Protocol of the Session on November 20, 2003

- Wir haben im Ausschuss für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr ja einen Vorschlag unterbreitet. Wir haben vorgeschlagen, Betriebsräte und Arbeitgebervertreter einzuladen, um mit ihnen über Sinn und Zweck von betrieblichen Bündnissen zu diskutieren. Sie haben das abgelehnt. Erzählen Sie nicht, dass Sie auch mit Betriebsräten diskutieren!

(Beifall bei der SPD - Björn Thümler [CDU]: Das machen wir ständig!)

Mir kommt langsam der Verdacht, dass hier etwas ganz anderes aufgezäumt werden soll. Anders kann ich mir die Aussage von Herrn Roland Koch, Ministerpräsident von Hessen, nicht erklären, der ja betonte, dass die Opposition den rot-grünen Steuergesetzen im Bundesrat nur zustimmen wird, wenn die Regierung bei den betrieblichen Bündnissen der Opposition entgegenkommt.

Meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, ich fordere Sie noch einmal auf: Hände weg von der Tarifautonomie! Keine Kopplungsgeschäfte im Bundesrat auf dem Rücken der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer! Ziehen Sie Ihren Gesetzentwurf endlich zurück! - Schönen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Als nächstem Redner erteile ich dem Abgeordneten Hillmer das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nichts bewegt die Menschen in Deutschland zurzeit so sehr wie die Massenarbeitslosigkeit. Dass de facto über 6 Millionen Menschen arbeitslos sind, ist das Topthema in allen Schichten der Gesellschaft, bei Jungen wie bei Alten - nur leider nicht bei der SPD.

(Gerd Will [SPD]: Unverschämtheit!)

Das ist die traurige Erkenntnis dieser Debatte über mehrere Wochen im Landtag und im Ausschuss. Sie weigern sich beharrlich, die Perspektive des Arbeitssuchenden einzunehmen, der die Mauern unseres Arbeitsmarktes von außen sieht. Dort, wo wir einige Steine abtragen wollen und eine Leiter anstellen, wittern Sie den Abbau von Besitzständen für die, die drinnen sind. Diese Einstellung können wir uns nicht länger leisten.

(Beifall bei der CDU)

Die CDU bekennt sich ganz eindeutig - das möchte ich ausdrücklich sagen - zur Tarifautonomie und zum Flächentarifvertrag. Die Tarifautonomie ist wie die Parteien und anderes grundgesetzlich geschützt, weil sie dem Gemeinwohl verpflichtet ist. Sie kann nicht in Besitzstandsdenken umdefiniert werden.

Wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer sich in freier Vertragsgestaltung einigen, darf dies nicht ein Vertrag zulasten Dritter sein, zulasten derjenigen, die nicht am Arbeitsprozess beteiligt sind, zulasten der Arbeitslosen. Was nützen uns immer höhere Tarifabschlüsse, immer kürzere Arbeitszeiten, immer perfektere Absicherungen für bestehende Arbeitsplätze, wenn gleichzeitig immer mehr Menschen außen vor bleiben und nach Jahren erfolgloser Arbeitssuche resignieren?

(Heike Bockmann [SPD]: Realitäts- fremd!)

Unserem Arbeitsmarkt fehlt nicht allein die Arbeit, ihm fehlt auch der Markt.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Schauen Sie bei OECD, ifo, EU-Kommission, Bertelsmann-Stiftung, oder fragen Sie meinetwegen auch den Altkanzler Helmut Schmidt: Unser Arbeitsmarkt ist zu stark reguliert.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ein Preiskartell, meine Damen und Herren, ist eine komfortable Sache, solange man den relevanten Markt vollständig abdeckt. Wenn alle Produzenten die gleiche Entlohnung für Arbeit zahlen müssen, ist dies ein statischer Markt, durchaus auskömmlich für Arbeitgeber und Arbeitnehmer.

(Günter Lenz [SPD]: Das macht doch keiner!)

In diesem Markt sichert der Flächentarifvertrag die Chancengleichheit und verhindert Lohndumping im Sinne Ihres Antrags.

Leider hört die Wirklichkeit an dieser Stelle nicht auf, offensichtlich aber Ihre Wahrnehmungsbereitschaft. Denn die internationale Konkurrenz hält sich nun einmal nicht an unsere Flächentarifverträge. Der heimische Arbeitgeber steht dann vor der Alternative, entweder - erstens - die Produktivität durch mehr Maschineneinsatz weiter zu erhöhen oder - zweitens - Produktion ins billigere Ausland zu verlagern oder - drittens - sie komplett einzustellen. In jedem Fall verlieren wir Arbeitsplätze und erhöhen die Arbeitslosigkeit in Deutschland. Das können wir uns nicht mehr leisten.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Die Herausforderungen sind von Branche zu Branche, aber auch von Betrieb zu Betrieb verschieden. Dafür brauchen wir mehr Flexibilität im Tarifvertragsrecht durch gesetzlich ermöglichte betriebliche Bündnisse für Arbeit. Wenn ein Betrieb in Schwierigkeiten gerät, müssen wir den Arbeitnehmern zumindest die Chance geben, sich an der Sicherung ihrer Arbeitsplätze zu beteiligen.

