sache ging. Beispielhaft nennen möchte ich Frau Schaich-Walch und Birgit Bender. Frau Schaich-Walch hat sich für die Gesundheitsprämie ausgesprochen. Ich fand das hochinteressant; denn ich weiß, dass es Frau Schaich-Walch um das Ergebnis geht. Das war bei den Gesundheitskonsensverhandlungen auch spürbar.
Deshalb kann ich abschließend nur sagen: Die Gesundheitsprämie ist seriös, weil sie Transparenz schafft. Sie entzerrt endlich die Krankheitskosten von der Einkommensumverteilung. Das heißt, sie bringt auch Licht in den unendlichen Dschungel der Finanzströme im Gesundheitswesen. Im Augenblick wissen wir in Deutschland überhaupt nicht, was für Krankheitskosten oder für die Einkommensumverteilung jeweils gezahlt wird. Sie schafft Beschäftigung, und sie ist nachhaltig, weil Alt wie Jung den gleichen Beitrag zahlen. Das ist gerade der jungen Generation gegenüber fair; denn in 20 bis 30 Jahren werden 80 % derjenigen, die heute hier im Parlament sitzen - ich eingeschlossen -, zu der großen Gruppe der Alten gehören. Dann ist es nur fair, wenn wir erstens einen Kapitalstock angespart haben und zweitens den gleichen Beitrag zu den Krankheitskosten leisten, statt diese ganze Last der erwerbstätigen jüngeren Generation zu hinterlassen.
Ein letztes Wort zum Thema Merz. Merz‘ Vorschläge schließen alle Schlupflöcher. Das heißt, dass die Basis, auf der Steuern erhoben werden, eine breitere ist. Deshalb ist das Einnahmevolumen des Staates quasi dasselbe. Es geht nur darum, dass alle Einkommensarten gleichmäßig beteiligt werden.
Zum Schluss darf ich Ihnen noch Folgendes sagen: Natürlich wird die Gesundheitsprämie mit Merz gekoppelt. Eine Familie mit einem Jahreseinkommen von 30 000 Euro zahlt nach dem Merz’schen Steuersystem überhaupt keine Steuern mehr. Das ist auch gut so;
denn die Freibeträge werden hoch genug sein. 32 000 Euro - das heißt, eine Familie mit diesem Einkommen - das ist der Fehler in den Berechnungen von Herrn Niemann gewesen - zahlt nur den Grundbeitrag für Gesundheit. Sie zahlt aber keine Steuern mehr. Die Steuern zahlt dann z. B. der Ledige mit seinem Einkommen von 30 000 Euro. Das ist gerecht, meine Damen und Herren.
Deshalb stelle ich fest, dass die Gesundheitsprämie durchaus sozial, seriös und finanzierbar ist. – Danke schön.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Mundlos, wenn Sie der SPD Koordinationsprobleme vorwerfen, dann empfehle ich Ihnen, mit Herrn Stoiber, mit Herrn Blüm und mit Herrn Seehofer zu reden. Die sagen Ihnen genau, was sie von Ihrem Kopfpauschalenmodell halten - nämlich überhaupt nichts.
Zur Frage der Solidarität, teile ich den ersten Teil dessen, was Herr Dr. Rösler gesagt hat, nämlich dass Solidarität bedeutet, dass die Starken für die Schwachen da sein sollen - aber nicht mit diesem System.