(Günter Lenz [SPD]: Das passiert doch heute schon! Das ist heute schon möglich, auch hier in Nieder- sachsen!)

Meine Damen und Herren, der gescheiterte Streik in Ostdeutschland zur Einführung der 35-StundenWoche hat eines ganz deutlich gezeigt: Die Auseinandersetzungen spielten sich oft nicht zwischen Belegschaft und Unternehmensleitung ab, die Konfliktlinien verliefen zwischen Betriebsräten vor Ort und Gewerkschaftsfunktionären.

(Beifall bei der CDU)

Nach Ihrer Diktion betreibt Ostdeutschland also Lohndumping. Das war den Menschen vor Ort aber ziemlich egal. Die haben sich für ihre Arbeitsplätze entschieden und gegen den fremdbestimmten Streik.

Um den von Ihnen gemalten Schreckgespenstern gleich den Schrecken zu nehmen, sage ich genau, was wir ändern möchten: Wir wollen betriebliche Bündnisse für Arbeit ermöglichen, wenn zwei Drittel der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer zustimmen und wenn die Tarifparteien innerhalb von vier Wochen nicht begründet widersprechen. Wir

erleichtern damit dezentrale Entscheidungen und schenken den Menschen vor Ort mehr Vertrauen und Verantwortung. Bei der Günstigkeitsprüfung sagen wir: Ein sicherer Arbeitsplatz ist auch eine Begünstigung.

Wir brauchen ferner einen befristeten Einsteigertarif für vormals Arbeitslose im ersten Jahr, der 10 % unter dem Tarifniveau liegt. Außerdem möchten wir befristete Arbeitsverhältnisse mit einer Dauer von bis zu drei Jahren ermöglichen. Dies folgt dem Grundsatz: Lieber befristet arbeiten als unbefristet arbeitslos.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Der vorliegende Antrag der SPD-Fraktion wird der Herausforderung Massenarbeitslosigkeit in keiner Weise gerecht. Er fällt auch weit hinter das zurück, was die Bundesregierung in der Agenda 2010 vorgeschlagen hat. Von der unrühmlichen Rolle von Herrn Gabriel in Bochum konnten wir heute Morgen alle in der Zeitung lesen. In der Frage der Tarifautonomie nennt ihn Kanzler Schröder „Brandstifter und Feuerlöscher“ zugleich. Vielleicht können Sie diesem Hause Ihre Meinung zu diesem Thema einmal abschließend darlegen. Wollen Sie die Bundesregierung in dieser Frage unterstützen oder sabotieren? Unsere Position ist klar: Wir pakken die Strukturprobleme des Arbeitsmarktes an. Die CDU-Fraktion unterstützt nachhaltig die Reformvorschläge, die unsere Landesregierung im Bundesrat eingebracht hat. Ihren Antrag werden wir ablehnen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Herr Kollege Rickert, bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Kürze der Zeit, die mir zur Verfügung steht, gibt mir kaum Gelegenheit, das gesamte Spektrum dieser Problematik zu erläutern. Dennoch gestatten Sie mir, einige Sätze zu dem Thema Tarifautonomie zu sagen. Für die FDPFraktion kann ich überhaupt nicht feststellen, dass sich die bisherige Form der Tarifautonomie insbesondere in der jüngsten Vergangenheit bewährt hat, und ich kann erst recht nicht zu dem Ergebnis kommen, dass betriebliche Bündnisse die Gefahr eines ruinösen Wettlaufs um niedrige Einkommens- und Arbeitsbedingungen in sich bergen.

(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU)

Diese beiden Thesen in dem Antrag der SPDFraktion dokumentieren mehr als deutlich, wie sehr sich die SPD von der Realität entfernt hat. Warum realitätsfern? Ein von mir ausgewähltes Beispiel aus der Werftenindustrie mag dies verdeutlichen. Dieses Beispiel hat den Charme, dass Sie alle es verstehen, weil wir über die Problematik der Werftenindustrie heute schon einiges gehört haben.

Die in Kiel ansässige Werft HDW hat sich vornehmlich im U-Bootbau einen Namen gemacht. Um nun die hier erkennbaren Auftrags- und Beschäftigungsverluste abzufangen und sich gleichzeitig neue Geschäftsfelder zur zukünftigen Sicherung des Unternehmens und dessen Arbeitsplätze zu sichern, haben Unternehmensleitung und Gesellschafter einen Großauftrag zur Lieferung von Handelsschiffen hereinnehmen wollen. Um mit den Dumpingpreisen auf dem durch einen ruinösen Wettbewerb - und hier, meine Damen und Herren, treffen die Stichworte zu gekennzeichneten Weltmarkt mithalten zu können, konnte dieser Auftrag nur unter Verlust hereingenommen werden. Die Gesellschafter und die Unternehmensleitung waren dazu bereit, wenn auch die Belegschaft Zugeständnisse macht. Das hieß im Übrigen: befristete Einschnitte bei Mehrarbeit, bei Weihnachtsund Urlaubsgeld - hört, hört, meine Damen und Herren vom öffentlichen Dienst. Der nun einsetzende Verhandlungsmarathon mit der IG Metall drohte den Auftrag zum Scheitern zu bringen. In letzter Minute - die Unternehmensleitung, was man in den entsprechenden Publikationen nachlesen konnte, hatte den Auftrag bereits aufgegeben kam es noch zur Einigung.

Nun werden Sie sagen: Das ist ja genau richtig. Dennoch: Der Tarifvertrag in seiner restriktiven Form erwies sich nicht als Garant, sondern als Hindernis. Der Wettlauf um die Arbeitsplätze in Kiel wäre fast verloren gegangen. Meinen Sie wirklich, dass jeder Unternehmer diese Langmut in den Verhandlungen zeigt? Ich meine, nicht. Eine Vielzahl insbesondere kleinerer und mittlerer Unternehmen fragt sich, warum sie mit den Verbandsfunktionären aus der Fraktion der Besitzstandswahrer noch lange verhandeln sollen.

Meine Damen und Herren, ich habe selbst als Arbeitgebervertreter viele Verhandlungen in Tarifkommissionen und anderen Gremien geführt und war auch nicht immer glücklich über das, was mei

ne Funktionäre aus dem Lager der Arbeitgeber von sich gegeben haben. Also sagt sich doch der mittelständische Unternehmer: Ehe ich das auf mich nehme, gehe ich lieber gleich weg, nämlich ins Ausland. Das Bedrohliche dabei ist, dass die Verlagerung von Arbeitsplätzen ins europäische Ausland dazu führt, dass diese Arbeitsplätze ein für alle Male weg sind.

(Glocke der Präsidentin)

Um dieser Gefahr vorzubeugen, hat die Landesregierung ihre Initiative vorgelegt. Der Inhalt ist Ihnen bekannt. Ich hätte ihn gerne wiederholt. Denn wie heißt es so schön bei den Juristen? - Der Blick ins Gesetz erleichtert die Wahrheitsfindung ungemein.

Herr Rickert, leider können Sie das nicht mehr vortragen.

Ich bin sofort fertig. - Ich wiederhole: Es geht nicht um Abschaffen, sondern um Öffnen, wenn es sein muss, auch nach unten. Es gibt, nebenbei bemerkt, bei Neueinstellungen ein Absenken um 10 % unter das Tarifniveau bereits in einigen Tarifverträgen, z. B. der Chemie. Wir schaffen mit unserer Initiative die gesetzlichen Rahmenbedingungen für betriebliche Bündnisse für Arbeit und Beschäftigung sichernde Betriebsvereinbarungen. Die Landesregierung will nicht ein ganzes Tarifsystem abschaffen, sondern in ein sehr starres Regelwerk mehr Flexibilität, mehr Betriebsnähe und mehr Realitätsnähe bringen, damit Arbeitsplätze nicht verschwinden oder verlagert werden. - Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Herr Minister Hirche, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wer Arbeitsplätze will, muss die Wirtschaft ankurbeln. Dazu gehört neben der Steuerentlastung insbesondere eine Reform des Arbeits- und Tarifrechts. Dazu gibt es auch in der Agenda 2010 vorsichtige Ansätze, aber sie reichen bei weitem nicht aus.

Deswegen hat die Landesregierung ihre Initiative ergriffen.

Wir hoffen, dass sich bei dem gegenwärtig tagenden Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat die Vernunft durchsetzt. Es ist im Übrigen zu erwarten, dass weit mehr neue Arbeitsplätze aus der Reform des Tarif- und Arbeitsrechts entstehen als aus dem, was sich aus dem Vorziehen der Steuersenkung ergeben soll.

Die Landesregierung hat vier Punkte beantragt: erstens klare Regelung der Zumutbarkeit bei der Aufnahme neuer Arbeit, zweitens Befristung der Arbeitsverhältnisse auf drei Jahre, drittens Abweichung von Tarifen im ersten Beschäftigungsjahr und viertens betriebliche Bündnisse für Arbeit.