Erstens wollen Sie die Leistungen weiter auf Kernleistungen reduzieren, zweitens belassen Sie es vollständig bei der Säule der privaten Krankenversicherung, d. h. die Starken kommen gar nicht in die GKV - die sind bei Ihnen nämlich in der PKV und picken sich dort nach wie vor die Rosinen heraus -, und drittens, was die Frage der Einkünfte betrifft, denken Sie nicht im Traum daran, dass Kapitaleinkünfte, Aktiengewinne und dergleichen beitragspflichtig werden. Insofern wird es ausschließlich auf die Arbeitnehmereinkünfte fokussiert. Dieses zusammen kann nicht solidarisch sein und ist nicht solidarisch.
probleme, sondern die wegbrechenden Einnahmen. Dies hat im Wesentlichen etwas damit zu tun, meine Damen und Herren, dass nach wie vor - durch Kohl bedingt - mehrere Milliarden Euro pro Jahr - fast 80 Milliarden - für die deutsche Einheit über die sozialen Sicherungssysteme finanziert werden. Hätten wir diese unseriöse Finanzierung nicht, dann wären unsere Beiträge um drei Prozentpunkte geringer.
Wir haben darüber hinaus die Situation, dass Herr Dr. Herzog davon spricht, sein System würde den Steuerzahler 50 Milliarden Euro kosten – vorausgesetzt, wir bekommen einen strammen Wirtschaftsaufschwung. Dem hat nun Frau von der Leyen - abgeschrieben in Hessen - ein neues Modell entgegen gesetzt. Sie senkt die ursprünglich geplante Kopfpauschale von 264 Euro auf nunmehr 180 Euro plus 20 Euro Altersversicherung plus 90 Euro für jedes Kind ab.
Ich habe das einmal gerechnet; ich bitte um Nachsicht, wenn es falsch sein sollte. Wenn ich das Herzog-Konzept für zwei Personen mit zwei Kindern durchrechne, dann würde das zweimal 264 Euro - die Kinder werden beitragsfrei mitversichert -, also 528 Euro ausmachen. Wenn ich das Konzept von Frau von der Leyen durchrechne, dann sind das zweimal 180 Euro, zweimal 20 Euro Altersrückstellung und zweimal 90 Euro für die Kinder, das macht 580 Euro.
Also, sehr geehrte Kollegin, wenn Sie schon in Hessen abschreiben, dann fragen Sie mal Ihren Kultusminister, ob 580 Euro tatsächlich weniger sind als 528 Euro. Er wird Ihnen wahrscheinlich die erstaunliche Antwort geben: Verdammt, das ist mehr. Insofern haben Sie schlichtweg eine Mogelpackung aufgelegt, um sich da herauszudrehen,
weil das, was Sie hinterher über Steuern subventionieren, nämlich für die Kinder und die Altersrückstellung, ausschließlich von den Steuern der Arbeitnehmer bezahlt wird und sonst von niemandem, meine Damen und Herren.
Das ist doch nicht mehr gerecht, Sie lassen die Höherverdienenden bewusst außen vor. Das ist doch die Wahrheit. Insofern ist es klar: Sie machen
zukünftig eine Finanzierung nach der Kassenlage der Sozialversicherung, aber aufgrund der Kassenlage des Staates, d. h. die Leute sind davon völlig abhängig.
„Privatversicherung ist gut, aber als ergänzende Sicherung. Man kann nicht in einem Industriestaat mit 82 Millionen Einwohnern und über 50 Millionen Erwerbstätigen in zwei wichtigen Versicherungszweigen auf einen Kapitalstock verweisen. Das sind amerikanische Verhältnisse. Was die CDU jetzt vorschlägt, ist eine Umverteilung von unten nach oben. Die Leute oben zahlen danach für ihre Krankenversicherung sogar weniger als heute. Die kleinen Leute mit mittleren Einkünften aber müssen mehr bezahlen. Die CDU will an das Modell der Bürgerversicherung deshalb nicht heran, weil sie ideologisch nicht bereit ist, eine Umverteilung von oben nach unten zu akzeptieren.“
Meine Damen und Herren, das ist genau der Punkt. Das ist von Heiner Geißler und in der Zeit vom 10. Oktober 2003 nachzulesen. Der Mann hat völlig Recht. Er war einmal Ihr ideologischer Vordenker. Sie sollten einmal Ernst nehmen, was er sagt: Das trifft nämlich genau die Problemlage dessen, was Sie den Leuten weismachen wollen.